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Veröffentlicht am 12.06.2022

Eine unterhaltsame, moderne und humorvolle erzählte Geschichte in bester Regency-Manier

Wie man sich einen Lord angelt
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Handlung: "Wie man sich einen Lord angelt" ist genau zur richtigen Zeit für meinen aktuellen Bridgerton-induzierten Regency-Hype erschienen. Die Geschichte aus der Feder der britischen Autorin Sophie Irwin ...

Handlung: "Wie man sich einen Lord angelt" ist genau zur richtigen Zeit für meinen aktuellen Bridgerton-induzierten Regency-Hype erschienen. Die Geschichte aus der Feder der britischen Autorin Sophie Irwin bildet den Auftakt der neuen Lady´s Guide-Reihe, welche ins romantische London des frühen 19. Jahrhunderts entführt. Gelesen habe ich das Buch in den letzten Tagen mal wieder als Buddyread zusammen mit Sofia von @SofiasworldofBooks (wie immer ein kleines Shoutout an dieser Stelle - schaut unbedingt mal auf Ihrem Blog oder Instagram vorbei!). Da ich die Geschichte parallel zur "Bridgerton"-Reihe von Julia Quinn gelesen habe, kam ich leider nicht darum herum, die beiden Romane miteinander zu vergleichen und musste schon sehr früh feststellen, dass die Handlung von "Wie man sich einen Lord angelt" das Rad alles andere als neu erfindet. Tatsächlich sind mir gleich mehrere Parallelen zu den Bridgerton-Romanen aufgefallen (wir lesen hier von beinahe derselben Konstellation wie in "The Viscount Who Loved Me" nur mit umgekehrte Geschlechterrollen), da Sophie Irwins Debüt die bekannten Elemente aber so charmant verpackt, kann man dies der Geschichte nicht übelnehmen.

Schreibstil:
Dazu kommt, dass die Autorin genau wie Julia Quinn eine sehr humorvolle Art zu Schreiben gewählt hat, bei der teilweise ein sarkastischer Unterton durchblitzt. Besonders die Konfrontationen der beiden Hauptfiguren Kitty und Radcliffe haben mich immer wieder grinsen lassen und lassen die Geschichte eine gute Balance aus modernem, lockeren Esprit und historischer Glaubwürdigkeit finden. Die Londoner Ballsaison wird dabei mit Bällen, Soirées, Tees und allerlei anderen sozialen Events zum Leben erweckt und versprüht den typischen, oberflächlichen Regency-Glamour. Dabei bleibt jedoch leider London als Setting recht blass. Bis auf wenige Ballsäle und kurze Spaziergänge bekommen wir nicht so viel von der Stadt mit, wie das angesichts des ersten Aufenthalts der beiden Frauen in London möglich gewesen wäre.

Figuren:
Erzählt wird die Geschichte von einem auktorialen Erzähler, der hauptsächlich von den Gefühlen und Gedanken der beiden Hauptfiguren Kitty und Radcliffe berichtet, aber auch den ein oder anderen Blick in die Köpfe von Nebenfiguren wirft und zusätzliche Informationen bereithält. Kitty - eigentlich Katherine Talbot - hat dabei einige widersprüchliche Gefühle in mir ausgelöst. Auf den ersten Blick wirkt sie mit ihrem Plan, sich so schnell wie möglich einen vermögenden Ehemann zu angeln, um die Schulden ihrer Familie zu tilgen rücksichtslos, herzlos, manipulativ und unsensibel. Je länger man ihre Bemühungen verfolgt, desto mehr bemerkt man, dass ihre Beweggründe über jeden Zweifel erhaben sind und beginnt, sie für ihren Starrsinn und ihre Cleverness zu bewundern. Sie ist sich nicht zu schade ihre eigenen Wünsche zurückzustecken und genau zu dem zu werden, was ihr Gegenüber von ihr will, um sich so berechnend ihren Weg nach oben in die High Society zu erschleichen. Auch wenn ich sie mit ihrer schlagfertigen Art immer mehr bewundert habe, konnte ich sie über die 352 Seiten aber nicht vorbehaltlos ins Herz schließen. Radcliffe ist mit seinen Motiven, seine Familie zu beschützen ein gut nachvollziehbarer und sympathischer Charakter. Was ihm ein wenig an Tiefe fehlt, macht er mit seinen dunklen Locken und seiner eiskalten Art, Kitty zu durchschauen wieder wett. Gut gefällt mir auch, dass die Liebesgeschichte zwischen den beiden nicht im Vordergrund steht und sich dem Genre und der Epoche entsprechend sehr langsam und züchtig entwickelt. Leider werden die vorhandenen Enemies to Lovers Vibes hier dementsprechend nur oberflächlich ausgereizt und ich hätte mir gerne mehr vertraute Momente zwischen den Beiden gewünscht, bevor sie ihre Zukunft dann endgültig besiegeln. Von der unspektakulären Liebesgeschichte und den teilweise sehr eindimensional agierenden Nebenfiguren (zum Beispiel Archie wirkte durchgängig wie ein 14jähriger Junge auf mich und hat mich teilweise ein bisschen genervt) können charmante Nebenhandlungsstränge rund um Kittys kleine Schwester, Radcliffs Geschwister und Tante Dorothy ablenken.


Die Zitate:


Erster Satz: "Ihr werdet mich nicht heiraten?", wiederholte Miss Talbot ungläubig."

