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Veröffentlicht am 04.10.2022

Linda Zervakis - jetzt kocht sie auch noch! Naja, so halb zumindest.

Wenn ich das kann, kannst du das auch!
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Linda Zervakis würde man als Fan oder Follower mit vielen Dingen in Verbindung bringen, von Hamburg über Griechenland, Tageschau (ehemalig), Journalismus, sympathische Fernsehmoderatorin bis hin zu Buchautorin, ...

Linda Zervakis würde man als Fan oder Follower mit vielen Dingen in Verbindung bringen, von Hamburg über Griechenland, Tageschau (ehemalig), Journalismus, sympathische Fernsehmoderatorin bis hin zu Buchautorin, aber worum man stets einen großen Bogen machen konnte, war das Kochen. Essen, ja! Kochen, nein. Und nein, nach wie vor ist Linda nun keine Vorzeigekochexpertin und doch hat sie mit Elissavet Patrikiou ein Kochbuch herausgebracht. "Wenn ich das kann, kannst du das auch!" - Lindas persönliche Rezeptsammlung und der Titel trifft den Nagel schon sehr auf den Kopf. Dieses Buch ist wie ein kleiner Blick in Lindas Fotoalbum und Tagebuch, teilweise mit sehr privaten Schnappschüssen zusammen mit ihrer Mutter und Freunden, sowie eine Sammlung einfacher Kochrezepte mit persönlicher Note. Zwar kann man mit Datteldip, Currywurst und Weißbrot keine Preise gewinnen, aber irgendwie ist auch das sympathisch und etwas nettes für so kleine Treffen mit Freunden. Ich würde sagen, dieses Buch ist ein Versuch Rezepte, die Tradition und neue, fixe Küche, Griechenland, Orient und Alltag miteinander verbinden, in ein Kochbuch zu packen, nur ob dieser Versuch so wirklich geglückt ist? Ich weiß nicht, denn obwohl ich zuerst sehr von dieser persönlichen Art und Lindas Einfachheit (und dem Rezept für Zimtschnecken) angetan war, so frage ich mich, was 'wir nehmen eine Dattel, stecken einen halben Wallnusskern hinein und bestäuben das mit Puderzucker' mit kochen zutun hat. Ich könnte nun auch den Melonensalat, das Omelett, den Kartoffelsalat oder Bjarne Mädels geliebte Currywurst anführen. Es sind teilweise so logische Sachen, die zwar nicht aufwändig sind und satt machen, aber für die man nicht unbedingt ein Kochbuch braucht. Oder anders gesagt, es würde in einem dicken Kochbuch mit hunderten Rezepten nicht so ins Gewicht fallen, aber bei 31 fixen Geschichten... nun ja.

"Das ist ein Gericht, das ich nicht sonderlich gerne zubereite, denn nicht nur die Küche, auch ich selber >dufte< anschließend nach Frittiertem. Aber Kartofelpuffer sind ein Seelenessen! Am liebsten mit (Zimt und) Zucker. Oder mit Apfelmus."

Vielleicht ist es eher ein Buch für eine komplette Kochanfänger*in und da sind dann Lindas Anekdoten und Anmerkungen zu jedem Gericht nochmal so ein kleines, witziges Mutmach- oder 'Schau, das ist einfach, nicht perfekt'-Ding und schon äußerst nett. Aber wenn man dieses Einfache schon kann, nun ja, dann braucht man dieses Buch wohl eher nicht und dann bringt auch alle Begeisterung für Linda als Person irgendwie nichts oder man kauft es doch eher wegen Linda und weniger zum Kochen. Aber es ist und bleibt ein Kochbuch, nett gestaltet, aber irgendwie hätte dafür auch ein Blog oder ein kurzer Insta-Post pro Gericht ausgereicht. "Mamas Pita", der Schokokuchen, die Zimtschnecken oder die Brioche wären vielleicht meine Favoriten oder um es mal wieder zu sagen... sie sind schon ganz nett.

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Veröffentlicht am 12.05.2022

Wenn der Sohn auf rechte Wege gerät...

