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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.06.2017

Vergangenheitsbewältigung

Die uns lieben
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Was bedeutet es, den bedrohlichen Bedingungen einer Diktatur ausgesetzt zu sein und täglich Entscheidungen treffen zu müssen, von denen das eigene Leben abhängen kann? Wie weit würde man gehen, um sich ...

Was bedeutet es, den bedrohlichen Bedingungen einer Diktatur ausgesetzt zu sein und täglich Entscheidungen treffen zu müssen, von denen das eigene Leben abhängen kann? Wie weit würde man gehen, um sich selbst und seine Liebsten zu retten? – Trudy Swenson, Professorin am Historischen Institut in Minneapolis, soll im Auftrag des Zentrums für Holocauststudien deutsche Zeitzeugen zu deren Alltag im Dritten Reich befragen. Besonders will sie dabei die Rolle der deutschen Frauen beleuchten: Waren die Frauen, die sich dem Regime offensichtlich blind fügten, wirklich alle Täterinnen? Konnte es nicht vielleicht auch sein, dass manche Frauen gegen ihre Überzeugungen handeln mussten, um sich selbst und das Leben anderer zu schützen? Trudys Faszination für dieses Projekt und auch ihre Fragestellung kommen nicht von ungefähr. Sie erhofft sich so auch das jahrzehntelange Schweigen ihrer Mutter Anna zu verstehen. Denn Trudys Mutter ist Deutsche und hat bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit der kleinen Trudy in Weimar gelebt. Über die Vergangenheit spricht sie nie, Trudy weiß auch nicht, wer ihr leiblicher Vater ist. Einziges Erinnerungsstück aus jener Zeit ist ein Foto auf dem Anna und ihr kleines Töchterchen Trudy mit einem SS-Offizier zu sehen sind.

Über den Zweiten Weltkrieg und Nazi-Deutschland gibt es ja mittlerweile Romane wie Sand am Meer, trotzdem hat mich „Die uns lieben“ sehr angesprochen – vor allem wegen der Herangehensweise, die für mich mal etwas Neues war. Prinzipiell hätte das Thema auch Potenzial für eine großartige Geschichte gehabt: Es geht um Vergangenheitsbewältigung, Schuld, Verantwortung und natürlich hauptsächlich die Frage, wie weit man gehen darf, um die eigene Familie vor Unheil zu bewahren. Leider ist Jenna Blum die Umsetzung aber gründlich misslungen.

Der Roman spielt inhaltlich auf zwei Zeitebenen. Ein Handlungsstrang ist in den 1990er Jahren angesiedelt und fokussiert sich hauptsächlich auf Trudy: Wir erfahren von ihrem schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter und begleiten sie bei ihrem Forschungsprojekt. In dieser Gegenwartshandlung bekommt der Leser auch immer wieder Protokolle der Interviews zu lesen, die Trudy mit den Zeitzeugen führt. Diese Interviews sind zwar alle sehr brutal und erschütternd, triefen aber auch nur so von überzeichneten Klischees und kommen daher total unglaubwürdig rüber. Unter den Interviewten ist natürlich vom absoluten Holocaust-Leugner, über den verbitterten Nachfahren ermordeter Juden bis hin zum KZ-Überlebenden alles dabei.

Der zweite Handlungsstrang spielt von 1939 bis 1945 in Weimar und offenbart dem Leser Annas Geschichte. Anna ist zu Beginn 19 Jahre alt und führt den Haushalt ihres jähzornigen Vaters. Ihr Herz schlägt für den ehemaligen Hausarzt der Familie, den Juden Dr. Maximilian Stern. Doch irgendwann holt Anna die Realität ein und Max kommt ins KZ-Lager Buchenwald. Als ein hoher SS-Offizier Interesse an Anna zeigt, lässt sie sich auf ihn ein und gerät somit in eine Spirale aus Gewalt und Schuld. Dieser Handlungsstrang wurde für mich extrem oberflächlich abgehandelt und es hat einfach ganz viel Zwischenmenschliches gefehlt. Was haben sich Anna und Max gegenseitig wirklich bedeutet? Wie hat sich Anna gefühlt, als sie sich an den SS-Offizier verkauft hat? Wie kommt sie mit dieser Abhängigkeit klar, warum versucht sie nicht, ihr zu entkommen? Warum hat sie nie versucht herauszufinden was aus Max geworden ist? Auch das Mutter-Tochter-Verhältnis wurde unglücklich gelöst: Anna hat nach eigener Aussage nur so gehandelt, weil sie Trudy liebt. Das merkt man aber kein einziges Mal. Dafür besteht ein Großteil dieses Handlungsstrangs aus brutalen Sexszenen. Das Abhängigkeitsverhältnis zischen Anna und dem Offizier hätte man auch subtiler lösen können und nicht in Form eines Nazi-Pornos.

Dazu kommt noch, dass die ganze Struktur des Romans sehr konstruiert ist. Denn natürlich führt Trudys Forschungsprojekt die beiden Handlungsstränge am Ende zusammen, weil sie zufällig den richtigen Interviewpartner trifft.