“Menschen, die sich aus Gewohnheit unerreichbare Ziele setzen, trifft man recht häufig. Menschen dagegen, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, diese Ziele auch zu erreichen, sind selten. Doch genau zu dieser zweiten Gruppe gehörte Miss Talbot."

“Radcliffe knallte geräuschvoll die Tür hinter ihr zu, aber Kitty hüpfte zufrieden mit Sally die Stufen hinunter. Sie hatte das Gefühl, alles mitgenommen zu haben, was sie für einen aufsehenerregenden Einstand in die Gesellschaft brauchte."



Das Urteil:

Insgesamt ist "Wie man sich einen Lord angelt" also eine unterhaltsame, moderne und humorvolle erzählte Geschichte in bester Regency-Manier, welche aber dennoch hinter der Bridgerton-Reihe zurückbleibt. Auch wenn ich Sophie Irwings Debüt sehr gerne gelesen habe, ist ihre Handlung ist nicht ganz so skandalös, ihr Schreibstil nicht annähernd so flüssig und amüsant und auch ihre Figuren leicht weniger liebenswert als bei Julia Quinns Vorlage.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.06.2022

Eine unterhaltsame, moderne und humorvolle erzählte Geschichte in bester Regency-Manier

Wie man sich einen Lord angelt
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Handlung: "Wie man sich einen Lord angelt" ist genau zur richtigen Zeit für meinen aktuellen Bridgerton-induzierten Regency-Hype erschienen. Die Geschichte aus der Feder der britischen Autorin Sophie Irwin ...

Handlung: "Wie man sich einen Lord angelt" ist genau zur richtigen Zeit für meinen aktuellen Bridgerton-induzierten Regency-Hype erschienen. Die Geschichte aus der Feder der britischen Autorin Sophie Irwin bildet den Auftakt der neuen Lady´s Guide-Reihe, welche ins romantische London des frühen 19. Jahrhunderts entführt. Gelesen habe ich das Buch in den letzten Tagen mal wieder als Buddyread zusammen mit Sofia von @SofiasworldofBooks (wie immer ein kleines Shoutout an dieser Stelle - schaut unbedingt mal auf Ihrem Blog oder Instagram vorbei!). Da ich die Geschichte parallel zur "Bridgerton"-Reihe von Julia Quinn gelesen habe, kam ich leider nicht darum herum, die beiden Romane miteinander zu vergleichen und musste schon sehr früh feststellen, dass die Handlung von "Wie man sich einen Lord angelt" das Rad alles andere als neu erfindet. Tatsächlich sind mir gleich mehrere Parallelen zu den Bridgerton-Romanen aufgefallen (wir lesen hier von beinahe derselben Konstellation wie in "The Viscount Who Loved Me" nur mit umgekehrte Geschlechterrollen), da Sophie Irwins Debüt die bekannten Elemente aber so charmant verpackt, kann man dies der Geschichte nicht übelnehmen.

Schreibstil:
Dazu kommt, dass die Autorin genau wie Julia Quinn eine sehr humorvolle Art zu Schreiben gewählt hat, bei der teilweise ein sarkastischer Unterton durchblitzt. Besonders die Konfrontationen der beiden Hauptfiguren Kitty und Radcliffe haben mich immer wieder grinsen lassen und lassen die Geschichte eine gute Balance aus modernem, lockeren Esprit und historischer Glaubwürdigkeit finden. Die Londoner Ballsaison wird dabei mit Bällen, Soirées, Tees und allerlei anderen sozialen Events zum Leben erweckt und versprüht den typischen, oberflächlichen Regency-Glamour. Dabei bleibt jedoch leider London als Setting recht blass. Bis auf wenige Ballsäle und kurze Spaziergänge bekommen wir nicht so viel von der Stadt mit, wie das angesichts des ersten Aufenthalts der beiden Frauen in London möglich gewesen wäre.

Figuren:
Erzählt wird die Geschichte von einem auktorialen Erzähler, der hauptsächlich von den Gefühlen und Gedanken der beiden Hauptfiguren Kitty und Radcliffe berichtet, aber auch den ein oder anderen Blick in die Köpfe von Nebenfiguren wirft und zusätzliche Informationen bereithält. Kitty - eigentlich Katherine Talbot - hat dabei einige widersprüchliche Gefühle in mir ausgelöst. Auf den ersten Blick wirkt sie mit ihrem Plan, sich so schnell wie möglich einen vermögenden Ehemann zu angeln, um die Schulden ihrer Familie zu tilgen rücksichtslos, herzlos, manipulativ und unsensibel. Je länger man ihre Bemühungen verfolgt, desto mehr bemerkt man, dass ihre Beweggründe über jeden Zweifel erhaben sind und beginnt, sie für ihren Starrsinn und ihre Cleverness zu bewundern. Sie ist sich nicht zu schade ihre eigenen Wünsche zurückzustecken und genau zu dem zu werden, was ihr Gegenüber von ihr will, um sich so berechnend ihren Weg nach oben in die High Society zu erschleichen. Auch wenn ich sie mit ihrer schlagfertigen Art immer mehr bewundert habe, konnte ich sie über die 352 Seiten aber nicht vorbehaltlos ins Herz schließen. Radcliffe ist mit seinen Motiven, seine Familie zu beschützen ein gut nachvollziehbarer und sympathischer Charakter. Was ihm ein wenig an Tiefe fehlt, macht er mit seinen dunklen Locken und seiner eiskalten Art, Kitty zu durchschauen wieder wett. Gut gefällt mir auch, dass die Liebesgeschichte zwischen den beiden nicht im Vordergrund steht und sich dem Genre und der Epoche entsprechend sehr langsam und züchtig entwickelt. Leider werden die vorhandenen Enemies to Lovers Vibes hier dementsprechend nur oberflächlich ausgereizt und ich hätte mir gerne mehr vertraute Momente zwischen den Beiden gewünscht, bevor sie ihre Zukunft dann endgültig besiegeln. Von der unspektakulären Liebesgeschichte und den teilweise sehr eindimensional agierenden Nebenfiguren (zum Beispiel Archie wirkte durchgängig wie ein 14jähriger Junge auf mich und hat mich teilweise ein bisschen genervt) können charmante Nebenhandlungsstränge rund um Kittys kleine Schwester, Radcliffs Geschwister und Tante Dorothy ablenken.