Was es braucht in der Nacht
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Sie waren mal eine Vorzeigefamilie. Der Protagonist ist in diesem Fall, ein Monteur bei der Staatsbahn SNCF, Parteimitglied einer linken Vereinigung, Fußballfan und umsorgender Familienvater. Doch als ...

Sie waren mal eine Vorzeigefamilie. Der Protagonist ist in diesem Fall, ein Monteur bei der Staatsbahn SNCF, Parteimitglied einer linken Vereinigung, Fußballfan und umsorgender Familienvater. Doch als seine Frau mit 45 Jahren an Krebs stirbt, verliert er nicht nur sie, sondern auch ein Stück weit den Bezug zu seinen beiden Kindern. Fus und Gilou, 10 und 7, sind sein ganzer Stolz, doch zwischen Arbeit und Haushalt bleibt für den Familienvater nur noch wenig Zeit für die beiden. Das einzige Highlight, das ihn noch mit Fus verbindet, ist das wöchentliche Fußballspiel. Aber irgendwie läuft es, zumindest in der ersten Zeit...

"Ich hätte Fus gegenüber trotzdem mehr Druck ausüben sollen. Stattdessen sah ich tatenlos zu, wie es allmählich mit ihm abwärtsging. Seine Schulhefte waren schlampig geführt, aber welche Bedeutung hatte das schon? Meine Energie brauchte ich für meine Arbeit bei der Bahn, um vor den Kollegen und dem Chef zu bestehen und meinen verdammten Monteursjob zu behalten."

Und gerade diese fehlende Energie und fehlende Aufmerksamkeit, sollte sich dann rächen, denn bei einer Plakatieraktion sah ein Parteikollege seinen Sohn Fus wie er mit den Rechten des Front National rumhängt. Doch statt mit seinem Sohn die Auseinandersetzung zu suchen, folgen nur ein paar kurze Nachfragen und viel Ignoranz. Der Vater zieht sich zurück, redet mit Fus kaum noch ein Wort, die einzige Verbindung bleibt der jüngere Gilou. Doch auch er kann seinen Bruder nicht retten. Fus rutscht weiter ab, er wird von Extremlinken angegriffen, es eskaliert und die Tragödie nimmt seinen Lauf. Doch was tut man als Vater, wenn er eigene Sohn so in die falsche Richtung abdriftet? Was wenn man sich nichts zu sagen hat und doch so viel? Was bleibt eigentlich noch übrig, wenn alles schon zu spät ist?

"Und ich? Ich schämte mich. Und es beschämte mich, dass wir von nun an damit leben mussten. Was immer wir tun würden oder wollten, Tatsache war: Mein Sohn machte mit den Faschos gemeinsame Sache. Und soviel ich begriffen hatte, fand er großen Gefallen daran.
Wir steckten in eine verdammten Schlamassel. Die Mutti konnte echt stolz auf mich sein."

Eigentlich eine sehr spannende Ausgangslage, aber dieser Roman konnte mich weder mitreißen, noch hat Laurent Petitmangin bzw. die Übersetzung von Holger Fock und Sabine Müller meine Erwartungen erfüllt. Zumindest dachte ich, man könnte mehr in die Gedankenwelt des Vaters blicken, es würde einen Austausch und aufeinanderprallende Meinungen/Welten geben, aber das einzige, was da kommt, ist ein beklemmendes, sich hinziehendes Schweigen, ein sich aus dem Weg gehen und damit irgendwie auch zulassen, dass Fus weiter ins Unglück rennt. Aber gut, dass der Vater nicht gerade der selbstbewussteste ist und den engen Bezug zu seinen Kindern verloren hat, fällt recht häufig durch Sätze wie "Oh, was würde Mutti nur sagen?" auf. Generell stieß mir dieses Wort "Mutti" sehr negativ auf, denn wenn ein Mann um die vierzig/fünfzig von seiner verstorbenen Frau spricht, dann immer "Mutti" sagt und die Kinder am Ende ja auch schon um die 20 Jahre alt sind und "Mutti" immer noch sehr präsent ... das finde ich schon sehr schwierig, zumindest an der deutschen Übersetzung.
Ansonsten gibt dieser Roman wirklich nur sehr wenig her. Das bekannte gewalttätige Aufeinanderprallen von Links- und Rechtsextremen, Schwierigkeiten zuhause und das zögerliche bis fast nicht vorhandene Einschreiten nimmt man als Leserin zwar wahr, aber dieser Text und das Gesagte berühren kaum, alles plätschert mehr vor sich hin und die Sogwirkung fehlte mir komplett. Es ist quasi eine interessante Nebenbeiunterhaltung, die die Leserinnen fordert, denn man weiß, was passieren kann und wofür rechte Kreise bekannt sind, aber man wird eher mit einer untätigen Person, die von fast allem überfordert scheint und fragwürdige 'Mittel' einsetzt, konfrontiert. Das macht es schwierig. Und so erkenne ich dann auch keinen, wie in den Zitaten aus dem französischen Buchhandel versprochenen "Faustschlag", keinen umhauenden und Atem raubenden Roman, der einem die Kehle zuschnürt, mitreißend, überwältigend und vor Leben sprüht... eher ist es das komplette Gegenteil, das in seiner Form allerdings der Realität viel zu nahe kommt. Und vielleicht ist das dann auch eher das Beklemmende an diesem Roman, das beschriebene Nichtstun, bis es in Übergriffigkeit und einer Tragödie endet. (Wobei auch da, hätte man aus dieser Geschichte eindeutig mehr herausholen können).

