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Veröffentlicht am 05.06.2017

Rivalität in der Jugendzeit von Elena und ihrer Freundin - unverändert stark

Die Geschichte eines neuen Namens
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„Die Geschichte eines neuen Namens“ ist der zweite Band der vierteiligen Reihe von Elena Ferrante, dem Pseudonym einer italienischen Autorin. Die Bücher handeln von der über 60-jährigen Freundschaft der ...

„Die Geschichte eines neuen Namens“ ist der zweite Band der vierteiligen Reihe von Elena Ferrante, dem Pseudonym einer italienischen Autorin. Die Bücher handeln von der über 60-jährigen Freundschaft der Ich-Erzählerin Elena und der gleichaltrigen Raffaella, die von Elena nur Lila gerufen wird, beginnend im Neapel der 1950er bis in die Gegenwart. Das vorliegende Buch schildert die Jugendjahre der beiden Protagonistinnen. Die Erzählung schließt unmittelbar an das Ende des vorigen Teils an.

Wie bereits im ersten Buch machte mich die Autorin neugierig auf die folgenden Ereignisse, indem sie mir gleich zu Beginn einen ganz kurzen unvollständigen Blick auf den Stand der Dinge im Jahr 1966 gewährt. Laut der inzwischen 22-jährigen Elena kriselt es in der Freundschaft, sie treffen einander nur noch selten und dennoch hat Lila ihr gerade erst eine Schachtel mit Heften anvertraut, deren Inhalt sie vor deren Ehemann verstecken soll. Außerdem hat Lila ihre Freundin gebeten, sie nicht zu öffnen. Elena selbst wohnt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Neapel. Sie hat sich inzwischen einen guten Ruf erarbeitet … und bereits nach wenigen Seiten las ich, dass Elena den Inhalt der Schachtel vernichtet hat. Mir stellte sich dadurch natürlich unwillkürlich die Frage, was sie dazu veranlasst hat.

Das Cover des Buchs nimmt direkten Bezug darauf, dass Elenas Gedanken am Anfang des zweiten Teils zum Tag der Hochzeit von Lila zurückgehen. Einen farblichen Akzent setzt der Rosenstrauß in den Händen der Braut, dessen Blütenblätter mit dem Wind davonwehen. Ob das als ein Vorzeichen für die Ehe von Lila zu sehen ist und bedeutet, dass ihr Glück wie die Blüten hinwegwehen wird?
Die Welt von Elena und Lila ist auch jetzt noch zu Beginn ihrer Jugendjahre recht klein. Sie wohnen beide im neapolitanischen Viertel Rione, einer ziemlich heruntergekommenen Wohngegend mit großen Mietshäusern. Ihre Freunde sind immer noch die gleichen wie in Kindertagen. In einigen Aussagen Elenas konnte ich nachvollziehen, dass auch ihre Kenntnisse über Politik und Gesellschaft kaum über ihr eigenes Territorium hinausgehen, obwohl sie doch eine gute Schülerin ist und viele Bücher liest. Aus dem Inhalt der in der Schachtel gefundenen Hefte schließt sie, dass auch Lila nie ihr Interesse am Lernen aufgegeben hat.

Wie bisher besteht die Rivalität um die Vorrangstellung in ihrer Freundschaft weiter. Lila entwickelt dabei eine Arglist, die darin besteht, jede Anfeindung anderer Personen gegen sie früher oder später zurückzuzahlen. Sie scheut nicht davor zurück, Elena für ihre Zwecke einzuspannen. Doch ihr Traum, von ihren Eltern unabhängig zu leben und die damals vorherrschende Rollenteilung in der Ehe, begleitet mit körperlicher Gewalt, hinter sich zu lassen, droht schon mit Beginn ihrer Ehe zu platzen. Elena spürte, dass Lila durch ihre Hochzeit einen Vorteil ihr gegenüber erlangt hat und so tanzen nun ihre Gefühle zwischen Mitleid und der Freude darüber, durch ihre tätige Hilfe bei Lila wieder Beachtung zu finden und sich dadurch erneut besser im Rang zu positionieren. Dagegen ist ihr die Freigiebigkeit, mit der Lila Stefanos Geld ausgibt ein Dorn im Auge, doch genau dieser Umstand ermöglicht es ihrer Freundin, zu einem gewissen Ansehen bei ihren Freunden zu gelangen. Lilas Beliebtheit steigt und mit ihr der Wille sich den Machenschaften ihrer Geschäftspartner nicht zu unterwerfen. In die Dinge, die ihr am Herzen liegen steckt sie ihre ganze Begeisterung und lässt sich auch durch drohende körperliche Gewalt nicht einschüchtern und verbiegen.