Die Zitate:


Erster Satz: "Ihr werdet mich nicht heiraten?", wiederholte Miss Talbot ungläubig."

“Menschen, die sich aus Gewohnheit unerreichbare Ziele setzen, trifft man recht häufig. Menschen dagegen, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, diese Ziele auch zu erreichen, sind selten. Doch genau zu dieser zweiten Gruppe gehörte Miss Talbot."

“Radcliffe knallte geräuschvoll die Tür hinter ihr zu, aber Kitty hüpfte zufrieden mit Sally die Stufen hinunter. Sie hatte das Gefühl, alles mitgenommen zu haben, was sie für einen aufsehenerregenden Einstand in die Gesellschaft brauchte."



Das Urteil:

Insgesamt ist "Wie man sich einen Lord angelt" also eine unterhaltsame, moderne und humorvolle erzählte Geschichte in bester Regency-Manier, welche aber dennoch hinter der Bridgerton-Reihe zurückbleibt. Auch wenn ich Sophie Irwings Debüt sehr gerne gelesen habe, ist ihre Handlung ist nicht ganz so skandalös, ihr Schreibstil nicht annähernd so flüssig und amüsant und auch ihre Figuren leicht weniger liebenswert als bei Julia Quinns Vorlage.

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  • Erzählstil
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  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.06.2022

Eine düstere, schaurige Umsetzung des Vampirthemas mit einem ordentlichen Spritzer Realität

All Lovers Lost
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Vampirromane gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Angesprochen hat mich "All Lovers Lost" in der Verlagsvorschau aber dennoch, da er zur Abwechslung mit Hamburg ein deutsches Setting hat und ich sehr ...

Vampirromane gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Angesprochen hat mich "All Lovers Lost" in der Verlagsvorschau aber dennoch, da er zur Abwechslung mit Hamburg ein deutsches Setting hat und ich sehr gespannt war, wie Madeleine Puljic Blutsauger durch deutsche Städte wandeln lässt. Nach dem Lesen bin ich nun positiv davon überrascht, wie die junge Autorin die typischen Motive und Klischees beiseitegelassen und überraschende Wendungen in ihre Geschichte eingebaut hat. Alles in allem fehlte mir aber ein wenig emotionale Tiefe, um "All Lovers Lost" zu meinen Highlights zählen zu können.

Das Cover gefällt mir schonmal sehr gut. Mit dem braunen Hintergrund, den stilisierten Rosen und dem blutigen "V" des Titels kann die Gestaltung die Düsternis und das Geheimnisvolle der Geschichte sehr gut transportieren. Auch den Titel "All Lovers Lost" finde ich gelungen ausgewählt. Die Gestaltung zwischen den Buchdeckeln ist recht schlicht. Anzumerken ist nur, dass die Erzählung insgesamt in sieben Teile eingeteilt ist, die die Namen bekannter Pop- und Rockklassiker tragen, was ich eine charmante Idee finde.

Erster Satz: "Aus dem Schatten einer Seitengasse heraus beobachtete Lazar die Sterblichen, die aus der U-Bahn strömten."

"All Lovers Lost" startet zunächst recht gemächlich damit, in das Leben des jahrhundertalten und lebensmüden Vampirs Lazar und in den Alltag der quirligen Medizinstudentin Sina einzuführen. Dass der Beginn die ersten 100 Seiten braucht, um in Schwung zu kommen und wirklich zu packen hat in meinen Augen vor allem zwei Gründe: Erstens finde ich es sehr schade, dass der Klapptext schon einen sehr großen Teil der Handlung abdeckt und damit viele recht späte Ereignisse wie Sinas Verwandlung oder Lazars Tod schon vorwegnimmt. Dadurch warten wir eigentlich nur, dass diese Ereignisse eintreten und die Handlung startet. Außerdem fällt es uns mit dieser Hintergrundinformation schwer, uns auf Lazar und dessen sich sehr schnell entwickelnde Beziehung zu Sina einzulassen, die im ersten Drittel die Hauptgrundlage der Handlung darstellt.

Nach und nach entspinnt sich nach dem eher langsamen Beginn dann aber ein sehr interessantes Handlungsgefüge, das eine Vampirgeschichte mal anders erzählt. Statt wie üblich auf die Liebesgeschichte zu fokussieren und das Vampirdasein romantisch zu verklären, folgt "All Lovers Lost" einer sehr realistischen Betrachtung des Vampirmythos. Madeleine Puljic geht nicht gerade zimperlich mit ihren Figuren um - egal ob unsterblich oder nicht - und lässt diese auch sehr viel unter den Nachteilen ihres Daseins leiden. Denn nicht nur Kameras, Digitalisierung und immer einfacher verfolgbaren digitale Spuren machen es den Unsterblichen im 21. Jahrhundert schwer unentdeckt zu bleiben, zusätzlich macht auch noch der Vampirjägerorden „Vertrani in Dei Signo“ unbarmherzig Jagd auf sie. Statt die Krone der Schöpfung und der Gipfel der Nahrungskette zu sein, lässt die Autorin die Jäger der Nacht hier selbst zu Gejagten werden und fügt ihrer Handlung so spannende Krimi- und Thrillerelemente hinzu. Dazu erzählt sie in sehr kurzen Kapiteln abwechselnd aus der Sicht von Sina, Lazar, dessen unsterblichem Freund Cassius und der Vampirjägerin Ramona, die bald dasselbe Ziel haben: die Mordreihe aufzuklären, die Hamburg zerrüttet....