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Veröffentlicht am 12.05.2022

Mein zweiter Versuch einer "Zusammenkunft"

Zusammenkunft
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Vor einer Weile habe ich schon einmal Natasha Browns "Assembly" begonnen zu lesen, aber irgendwie packte mich dieser Roman so gar nicht. Zu sehr störte mich das Fragmentarische, die Sprünge zwischen einzelnen ...

Vor einer Weile habe ich schon einmal Natasha Browns "Assembly" begonnen zu lesen, aber irgendwie packte mich dieser Roman so gar nicht. Zu sehr störte mich das Fragmentarische, die Sprünge zwischen einzelnen Themen und Szenen und ich verlor schnell das Interesse. Und das eigentlich gar nicht mal aufgrund des Inhalts, denn Natasha Brown zeigt hier sehr eindrucksvoll, welchen Herausforderungen sich PoC in der heutigen Zeit stellen müssen, wie sie stets beäugt, befragt, rassistisch angegangen werden. Aber ich konnte einfach keine Nähe zur Protagonistin aufbauen und vieles plätscherte dann nur dahin, verwirrte mich und meine Englischkenntnisse stießen an ihre Grenzen (zumindest dachte ich das). Daher war ich nun auch ganz froh, dass . "Assembly" vor einer Weile auf Deutsch in der Übersetzung von Jackie Thomae erschienen ist und so wollte ich "Zusammenkunft" eine erneute Chance geben, und mich dem Leben der Protagonistin nähern. Diese nimmt die Leserinnen mit in ihren Alltag, zwischen Arbeit, Familie, Aufopferung, Aufstieg und tief verankertem Fallen. Die toxische Vergangenheit, Rassismus, Anfeindungen, Abwertungen holen viele PoC und auch sie ständig ein. Und dann sehen sie sich, neben all ihren anderen Problemen, ständig damit konfrontiert. Es ist ein Roman zwischen Aufklärung und bekanntem Schubladendenken, der deutlich die Unterschiede zwischen Klassen, Arbeit, Werten, Geschlechtern, Herkunft und Besitz darstellt. Und das, obwohl wir Menschen ja alle immer so tolerant und weltoffen sind. Das ist teilweise schon sehr bedrückend und erschreckend.
Was heißt es dazuzugehören und gefühlt doch nicht dazugehören, nie so akzeptiert zu sein wie 'die anderen'... man mag es sich gar nicht so genau vorstellen und doch erleben das tagtäglich viel zu viele Menschen in der Welt und eben auch die Protagonistin in England.

"Ich habe mein Leben immer nach dem Prinzip gelebt, dass ich, wann immer mir ein Problem begegnet, dann arbeiten muss, eine Handlung zu finden, um es zu überwinden; oder Platz dafür zu schaffen; oder einen Weg außen herum zu schlagen; oder sogar den Boden darunter abzutragen. So wurde ich aufs Leben vorbereitet. So bereiten wir uns selbst vor, das bringen wir unseren Kindern bei, um an diesen Ort heranzugehen, an dem Hindernis auf Hindernis folgt. Arbeite doppelt so hart. Sei doppelt so gut. Und immer, pass dich an."

