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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.08.2022

Ungewöhnlich und märchenhaft

Schlangen im Garten
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"Junge mit schwarzem Hahn" habe ich sehr gern gelesen, das Buch war ungewöhnlich und faszinierend. Deshalb war ich auch gespannt auf das neue Werk von Stefanie von Schulte, das sich um ein ganz anderes ...

"Junge mit schwarzem Hahn" habe ich sehr gern gelesen, das Buch war ungewöhnlich und faszinierend. Deshalb war ich auch gespannt auf das neue Werk von Stefanie von Schulte, das sich um ein ganz anderes Thema dreht, aber das Märchenhafte noch deutlicher hervortreten lässt.
Johanne ist gestorben, sie hinterlässt ihrem Mann Adam und die Kinder Steve, Linne und Micha. Die Trauer der Familie ist grenzenlos und scheint Außenstehenden maßlos. Sogar das Traueramt in Gestalt von Herrn Ginster muss sich einschalten und die Familie auf eine geordnete Trauerarbeit hinweisen. Was, wenn jede/r so trauern würde, wie es ihm passt?? Doch die Familie rückt näher zusammen und es tauchen Menschen auf, die Johanne gekannt haben (oder glauben sie gekannt zu haben) und gemeinsam kann man allen Anfeindungen und Katastrophen trotzen.
Was ist Trauer? Wie trauert man? Gibt es allgemeingültige Rezepte? Diesen Fragen geht Stefanie von Schulte in ihrem Buch nach. Sie tut das mit der ihr eigenen präzisen und liebevollen Sprache, ihre Sätze sind wie aus Alabaster geschnitzt, jedes Wort sitzt am richtigen Platz. Sie schreibt sensibel und berührend, man erlebt die Geschichte der Familie mit. Dabei gleitet sie immer wieder ins Märchenhafte ab, es geschehen die unwahrscheinlichsten Dinge. Sie wird allerdings niemals esoterisch-schwurbelig, sondern schrammt immer haarscharf an der Wirklichkeit vorbei.
Mit hat das Buch sehr gut gefallen, es ist so ganz anders als alle Bücher, die ich sonst lese und eine gute Erfahrung.

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Veröffentlicht am 24.08.2022

Auf den Spuren der Geschichte

Isidor
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Zuerst einmal gefiel mir das wunderschöne Cover mit dem Reh, das in einer vornehmen Zimmerflucht steht. Warum dieses Reh dort steht, das erfährt man aber erst am Ende des Buches.
Shelly Kupferberg hat ...

Zuerst einmal gefiel mir das wunderschöne Cover mit dem Reh, das in einer vornehmen Zimmerflucht steht. Warum dieses Reh dort steht, das erfährt man aber erst am Ende des Buches.
Shelly Kupferberg hat eine beeindruckende Biografie über ihren Urgroßonkel Dr. Isidor Geller geschrieben. Geboren wurde er als Isaak in einem kleinen galizischen Dorf, die Kindheit war ärmlich, denn der Vater war zwar ein kluger jüdischer Gelehrter, verdiente aber kein Geld und die Mutter musste die Familie als Tagelöhnerin über Wasser halten. Die Kinder bekamen trotz aller Not eine gute Ausbildung und zogen dann nach Wien, wohin ihre Mutter ihnen nach dem Tod des Vaters folgte. Alle wurden erfolgreich, besonders Isidor, der sich einen guten Namen als Vermögensberater machte und schließlich zum Kommerzialrat ernannt wurde. Doch dann kamen die Nazis...
Shelly Kupferbergs Blick auf ihre Familie ist präzise, aber auch liebevoll. Sie hat akribisch an Hand alter Dokumente die Geschichte der Geschwister erforscht, ist dabei auf allerlei Neues gestoßen und zeichnet ein lebendiges Bild vom Leben im armen Galizien und im großbürgerlichen Wien.
Die Familie Geller steht dabei sicherlich beispielhaft für viele jüdische Familien in der Donaumetropole, die sich in ihrem Land sicher fühlten und nicht fliehen wollten, als es noch früh genug war. Und dann war es für viele zu spät, so auch für Onkel Isidor.
Ein sehr beeindruckendes Buch!

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Veröffentlicht am 08.07.2022

Ungewöhnlicher Krimi aus Israel

Drei
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Gil ist Rechtsanwalt in Tel Aviv und er ist auf der Suche nach Frauen. Obwohl er verheiratet ist und zwei Töchter hat, sucht er immer wieder den Kontakt zu Frauen, aber dabei geht es nicht in erster Linie ...

Gil ist Rechtsanwalt in Tel Aviv und er ist auf der Suche nach Frauen. Obwohl er verheiratet ist und zwei Töchter hat, sucht er immer wieder den Kontakt zu Frauen, aber dabei geht es nicht in erster Linie um Sex, sondern er braucht die Bestätigung und Bewunderung. Orna ist frisch geschieden, ihr Mann hat eine neue Frau und lebt in Nepal und Orna sucht Kontakt über ein Dating-Portal. Emilia ist Altenpflegerin aus Lettland, sie ist einsam und sucht jemanden, der ihr zuhört. Beide Frauen begehen angeblich Selbstmord. Ella studiert und trifft Gil in einem Café, wird sie das gleiche Schicksal ereilen?