Dadurch, dass Elena in der Ich-Form erzählt, konnte ich nachvollziehen, mit welchen Gefühlen sie in ihrer Jugend zu kämpfen hatte. Durch den Besuch des Gymnasiums und später der Universität unterscheidet sich ihr Lebensweg schon jetzt von den meisten ihrer Freunde aus Kindertagen. Sie selbst ist sich dessen bewusst und hält sich für arrogant. Ihr Lernen verbunden mit ihrer Klugheit scheint ihr der Grund zu sein, dass ihre Freunde ihr gegenüber zunehmend auf Abstand gehen. Neidvoll schaut sie in dieser Zeit auf Lila. Noch kann sie nicht die Folgen ihres Handels abschätzen und abschließend beurteilen, ob ihr der Schulbesuch spätere Vorteile bringen wird. In ihrer Umgebung gibt es wenige Vorbilder an denen sie sich orientieren könnte. Später wird sie genau diesen Umstand bedauern, denn in der Welt von Elena und Lila verschafft man sich nicht durch Wissenserwerb Respekt und Anerkennung. Lila muss sich immer wieder behaupten. Elena dagegen muss mehr Selbstbewusstsein entwickeln, denn auf ihrer Suche nach Liebe droht ihr der Verlust ihrer Anerkennung, wenn sie sich nicht normgerecht verhält. Der Zwiespalt ihrer Gefühle in Bezug auf Männer wird auch durch ihre Umwelt mitgetragen. Fehlende Möglichkeiten, schlechte Vorbilder und die gelebte Härte des Alltags lassen ihre Jungmädchenträume schmelzen.

Beide Freundinnen sind sich ihrer Rangeleien bewusst und können doch nicht ganz voneinander lassen. Genau das macht die Faszination des Romans aus. Mancher Leser wird sich in den Vorstellungen der Protagonistinnen vom Leben wiederfinden und erkennt den ein oder anderen Traum aus seiner Jugendzeit darin wieder. Die schöne klare Sprache, selbst in der Übersetzung, ist ein Lesevergnügen. Das Buch endet mit einem Cliffhanger und lässt mich schon ungeduldig auf den nächsten Teil warten. Wer die Bücher von Elena Ferrante noch nicht kennt, sollte unbedingt mit dem Lesen beginnen! Der dritte Band in deutscher Sprache erscheint im August 2017.

Veröffentlicht am 28.05.2017

Ein wunderbarer Roman mit viel Liebe, Familiengeheimnissen und Humor

Immer wieder im Sommer
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„Immer wieder im Sommer“ von Katharina Herzog aka Katrin Koppold passte für mich vom Lesezeitpunkt her perfekt, denn die Geschichte spielt an solchen warmen Tagen an denen ich das Buch gelesen habe. Anna, ...

„Immer wieder im Sommer“ von Katharina Herzog aka Katrin Koppold passte für mich vom Lesezeitpunkt her perfekt, denn die Geschichte spielt an solchen warmen Tagen an denen ich das Buch gelesen habe. Anna, eine der Protagonisten des Buchs erinnert sich daran, dass die für sie wichtigen Ereignisse ihres Lebens immer im Sommer stattgefunden haben. In den Farben des Covers spiegelt sich der Sommer wieder. Das Blau, unterstützt von dem Muscheln, versetzte mich ans Meer und die Blätter und Blumen ließen mich an ihr sattes Leuchten in der Sonne denken.