"All Lovers Lost" glänzt also mit einer düsteren, schaurigen Umsetzung des Vampirthemas mit einem ordentlichen Spritzer Realität. Zusätzlich ist das Setting in Hamburg auch sehr charmant umgesetzt. Egal ob Reeperbahn, die Elbphilharmonie, der Michel oder kleine Cafés - hier finden sich viele berühmte und gewöhnliche Schauplätze, die man beim Lesen wiedererkennen kann. Im Gegensatz zu den häufig gewählten Spielorten in Amerika empfand ich Hamburg als schöne Abwechslung und passende Kulisse für diesen düsteren Roman. Auch den Schreibstil der Autorin kann ich als kurzweilig loben. Etwas Probleme hatte ich nur bei der Übermittlung von Emotionen, welche im Verlauf der Geschichte nur in geringen Dosen bei mir angekommen sind. Demnach habe ich auch keine besonders inniger Verbindung zu den grundsätzlich interessanten Figuren aufgebaut. Vor allem Sina ist eine sehr solide Protagonistin, hätte an manchen Stellen aber gerne noch ein bisschen mehr emotionale Tiefe haben können. Am besten gefielen mir Lazars vampirischer Freund Cassius und Sinas beste Freundin Levke, andere Figuren wie beispielsweise auch die erzählende Ramona bleiben hingegen sehr blass und schöpfen ihr Potenzial bei Weitem nicht aus.

Trotz des liegengelassenen Potenzials zu Beginn und bezüglich der Figuren bleibt nach dem Lesen ein positiver Gesamteindruck zurück. Besonders das letzte Drittel von "All Lovers Lost" entwickelte sich in eine andere Richtung als ich zu Beginn oder nach dem Klapptext angenommen hatte, wodurch ich positiv überrascht wurde.


Fazit:


"All Lovers Lost" glänzt mit einer düsteren, schaurigen Umsetzung des Vampirthemas mit einem ordentlichen Spritzer Realität und sticht durch das deutsche Setting hervor. Gerade zu Beginn und bezüglich der Figuren lässt Madeleine Puljic jedoch Potential liegen.

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Veröffentlicht am 04.06.2022

Eine düstere, schaurige Umsetzung des Vampirthemas mit einem ordentlichen Spritzer Realität

All Lovers Lost
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Vampirromane gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Angesprochen hat mich "All Lovers Lost" in der Verlagsvorschau aber dennoch, da er zur Abwechslung mit Hamburg ein deutsches Setting hat und ich sehr ...

Vampirromane gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Angesprochen hat mich "All Lovers Lost" in der Verlagsvorschau aber dennoch, da er zur Abwechslung mit Hamburg ein deutsches Setting hat und ich sehr gespannt war, wie Madeleine Puljic Blutsauger durch deutsche Städte wandeln lässt. Nach dem Lesen bin ich nun positiv davon überrascht, wie die junge Autorin die typischen Motive und Klischees beiseitegelassen und überraschende Wendungen in ihre Geschichte eingebaut hat. Alles in allem fehlte mir aber ein wenig emotionale Tiefe, um "All Lovers Lost" zu meinen Highlights zählen zu können.

Das Cover gefällt mir schonmal sehr gut. Mit dem braunen Hintergrund, den stilisierten Rosen und dem blutigen "V" des Titels kann die Gestaltung die Düsternis und das Geheimnisvolle der Geschichte sehr gut transportieren. Auch den Titel "All Lovers Lost" finde ich gelungen ausgewählt. Die Gestaltung zwischen den Buchdeckeln ist recht schlicht. Anzumerken ist nur, dass die Erzählung insgesamt in sieben Teile eingeteilt ist, die die Namen bekannter Pop- und Rockklassiker tragen, was ich eine charmante Idee finde.

Erster Satz: "Aus dem Schatten einer Seitengasse heraus beobachtete Lazar die Sterblichen, die aus der U-Bahn strömten."

"All Lovers Lost" startet zunächst recht gemächlich damit, in das Leben des jahrhundertalten und lebensmüden Vampirs Lazar und in den Alltag der quirligen Medizinstudentin Sina einzuführen. Dass der Beginn die ersten 100 Seiten braucht, um in Schwung zu kommen und wirklich zu packen hat in meinen Augen vor allem zwei Gründe: Erstens finde ich es sehr schade, dass der Klapptext schon einen sehr großen Teil der Handlung abdeckt und damit viele recht späte Ereignisse wie Sinas Verwandlung oder Lazars Tod schon vorwegnimmt. Dadurch warten wir eigentlich nur, dass diese Ereignisse eintreten und die Handlung startet. Außerdem fällt es uns mit dieser Hintergrundinformation schwer, uns auf Lazar und dessen sich sehr schnell entwickelnde Beziehung zu Sina einzulassen, die im ersten Drittel die Hauptgrundlage der Handlung darstellt.

