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Veröffentlicht am 21.06.2024

60 verpasste, 33 gelebte Jahre

Seinetwegen
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„Seit das erste Kraftfahrzeug aus einer Fertigungshalle rollte, haben mehr als 50 Millionen Menschen ihr Leben ans Auto verloren. Über jeden Einzelnen von ihnen könnte man eine Geschichte erzählen. Über ...

„Seit das erste Kraftfahrzeug aus einer Fertigungshalle rollte, haben mehr als 50 Millionen Menschen ihr Leben ans Auto verloren. Über jeden Einzelnen von ihnen könnte man eine Geschichte erzählen. Über sein Leben. Über sein Sterben.“

Inhalt

Zora del Buono begibt sich auf autobiografische Spurensuche zum Leben ihres früh verstorbenen Vaters, an den sie sich selbst gar nicht erinnern kann. Die Lücke, die sie beschreibt, muss nicht gefüllt werden, denn die Abwesenheit des Vaters ist alles, was die Autorin kennt. Ihr Fokus liegt darauf, die Todesumstände von Manfredi del Buono auszuloten und ein Verständnis für den Fahrer des Autos zu entwickeln, der als Unfallverursacher mit dem Leben davonkam, aber Jahrzehntelang mit seiner Schuld zurechtkommen musste. Ganz nebenbei lässt sie auch ihr eigenes Leben und das der Mutter Revue passieren, versucht Entwicklungen zu erklären und gleichzeitig aufzuzeigen, dass es immer weitergeht, bis zu einem Tag X, den keiner kennt und der ganz plötzlich da sein kann oder auch lange auf sich warten lässt …

Meinung

Die Inhalte des Buches lesen sich nicht wie eine Biografie, obwohl sie genau das sind. Es ist ein interessanter Mix aus Roman, Lebensbericht und szenischer Erzählung rund um die Thematik des Unfalltods und die Auswirkungen eines solchen auf die Beteiligten. Die Frage der Schuld oder Unschuld ist der zentrale Mittelpunkt des Buches, jedoch ohne Anklage und Moralisierung, es sind die Verkettungen, die erschrecken, die Vorurteile, die nach genauerem Betrachten entkräftet werden und eine sachliche Omnipräsenz von Geschehnissen, die keiner verantworten und die nicht rückgängig gemacht werden können.

Der Erzählstil ist puristisch, konzentriert sich auf Kernpunkte, nimmt aber auch immer wieder Parallelen in den Einzelschicksalen auf: wie lebt es sich ohne Vater, wie überschattet ein Unfalltod das Leben der Zurückgebliebenen und wie kann man als Betroffener sein Leben gestalten, ohne verbittert dem Schicksal gegenüberzutreten?

Man kann das Buch zwischenzeitlich bei Seite legen und findet problemlos wieder hinein. Man kann auch willkürlich eine Seite aufblättern und etwas Lesen, der rote Faden ist da, die Chronologie der Ereignisse nicht zwingend erforderlich. Stellenweise sind es Einblicke in normale Alltagssituationen, dann wieder sehr philosophische Gedanken, die zum Nachdenken anregen. Auf jeden Fall erfährt man subtil etwas vom Denken der Autorin und von Ihrer Lebensgeschichte.

Fazit

Dieser biografische Roman ist kurzweilig, mäßig bedrückend mit sonnigen Abschnitten – irgendwie ein bisschen von allem. Er wirkt authentisch, wirft Fragen auf und beantwortet nur einige von Ihnen. Es hat mir gut gefallen, dass die Autorin mittlerweile selbst 60 Lebensjahre absolviert hat, dadurch wirkt es weniger pathetisch, eher versöhnlich im Handeln und erfahren im Unterton. Ich vergebe dennoch nur 4 Lesesterne, was hier fehlte war die Nähe zum Leser - manches hätte eins zu eins einer Quelle aus der Tageszeitung entspringen können. Auch der Mehrwert des Buches erschließt sich mir nicht restlos, es ist ein persönlicher Bericht, doch längst keine umfassende Erzählung. Zum Schmökern und für Gedankenimpulse hat es Potential, man gut darüber sprechen, es fördert den Austausch, bleibt aber nicht nachhaltig in Erinnerung.

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Veröffentlicht am 26.05.2022

Teuflische Geigenklänge

Die Schatten von Edinburgh
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"Eine panische Angst, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte, bemächtigte sich meiner. Sie erfüllte meine Brust, während mir das Geflüster der Zigeunerin wieder in den Sinn kam."