Anna ist 37 Jahre alt, geschieden und lebt mit ihren 8 und 14 Jahre alten Töchtern in München. Dort jobbt sie als Zimmermädchen in einem Hotel. Bereits vor 18 Jahren ist sie zu Hause ausgezogen. Mit Frieda, ihrer inzwischen 62-jährigen Mutter, hat sie keinen Kontakt gehalten. Ein Brief von ihr mit der Bitte, sie anzurufen, weckt bei Anna den Wunsch ihre Mutter auf dem Weg nach Amrum zu besuchen. Sie möchte auf die Insel, weil Jugendliebe Jan lebt wie sie vor kurzem zufällig aus der Zeitung erfahren hat. Eigentlich sollten ihre Töchter Nelly und Sophie bei ihrem Ex-Mann Max in dessen Hütte am Starnberger See bleiben, aber nach einer unwillkommenen Überraschung, beschließt sie die beiden in ihrem alten VW-Bus mitzunehmen. Nach dem Eingeständnis von Max, dass er krankgeschrieben ist, möchte auch er sie begleiten. Anna hat geahnt, dass es Frieda nicht gut geht. Seit Jahr und Tag lebt sie nach dem frühen Tod ihres Mannes allein auf dem bäuerlichen Anwesen. In absehbarer Zeit will sie in ein Pflegeheim ziehen. Als sie von den Ferien auf Amrum erfährt, beschließt sie ebenfalls mitzufahren. Mir stellte sich nun die Frage, ob es Anna unter diesen Umständen möglich ist, mit Jan auf der Insel Kontakt aufzunehmen.

„Immer wieder im Sommer“ ist nicht nur eine Liebesgeschichte. Der Autorin gelingt es, die Erzählung auf drei Ebenen in wohl dosierten Anteilen zu schildern. Frieda, Anna und Sophie sind dabei die Hauptfiguren und ihnen sind auch die Kapitel des Buchs im lockeren Wechsel gewidmet. Hervor treten dabei die Abschnitte von Frieda, die in der Ich-Form erzählt und vor allem auf bedeutsame Situationen aus ihrer Vergangenheit zurückblickt. Diese Kapitel stammen aus dem Notizbuch, das Friede begonnen hat, speziell für Anna zu schreiben. So werden mit und mit ein paar kleine Familiengeheimnisse nicht nur für den Leser aufgedeckt, sondern auch offene Fragen in Bezug auf ihre Eltern beantwortet, die Anna seit ihrem Auszug von zu Hause begleiten.

Annas Leben ist leider nicht ganz nach ihren Vorstellungen verlaufen. Ihren Wunsch im Modebereich kreativ tätig zu werden, hat sie wegen des Haushalts und der Familie aufgegeben. Daher ist sie auf der Suche nach einem Neubeginn. Gedanklich lässt sie Revue passieren, an welchen Stellen sie die eventuell falschen Entscheidungen getroffen und ob sie vielleicht Chancen verpasst hat.

Während Annas Fahrt nach Amrum durch die nicht eingeplanten Mitreisenden zu einigen amüsanten Situationen führt, durchlebt auf der dritten Erzählebene die pubertierende Sophie Höhen und Tiefen. Sie beginnt, die Anweisungen ihrer Eltern in Frage zu stellen und hat in der Schule ein Faible für einen Jungen entwickelt. Vermutlich aus eigener Erfahrung setzt die Autorin gekonnt ihr aufmüpfiges Verhalten in Szene.

Die verschiedenen Teile an der Erzählung fließen nahtlos ineinander und führen zu einem wunderbaren Ganzen mit viel Liebe, Familiengeheimnissen, Humor und auch Tiefgang in Bezug auf den Umgang mit Krankheit, Mobbing und der Auseinandersetzung mit begangenen Fehlern. Der Roman ist so wärmend wie die Sommersonne und so erfrischend wie das Meer, für mich beste Leseunterhaltung und eine unbedingte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 28.05.2017

Erschreckend, berührend und beeindruckend

Heute leben wir
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„Heute leben wir“ ist der Titel des Debütromans der Belgierin Emmanuelle Pirotte. Es ist auch der letzte Satz der Erzählung, der darauf Bezug nimmt, dass die Gegenwart zählt, egal welche Entscheidungen ...

