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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.06.2017

Ein Wohlfühl-Roman

Das Bild der Erinnerung
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Ein berühmtes Bild und eine traurige Liebesgeschichte: Anna Falkenberg arbeitet als Kunsthistorikerin in einem Münchner Auktionshaus. Eines Tages wird ein berühmtes Bild, das seit 70 Jahren als verschollen ...

Ein berühmtes Bild und eine traurige Liebesgeschichte: Anna Falkenberg arbeitet als Kunsthistorikerin in einem Münchner Auktionshaus. Eines Tages wird ein berühmtes Bild, das seit 70 Jahren als verschollen galt, im Auktionshaus eingeliefert und Anna soll eine Expertise erstellen. Nach und nach beginnt sie an der Echtheit des Bildes zu zweifeln. Ihre Nachforschungen führen sie zu einer Galerie in London, in der das Bild angeblich zuletzt verkauft wurde. Ihre Zweifel erhärten sich. Geleichzeitig erfährt Anna von einer traurigen Liebegeschichte in der Vergangenheit, die eng mit dem Bild verbunden scheint. Jary lässt ihre Geschichte in zwei Zeitebenen spielen. Die eine spielt in der Gegenwart und der Leser begleitet Anna bei ihren Recherchen über das Bild. Die andere entführt den Leser nach Berlin im Jahr 1946. Mir haben vor allem diese Szenen gut gefallen, weil man viel über Berlin in der Nachkriegszeit erfährt: über das Leben der Trümmerfrauen, die Besatzungspolitik, die Rundfunkpolitik, die Kunstszene und wie junge Menschen – noch traumatisiert vom Krieg – wieder angefangen haben zu leben. Jary erzählt sehr bildhaft, fast schon filmreif und ihr gelingt es einfach wahnsinnig gut, das Gefühl, das zu jener Zeit geherrscht haben muss, zu transportieren. Auch die Geschichte um Anna Falkenberg und das Bild hat mir ganz gut gefallen, nur die Verknüpfung der beiden Geschichten ist etwas holprig geraten. Auch das Ende war mir etwas zu hoppla hopp – da passiert dann alles etwas zu schnell und zu viel auf einmal. Im Großen und Ganzen hat mich „Das Bild der Erinnerung“ aber gut unterhalten. Es ist keine besonders aufregende Geschichte, aber irgendwie ein richtiger Wohlfühl-Roman.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Reise in eine grausame Welt

Krähenmädchen
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Unfassbare Grausamkeiten, schwerpsychotische Menschen, tief verletzte Seelen und Gewalt wohin man schaut: der Stoff, den das Autorenduo Erik Axl Sund für den Auftakt ihrer Psychothriller-Trilogie gewählt ...

Unfassbare Grausamkeiten, schwerpsychotische Menschen, tief verletzte Seelen und Gewalt wohin man schaut: der Stoff, den das Autorenduo Erik Axl Sund für den Auftakt ihrer Psychothriller-Trilogie gewählt hat, ist schon reichlich harter Tobak. Gleich zu Beginn wird in Stockholm die Leiche eines Jungen gefunden. Er wurde mehrere Tage gefoltert und aufs schlimmste misshandelt, seine Genitalien wurden ihm bei lebendigem Leib entfernt. Er wird nicht der letzte Tote bleiben. Kommissarin Jeanette Kilhberg und Psychologin Sophia Zetterlund nehmen die Ermittlungen auf und versuchen den Mörder der Kinder zu finden. Dabei tut sich dem Leser eine furchtbare Welt auf, in der Kindermord, Pädophilie und Vergewaltigung an der Tagesordnung zu stehen scheinen. Der Fokus liegt dabei auf Flüchtlingskindern, die ohne Begleitung in Schweden sind (ein Teil der Geschichte führt auch zu Kindersoldaten in Sierre Leone). „Krähenmädchen“ ist eigentlich ein schlimmer Albtraum und zeitweise schon hart am Limit, trotzdem hat mich das Buch irgendwie gepackt. Man fliegt nur so durch die Seiten und kann das Buch wirklich nur sehr schwer zur Seite legen. Die Autoren springen beim Erzählen durch verschiedene Zeiten und lassen die Geschehnisse aus der Sicht verschiedener Personen erzählen – das macht die Geschichte unglaublich spannend. Besonders gelungen ist dem Autorenduo auch die Figurenzeichnung. Man erfährt relativ viel aus dem Privatleben der Figuren und kann so besser in deren Gefühlswelt eintauchen. Zudem sind die Charaktere sehr besonders und bleiben im Gedächtnis hängen. Unglaublich interessant ist auch die Täterstudie und überhaupt der psychologische Aspekt des Romans. Leider waren für mich ein paar Dinge etwas vorhersehbar. Zum Ende hin gibt es beispielsweise eine eigentlich sehr grandiose Wendung. Allerdings war mir schon ab der Hälfte des Buches klar, dass das so sein wird. Liegt aber vielleicht auch daran, dass ich mich schon öfter mit dem Thema beschäftigt habe. Der Roman endet mit einem fiesen Cliffhanger, weswegen ich mir Teil 2 (Narbenkind) schon bereit gelegt habe.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Ausflug ins England der 60er Jahre

