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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.05.2022

Eine unbedingte Leseempfehlung

Braunes Erbe
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Zahlreiche deutsche Firmendynastien sind direkte Nutznießer des NS-Unrechtsstaates. In diesem Buch wird dargestellt, wie es dazugekommen ist, wie sie von Enteignung des jüdischen Vermögens, Zwangsarbeitern, ...

Zahlreiche deutsche Firmendynastien sind direkte Nutznießer des NS-Unrechtsstaates. In diesem Buch wird dargestellt, wie es dazugekommen ist, wie sie von Enteignung des jüdischen Vermögens, Zwangsarbeitern, Ausbeutung und Rüstungsaufträgen profitiert haben. Wie sie ihre Mitschuld leugne(t)n und ihre dunkle Vergangenheit am liebsten unter den Teppich kehren wollen. Ist es kurz nach Kriegsende noch gelungen, die Alliierten teilweise an der Nase herumzuführen und ihre Beteiligung an Kriegsverbrechen kleinzureden, so gelingt das heute nicht mehr.

Das Interview von Verena Bahlsen im Jahre 2019, in dem sie erklärt, „Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt." Der Bahlsen-Konzern habe sich nichts zuschulden kommen lassen". sorgt für entsprechende Empörung und zeigt, wie notwendig Bücher wie dieses nach wie vor hier sind.

Autor David de Jong erklärt anhand von Unternehmerfamilien wie den Quandts, den Flicks, den Porsche-Piëchs, den Oetkers, den Reimanns und derer von Flick wie sie sich in der NS-Zeit auf Kosten von Tausenden Zwangsarbeitern bereichert haben.

Das Buch beginnt Anfang 1933 mit der Zusammenkunft des Regimes mit den damaligen Größen der Wirtschaft um die Aufrüstungs Deutschlands voranzutreiben. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten traten sie der Partei und oft auch der SS bei, um sich skrupellos zu bereichern.

Interessant zu lesen war für mich, wie sehr die Familie Quandt mit dem Regime verstrickt war. Magda Goebbels war die zweite Ehefrau von Günther Quandt, Der gemeinsame Sohn wuchs bei Josef Goebbels auf.

David de Jong wirft auch einen kritischen Blick auf die Alliierten, denen bekannt gewesen ist, wie die Unternehmen vom NS-Regime profitiert haben und sie dennoch nach dem Krieg nahezu unbehelligt weiterarbeiten haben lassen. Wie sehr die Angeklagten von sich und der Rechtmäßigkeit ihres Handelns überzeugt waren, erkennt man auch darin, dass sie selbst vor der Erpressung eines homosexuellen Staatsanwaltes nicht zurückgeschreckt haben.

Spät aber doch, müssen sich die Erben der Dynastien mit den Verbrechen der Großväter auseinandersetzen, doch wie das eingangs erwähnte Beispiel von Verena Bahlsen zeigt, ziemlich blamabel und nicht immer mit der gebotenen Demut den Opfern gegenüber.

Das Buch enthält zahlreich bislang unbekannte Fotos aus den Archiven der Unternehmen und Familien.

Fazit:

David de Jong erzählt auf fesselnde Weise wie Unternehmerfamilien in das NS-Regime verstrickt waren, wie wenig sie ihre Beteiligung an den Verbrechen eingestehen und wie sie und ihre Konzerne davon profitiert haben. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 29.05.2022

Herrlich Skurril

Das Welttage Buch
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Wer von uns hat sich noch nie über einen kuriosen Welttag gewundert? Ob es der Welttag des Buches (23. April) oder der „Internationaler Lies-mir-vor-Tag“ (19. März) oder der „Tag der Dichter“ (21. August) ...

Wer von uns hat sich noch nie über einen kuriosen Welttag gewundert? Ob es der Welttag des Buches (23. April) oder der „Internationaler Lies-mir-vor-Tag“ (19. März) oder der „Tag der Dichter“ (21. August) ist. Es gibt kaum ein Motto, das nicht zum Feiern einlädt und in diesem Buch verzeichnet ist, mag der Grund auch noch so skurril sein.