Nach und nach entspinnt sich nach dem eher langsamen Beginn dann aber ein sehr interessantes Handlungsgefüge, das eine Vampirgeschichte mal anders erzählt. Statt wie üblich auf die Liebesgeschichte zu fokussieren und das Vampirdasein romantisch zu verklären, folgt "All Lovers Lost" einer sehr realistischen Betrachtung des Vampirmythos. Madeleine Puljic geht nicht gerade zimperlich mit ihren Figuren um - egal ob unsterblich oder nicht - und lässt diese auch sehr viel unter den Nachteilen ihres Daseins leiden. Denn nicht nur Kameras, Digitalisierung und immer einfacher verfolgbaren digitale Spuren machen es den Unsterblichen im 21. Jahrhundert schwer unentdeckt zu bleiben, zusätzlich macht auch noch der Vampirjägerorden „Vertrani in Dei Signo“ unbarmherzig Jagd auf sie. Statt die Krone der Schöpfung und der Gipfel der Nahrungskette zu sein, lässt die Autorin die Jäger der Nacht hier selbst zu Gejagten werden und fügt ihrer Handlung so spannende Krimi- und Thrillerelemente hinzu. Dazu erzählt sie in sehr kurzen Kapiteln abwechselnd aus der Sicht von Sina, Lazar, dessen unsterblichem Freund Cassius und der Vampirjägerin Ramona, die bald dasselbe Ziel haben: die Mordreihe aufzuklären, die Hamburg zerrüttet....

"All Lovers Lost" glänzt also mit einer düsteren, schaurigen Umsetzung des Vampirthemas mit einem ordentlichen Spritzer Realität. Zusätzlich ist das Setting in Hamburg auch sehr charmant umgesetzt. Egal ob Reeperbahn, die Elbphilharmonie, der Michel oder kleine Cafés - hier finden sich viele berühmte und gewöhnliche Schauplätze, die man beim Lesen wiedererkennen kann. Im Gegensatz zu den häufig gewählten Spielorten in Amerika empfand ich Hamburg als schöne Abwechslung und passende Kulisse für diesen düsteren Roman. Auch den Schreibstil der Autorin kann ich als kurzweilig loben. Etwas Probleme hatte ich nur bei der Übermittlung von Emotionen, welche im Verlauf der Geschichte nur in geringen Dosen bei mir angekommen sind. Demnach habe ich auch keine besonders inniger Verbindung zu den grundsätzlich interessanten Figuren aufgebaut. Vor allem Sina ist eine sehr solide Protagonistin, hätte an manchen Stellen aber gerne noch ein bisschen mehr emotionale Tiefe haben können. Am besten gefielen mir Lazars vampirischer Freund Cassius und Sinas beste Freundin Levke, andere Figuren wie beispielsweise auch die erzählende Ramona bleiben hingegen sehr blass und schöpfen ihr Potenzial bei Weitem nicht aus.

Trotz des liegengelassenen Potenzials zu Beginn und bezüglich der Figuren bleibt nach dem Lesen ein positiver Gesamteindruck zurück. Besonders das letzte Drittel von "All Lovers Lost" entwickelte sich in eine andere Richtung als ich zu Beginn oder nach dem Klapptext angenommen hatte, wodurch ich positiv überrascht wurde.


Fazit:


"All Lovers Lost" glänzt mit einer düsteren, schaurigen Umsetzung des Vampirthemas mit einem ordentlichen Spritzer Realität und sticht durch das deutsche Setting hervor. Gerade zu Beginn und bezüglich der Figuren lässt Madeleine Puljic jedoch Potential liegen.

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Veröffentlicht am 21.05.2022

KRASS KRASS KRASS!

Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl
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Mit "Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl" ist letzte Woche endlich der zweite Teil der Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness erschienen, welcher die Geschichte von Todd und Viola weiterspinnt und ...

Mit "Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl" ist letzte Woche endlich der zweite Teil der Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness erschienen, welcher die Geschichte von Todd und Viola weiterspinnt und abermals ins dystopische New World führt. Nachdem Lesen bin ich nun emotional gefangen zwischen Entsetzen und Faszination, Enttäuschung und Begeisterung und weiß nur, dass das, was auf diesen 592 Seiten passiert ist KRASS KRASS KRASS ist!

Wem die Handlung, der Autor oder die Namen der Figuren bekannt vorkommen: Patrick Ness´ Trilogie ist schon 2009 unter den Namen "New World - Die Flucht", "New World - Das dunkle Paradies" und "New World - Das brennende Messer" im Ravensburger Buchverlag erschienen. Schon im Januar 2021 ist Band 1 der Reihe erneut bei cbt erschienen und trug ein Filmcover passend zur Verfilmung von Lionsgate mit Tom Holland und Daisy Ridley (HIER geht´s übrigens zur Filmkritik). Band 2 ist nun stark an der Originalausgabe orientiert und zeigt den Titel in großen, weißen Buchstaben, welcher sich vom dunklen Hintergrund mit wildem Buchstabengekritzel in einem interessanten Kontrast abhebt. Auch wenn mir sowohl der Kontrast als auch die optisch und haptisch hervorgehobenen Buchstaben des Hintergrund gut gefallen und ich auch den Untertitel "Es gibt immer eine Wahl" treffend gewählt finde, sind drei Dinge an der Gestaltung schade. Erstens passt die äußere Gestaltung des zweiten Teils schlecht zum ersten (wobei die Paperbacks immerhin dieselbe Größe haben). Zweitens wäre statt des großen, blauen "C"s eher ein "A" wie auf der Originalausgabe angebracht gewesen, da dies inhaltlich besser zur Geschichte passen würde und drittens gibt es keinen treffenderen Titel als den Originaltitel "The Ask and the Answer".