Inhalt

Für den nach ...

"Eine panische Angst, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte, bemächtigte sich meiner. Sie erfüllte meine Brust, während mir das Geflüster der Zigeunerin wieder in den Sinn kam."

Inhalt

Für den nach Schottland versetzten Inspector Frey, einen kultivierten Engländer, manifestiert sich schon nach wenigen ersten Eindrücken sein vorgefertigter Eindruck, dass es hier weder Manieren, noch gutes Essen, geschweige denn eine berufliche Perspektive gibt. Nur unwillig beginnt er mit seinem wahrhaft imposanten, wenn auch exzentrischen neuen Vorgesetzen McGray zusammenzuarbeiten. So unterschiedlich die beiden Ermittler auch sein mögen, so ergänzen sie sich doch vorbildlich und bilden ein gutes Team. Schon nach kurzer Zeit sind sie einem Serienmörder auf der Spur, der ganz zielgerichtet seine Opfer auswählt, sie scheinbar nach keinem genauen modus operandi tötet. Der Fall ist besonders verzwickt, weil allerlei abergläubische Akteure mitwirken, allen voran der Schotte McGray. Und während sich Inspector Ian Frey sehr sicher ist, dass der Teufel bei dieser Mordserie ganz sicher nicht seine Finger im Spiel hat, treten doch immer häufiger Zufälle auf, dies es nahelegen, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Der Schlüssel zur Lösung des Falls scheint greifbar nah, doch so eng der Kreis der Verdächtigen auch ist, weitere Morde dünnen ihn immer mehr aus …

Meinung

Dies ist nicht nur der Auftakt der im viktorianischen Zeitalter spielenden Krimireihe um die Ermittler Frey und McGray, sondern auch mein erstes Buch aus der Feder des Autors. Historische Schauplätze und das Mordgeschehen längst vergangener Tage üben auf mich einen gewissen Reiz aus und nachdem ich zahlreiche begeisterte Leserstimmen zu dieser Reihe wahrgenommen habe, wollte ich sie natürlich auch gerne testen.

Dieser Krimi verbreitet ein gewisses Flair und schafft eine perspektivenreiche Atmosphäre, die den Zeitgeist wunderbar einfängt und für den Leser erlebbar macht. Tatsächlich macht das einen großen Teil dieses Buches aus und zieht sich, wie der rote Faden durch alle Seiten. Ebenso viel Augenmerk wird den beiden Ermittlern geschenkt, die ich mir lebhaft vorstellen kann und deren Eigenheiten vortrefflich das Geschehen ergänzen.

Diese beiden Pluspunkte führen jedoch dazu, dass der eigentliche Fall in den Hintergrund gedrängt wird und die Ermittlungen nur mühsam vorankommen. Also aus kriminalistischer Sicht hätte ich mir da deutlich mehr erwartet, was eindeutig den fehlenden Bewertungspunkt ausmacht. Das Lesen ist mehr wie das Zuschauen bei einem Film und das langweilte mich dann doch stellenweise. Gerade im ersten Teil des Buches hätte ich mir einen stringenteren Erzählstil und weniger Fabulieren gewünscht. Auch die humoristische Komponente bietet mir hier nicht unbedingt den Mehrwert – derart intensive Interaktionen zwischen zwei Personen gefallen mir als Schlagabtausch zwar ganz gut, solange sie nicht zu sehr dominieren, und hier war es manchmal grenzwertig.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen unterhaltsamen, abwechslungsreichen Kriminalroman, der mir insgesamt gut gefallen hat, wenn auch mit kleinen Abstrichen. Ob ich die Reihe nun weiterverfolgen werde, ist fraglich, denn so ganz in Begeisterungsstürme kann ich nicht verfallen, möglicherweise war meine Erwartungshaltung auch etwas hoch. Empfehlenswert ist definitiv historisches Interesse, vor allem für die damalige Zeit.

Trotzdem bietet die Story ein entsprechendes Potential und lässt sich vielfältig ausbauen, so dass ich mir bei passender Laune auch wieder ein Buch aus dieser Reihe vorstellen könnte. Das Gleichgewicht zwischen dem Privatleben der Ermittler und ihrer beruflichen Schaffenskraft wird gewahrt, es entsteht ein Szenario, welchem der Leser beiwohnt, die Hintergründe erscheinen dabei etwas zweitrangig, der Stil hingegen ist wohlwollend einprägsam.