Miss Blackpool
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Nick Hornby hat einen historischen Roman geschrieben: In „Miss Blackpool“ greift der Popliterat die Geschichte der 60er Jahre in England auf – ein Jahrzehnt voller Umbrüche, Reformen und Konflikten – und ...

Nick Hornby hat einen historischen Roman geschrieben: In „Miss Blackpool“ greift der Popliterat die Geschichte der 60er Jahre in England auf – ein Jahrzehnt voller Umbrüche, Reformen und Konflikten – und schafft gleichzeitig eine Hommage an die goldenen Fernsehjahre in dieser Zeit. Titelheldin des Romans ist Barbara aus Blackpool. Barbara ist ein „funny Girl“ (so lautet der Originaltitel des Romans). Sie möchte eine berühmte Komikerin werden und sie weiß, dass sie Talent hat. So lehnt sie den Titel zur Schönheitskönigin in ihrem nordenglischen Heimatkaff ab und verschwindet nach London. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten: Vom Fleck weg wird sie für eine Comedy-Serie engagiert, die bald Kultstatus erreicht und Barbara wird zu einem Fernseh-Star. Allerdings dreht sich der Roman nicht allein um Barbara und ihre Karriere. Im Zentrum der Geschichte steht vielmehr die fiktive Sitcom „Barbara (and Jim)“. Eine für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Serie, die immer wieder moderne Themen und auch politische Diskussionen aufgreift. Die Macher der Serie versuchen immer wieder, sich gegen alte Konventionen und Moralvorstellungen durchzusetzen. Daneben gewährt Hornby seinen Lesern einen Blick in das Privatleben des Serienteams (angefangen von den Schauspielern über den Produzenten bis hin zu den Drehbuchautoren) und fängt somit ganz gut den Zeitgeist der 60er Jahre ein. Ein Jahrzehnt, das auch eine Zeit des Aufbruchs in England war: Homosexualität wird legalisiert, das „Nacktmusical“ Hair wird uraufgeführt und der „Theatres Act“ hat vorher noch verfügt, dass es erlaubt sei, bei Bühnenaufführungen Brüste zu zeigen. Hornby erzählt sehr alltagsnah; die Dialoge sind zum Teil recht rasant, schlagfertig und spitzfindig. Garniert ist alles mit einem sehr feinen Humor. Zum Teil liest sich der Roman tatsächlich wie eine Sitcom. Schade fand ich, dass ein Großteil der Figuren doch recht blass bleibt – zu sehr hat sich Hornby darauf konzentriert ein ganzes Milieu zu beschreiben. Im Großen und Ganzen aber ein guter, auch unterhaltsamer Roman über die 60er Jahre in England aus Sicht der Fernsehbranche. Ein Hornby, der mal ein bisschen anders ist.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Unverfälscht und offen

Expect nothing!
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68er-Ikone, Ex-Model, Ex-Kommunardin und Geliebte zahlreicher Rockstars: so kennt man Uschi Obermaier aus den Medien. Und auch ihre erste Biografie „High Times: Mein wildes Leben“ behandelte genau die ...