Erster Satz: "Dein Lärm verrät dich, Todd Hewitt."

Dafür gefällt mir die innere Gestaltung dieser Fortsetzung ein wenig besser als die des ersten Teils. Genau wie in "Chaos Walking 1" ist auch hier der sogenannte "Lärm" der männlichen Bewohner von New World als wildes Gekritzel in unterschiedlichen Schriftarten quer über die Seiten dargestellt und der Wechsel der Erzählperspektiven zwischen den beiden Hauptfiguren wird ebenfalls durch einen Wechsel der Schriftart deutlich gemacht. Genau wie in Band 1 hat Patrick Ness seine Handlung wieder in sechs übergeordnete Abschnitte eingeteilt, welche wiederum in 42 Kapitel inklusive eines unnummerierten Prologs und Epilogs unterteilt sind. Zusätzlich erleichtert uns eine kurze "Was bisher geschah"-Zusammenfassung den Einstieg.

Zeitlich knüpft diese Fortsetzung punktgenau an das Ende des ersten Bandes an und erzählt, was passiert, nachdem Todd und Viola sich mit letzter Kraft nach Haven geschleppt haben, nur um dort statt ihrer Rettung Bürgermeister Prentiss vorzufinden, der die Stadt unter seine Gewalt gebracht hat und ein "New Prentisstown" nach seinen Vorstellungen errichtet. Schnell stellt sich unter dem Regime der fremden Armee eine gewisse Normalität ein und die Bürger von Haven scheinen den Machtwechsel erstaunlich gelassen zu sehen. Viola, die nach ihrer gefährlichen Schussverletzung in einem Haus der Heilung behandelt werden muss, bemerkt aber, dass sich vor allem unter den unterdrückten Frauen im Geheimen Widerstand sammelt. Während Bürgermeister Prentiss, der sich zum Präsidenten ausgerufen hat, versucht, Todd für seine Zwecke einzuspannen, wird Viola von der Heilerin Mistress Coyle für die sogenannte "Antwort" rekrutiert, die Prentiss´ Willkür entgegentritt. Todd versucht sich still zu verhalten, um endlich Viola besuchen zu dürfen und Viola ist sich sicher, mit dem stillen Protest den BürgerInnen von Haven zu helfen. Doch dann fallen die ersten Bomben und die beiden finden sich auf entgegengesetzten Seiten eines Bürgerkriegs wieder, den keiner von ihnen jemals wollte...

Viola: "Wir können die Welt retten", sage ich und versuche zu lächeln. "Du und ich."

Während in Band 1 mit dem Bürgermeister Prentiss und seinen Männern die Antagonisten klar festgelegt waren, wird es in Band 2 deutlich komplizierter, da sich in New Prentisstown blitzschnell zwei Fronten auftun. Spätestens als es auf beiden Seiten die ersten Opfer gibt und Todd und Viola zu Schlimmem gedrängt werden, ist klar, dass man mit einer Unterteilung in "gut" und "böse" hier nicht mehr weiterkommt. Stattdessen beginnen wir uns zu fragen, welche Seite nun das geringere Übel darstellt und sind gemeinsam mit den beiden Hauptfiguren perplex, wie es überhaupt zu einer derartigen Eskalation kommen konnte. Ich hatte sehr geringe Erwartungen und noch weniger Ideen davon, in welche Richtung sich die Geschichte nach dem offenen Ende von Band 1 weiterentwickeln würde, dass wir es hier mit einem blutigen Bürgerkrieg voller Psychospielchen, Populismus, Genozid, Terrorismus und Grausamkeit zu tun bekommen würden, hätte ich aber nicht in tausend Jahren gedacht. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen meiner großen Überraschung kann ich nur meinen Hut vor Patrick Ness ziehen, der hier auf interessante Art und Weise davon erzählt, wie sich scheinbar aus dem Nichts ein Krieg entwickeln und wie eine ganze Zivilisation von den Ideen einzelner gelenkt untergehen kann. Neben den erschreckenden Entgleisungen befasst sich der Autor auch auf eindringliche Art und Weise mit den Themen Gehorsam, Verantwortung, Moral, Macht und Menschlichkeit und legt damit den Finger in eine aufgrund des aktuellen Weltgeschehens offene Wunde.

Viola: "Er hätte es nicht tun können, wenn er bleiben wollte, wer er war, wenn er Todd Hewitt bleiben wollte. Der Junge, der nicht töten kann. Der Mann, der nicht töten kann. Wir haben die Wahl, was aus uns wird."