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Veröffentlicht am 22.03.2022

Der Hafenmörder aus guten Kreisen

Der letzte Tod
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Im Herbst des Jahres 1922 geht in der österreichischen Hauptstadt Wien alles kontinuierlich den Bach hinunter, die Inflation ist auf einem Rekordniveau, die normale Bevölkerung leidet Hunger und Wohnungsnot ...

Im Herbst des Jahres 1922 geht in der österreichischen Hauptstadt Wien alles kontinuierlich den Bach hinunter, die Inflation ist auf einem Rekordniveau, die normale Bevölkerung leidet Hunger und Wohnungsnot und das kriminelle Pack ist auf dem Vormarsch. Normalerweise hätte Inspektor August Emmerich auch ohne seinen neuesten Fall alle Hände voll zu tun, doch eine in einem alten Tresor entdeckte Leiche, die anscheinend lebendig dort hineingesperrt und dann nicht wieder hinausgelassen wurde, weckt seinen Einsatzeifer. Selbst der ihm zugeordnete Psychologe Sándor Adler, der Licht in die dunklen Seelen der Mörder bringen soll, muss Emmerich genau so erleben, wie jeder andere auch: ungehobelt aber entschlossen. Während Adler von einem Serienmörder ausgeht, begeht der vermeintliche Täter Selbstmord und der Fall könnte geschlossen werden, allerdings sind sich die Inspektoren Emmerich und Winter fast sicher, dass die einfache Lösung hier nicht die richtige sein kann. Und tatsächlich entdeckt man nur wenig später, den nächsten Leichnam in einer Kiste, doch diese befindet sich im ungarischen Hafen und nicht in Österreich. Wer könnte über Grenzen hinweg morden und das nach dem immer gleichen modus operandi?

Meinung

Dies ist bereits der fünfte Band aus der historischen Kriminalreihe um den Inspektor August Emmerich. Die vorherigen Bände habe ich innerhalb kürzester Zeit im vergangenen Jahr konsumiert und mich immer bestens unterhalten gefühlt. Zum einen sind die Fälle in sich abgeschlossen, man muss also nicht immer den fiesen Cliffhänger erwarten, zum anderen lebt diese Reihe durch die Protagonisten, die ebenso speziell wie liebenswürdig dargestellt werden. In allen Bänden dominiert trotz düsterer Stimmung ein humorvoller Unterton und gerade die Vielschichtigkeit der Personen, die sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln, bietet hier den Mehrwert.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen eher klassischen, historischen Kriminalroman der neben einer ansprechenden Krimihandlung auch wieder ein facettenreiches Bild der vergangenen Zeit entwirft, angefangen beim verarmten Adel, hin zu neuer Dekadenz, über die Sorgen der einfachen Bürger und die erstarkenden politischen Bewegungen.

Alles wirkt sehr authentisch und unterhaltsam, man könnte sich auch eine Verfilmung gut vorstellen, weil der detaillierte Schreibstil vor allem das alltägliche Leben der Menschen einfängt und dem Leser näherbringt. An dieser Reihe bleibe ich definitiv dran.

Ganz so spannend wie in anderen Ermittlungsarbeiten der Bände 1-4 war es hier zwar nicht, was aber auch daran liegen mag, dass der Zufall dem Inspektor tatsächlich mehr als einmal zu Hilfe kam. Dafür hat mir die Darstellung des privaten Herrn Emmerich sogar besser gefallen, als Leser habe ich mittlerweile ein umfassendes Bild seines Charakters vor Augen und verfolge gespannt seinen Weg weiter.

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Veröffentlicht am 01.03.2022

Toxische Geschwisterliebe, die ihre Opfer fordert

SCHWEIG!
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„Aber unter der Oberfläche passiert etwas mit den Leuten, das du nicht siehst. Es ist nicht so, dass sie zerbrechen unter dem Druck, den du ausübst. Das denkst du vielleicht. Aber das Gegenteil ist der ...