Essen und Trinken ist an jedem Tage des Jahres vertreten. Manches ist nur in Europa, manches nur in Amerika üblich. Der amerikanische Feiertag zu Unabhängigkeit (4. Juli) ist gleichzeitig der Tag des Grillfestes, der Spareribs (passt ja zusammen) und der „Iss-kein-Fleisch-Tag“ - also typisch amerikanisch inskonsequent.

Der 21. März ist der Tag mit den meisten Welttagen - nämlich 16.

Manche Tage bräuchte ich nicht: Den Tag der Mücke (20. August) oder den „Zähle-deine-Knöpfe-Tag (21. Oktober). Wer kommt auf so eine Idee?

Manche Tage, wie der „Internationale Frauentag“ (8. März) oder der „Welt-Aids-Tag“ (1. Dezember) erinnern daran, dass noch einiges zu tun ist.

Das Autoren-Duo Alexandros Stefanidis und Julia Otterbach hat alle (?) inoffiziellen Feiertage hier in diesem Buch versammelt. Die Tage sind vom 1. Jänner bis 31. Dezember aufgelistet. Ein Farb- und Signaturencode an den Rändern erleichtert die Einordnung nach Themengruppen. Das gibt ein buntes Bild. Aufgelockert wird das Ganze durch kurze Kommentare bis hin zu längeren Essays und Interviews.

Mit diesem Buch lässt sich leicht ein Glückwunsch zum Geburtstag erstellen. So in der Art: „Freu dich, du hast am Welttag des Jazz Geburtstag (30. April, mein Geburtstag). Blöd nur, wenn das Geburtstagskind ein Klassik-Fan ist. Macht aber auch nichts. Denn an diesem Tag kann man auch Frisuren oder Haferflocken-Kekse feiern.

Jeder Tag verdient es, gefeiert zu werden. Manchmal still und leise, manchmal mit Augenzwinkern oder doch mit einem Grinsen im Gesicht.


Fazit:

Ein skurriles Buch, das durch seine Aufmachung (Hardcover, bunte Seiten) auch ein witziges Mitbringsel zu einer launigen Runde ist. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 26.05.2022

Die drei Unbesiegbaren - Geschichte einer Freundschaft

Morgen werden wir glücklich sein
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Sie nannten sich „Die drei Unbesiegbaren“, Marie, Geneviève und Amiel. Drei Frauen, enge Freundinnen, die eine Wohnung (und manches andere) miteinander teilen, bis der Einmarsch deutscher Truppen in Paris ...

Sie nannten sich „Die drei Unbesiegbaren“, Marie, Geneviève und Amiel. Drei Frauen, enge Freundinnen, die eine Wohnung (und manches andere) miteinander teilen, bis der Einmarsch deutscher Truppen in Paris ihre Leben völlig aus der Bahn wirft. Marie schließt sich der Résistance an, Geneviève spielt Klavier für die Besatzer und die jüdische Ärztin Amiel fürchtet um ihr Leben.

Die Geschichte der engen Freundinnen driftet mehrmals auseinander. Während Amiel und Marie gegen die Boches kämpfen, scheint sich Geneviève mit den verhassten Deutschen arrangiert zu haben, um bessere Essensrationen zu erhalten. Das klingt nun ein wenig egoistisch, doch Geneviève nutzt mehrmals ihren Einfluss auf deutsche Offiziere, um ihre Freundinnen zu retten.

In einem zweiten Erzählstrang treffen wir in der Gegenwart auf Josephine und Malou, die Enkelinnen von zwei der Frauen, die in einem stecken gebliebenen Lift versuchen, die Vergangenheit ihrer Großmütter und Mütter, aufzuarbeiten. Denn in den Wirren des Zweiten Weltkriegs haben sich die „Drei Unbesiegbaren“ weiter voneinander entfernt, als sie es sich in ihren (Alb)Träumen ausmalen hätten lassen.