68er-Ikone, Ex-Model, Ex-Kommunardin und Geliebte zahlreicher Rockstars: so kennt man Uschi Obermaier aus den Medien. Und auch ihre erste Biografie „High Times: Mein wildes Leben“ behandelte genau die Jahre ihres Lebens, als sie durch die Welt jettete, mit Drogen experimentierte und Mitglied der Kommune 1 war. In Uschi Obermaiers neuer Biographie „Expect Nothing“ sollte das daher kein Thema mehr sein. Hauptsächlich wird in diesem Buch die Zeit nach dem Unfalltod ihres Lebensgefährten Bockhorn behandelt, mit dem sie zuvor jahrelang durch die Welt gereist war. Nach diesem Ereignis fiel Uschi tief und musste im Grunde wieder fast von vorne anfangen. Wie sie es geschafft hat, beinahe mittellos und auf sich allein gestellt, ihr Leben wieder zu ordnen, erzählt sie in diesem Buch. Dabei bringt sie dem Leser auch ihre Lebensphilosophie näher, gewährt einen Einblick in ihr jetziges Leben und erzählt auch vom Verhältnis zu ihren Eltern. Das Buch setzt sich aus Passagen zusammen, in denen Uschi Obermaier selbst aus ihrem Leben erzählt und zwar sehr unverfälscht und so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Dann gibt es aber auch wieder Passagen, die von der Co-Autorin Anna Cavelius stammen – das sind meist kleine Interviews mit Uschi. Mich fasziniert die Person Uschi Obermaier ja schon lange und ich hab auch die Vorgänger-Biografie gerne gelesen. Dieses Buch hat mir aber noch besser gefallen. Es ist auf jeden Fall das ehrlichste, persönlichste und auch offenste Buch, das über Uschi Obermaier je geschrieben worden ist. Sie blickt sehr reflektiert auf ihr Leben zurück und scheint auf jeden Fall eine starke Persönlichkeit zu sein. Eine wirklich lesenswerte Biografie, die einem auch ein bisschen zeigt, wie man mit Schicksalsschlägen fertig wird und wie man seinen inneren Frieden findet.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Abgedreht, spannend, originell

Du
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Zugegeben: Leicht macht es dieses Buch dem Leser nicht gerade. Das fängt schon mit der Erzählperspektive an. Das Buch ist nämlich durchgehend in der zweiten Person Singular Präsens geschrieben. Drvenkar ...

Zugegeben: Leicht macht es dieses Buch dem Leser nicht gerade. Das fängt schon mit der Erzählperspektive an. Das Buch ist nämlich durchgehend in der zweiten Person Singular Präsens geschrieben. Drvenkar spricht den Leser also ständig an und lässt ihn somit in verschiedene Rollen schlüpfen: Wir sind ein Massenmörder, der während eines Schneesturms in einem Stau auf der Autobahn stecken bleibt und ein Massaker anrichtet; ein Berliner Großkrimineller, der die gefrorene Leiche seines Bruders findet; ein jugendlicher Nachwuchsdealer; ein reicher Berufsjugendlicher und fünf 16 Jahre alte Mädchen, die an ein paar Kilo Heroin geraten und eine Gewaltspirale auslösen. Letztendlich entwirft Drvenkar zehn verschiedene Handlungsstränge, die fast bis zur Hälfte des Buches fast nichts miteinander zu tun haben. Lange wird viel erzählt, aber nichts erklärt. Irgendwann bewegen sich aber die einzelnen Handlungen aufeinander zu und man erkennt, dass Drvenkar hier eigentlich eine brillant konzipierte Geschichte mit einem extrem gut ausgeklügelten Spannungsbogen vorgelegt hat. Auch sprachlich hat der doch recht stattliche Roman einiges zu bieten: Drvenkar schreibt klar, oft schonungslos und schafft doch auch immer wieder sehr elegante, fast schon kunstvolle Formulierungen. Die Handlung ist nicht unbedingt realistisch und zum Teil echt abgehoben. Aber gerade das macht die Geschichte aus. Sehr oft musste ich beim Lesen übrigens an Quentin-Tarantino-Filme denken. Letztendlich hat mir der Roman trotz einiger zu vielen „Dus“ wirklich gut gefallen.