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Veröffentlicht am 08.10.2022

Solider Krimi, gern gelesen

Mutterherz
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Zum ersten Mal "Rizzoli & Isles" in Buchform, und das kollektive Köpfeschütteln in der Leserunde ließ nicht lange auf sich warten: Mit "Mutterherz" hätte ich lieber nicht beginnen sollen. Das sei so gar ...

Zum ersten Mal "Rizzoli & Isles" in Buchform, und das kollektive Köpfeschütteln in der Leserunde ließ nicht lange auf sich warten: Mit "Mutterherz" hätte ich lieber nicht beginnen sollen. Das sei so gar kein "typischer Gerritsen" - um Seite 200 herum wussten nämlich ausnahmslos alle, wo der Hase langläuft...
Dennoch - Das Buch aufzuschlagen war ein bisschen wie ein Treffen mit guten Bekannten. Ich war überrascht, wie schnell mir die Charaktere wieder vor Augen standen, so sehr entsprechen die Serienfiguren denen im Roman.

Die Handlung ist spannend inszeniert, der Plot auf verschiedenen Zeitebenen gekonnt verschachtelt. Eine junge Frau wird angefahren und schwer verletzt, der Täter begeht Fahrerflucht. Gegenüber von Angela Rizzoli zieht ein verdächtiges Paar ein, kurz bevor in der Nachbarschaft ein junges Mädchen verschwindet, und eine Bostoner Krankenschwester wird in ihrer Wohnung brutal ermordet. Gerichtsmedizinerin Maura Isles und Detective Jane Rizzoli haben alle Hände voll zu tun und letztere muss zudem noch ständig ihre Mutter zurückpfeifen, die sich im Fall der mysteriösen Nachbarn und des verschwundenen Teenagers ein bisschen zu sehr ins Zeug legt.
Angela Rizzoli kam ich als Lesende recht nah. Sie ist die einzige Figur, die mit längeren eigenen Passagen als Ich- Erzählerin auftritt und sich ausgesprochen gern und ehrlich mitteilt. Alles sehr sympathisch, doch vielleicht war es des Guten zu viel, denn es zieht die Spannung aus dem Thriller und alles zusammen in die Länge. Andere Figuren, wie etwa Maura Isles, kamen nach meinem Geschmack deutlich zu kurz.
Kurz nach der Hälfte ahnt man, worauf das Ganze hinausläuft, und hibbelt nun umso mehr der Auflösung und allen noch unklaren Details entgegen, darauf hoffend, dass die richtigen Leute endlich die richtigen Schlüsse ziehen.
Trotz des etwas flach geratenen Spannungsbogens habe ich diesen Fall gern gelesen. Der Schreibstil, das Setting, die Figurenzeichnung - alles stimmt. Die Schlagfertigkeit und Schlüssigkeit
der Dialoge und Gespräche habe ich sehr genossen und mich oft amüsiert.
Und am Ende wartet Tess Gerritsen dann doch noch mit einer Überraschung auf, die niemand im Blick hatte...

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Veröffentlicht am 06.09.2022

Psychologisch raffiniert

Die rätselhaften Honjin-Morde
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Japans Antwort auf Agatha Christie“, schrieb der Guardian, und das völlig zu Recht. Wer die Detektivgeschichten der Queen of Crime liebt, wird sich ebenso freuen, Bekanntschaft mit Privatermittler ...

Japans Antwort auf Agatha Christie“, schrieb der Guardian, und das völlig zu Recht. Wer die Detektivgeschichten der Queen of Crime liebt, wird sich ebenso freuen, Bekanntschaft mit Privatermittler Kosuke Kindaichi zu schließen. Zumal dies eine Langzeitbeziehung werden könnte, denn sein Schöpfer Seishi Yokomizo (1902-1981) war nicht nur ein Zeitgenosse Agatha Christies, sondern auch genauso produktiv. Allein 77 Fälle gab er seinem leicht stotternden, aber selbstbewussten Detektiv zu knacken, nun haben die @aufbau_verlage (Blumenbar) den ersten Band auf Deutsch herausgebracht, ganz wunderbar im Ton der Zeit übersetzt von Ursula Gräfe.