„Josephine hielt sich die Ohren zu. Mit dieser Verrückten zusammen im Aufzug festzusitzen war ein Ding, aber ganz sicher würde sie ihr nicht erlauben, ihr auch noch mit diesem Thema auf den Geist zu gehen! Diese Marie konnte ihr mit ihrem schlechten Gewissen den Buckel runterrutschen. Nur sie war schuld daran, dass ihre Großmutter ihre Laufbahn als Pianistin hatte aufgeben müssen, dass sie überhaupt nie wieder richtig hatte Klavier spielen können. Wie auch – mit verkrüppelten Fingern? Und ebenso war sie mitschuldig daran, dass Geneviève damals alle über die Herkunft von Josephines Mutter belogen hatte, die an dieser Lüge zugrunde gegangen war. Josephine verbot es sich, weiterzudenken. Sie wollte nichts darüber hören. Sie wollte nicht darüber reden. Auch nicht über all die anderen Dinge, die ihre Großmutter dieser Marie vorzuwerfen hatte. Nein, sie hatte genug von alldem. Von Geburt an hatte diese ganze alte Scheiße wie ein Pechmantel an ihr geklebt. Und da konnte niemand, niemand, niemand von ihr verlangen, dass sie das jetzt alles mit einer Entschuldigung von wem auch immer ad acta legte. Und für Geneviève galt das Gleiche. Dafür hatten sie zu sehr gelitten. Alle beide.“

Josephine und Malou sind höchst unterschiedliche Charaktere, die ohne es selbst zu wissen, sich ähnlicher sind, als ihnen lieb ist.

Verwirrt? Dann lest dieses Buch!

Meine Meinung:

Ein eindringliches Buch, dass es zu lesen lohnt. In einer Zeit, nämlich zwischen 1940 und 1945, in der Krieg im allgemeineinen und Terror gegen Juden herrscht, ist es schwer, unbeteiligt zu sein, sich aus allem heraushalten zu wollen, wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

Jede der drei Frauen versucht sich selbst und und anderen, so gut es unter diesen Umständen eben geht, zu helfen. Dass jede für sich dafür einen hohen Preis zahlt, verschweigen sie einander.

Wir erfahren abwechselnd aus beiden Handlungssträngen, was zu dem Bruch der Freundschaft geführt hat und warum sich die Enkelinnen so unversöhnlich gegenüber stehen.

Natürlich spielt der überwiegende Teil der Handlung während des Zweiten Weltkriegs, doch die späteren Ereignisse habe Auswirkungen bis in die Gegenwart.

Mit ihrem eindringlichen Erzählstil lässt Lea Korte ihre Protagonistinnen träumen, handeln und weinen. Die Charaktere sind ausgefeilt und wirken authentisch.

Fazit:

Ein eindringliches Buch, über Freundschaft, dass sich zu lesen lohnt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 26.05.2022

Von Berlin nach Deutsch-Südwest-Afrika

Entscheidung in Afrika
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Autorin Elke R. Richter entführt uns in ihren historischen Roman zunächst in das Moabiter Krankenhaus in Berlin. Anschließend führt uns die Reise nach Deutsch-Südwest-Afrika.

Doch von Anfang an. Man schreibt ...

Autorin Elke R. Richter entführt uns in ihren historischen Roman zunächst in das Moabiter Krankenhaus in Berlin. Anschließend führt uns die Reise nach Deutsch-Südwest-Afrika.

Doch von Anfang an. Man schreibt das Jahr 1904 und der Arzt Rudolph Kampmann forscht mit Leidenschaft am Robert-Koch-Institut an einem Impfstoff gegen den Typhus. Gleichzeitig ist er Chirurg am Moabiter Krankenhaus, wo er die Krankenschwester Dorothea kennen- und schätzen lernt. Just als sich die beiden vorsichtig näherkommen, zwingen familiäre Probleme Rudolph, Berlin zu verlassen. Der Brief, den er Dorothea schreibt, erreicht sein Ziel nicht und Dorothea gibt, von Rudolph enttäuscht, dem Werben von Arnold Rautenberg, einem anderen Stationsarzt, nach und heiratet ihn. Ein Fehler, den sie umgehend bereut.