Dieses Buch ist voll von Augenöffnern, erschreckenden Aussagen oder auch Begegnungen. Also dafür schätze ich diesen Roman wirklich sehr und ich habe mal wieder die Lage der PoC in dieser weißgeprägten Welt kennenlernen müssen, verstanden, aktiv durchdacht und hoffe nun sensibler an eben jene Themen heranzutreten. Es ist ein erschreckender Spiegel und doch wünschte ich mir für einen Roman, dass alles zusammenhängender, packender und wahrscheinlich auch durchrüttelnder erzählt werden würde. Ich hadere, es ist keine wirkliche Leseempfehlung von mir und doch würde ich sagen, dass es ein wichtiges Buch ist, dass man als Weiße
r mal gelesen haben sollte. Doch, doch.

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Veröffentlicht am 02.05.2022

Eine flüchtige Begegnung mit tiefgreifenden Folgen...

Das Vorkommnis
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Manchmal können Begegnungen eine ganze Reihe an Handlungen, Gedanken, wenn nicht sogar Veränderungen herbeiführen. Dabei ist es fast egal, ob man sich mit jemanden verabredet hat, sich eher zufällig über ...

Manchmal können Begegnungen eine ganze Reihe an Handlungen, Gedanken, wenn nicht sogar Veränderungen herbeiführen. Dabei ist es fast egal, ob man sich mit jemanden verabredet hat, sich eher zufällig über den Weg läuft oder sich mit Unvorhersehbarem auseinandersetzen muss, alles zieht seine Kreise und führt zu einem kleinen Wandel in uns und häufig kehren wir gedanklich immer wieder zu diesem Ausgangspunkt zurück - sei es aufgrund von Wut, Aufregung, Euphorie, Unverständnis...
Das ist dann ungefähr auch das, was der Autorin Julia Schoch passiert ist. Auf einer Lesung in Lübeck (zumindest deutet sehr viel darauf hin, dass es sich um diese Stadt handelt) machte sie die Bekanntschaft mit einer Frau, die zu ihr nach einer Lesung, fast schon nebenbei, sagte: "Wir haben übrigens denselben Vater." Einerseits im Schockzustand, andererseits emotional aufgewühlt fiel sie der fremden Frau sofort um den Hals. Was weiter geschehen ist, oder was weiter zwischen den beiden Frauen besprochen wurde, erfahren wir nicht, nur, dass dieses Ereignis noch sehr lange die Gedankenwelt der Autorin im Griff haben wird und dass dieses Aufeinandertreffen Ausgangspunkt für den ersten Roman ihrer dreiteiligen Biographie einer Frau sein wird. "Das Vorkommnis" von Julia Schoch behandelt nun die Gedankenwelt einer Frau, die sich plötzlich mit einer Halbschwester auseinandersetzen muss und sich mit Fragen konfrontiert sieht, die viel weiter reichen und sich tief aufs eigene familiäre Gefüge, die Vergangenheit und das sich nun irgendwie veränderte Leben beziehen.

"Was meinen Fall anging, so hatte ich keine Todesnachricht erhalten. Bei mir handelte es sich um Zuwachs, nicht um einen schrecklichen Verlust. Trotzdem war es eine Art Verschiebung. Etwas an dem gewohnten Bild stimmte nicht mehr."