Leider müssen wir aufgrund des Themas über die beinahe 600 Seiten hinweg sehr viele Grausamkeit ertragen. Folter, sexuelle Übergriffe, Verstümmelung, Entwürdigung, Unterdrückung und gezielter Mord - die hier beschriebenen Verbrechen gegenüber Menschen (insbesondere Frauen), aber auch gegenüber der einheimischen Bevölkerung des Planeten, den Spackle ist kaum zu ertragen und unterstreicht erneut, dass "Chaos Walking" trotz des jungen Alters der Hauptfiguren kein Kinder- oder Jugendbuch ist! Auch das Leiden der beiden Hauptfiguren trägt zu dringlichen, düsteren, unter die Haut gehenden Atmosphäre der Geschichte bei. Nachdem die beiden in Band 1 eine strapaziöse Flucht vor dem wütenden Mob aus Prentisstown überstehen mussten, geht aufgrund des explosiven Bürgerkriegs ihr ständiger Kampf ums Überleben nahtlos weiter. Auch hier leiden und bluten und schwitzen und kämpfen die Figuren ohne Pause und wenn man gerade gedacht hat, sie haben es endlich geschafft, sind entkommen, sind in Sicherheit, dann leiden, bluten, schwitzen und kämpfen sie noch ein kleines bisschen mehr. Was die beiden durchmachen müssen, was sie aufgeben müssen, um am Leben zu bleiben und wie sehr sie ihre Würde, ihre Menschlichkeit und ihre Unschuld füreinander und für das, was sie für richtig halten, opfern, tut noch mehr weh, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die Figuren mit 14/15 Jahren wahnsinnig jung sind.

Todd: "Dabei vergisst er aber", fährt sie fort, "dass Todd und ich gemeinsam über den halben Planeten geflohen sind. Ganz allein. Wir sind mit einem irrsinnigen Prediger fertig geworden. Wir sind einer ganzen Armee davongelaufen, wir haben es überlebt, dass man auf uns geschossen, uns geschlagen und gehetzt hat. Und immer sind wir, verdammt noch mal, am Leben geblieben. Man hat uns nicht in die Luft gejagt, man hat uns nicht zu Tode gefoltert, wir sind nicht im Krieg umgekommen." Sie nimmt Lees Hand und stützt sich jetzt nur noch auf mich. "Ich und Todd? Wir beide gemeinsam gegen den Bürgermeister?" Sie lächelt. "Er hat nicht die geringste Chance."

Diese Leidensintensität hat das Lesen zwar nicht gerade angenehm gestaltet, die Spannung aber immer hochgehalten und dafür gesorgt, dass trotz einiger Wiederholungen keine Leseflaute aufkommt. Ebenfalls zur konstant hohen Spannung beigetragen hat, dass das Buch seine Geheimnisse bis fast ganz zum Schluss für sich behält und kaum mehr als kümmerliche Andeutungen und Raum für Spekulationen bereithält. Was ist der Plan von Bürgermeister Prentiss? Wie kann er den Lärm kontrollieren? Was hat es mit der Medizin auf sich? Was ist im Spackle-Krieg passiert? Wann, woher und weshalb kommen die Siedler nach New World? Und allen voran: wem kann man vertrauen? Das Setting bleibt also genauso undurchsichtig und verwirrend wie in Band 1, wird hier aber weiter ausgebaut.

Wie bereits in der Rezension zu Band 1 erklärt, hat der Autor für seine Geschichte ein außerirdisches, sehr ursprüngliches, naturbelassenes Setting gewählt, das an das unkolonialisierte Amerika erinnert, nur dass die Weiten der Landschaft nicht von grasenden Büffeln, sondern von seltsamen Geschöpfen wie die vogelstraußartigen "Cassors" oder laut die "HIER!"-denkenden "Viecher" bewohnt werden. Darüber hinaus können alle Lebewesen sprechen (die Komplexität und Aussagekraft deren Kommunikation schwankt aber beachtlich) und wir treffen auf die einheimische intelligente Spezies der Spackle, die wir in den Freund-Feind-Kontext einordnen müssen. Das bäuerliche Siedler-Leben wiederum wird gepaart mit allerlei technischen Errungenschaften, sodass Schaffarmen, abgestürzte Raumschiffe, Atomfahrräder und Wunderheilverbände oft innerhalb einer einzigen Seite vorkommen. Der Fluch der Viellesenden ist, dass man fast jede Idee, jede mögliche Welt, jede Wendung und jede Figur schon in ähnlicher Weise irgendwo gelesen hat. Einfallsreichtum und Originalität sind demnach zwei sehr entscheidende Kriterien für meine Bewertungen - vor allem in den Genres Fantasy und Science-Fiction. Beurteilt man "Chaos Walking" nur nach diesen beiden Kriterien, sprengt diese verrückte Geschichte über den Gedankenlärm fanatischer Siedler in einer außerirdischen Welt also wohl die Messlatte.

Todd: "Ich habe nur Befehle befolgt", äfft der Bürgermeister mich nach. "Dieser Satz dient Schurken seit ewigen Zeiten als Ausrede."

Patrick Ness erzählt seine Geschichte abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Todd und Viola und nutzt dabei sehr viele direkte Gedanken. die manchmal in langen Satzreihen mit vielen Absätzen oder fließenden Nebensätzen beinahe gedankenstromartig aus dem jungen Erzähler herausströmen. Wie beim "Lärm" - der innovativen, aber gruseligen Grundidee der Geschichte - scheint es hier keinen Filter zu geben, sodass sich die Erzählung sehr erlebnisnah liest, man mit einigen sehr dysfunktionalen, manchmal auch gewalttätigen Gedanken aber auch hadert. Diese Art der Erzählweise reißt zwar mit, man ist dem was passiert aber auch ausgeliefert. Genauso ist es auch mit dem allgemeinen Sprachstil, der recht derb und direkt ist und sich kaum Zeit für Beschönigungen, Erklärungen oder Beschreibungen nimmt. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Todd uns LeserInnen an einigen Stellen direkt anspricht, indem er Fragen stellt, sein Verhalten erklärt oder sich rechtfertigt. So ist man schon recht bald in einem Zwiespalt zwischen dem Drang, sich etwas von Handlung und Erzähler zu distanzieren und dem mitreißenden Sog durch die erlebnisnahe Erzählweise. Einige fantastische Horrorelemente - Grusel-Sümpfe, die mystische Überlegenheit Prentiss´, der zombiehafte Spackle 1017 - tun ihr übriges und feuern die mulmige, düstere Atmosphäre weiter an. Man kann also festhalten, dass die Geschichte alles andere als schön zu lesen ist, dabei aber in einem Maße spannend, dass man sich kaum losreißen kann!