Als Rudolph die Heiratsanzeige in der Zeitung liest, verpflichtet er sich, für drei Jahre als Militärarzt nach Deutsch-Südwest-Afrika. Im dortigen Lazarett trifft Rudolph auf Arnold, dem er, um sein Leben zu retten, einen Unterschenkel amputieren muss, der nach einem Schusswechsel von Wundbrand befallen ist. Dass diese lebensrettende Operation ein Nachspiel haben wird, lässt sich leicht erraten ...

Meine Meinung:

Dieser historische Roman ist penibel recherchiert. Die Leser erfahren in mehreren Handlungssträngen einiges aus der Geschichte der Medizin und lernen den beschwerlichen Alltag in einem Krankenhaus um 1900 kennen. Daneben dürfen wir an der unrühmlichen Kolonialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches teilhaben. Hier in Deutsch-Südwest-Afrika begehen die deutschen Truppen Genozid an der indigenen Bevölkerung. Wir erleben die Strapazen, denen die Männer ausgesetzt sind und die oft unzureichende medizinische Versorgung. Rudolph und seine Kollegen versuchen ihr Bestes, aber gegen Wundbrand und Typhus sind sie weitgehend machtlos. Die Tetanusimpfung, wie wir sie heute kennen, wird flächendeckend erst in den 1930er Jahren entwickelt. Die Seren gegen den Thypus erhalten nur die Offiziere, da zu wenig geliefert wird.

Neben diesen Hauptsträngen entwickelt die Autorin einige Nebenhandlungen, die zwar interessant, aber nicht zwingend mit Rudolph und Dorothea zusammenhängen. Ein Beispiel ist die Häufung von Todesfällen von Patienten, die sich bereits auf dem Wege der Besserung befinden. Weder Rudolph noch Dorothea geraten hier unter Verdacht, weshalb diese Sequenz - so dramatisch sie auch sein mag - die eigentliche Handlung per se nicht weiterbringt.

Die Charaktere sind sehr gut entwickelt. Der ernste Rudolph, der ein schreckliches Geheimnis mit sich herumschleppt, das dem Leser erst spät enthüllt wird und Dorothea, die in Afrika über sich hinauswächst.
Natürlich dürfen Intriganten genauso wenig fehlen wie arrogante Eltern bzw. Schwiegereltern. Eine interessante Entwicklung macht Sophie Rautenberg, Dorotheas Schwiegermutter durch, die am Krankenbett von Arnold, seine Charakterschwäche(n) erkennt.

Gut gefällt mir die penible Recherche von Elke R. Richter. Zum Nach- und Weiterlesen findet man am Ende des Romans ein Literatur- und Quellenverzeichnis.

Trotz vieler Details aus der Medizingeschichte und dem Größenwahn des deutschen Kolonialismus werden die Leser nicht mit Infodump überschüttet.

Der Kniff in der zweiten Hälfte des Buches aus den Tagebucheintragungen von Rudolphs Cousin zu zitieren, bildet einen Bruch in der Erzählstruktur, der ziemlich auffällt, weil er den Lesefluss ein wenig hemmt. Mir persönlich hat das nichts ausgemacht, andere Leser könnten darüber stolpern.

Fazit:

Ein penibel recherchierter Ausflug in die Vergangenheit, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 26.05.2022

Penibel recherchiert und fesselnd erzählt

Das Land, von dem wir träumen
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Dieser historische Roman entführt uns in das Südtirol von 1925. Das ehemals zu Österreich-Ungarn gehörende „Welschtirol“ ist seit dem Ende des Ersten Weltkrieges Teil Italiens. Der Hass auf den „reichen, ...