Ein paar Pluspunkte gibt es für den Schreibstil, der recht angenehm und flüssig ist. Da kann man es auch verschmerzen, dass die wörtliche Rede ohne Anführungszeichen oder besondere Hervorhebung in den Text integriert ist.

Fazit: Innovative Idee, aber schlechte Umsetzung. Für mich eines der schwächeren Bücher über das Dritte Reich.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Aufgesetzt und bemüht

Axolotl Roadkill
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Erst vom Feuilleton frenetisch gefeiert, dann kamen die Plagiatsvorwürfe: Vor ein paar Jahren ging Helene Hegemanns Debütroman „Axolotl Roadkill“ ja ziemlich durch die Medien und spaltet seither die Meinungen. ...

Erst vom Feuilleton frenetisch gefeiert, dann kamen die Plagiatsvorwürfe: Vor ein paar Jahren ging Helene Hegemanns Debütroman „Axolotl Roadkill“ ja ziemlich durch die Medien und spaltet seither die Meinungen. Ich wollte mir jetzt auch endlich einmal eine eigene Meinung zu diesem Buch bilden und habe versucht möglichst vorurteilsfrei an die Sache heranzugehen. Mein Fazit: Wie leider fast schon befürchtet, ist „Axolotl Roadkill“ nicht mein Fall und wäre das Buch länger als die knapp 200 Seiten gewesen, hätte ich es wahrscheinlich sogar abgebrochen. Meine Hintergründe: Im Grunde hat mich schon die Thematik genervt. Geschichten über wohlstandsverwahrloste Jugendliche, die Drogen-, Sex- und Partyexzesse feiern und mit ihrem Leben nicht mehr klarkommen, sind doch wirklich nichts neues mehr. Und gibt es denn wirklich so viele Menschen, deren Jugend nur von Frust und Wut und Ziellosigkeit geprägt ist? Im Fall von „Axolotl Roadkill“ kommen dann noch andere Komponenten dazu, die mir die Lektüre vergällt haben. Hegemann wirft mit wirren Worthülsen, Phrasen und vielen, vielen Fremdwörtern um sich und bedient sich recht gern und oft der Fäkalsprache. Sogar die paar Passagen im Buch, die tatsächlich klug und originell waren, bekommen dadurch einen unerträglich aufgesetzten pseudorebellischen und pseudointellektuellen Klang. Dieses Bemühte, Aufgesetzte ist glaub ich auch der größte Kritikpunkt, den ich an dem Buch habe. Dass die Geschichte überhaupt keine Struktur hat und die Passagen wie Fragmente daherkommen, ist zwar anstrengend, fand ich aber eigentlich gar nicht mal so schlecht, da das ja das Leben der Hauptfigur Mifti widerspiegelt, der es im Leben auch an Struktur fehlt. Zwischen den Zeilen kann man ahnen, dass Hegemann auf jeden Fall Talent hat und auch etwas kann, ihr Debüt fand ich aber weder sprachgewaltig, noch besonders, noch frisch. Im Bezug auf die Plagiatsvorwürfe musste ich gleich zu Beginn des Buches übrigens sehr schmunzeln, denn da gibt Miftis Bruder Edmond zu, dass er sich für seine Sätze überall bedient, wo er „Inspiration findet und beflügelt wird“ und dass einer seiner Sprüche nicht von ihm sondern „von so ´nem Blogger“ ist.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Flache Geschichte

Das Lied der weißen Wölfin
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Ab und zu lese ich ja wirklich gerne diese historischen Auswanderer-Romane (oder wie ich kürzlich gelernt habe: Love-and-Landscape-Romane). Diese müssen auf keinen Fall literarisch hochwertig sein und ...

Ab und zu lese ich ja wirklich gerne diese historischen Auswanderer-Romane (oder wie ich kürzlich gelernt habe: Love-and-Landscape-Romane). Diese müssen auf keinen Fall literarisch hochwertig sein und es darf auch ruhig ein bisschen Herz-Schmerz darin vorkommen. „Das Lied der weißen Wölfin“ hat mich angesprochen, weil es die Protagonistin in diesem Roman nach Kanada verschlägt und der Klappentext versprach, dass ein Teil des Romans bei den Cree-Indianern spielt. So weit, so gut. Leider war die Geschichte so dermaßen flach und auch unglaubwürdig, dass ich mich zum Schluss echt zwingen musste, das Buch fertig zu lesen. In „Das Lied der weißen Wölfin“ geht es um die deutsche Marie Blumfeld, die im Jahr 1882 nach Kanada auswandert, um dort einen Reverend zu heiraten. Als der Auswanderer-Trek überfallen wird, bleibt Marie schwer verletzt zurück. Cree-Indianer pflegen sie gesund und nehmen sie in ihrem Lager auf. Als Marie bei ihrem Verlobten eintrifft, kommt allerdings ihre Begeisterung für die Indianer im Ort nicht gut an, denn die meisten Stadtbewohner halten nicht viel von den Cree. Und dann gibt es da noch den Pelzhändler Philipp Carter, für den Marie immer mehr Gefühle entwickelt. Eigentlich geht der Roman noch ganz nett und unterhaltsam los. Ich mochte auch den Aufbau: die Geschichte beginnt gleich in Kanada. Mit Hilfe von Tagebucheinträgen erfährt man, was Marie dazu gebracht hat, Deutschland zu verlassen. Schon recht bald wird die Handlung aber immer platter und konstruierter. Zudem habe ich selten einen so schlecht recherchierten Roman gelesen. Über Kanada erfährt man, dass es dort Wölfe, Bären und Indianer gibt. Die Indianer leben – wie erstaunlich – in Zelten. Auch wenn es gemein klingt: Diese Geschichte hätte sich ein Viertklässler ausdenken können. Letztendlich lädt der Roman weder zum Träumen ein, noch werden schöne Bilder einer kanadischen Landschaft gezeichnet. Fazit: Den Roman kann man sich sparen.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Bemüht unangepasst