Obwohl man weiß, dass Gil die beiden Frauen ermordet hat, ist das Buch doch bis zum letzten Moment spannend und sehr gut geschrieben. Mishanis Stil ist eher nüchtern und reportagehaft, aber das passt zu dem Buch. Im dritten Teil wechselt er in den Konjunktiv, auch dadurch merkt man, dass in diesem Fall etwas anders ist. Mishani taucht tief in die Welt der beiden Frauen ein, ihre Gedanken und Sorgen werden ernst genommen und intensiv geschildert. Man ist den beiden Frauen sehr nah. Bei Ella gelingt das nicht ganz so gut, weil sie Gil eher auf Distanz hält. Das Buch ist insgesamt sehr raffiniert aufgebaut.

Ich hatte bisher noch kein Buch von Mishani gelesen, aber dieses hat mir sehr gut gefallen und ich werde sicher noch mehr von ihm lesen.

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Veröffentlicht am 06.06.2022

Spannende Tragödie

City on Fire
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Don Winslow hat kürzlich verkündet, dass er keine Bücher mehr schreiben wird, sondern sich ganz dem Kampf gegen den Trumpismus zuwenden will, den er auch schon in der Vergangenheit auf vielen Kanälen führte. ...

Don Winslow hat kürzlich verkündet, dass er keine Bücher mehr schreiben wird, sondern sich ganz dem Kampf gegen den Trumpismus zuwenden will, den er auch schon in der Vergangenheit auf vielen Kanälen führte. Das wäre schade, denn sein neuer Auftaktband der Trilogie um Danny Ryan ist hervorragend und ich würde ungern auf seine Bücher verzichten.
Danny Ryan ist ein Mitglied der irischen Mafia in Providence, Rhode Island. Sein Vater war einst der Chef des irischen Clans, der immer wieder gegen die italienische Mafia kämpfen musste. Doch nun hat die Familie Murphy das Ruder übernommen, Ryan führt ein einigermaßen geordnetes Leben und das soll auch so bleiben. Doch dann taucht Pam auf, eine wunderschöne junge Frau, die den Testosteronspiegel bei den jungen Mafiosi beider Seiten in ungeahnte Höhen schießen lässt. Es beginnt ein brutaler Bandenkrieg, der von beiden Seiten mit ungeahnter Härte geführt wird. Und Ryan muss sich entscheiden.
Wie schon in der Art-Keller-Trilogie schreibt Winslow auch hier hart, grausam und sehr spannend. Während im ersten Teil die Fronten geklärt werden, rutschen die beiden Parteien in den beiden nächsten Buchteilen unaufhaltsam in den Krieg. Winslow beschreibt das wie eine unausweichliche griechische Tragödie. Auch wenn man das Beste will, so misslingt es doch immer und beide Seiten geraten tiefer in Schwierigkeiten. Man kann niemandem mehr trauen, die Staatsmacht mischt sich ein und will Verräter. Das ist hervorragend beschrieben, Winslow kennt sich aus mit den psychologischen Aspekten der Eskalation.
Ich habe das Buch fast atemlos bis zum Schluss gelesen und bin sehr gespannt auf den nächsten Band.

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Veröffentlicht am 31.03.2022

Großartige Literatur

Der große Fehler
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In diesem Buch geht es um einen fast vergessenen großen Amerikaner. Ohne Andrew Haswell Green sähe New York heute anders aus. Er war ein wichtiger Stadtplaner und Rechnungsprüfer, leitete die Bauarbeiten ...

In diesem Buch geht es um einen fast vergessenen großen Amerikaner. Ohne Andrew Haswell Green sähe New York heute anders aus. Er war ein wichtiger Stadtplaner und Rechnungsprüfer, leitete die Bauarbeiten für den Central Park und die Public Library, sorgte für den Zusammenschluss von Manhattan und Brooklyn zu "Greater New York".

Jonathan Lee schreibt eine freie Biografie zu diesem aufregenden Leben, beginnend mit der Ermordung Greens im Jahr 1903, ein Mord, der auf einer Verwechslung beruht.

Green wuchs in einfachen Verhältnissen in Massachusetts auf, sein Vater schickte ihn mit 13 Jahren zum Geld verdienen in einen einfachen Kaufmannsladen nach New York. Lange Zeit suchte er seinen Weg, war bildungshungrig und fleißig. Die Begegnung mit dem wohlhabenden Samuel Tilden ändert sein Leben vollkommen. Die beiden Männer fühlen sich zueinander hingezogen, dürfen das aber nicht zeigen, zumal Tilden politische Ambitionen hat. Schließlich gelingt es Greene Rechtsanwalt zu werden und zugleich macht er sich in der Stadt mit seinen Ideen unentbehrlich. Trotzdem fühlt er sich sein Leben lang wie ein Eindringling, der eigentlich nicht in die vornehme Gesellschaft gehört. An ihn erinnert einzig eine einsam gelegene Bank im Central Park. Das wird sich hoffentlich nach diesem Buch ändern!

Die Ermittlungen zu dem Mordfall werden im Hintergrund ebenfalls beschrieben, aber es handelt sich nicht um einen Krimi.

Jonathan Lee hat ein wunderbares Buch über diesen Außenseiter geschrieben. Seine Sprache ist melodisch und präzise, fein gedrechselte Sätze begeisterten mich immer wieder. Er kommt der Hauptperson nahe, ohne indiskret zu sein und als Leser fühlt man mit dem einsamen Mann.

Besonders gelungen finde ich wieder einmal das Titelbild. Der Elefant spielt eine Rolle im Leben des Ermittlers McClusky, er erinnert aber auch an den Satz "Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten!" und die feine Zeichnung seiner Oberfläche mit einem Teil des Stadtplans von New York macht das Bild sehr vielschichtig. Absolut passend!

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