Als Leserin begleitet man die Autorin nun durch ihren Alltag, sie versucht das Geschehene zu vergessen, aber das Treffen mit der Unbekannten lässt sie einfach nicht mehr los und stellt alles infrage. Selbst wie genau sich das Treffen ereignete, warum sie der Fremden sofort glaubte, ihr um den Hals fiel, weiß sie nicht mehr so richtig. Wie ist das eigentlich mit der Erinnerung? Was ist mit ihrer Familie geschehen? Und muss man die Frau nun auch über den Zustand des Vaters informieren? Welche Beziehung haben sie nun eigentlich zueinander? Der Gedankenstrudel treibt sie immer weiter und führt sie zeitgleich immer wieder zum Treffen zurück; zum Vorkommnis. Und so beschäftigt sie sich auch mit der Wahrheit, der Ehe, Mutterschaft, philosophiert über das Leben, Familiengeheimnisse, Adoption. Zwischenzeitlich reicht es sogar so weit, dass sie denkt: "Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie. Die Geschichte meiner Familie gibt es nicht. Das ist nur die Geschichte meiner Verwirrung." Und das führt alles irgendwie dazu, dass sie die Frau noch einmal sehen muss, sie treffen muss, um zu verstehen, um sie in ihrem 'neuen' Leben aufzunehmen, zu reflektieren und irgendwie auch wieder zur Ruhe zu finden.
"Damals wünschte ich, ich würde einen Roman über all das schreiben. In einen Roman konnte ein Satz stehen wie: Die Wochen vergingen, der Sommer kam, und X vergaß die Begegnung mit der Frau im Dezember. Ich sehnte mich nach einem Stoff, dem ich mich spielerisch nähern konnte. Ich wollte mich ein wenig austoben, mehr nicht."

Und irgendwie ist ihr das Spielerische mit diesem Buch auch gelungen, allerdings mehr auf persönlicher und gedanklicher Ebene als erwartet. Und auch wenn für mich der Ausgangspunkt dieser Biographie und die daraus resultierenden Gedanken äußerst interessant und nachvollziehbar waren, so hatte ich auch einige Probleme damit. Julia Schoch nimmt ihre Leser
innen mit in ihre Vergangenheit, erzählt von wirren, beinahe schon Hineinsteigerungen und findet schlussendlich wieder dahin zurück, wo alles begann. Das Zusammentreffen ist quasi die Klammer ihrer Erinnerung und Lebensrückblicke, die innerhalb dieses Romans mit Zweifel an einigen Einschätzungen konfrontiert werden und alles erneut infrage stellen. Gerade das Vertrauensgefüge zum Vater scheint zu bröckeln, die Liebe zu Mann und Kindern, sowie der Blick auf die Welt bzw. ihre Erinnerung steht im Fokus ihrer Betrachtungen. Daraus entstand eine sehr reflektierte Auseinandersetzung mit sich und der Welt und eben jenen Folgen des Zusammentreffens, das sie auch noch Jahre später beschäftigt.
Dennoch muss ich sagen, dass gerade die Abfolge vom Zusammentreffen, gedanklichen Folgen, Rückblick, Beziehung hin zu weiteren Gedanken über das Zusammentreffen, für mich am Ende dann doch recht konstruiert schienen. Auch die Übergänge fand ich nicht gerade schön, aber das ist dann womöglich auch eine Geschmacksfrage. Fragen... da haben wir es wieder. Fragen, philosophische Auseinandersetzungen und Deutungen des eigenen Handels mag ich sehr, aber irgendwie habe ich in diesem ersten Teil keine wirkliche Antwort auf irgendwas gefunden, ich könnte nicht mal sagen, dass mir vieles in Erinnerung geblieben ist, aber die Frage wie man selbst auf so etwas reagieren würde, was an Julia Schochs Gedanken nun überzogen, was ähnlich ist, das hat mich recht lange beschäftigt. Ich bin mal gespannt, ob und wann mir der nächste Teil in die Hände fällt und ob ich weiteres lesen möchte, denn einerseits interessiert es mich nun sehr, wie die Autorin weiter vorgehen wird mit ihrer Biografie einer Frau, andererseits denke ich, dass mir grade diese autofiktionale, schon eher sachliche Auseinandersetzung mit dem lebensverändernden Ereignis (irgendwie auch ein sehr beliebtes 'Ding' in der Literatur) doch auch gereicht hat.


"Dann aber wurde mir klar, dass ich schon vieles nicht mehr wusste, ja an bestimmte Dinge hatte ich mich schon am nächsten Tag kaum mehr erinnert. [...] Andere, scheinbar unwesentliche Details hingegen sind mir bis heute sehr genau im Gedächtnis. [...] Vor allem scheint sich erst jetzt, mit dem Abstand von Jahren, in großer Klarheit zu zeigen, wie Dinge, die in den Monaten und Jahren danach passiert sind, miteinander zusammenzuhängen. [...] Es waren Monate und Jahre, in denen sich alles zu verändern schien, meine Sicht auf die Welt, die Liebe, auf meinen Mann und meine Kinder."