„Aber unter der Oberfläche passiert etwas mit den Leuten, das du nicht siehst. Es ist nicht so, dass sie zerbrechen unter dem Druck, den du ausübst. Das denkst du vielleicht. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es wächst etwas in ihnen. Aus Widerwillen wird Widerstand.“

Inhalt

Am Tag vor Heiligabend besucht Esther ihre jüngere Schwester in deren Haus am Wald. Denn Sue ist nicht nur abgemagert, hilfsbedürftig und frisch geschieden, sondern auch psychisch labil. Erst im Jahr zuvor musste der Krankenwagen kommen, so etwas darf sich nicht noch einmal wiederholen – denn Esther fühlt sich verantwortlich. Allerdings ist Sue nicht so hilflos wie es scheint und bald wird deutlich, dass die Vergangenheit der Schwestern bei jeder von ihnen tiefe Spuren hinterlassen hat …

Meinung

Dies ist mein zweiter Roman aus der Feder der deutschen Autorin Judith Merchant, die aus ihren Thrillern stets psychologische Spannungsromane mit Einblicken in die seelischen Abgründe ihrer Protagonisten macht. Hier begegnen dem Leser zwei erwachsene Frauen, die ihre gemeinsame Herkunft aus einem von Alkohol und Vernachlässigung geprägten Elternhaus nur schwer verkraftet haben und sich nun eine Art Scheinwelt für das Gelingen ihres jeweiligen Lebens aufgebaut haben. Während sich die eine kinderlos in der Einsamkeit verkrümelt und keine menschlichen Kontakte pflegt, spielt die andere ihre fast perfekte Rolle als liebende Ehefrau und organisierte Mutter zweier Kinder.

Zwischen den beiden Schwestern herrscht eine eisige Stimmung, ihre Treffen begrenzen sich auf die Weihnachtszeit, sobald sie einander begegnen, brechen die Verhaltensmuster an der Grenze zur psychischen Manipulation abermals auf – eine toxische Beziehung, die über kurz oder lang ihre Opfer fordern wird.

Der erste Teil des Buches war für mich etwas ernüchternd, denn es herrschen verhärtete Fronten zwischen gleichermaßen gestörten Persönlichkeiten, so dass ich weder Verständnis noch Mitleid mit ihnen empfinden konnte. Dadurch tritt auch der Handlungsverlauf auf der Stelle, denn außer den Eindrücken der beiden Protagonistinnen bezüglich des Verhaltens der jeweils anderen bekommt man nichts geboten. Erst nachdem die jüngere Schwester beschließt, ihr Schweigen zu brechen gewinnt die Story sowohl an Tempo als auch an Potential. Das Gleichgewicht verschiebt sich immer wieder zu Gunsten einer der beiden und dann wird es endlich Zeit dafür, mit all den Lügen aufzuräumen.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen authentischen, bizarren Seelenstriptease, der den Leser tief hinein in eine vollkommen verkorkste Situation führt, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt. Die Charakterisierung ist vielschichtig, die Stimmung erdrückend und unheilschwanger und das Ende bietet abermals eine unvorhersehbare Wendung. Auch als Verfilmung könnte ich mir diese Textvorlage gut vorstellen, gerade die Interaktion zwischen den Figuren bietet viel Spielraum und diverse Rückblicke sorgen für ein stimmiges Bild.

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Veröffentlicht am 28.12.2021

Am weitesten vom Einschlagpunkt entfernt

Die Überlebenden
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„Ein Polizeiauto pflügt langsam durch das blaue Grün, die Traktorspur zum Hof hinunter. Da steht das Sommerhaus, einsam auf einer Landzunge, in der nie ganz schwarzen Juninacht.“
Gegenwart: Drei erwachsene ...