„Heute leben wir“ ist der Titel des Debütromans der Belgierin Emmanuelle Pirotte. Es ist auch der letzte Satz der Erzählung, der darauf Bezug nimmt, dass die Gegenwart zählt, egal welche Entscheidungen und Handlungen in der Vergangenheit gemacht wurden. Auch für die beiden Protagonisten ist das Leben im Hier und Jetzt nach den geschilderten Ereignissen wichtig. Eine der Hauptfiguren ist Renée, sechs vielleicht auch sieben Jahre alt, die als elternlose Jüdin Ende 1944 vor den Nationalsozialisten versteckt wird. Wie das Mädchen auf dem Cover aus ihrem Versteck heraus schaut, so ist auch sie zwar ängstlich, aber auch neugierig. Der schwarze Hintergrund symbolisiert die grausamen Taten die von Blut durchtränkt sind und wie die Schrift und die Farbe der Mütze deutlich hervortreten. Sie werden niemals in Vergessenheit geraten.

Renée hat schon mehrfach ihren Aufenthaltsort gewechselt. Im Moment lebt sie bei einer Familie in einem kleinen Ort in der Wallonie, nicht weit von Lüttich entfernt. Als der deutsche Feind im Anmarsch ist, wird sie in Eile dem Pfarrer des Dorfs übergeben, der sie sozusagen an zwei vorbeifahrende US-Amerikaner weiterreicht. Die beiden Amerikaner sind getarnte Deutsche. Das Schicksal des Mädchens scheint besiegelt, aber dann tritt eine unglaubliche Wende ein.

Emmanuelle Pirottes Erzählung lebt von den Gegensätzen. Einerseits begegnete ich dem SS-Offizier Matthias dessen Aufgabe während der sogenannten Operation Greif es ist, Verwirrung unter den Amerikanern zu stiften, damit die Ardennenoffensive der Deutschen gelingt. Seine Kaltblütigkeit konnte ich bereits auf den ersten Seiten des Buchs erfahren.

Auf der anderen Seite gibt es mit Renée ein jüdisches schutzbedürftiges Mädchen, dem von Beginn an meine Sympathie galt. Die Erfahrungen der Vergangenheit und die Anforderungen des Versteckspiels haben sie stark gemacht und ihre Aufmerksamkeit geschärft. Für mich schien sie bereits nach wenigen Seiten meines Lesens, am Ende ihres Lebens angelangt zu sein. Der Roman entwickelt einen gewissen Sog durch die Frage, ob und wie Renée das Überleben gelingen wird.

Neben Renée und Matthias schafft die Autorin eine weitere Anzahl Charaktere, die sich wie Viele zu dieser Zeit unter ständigem Beschuss und unter wechselnder Besatzung bei ärmlichen Bedingungen in Bunkern oder im Keller mehr oder weniger zerstörter Häuser zusammenfinden und um ihr Überleben kämpfen. Dank der sehr guten Recherche Emmanuelle Pirottes wurde für mich ein Teil der Geschichte lebendig zu einem mir unbekannten Kapitel des 2. Weltkriegs, der sich nicht weit von meiner Heimat entfernt abspielte.

Das Buch hat mich durch die blanke Darstellung der Gewalt erschreckt, aber gleichzeitig auch durch die Handlungen einiger Personen sehr berührt. Es hat mir gezeigt, dass die Entschlossenheit zum Leben und der dazugehörige Mut verbunden mit einer Prise Glück siegen können. Es war faszinierend zu lesen wie Menschen sich ändern können in Abhängigkeit der Motive, durch die sie angetrieben werden. Aber der Mensch isst auch wandlungsfähig und seine Handlungen sind nicht immer vorhersehbar.

Mich hat das Buch beeindruckt und die Geschichte wird mir lange in Erinnerung bleiben. Ich empfehle den Roman daher sehr gerne weiter.

Veröffentlicht am 19.05.2017

Sympathische Protagonistin auf dem Weg sich selbst zu finden

Ich, Eleanor Oliphant
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„Ich, Eleanor Oliphant“ ist nicht nur der Titel des Romandebüts der Schottin Gail Honeyman sondern so stellt sich auch die Protagonistin im Buch dem Leser vor. Die bald 30jährige Eleanor hat eine bewegte ...