HimbeerToni
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Anton Hornig, genannt HimbeerToni, ist ein Altpunker, der nicht richtig erwachsen werden will, irgendwie in der Midlifecrisis steckt und eigentlich nur eins will: sein Leben genießen. Am Wochenende zumindest ...

Anton Hornig, genannt HimbeerToni, ist ein Altpunker, der nicht richtig erwachsen werden will, irgendwie in der Midlifecrisis steckt und eigentlich nur eins will: sein Leben genießen. Am Wochenende zumindest soll richtig gefeiert werden, denn da steht das 25-jährige Auflösungs-Jubiläum seiner ehemaligen Punk-Band Remo Smash an. Doch irgendwie funktioniert der Plan nicht so richtig, denn noch vor der Party erfährt Toni, dass seine Freundin ein Kind erwartet und auch die anderen ehemaligen Bandmitglieder haben so ihre Probleme und Pläne. Prinzipiell mag ich solche Geschichten sehr gerne und der Klappentext versprach eine witzige, ironische Geschichte mit Anspielungen auf die Punk-Kultur und Musik. Letzteres ist ab und an sogar vorhanden, hat aber dann auch nicht mehr gereicht, um die Geschichte interessant oder besser zu machen. Im Gegenteil: Ich fand diesen Roman fast unerträglich. Fangen wir mit der Handlung an: Von Beginn an plätschert die Geschichte so vor sich hin, Toni schwelgt ein bisschen in Erinnerungen und suhlt sich in seiner Midlifecrisis. Immer mal wieder reichert Seidel seine Geschichte mit ausgeleierten Klischees an. Im Grunde passiert aber in dem Roman gefühlt nichts und zu den Figuren bekommt man auch keinen Draht – da können diese noch so bemüht skurril gezeichnet sein. Ganz grausam fand ich aber den Humor und überhaupt den ganzen Schreibstil. Klar, das mit dem Humor ist so eine Sache. Aber ich fand diesen Roman weder (selbst-)ironisch, noch spritzig, noch witzig. Seidel versucht so gezwungen unangepasst und launig zu klingen, dass es fast schon weh tut. Die vielen Neologismen (Blechbüchsenarmist oder Textknecht) sind irgendwann einfach nur noch anstrengend und was diese vielen Dialoge in schlechtem Englisch sollen, habe ich auch nicht verstanden. Ein langweiliges, anstrengendes Buch, das meinen Humor nicht getroffen hat.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Für Fans von Telenovelas vor historischer Kulisse

Himmel über Ostpreußen
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Ostpreußen und vor allem die Geschichte des Landes interessieren mich schon immer sehr. Aus diesem Grund hat mich auch dieses Buch sofort angesprochen – eine ostpreußische Familiengeschichte im 19. Jahrhundert. ...

Ostpreußen und vor allem die Geschichte des Landes interessieren mich schon immer sehr. Aus diesem Grund hat mich auch dieses Buch sofort angesprochen – eine ostpreußische Familiengeschichte im 19. Jahrhundert. Leider wurde ich ziemlich enttäuscht. Denn im Grunde ist der Roman nichts anderes als ein platter, vor Kitsch triefender Groschenroman. Ein bisschen Landjunkerromantik hier, ein bisschen Aschenputtel-Thematik da und am Ende wird doch alles gut. Alle werden glücklich, finden zueinander und die Bösen werden bestraft. Der Schreibstil ist zwar flüssig und leicht, aber auch sehr seicht. Generell werden die 25 Jahre Familiengeschichte um die Grafenfamilie von Wallerstein sehr oberflächlich abgehandelt. Die Geschichte ist extrem vorhersehbar, überhaupt nicht spannend und auch nicht berührend oder emotional. Auch historischer Kontext ist kaum vorhanden – da nutzt es auch nichts, dass in ein, zwei Sätzen mal ein paar politische bzw. historische Eckdaten erwähnt werden. Schade, das war nicht mein Roman. Fans von Telenovelas oder Inga Lindström und Rosamunde Pilcher können ja mal einen Blick drauf werfen.