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Veröffentlicht am 24.04.2022

Wenn die Vergangenheit ruft... "Der Erinnerungsfälscher" von Abbas Khider

Der Erinnerungsfälscher
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In Abbas Khiders neusten Roman "Der Erinnerungsfälscher" erzählt er sehr locker und leicht von den Wirren der deutschen Bürokratie, des deutschen Asylverfahrens, vom Kampf mit den Behörden und irgendwie ...

In Abbas Khiders neusten Roman "Der Erinnerungsfälscher" erzählt er sehr locker und leicht von den Wirren der deutschen Bürokratie, des deutschen Asylverfahrens, vom Kampf mit den Behörden und irgendwie auch dem, was man hierzulande von Migranten erwartet oder zu wissen glaubt. Und Khider blickt zurück auf das Leben seines Protagonisten Said Al-Wahid, der durch die Nachricht seines Bruders zur sofortigen Reise in sein Heimatland aufgerufen wird. Saids Mutter liegt derzeit in einem Bagdader Krankenhaus im Sterben, die Zeit drängt, doch da gibt es noch so einige Probleme mit dem Reisepass und seinem Asylantrag.

"Saids Leben in Deutschland neigte sich, so schien es, dem Ende zu. Sechs Jahre verloren schlagartig ihre Bedeutung. [...] Es war, als ob Saids Leben kein Leben wäre, sondern ein überflüssiger Satz in den Akten der Behörden: Jeder konnte ihn mit einer flüchtigen Bewegung wegstreichen. Es war ein wertloses Leben, nur ein Furz am Rande aller Welten."

Ich wünschte, dieser Roman hätte mir mehr gegeben oder besser gesagt einen bleibenderen Eindruck hinterlassen, denn gerade durch Khiders vorherige Romane und das allgemeine, durch die Medien geprägte Bewusstsein über Migration, Asylprobleme und Co, ist es mehr eine kleine, leicht zugängliche Geschichte, die einen Einblick in das komplexe Gefüge aus Bürokratie, Flucht, (Un)Menschlichkeit und Heimat bietet, aber auch nicht wirklich mehr erzählt. Und das ist irgendwie sehr schade, denn der Hintergrund ist schon sehr tragisch. Said hat früh seinen Vater verloren, dieser wurde hingerichtet als er acht Jahre alt war. Er hat alles zuhause aufgegeben, sich über zahlreiche Hürden nach Berlin gekämpft, sehr umständlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, sich hier eine neue Heimat aufgebaut, eine eigene Familie gegründet und ist nun gefordert zu seinen Wurzeln zurückzukehren und sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, aber gleichzeitig erkennt Said eben auch, dass kaum noch (echte) Erinnerungen vorhanden sind. Und das wäre in ausführlich wahrscheinlich ein sehr mitreißender Roman gewesen, der gerne an die 300 Seiten hätte haben können und viel über das Schicksal der Geflüchteten verraten hätte. So ist es aber eher ein Rückblick in die Vergangenheit, alles Erkämpfte ist schon da und es werden Möglichkeiten gesucht eine Verbindung zur Vergangenheit herzustellen und das dann auch in einem eher weniger berührenden Schnellverfahren.
Daher empfehle ich diesen Roman eher jenen, die noch nichts über Flucht, Migration oder Einbürgerung in Deutschland gelesen haben, denn "Der Erinnerungsfälscher" ist wirklich ein nettes, schnell zu lesendes 'Einsteigerbuch' in die Thematik, es hat einige wirklich schöne, tiefgründige Gedanken, aber sonst... lieber anderes.

"Er ist nie mit seiner kleinen Familie heimgereist und nun liegt seine Mutter im Sterben. Als Said wegging, war das Land ein Loch der Verzweiflung; zwei Jahrzehnte später ist es zu einem Loch der Hoffnungslosigkeit geworden."

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