„Ich, Eleanor Oliphant“ ist nicht nur der Titel des Romandebüts der Schottin Gail Honeyman sondern so stellt sich auch die Protagonistin im Buch dem Leser vor. Die bald 30jährige Eleanor hat eine bewegte Vergangenheit, die sie für jeden deutlich spür- und sichtbar gezeichnet hat. Wäre das Leben so bunt wie ein Farbklecks stände Eleanor auf dessen dunkler Seite vergleichbar mit dem Schemen einer Frau auf dem Cover dieses Buches. Doch die Farben laufen ineinander und das Bunte, welches Spaß und Freude beinhaltet, ist auf dem Weg zu Eleanor. Schaut man auf die Rückseite des Buchumschlags bemerkt man links unten einen jungen Mann, der sich ebenfalls auf einem dunklen Randgebiet befindet, aber nicht nur bereits selbst vom bunten Glück gefärbt wurde sondern auch seinen Blick ins Helle in Eleanors Richtung wirft. Ein gutes Vorzeichen.

Eleanor ist studierte Altphilologin, arbeitet aber seit neun Jahren bei einer Grafikdesign-Agentur als Buchhalterin. Wenn sie sich tagsüber ihrer Zahlenwelt gewidmet hat, geht sie nach getaner Arbeit nach Hause und verbringt dort allein ihre Stunden bis zum nächsten Dienstantritt. Ihre Freizeit verbringt sie mit Lesen und Fernsehen Einmal in der Woche ruft ihre Mutter an, die im Gefängnis sitzt. Ein Freund ist ihr nur der Wodka, dem sie immer wieder gerne zuspricht.

Eines Tages sieht sie ihren Traummann bei einem Konzert, zu dem sie Eintrittskarten gewonnen hat, auf der Bühne. Fortan geht ihr der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, ihren Schwarm zu treffen und sie stellt sich vor, dass sie schon bald ein Paar sein werden. Während der neue Kollege Raymund sie ein Stück auf ihrem Heimweg begleitet sehen die beiden wie ein älterer Mann zu Fall kommt. Sie eilen ihm zu Hilfe und auch nach der gemeinsamen Aktion hält Raymund den Kontakt zu ihr. Doch seine Gegenwart findet Eleanor eher lästig als erfreulich. Sie folgt weiter ihrem Herzen, den Sänger für sich zu gewinnen. Sie hat noch einige Erfahrungen mit dem Leben zu meistern um zu erkennen, welche Gefühle ihr tatsächlich wichtig sind.

Von den ersten Seiten an wurde mir klar, dass Eleanor ein Erlebnis in ihrer Kindheit hatte, das sie mehr oder weniger erfolgreich verdrängt, sie aber traumatisiert und sichtbare Narben in ihrem Gesicht hinterlassen hat. Gail Honeyman lässt ihre Protagonistin den Roman selbst erzählen und auf diese Weise habe ich über Eleanors Vergangenheit nur so viel erfahren können, wie sie selbst bereit war preiszugeben. Das war anfangs recht wenig doch mit der Zeit hat sie sich immer mehr geöffnet und Gefühle zugelassen. Ihre Kindheit hat sie in Pflegefamilien verbracht. Ihre Mutter sitzt also vermutlich schon sehr lange im Gefängnis für ein von ihr verübtes Verbrechen. Worum es sich dabei handelt bleibt bis fast zum Ende hin unbenannt, allerdings hatte ich eine Vorahnung. Die Gespräche mit ihr durchbrechen das Einerlei ihres Alltags und vor allem ihrer Einsamkeit, sind ihr aber verhasst. Dennoch hält sie an den Telefonaten fest, vielleicht weil sie der letzte Kontakt zu einem Mitglied ihrer Familie sind. Sie weiß nicht, wer ihr Vater ist und sonst sind ihr keine Verwandten bekannt.