Viola: "Der Bürgermeister hat Unrecht. Er wird niemals Recht behalten. Es stimmt nicht, dass man niemals etwas so lieben darf, dass es Macht über einen gewinnt. Im Gegenteil, man muss etwas oder jemanden so sehr lieben, dass nichts anderes Macht über einen gewinnen kann. Das ist keine Schwäche. Es ist die größte Stärke, die man besitzen kann."

Ebenfalls in einen starken Zwiespalt gedrängt haben mich die beiden Hauptprotagonisten, welche von der Handlung stark auf die Probe gestellt werden und deren Sympathiewerte ordentlich ins Wanken gekommen sind. Auch wenn beide einige furchtbare Dinge tun, die ich ihnen nicht verzeihen kann (und sie selbst sich auch nicht) und ich vor allem Todd an einigen Stellen fast gehasst habe, ist es Patrick Ness´ große Stärke, hinterrücks dafür zu sorgen, dass man die Figuren trotz allem lieben muss. Denn all die Verfehlungen, all die Handlungen, all die Entscheidungen, all die Gefühle sind so menschlich und nachvollziehbar geschildert, dass man sich nie ganz sicher sein kann, dass man in der Situation nicht anders gehandelt hätte. Ich denke, dass jeder von uns davon überzeugt ist (oder zumindest stark hofft), in Situationen großer Ungerechtigkeit oder Grausamkeit nicht einfach nur dazustehen, sondern sich laut für die Wahrheit einzusetzen und NEIN zu sagen. Dadurch dass wir Viola und Todd trotz ihrer Fehler und Schwäche verstehen können, stellt genau diese intrinsische Überzeugung aber in Frage, was natürlich unbequem ist und weh tut - aber eben auch dringend notwendig ist, um uns in der Realität vor Gleichmut und Abstumpfung zu schützen. Somit ist "Chaos Walking" auch ein Buch über Freundschaft, über Liebe und über Entscheidungen. Denn egal in welcher Situation wir uns befinden sind es doch unsere Entscheidungen, die uns zu dem machen, was wir sind und schon mit dem Untertitel dieser Fortsetzung mahnt Patrick Ness zur Vorsicht und schreibt jedem einzelnen Verantwortung zu: "Es gibt immer eine Wahl"

Ganz objektiv betrachtet müsste ich der Geschichte für den meisterhaften Schreibstil, die originelle Grundidee, die schneidende Gesellschaftskritik, die irrsinnig hohe Spannung und die menschlichen Figuren, die uns selbst den Spiegel vorhalten also mindestens 4,5 Sterne zuschreiben. Leider funktionieren Rezensionen aber nun mal nicht als rein objektive Einschätzung und da mein subjektiver Eindruck der Geschichte eben auch sehr von Abneigung, Entsetzen und Angst geprägt war, kann ich keine solche Spitzenbewertung für diesen Roman vergeben. "Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl" ist die Art von Geschichte, die man beim Lesen am liebsten an die Wand werfen würde. Alle Figuren sind auf ihre eigene Art und Weise kaputt und deren endloses Leiden fühlt sich vor dem Hintergrund, dass es sich hier um Kinder handelt, noch furchtbarer an. Was Menschen einander antun können ging mir viel zu nahe, hat mich verstört und verängstigt und sich für meinen Geschmack viel zu real angefühlt. Und ja, ich weiß, dass das für die Handlung, für den Schreibstil des Autors und für dessen Art, diese Geschichte zu erzählen spricht, für die Flut an negativen Gefühlen, die beim Lesen bei mir ausgelöst wurde, muss ich aber trotzdem eineinhalb Sterne abziehen.

Da die Geschichte sehr offen und damit auch sehr frustrierend endet, werde ich so bald wie möglich zum Finale greifen und bin schon sehr gespannt, was darin noch auf Todd, Viola und uns zukommt. Band 3, "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" erscheint im Januar 2023, falls ich es bis dorthin nicht aushalte, werde ich wohl einfach zur englischen Ausgabe greifen.

Todd: "Beherrsche deinen Lärm und du beherrschst dich selbst. Und wer sich selbst beherrscht", er schiebt das Kinn vor, "kann die Welt beherrschen".



Fazit:


"Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl" ist eine düstere und vielschichtige Geschichte über Populismus, Gehorsam, Verantwortung, Moral, Macht, Krieg, Genozid, Terrorismus, Menschlichkeit und die Macht unserer Entscheidungen. Objektiv betrachtet müsste ich der Geschichte für den meisterhaften Schreibstil, die originelle Grundidee, die schneidende Gesellschaftskritik, die irrsinnig hohe Spannung und die menschlichen Figuren, die uns selbst den Spiegel vorhalten also mindestens 4,5 Sterne vorschreiben. Subjektiv muss ich jedoch warnen, dass die Geschichte alles andere als schön zu lesen ist und neben einem Gefühl der Faszination auch Entsetzen, Angst und Verstörung in mir ausgelöst hat.

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