„Ein Polizeiauto pflügt langsam durch das blaue Grün, die Traktorspur zum Hof hinunter. Da steht das Sommerhaus, einsam auf einer Landzunge, in der nie ganz schwarzen Juninacht.“
Gegenwart: Drei erwachsene Männer, finden einen Brief, den ihre verstorbene Mutter ihnen hinterlassen hat, mit der Bitte darum, ihre Asche nicht einem Grab zu übergeben, sondern sie dorthin zu bringen, wo die Familie früher gemeinsam lebte, zum Sommerhaus am See. Vergangenheit: Drei Kinder/ Halbwüchsige leben in einer dysfunktionalen Familie, beide Eltern sind Alkoholiker und erziehen ihre Söhne zwischen Gewaltausbrüchen und liebevoller Zuwendung, soweit es ihnen eben möglich ist. Das Sommerhaus am See ist Schauplatz und Bühne für alle Ereignisse damals, deren Folgen bis in die heutige Zeit spürbar sind, denn vor zwei Jahrzehnten ging hier ein Riss durch die Welt.
Der Debütroman des schwedischen Autors Alex Schulman hat so gute Kritiken bekommen und versprach eine Geschichte, die genau in mein Beuteschema fällt, so dass ich ihn unbedingt lesen wollte. Zum einen, weil ich besonders schwierige Erzählungen mag, die gerne auch melancholisch und nachdenklich stimmen dürfen, zum anderen, weil mich das Schicksal von Kindern in Romanen immer sehr anspricht. Eine bestimmte Erwartungshaltung hatte ich nicht, aber möglicherweise einen speziellen Fokus.
Das Vorwort des Autors hat dabei wahrscheinlich bewirkt, dass ich mich gezielt auf seine Aussage konzentriert habe, dass er sich mit diesem Buch auf Spurensuche in die Vergangenheit begibt, um zu ergründen, an welcher Stelle sich Geschwister so fremd werden, obwohl sie von Kindheit an die gleichen Erfahrungswerte teilen und im selben Umfeld aufwachsen. Ein sehr interessanter Aspekt, der mich ebenfalls schon oft gedanklich beschäftigt hat …
Der Schreibstil des Buches ist eher neutral, manchmal wirklich etwas karg, was mir persönlich auf Grund der Geschichte nicht ganz so gut gefiel, denn hier liegt viel Emotionalität unter der Oberfläche und kommt nicht recht zum Vorschein, weil sehr distanziert erzählt wird. Dadurch konnte ich zu keinem der Charaktere eine enge Beziehung aufbauen, was aber nicht gestört hat, weil ich mich mehr auf die Beziehung der Beteiligten untereinander konzentrieren konnte. Äußerst genau und tragisch werden die Kindheitserlebnisse geschildert, dabei treten immer wieder zwei dominante Aussagen auf: Die Eltern waren auf Grund des Alkoholkonsums nicht in der Lage, sich angemessen um ihre Kinder zu kümmern und die drei Brüder hatten in mancher Situation nur sich selbst, um heil wieder auf dem Geschehen aufzutauchen.
Ein zweiter Erzählstrang wird eingefügt, der sich rückwärtsgerichtet mit den Ereignissen im Jetzt beschäftigt und zeigt, was die Männer nun mit dem letzten Wunsch ihrer Mutter machen werden, wie es überhaupt weiterging, nachdem der älteste Sohn ausgezogen ist und aus dem Dreiergespann ein Glied verschwunden ist.
Dieser Roman ist sehr dicht und intensiv geschrieben, er löst echte Betroffenheit aus, ohne direkt zu schockieren. Die Sachlichkeit des Textes hat mich zwar persönlich nicht ganz erreichen können, wirkt aber dennoch irgendwie authentisch und setzt eine echte Beschäftigung mit den zahlreichen psychischen Verletzungen der einzelnen Charaktere voraus. Besonders die multiperspektiven Sichtweisen, der jeweiligen Söhne konnten mich begeistern, denn jeder nimmt aus vergangenen Situationen etwas anderes mit und verändert irgendwann auch die eigene Erinnerung an ein und dasselbe Erlebnis. Ebenso der Zerfall des Dreiergespanns, sowohl in der Kindheit als auch jetzt im Erwachsenenalter wird deutlich herausgearbeitet, die Geschwisterkonstellation immer wieder aus ganz anderen Blickwinkeln betrachtet, dass ist für dieses Buch sehr bereichernd gewesen.
Fazit: Gerne vergebe ich gute 4 Lesesterne, für einen aufrüttelnden, glaubwürdigen Roman, der dem einzelnen Familienmitglied genügend Raum zugesteht, um dem Leser etwas zu vermitteln, ganz egal, um wen es gerade geht. Auch die Eltern werden nicht nur anklagend behandelt oder gar ausgegrenzt, vielmehr wirkt hier das Familienbild komplex und vielschichtig. Der Ort am See, gewissermaßen in der Einöde, bringt die interfamiliären Befindlichkeiten besonders gut zum Ausdruck und wirkt verstärkend. Einzig die fehlende Nähe zur Gefühlswelt wenigstens einer Person sorgt hier dafür, dass ich keine volle Punktzahl vergeben kann. Dieses Buch zielt mir persönlich zu sehr auf den Verstand weniger aufs Herz und bei so einer Story hätte ich mir das umgedreht gewünscht.

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