Um sich vor körperlichen und seelischen Wunden zu schützen, lebt Eleanor zurückgezogen, gerne beobachtet sie jedoch das Verhalten ihrer Mitmenschen. Sie hat es nie für nötig befunden, Freundschaften zu schließen, vermutlich weil sie durch den häufigen Wechsel der Pflegestellen immer wieder neu beginnen musste, Vertrauen aufzubauen. Sie war gut in der Schule und konnte ein Studium abschließen. Im weiteren Verlauf erzählt sie im Rückblick von einer Beziehung während dieser Zeit, die ihr sehr schlechte Erfahrungen gebracht hat. Ein weiterer Grund also für sie, sich von näheren Bekanntschaften fernzuhalten.

Bücher sorgen dafür, dass Eleanor ein breites Allgemeinwissen hat. Im Rahmen ihrer Begeisterung für den Sänger entdeckt sie das Medium Internet für sich, dass ihr letztlich mehr bringt als nur das Wissen über ihren Traummann. Aber bei all ihren äußeren Veränderungen und ihrer zaghaften Kontaktaufnahme hat sie immer die Stimme ihrer Mutter im Kopf, die sich negativ über jedes Tun äußert. Obwohl sie sich dessen absolut bewusst ist, findet sie nicht selber einen Weg aus dieser frühen Prägung dem Willen der Mutter zu folgen um keine Restriktionen befürchten zu müssen. Zunehmend genießt sie das Mitgefühl und die kleinen Aufmerksamkeiten der langsam vertrauter werdenden Personen. Aktuell positive Erfahrungen mit guten Ratschlägen decken sich mit dem früheren Erleben einer gelungenen Umsetzung der Empfehlung einer Fachkraft. Daraus folgt nicht nur für Eleanor eine Aufforderung, sich professionelle Hilfe zu suchen. Ihr wachsendes Selbstbewusstsein geht mit einem entsprechenden Feedback einher.

Der Schreibstil der Autorin ist angenehm zu lesen. Hauptsächlich beschreibt die Ich-Erzählerin ihren Alltag. Unterschwellig umgibt die Geschichte von Beginn an das Geheimnis um das besondere Geschehen in der Kinderzeit Eleanors. Es brauchte seine Zeit bevor die Protagonistin sich ihren Vorstellungen entsprechend für ihren Schwarm ausgestattet hatte, dadurch entstand im mittleren Buchteil eine gewisse Länge. Eleanor hat ganz eigene Ansichten über passendes Verhalten in allen möglichen Situationen, die sie durch ihre Beobachtungen, vielfältiger Lektüre und den Vorgaben ihrer Mutter entwickelt hat. Hieraus ergeben sich immer wieder amüsante Szenen. Sie wirkte schutzbedürftig auf mich, obwohl sie sich schon vielfach behauptet hatte.

Ich musste Eleanor einfach sympathisch finden und ich habe mich für sie gefreut, dass sie nach so langen Jahren des Alleinseins einen Weg zu sich selbst gefunden hat, der durch den Moment der vermeintlichen Liebe ausgelöst worden ist und auch eine Öffnung zu anderen hin bewirkt hat. Mir als Leser wurde dadurch wieder einmal klar, auf welche Dinge es im Leben wirklich ankommt: Vertrauen, Offenheit und Aufrichtigkeit. Dieses Buch empfehle ich gerne weiter. (4,5 Sterne)

Veröffentlicht am 15.05.2017

Glaubhafte, ergreifende Freundschaftsgeschichte

Du & Ich – Best friends for never
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Der Roman „Du & Ich – Best friends for never“ von Hilary T. Smith sagt bereits im Titel aus, worum es in diesem Jugendbuch ab 14 Jahren geht. Die Geschichte handelt vom Zerbrechen der Freundschaft zwischen ...


Der Roman „Du & Ich – Best friends for never“ von Hilary T. Smith sagt bereits im Titel aus, worum es in diesem Jugendbuch ab 14 Jahren geht. Die Geschichte handelt vom Zerbrechen der Freundschaft zwischen Annabeth und Noe. Beide sind zu Beginn des neuen, ihres letzten Schuljahrs an der Highschool seit drei Jahren befreundet und reden über große Pläne für das gemeinsame Studium an der Northern University. Doch die Freundschaft droht, wie der Luftballon auf dem Cover, schon sehr bald zu zerplatzen nachdem Noe sich in den gleichaltrigen Stephen verliebt hat.