Dieser historische Roman entführt uns in das Südtirol von 1925. Das ehemals zu Österreich-Ungarn gehörende „Welschtirol“ ist seit dem Ende des Ersten Weltkrieges Teil Italiens. Der Hass auf den „reichen, deutschen“ Norden hat gravierende Auswirkungen: Die Faschisten verbieten den Südtirolern, deutsch zu sprechen, die Namen müssen italianisiert werden. So wird aus Brugger (und seinen Komposita) Ponte. Amtssprache ist italienisch, wer in der Öffentlichkeit deutsch spricht, wird bestraft. Deutschsprachige Lehrkräfte erhalten Berufsverbot, was aber einige, wie unsere Protagonistin Franziska Bruggmoser nicht abhält, heimlich in einer Katakombenschule die Südtiroler Lebensart weiter zu geben.

Soweit der historische Hintergrund. Die Italianisierung Südtirols hat allerdings nicht nur Gegner. Franziskas Vater Ludwig Bruggmoser, nunmehr Luigi Ponte, erhofft sich Erleichterungen, wenn er sich dem Diktat der Regierung beugt. Damit bringt er nicht nur seine Tochter, sondern auch die meisten der Dorfbewohner auf. Niemand im Dorf nimmt ihm seine landwirtschaftlichen Produkte ab. Der Bauernhof schlittert in eine gefährliche finanzielle Schieflage. Franziska ist einfallsreich und versucht mit der Eröffnung einer Jausenstation, den Verkauf der Landwirtschaft zu verhindern, während der Bruder, der traditionell als Hoferbe vorgesehen ist, sich dem Alkohol hingibt. Letztendlich wird Luigi Ponte zwischen allen Stühlen sitzen, denn Franziskas Deutschunterricht wird von ihrem nichtsnutzigen Bruder an die Behörden verraten.

Meine Meinung:

Dieser fesselnde historische Roman beschäftigt sich nicht nur mit der Italianisierung Südtirols, sondern bietet einen Einblick in die traditionelle Welt der ländlichen Bevölkerung. Mädchen wird selten höhere Bildung zugestanden, die Erbhöfe fallen ausschließlich an den erstgeborenen Sohn, egal ob er ein Genie oder ein Trottel ist. Die anderen Geschwister haben wenig Auswahl: entweder als ausgenützte, weil unbezahlte Arbeitskraft bleiben oder den Hof und die Heimat verlassen. Die Mädchen werden „gewinnbringend“ verheiratet und verbessern ihre Situation oft nur unwesentlich.

Franziska wehrt sich mit allen Mitteln verschachert zu werden, trotzt den italienischen Behörden, indem sie eben deutsch unterrichtet. Interessant auch der Seitenblick auf die kleine Gruppe jüdischer Handwerker.

Franziska (und viele Südtiroler) träumen nach wie vor vom deutschsprachigen Südtirol, einem Land, das es nicht mehr gibt. Vater Bruggmoser/Ponte hat das frühzeitig erkannt, nützen wird es ihm nichts.

Gut gefallen mir die penible Recherche und der eindringliche Schreibstil. Die Figuren sind lebendig, haben ihre Ecken und Kanten. Natürlich ist den Lesern der oder die Eine sympathischer als der oder die Andere. Die widersprüchlichen Reaktionen mancher Protagonisten wirken authentisch.

Sehr gut ist die Stimmung zwischen den Menschen eingefangen. Man weiß nicht mehr, wem man trauen kann. Die Risse gehen durch die Familien. Das wird sich in wenigen Jahren noch verstärken, wenn die Nazis die „deutschen“ Südtiroler „heim ins Reich“ holen wollen und ihnen das Blaue vom Himmel versprechen. Doch das „Dableiben“ oder „Aussiedeln“ ist Gegenstand des nächsten Bandes dieser Familiensaga, auf den ich mich schon sehr freue.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem gut recherchierten und fesselnd erzählten historischen Roman 5 Sterne.