Als Annabeth in ihrem ersten Jahr auf der Highschool auf Noe trifft ist sie 13 Jahre alt. Kurze Zeit vorher hat sie von ihrer Cousine auf wenig einfühlsame Weise erfahren, in welcher Situation ihre Mutter mit ihr schwanger geworden ist. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt und niemand ihrer Familie spricht von ihm. Seitdem fühlt sie sich anderen Jugendlichen nicht gleichwertig. Vom Charakter her ist sie eher schüchtern und unsicher. Als Noe auf sie aufmerksam wird, folgt sie nur allzu gerne deren Wünschen durch kleine Gefälligkeiten, um dadurch die Freundschaft zu intensivieren. Teilweise ändert Annebeth auch ihr Verhalten, die Hinwendung zu vegetarischem Essen ist eine der größten und bedeutsamsten. Und aktuell hat sie sich mit nunmehr 16 Jahren dem Turnsport verschrieben, dem Noe bereits seit langem erfolgreich nachgeht. Doch Noe erobert sich im Laufe der dreijährigen Freundschaft nicht nur einen festen Platz im Leben von Annabeth sondern auch einen sehr großen, der nun durch Noes Beziehung zu Stephen einen ersten Einschnitt erfährt.

Annabeth ist zu dem Zeitpunkt als sie Noe kennen lernt bereits selbst eine Persönlichkeit, aber sie ist sich dessen nicht bewusst. Es gibt einige Dinge, die sie besonders mag wie beispielsweise ihre Liebe zur Natur. Auch Treue gehört zu ihren Charaktereigenschaften. Davon profitiert ihre Freundin. Noe genießt die ihr geschenkte Aufmerksamkeit. Dadurch, dass Noe nun mehr Zeit mit Stephen verbringt, zieht Annabeth sich zurück und beobachtet das Verhalten ihrer Freundin und macht sich Gedanken über ihre Freundschaft, die manchmal eher einseitig aussieht. Noe ist nicht immer aufrichtig zu ihrer Freundin. Sie leidet seit langer Zeit an einer Essstörung und arglos hat Annabeth ihr sogar geholfen diese zu verbergen.

Ihre Freundschaft hat aber auch Gutes für Annabeth gebracht, denn Noe hat sie aus einer gewissen Lethargie geholt, sie motiviert und angetrieben und sie vom Grübeln abgehalten. Nun fühlt sie sich allein gelassen und sucht nach einer Möglichkeit die Lücke zu füllen. Von einem wenig älteren Jungen lässt sie sich verführen und in eine ungewollte Lage bringen. Eher unbewusst hat sie nach Liebe und Aufmerksamkeit gesucht und muss nun feststellen, dass sie sich reichlich naiv hat ausnutzen lassen. Doch diese Einsicht führt sie auch dazu über ihre eigenen Grenzen hinaus zu gehen. Nicht nur sie selbst ist dabei, ihre Einstellungen zu ändern und andere Meinungen zuzulassen.

Der Roman wird von Annabeth in der Ich-Form erzählt und so konnte ich ihren Gedanken nicht nur zu ihrer Freundin sondern auch zu ihrer Mutter, die eine wichtige Bezugsperson in ihrem Leben ist, folgen. Sehr gut konnte ich dadurch die Veränderungen wahrnehmen, die sich aus ihren Erfahrungen ergibt. Ihr Wandel ist durchgehend positiv und ich glaube, dass sie ihren weiteren Weg auch ohne Noe meistern wird. Ich hoffe auf eine Fortsetzung der Geschichte.

Die Autorin hat eine glaubhafte, ergreifende Freundschaftsgeschichte geschrieben. Sie greift wichtige Themen in diesem Roman auf mit denen Jugendliche sich häufig auseinandersetzen wie Mobbing, Essstörungen, Liebeskummer und Depression. Auch wenn sie vielleicht nicht immer eine ausgereifte Lösung für alle Probleme findet, zeigt sie einen Weg auf damit umzugehen. Mir hat das Buch gut gefallen und darum empfehle ich es gerne nicht nur an junge Leser weiter. (4,5 Sterne)