Zum Inhalt: Winter 1937. Im Honjin der wohlhabenden Familie Ichiyanagi werden bald die Hochzeitsglocken läuten. Der unnahbar wirkende älteste Sohn hat eine Braut gewählt, und ganz Okamura ergeht sich aufgekratzt in Klatsch und Tratsch. Doch auf das große Fest folgt noch größeres Entsetzen. In der Hochzeitnacht weckt ein Schrei die Familie, die kurz darauf das Brautpaar brutal erdolcht vorfindet. Die Tatwaffe, ein blutiges Samurai-Schwert, steckt im frisch gefallenen Schnee vor den verschlossenen Fenstern des Schlafgemachs. Dass auch dieses verschlossen und die örtliche Polizei entsprechend überfordert ist, muss vermutlich nicht erwähnt werden…
Ein klassisches locked-door-mystery also, an dem sich der Autor gleich in seinem ersten und später preisgekrönten Kriminalroman versucht. Geschickt legt er falsche Fährten, streut Zweifel, fordert zum Miträtseln heraus. Um es vorweg zu nehmen: ich lag komplett falsch und war am Ende angenehm überrascht von der psychologisch raffiniert konstruierten Handlung und ihrer absolut schlüssigen Auflösung. Nebenbei gibt es mit dem fernöstlichen Setting auch etwas über die japanische Kultur zu lernen, nicht zuletzt steuert diese auch das Gruselelement bei: Bei jedem Mord - es bleibt nicht bei den beiden Toten - hören die Zeugen den Klang einer Koto…

Der Schreibstil mit seiner gepflegten Wortwahl entspricht dem der 1940er Jahre, Ursula Gräfe hat dem ruhigen Erzählduktus behutsam in unsere Zeit geholfen, ohne ihn alt aussehen zu lassen. Überhaupt hat die Geschichte mit etwa 200 Buchseiten und viereinhalb Hörstunden genau die richtige Länge für einen unterhaltsam-verregneten Herbstnachmittag…
Den größten Teil habe ich als Audiobook genossen, was nicht zuletzt an der gemessen-geheimnisvollen Lesart von Denis Moschitto lag, der ich sehr gern gelauscht habe. Außerdem weiß ich nun, wie bestimmte japanische Wörter und Namen , z.B. Tatami oder Suzuki, richtig betont werden. Letzteres erfordert aber auch eine gewisse Konzentration, um der Geschichte mit Genuss zu folgen. Es gibt viele handelnde Personen mit (zumindest für mich) ähnlich klingenden Namen. Wer wie ich also eher der „optische Typ“ ist, der greife lieber zum Buch und seinen hoffentlich zahlreichen Folgebänden.
Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 10.06.2022

Fantastisch. schräg und klug

Die Wächterinnen von New York
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Ein merkwürdiges Ungeheuer aus der Tiefe bedroht New York City. Es sprengt Brücken, hebt Straßenbeläge an, taucht mit Riesententakeln aus den Tiefen des Hudson River oder einem Pool in Queens. ...

Ein merkwürdiges Ungeheuer aus der Tiefe bedroht New York City. Es sprengt Brücken, hebt Straßenbeläge an, taucht mit Riesententakeln aus den Tiefen des Hudson River oder einem Pool in Queens. Wo es erscheint und zerstört, infiziert es mit einer Art Gespinst die Passanten, aus deren Körpern sich unbemerkt feinste Tentakel winden und die künftig der totalen Kontrolle anheimfallen.

Jede dieser Katastrophen in den fünf Stadtteilen geht mit der "Geburt" eines menschlichen Avatars einher, der sich mehr oder weniger schnell seiner WächerInnenrolle bewusst wird, begreift, handelt und das Unheil vorerst abwendet. Das heißt, der "Geist" von Manhattan, Brooklyn, der Bronx, Queens und Staten Island ergreift Besitz von einer den Statteil repräsentierenden Person und überträgt dieser sämtliches Wissen, gelebte Erfahrung und Emotionen seiner BewohnerInnen. Ihre Aufgabe ist es, zunächst zueinander zu finden und dann gemeinsam den Gesamtavatar und damit New York City vor dem Untergang zu retten.
Der erste Band der geplanten Trilogie macht die Lesenden vor allem mit den Lebensgeschichten der aufwendig gezeichneten Hauptcharaktere Manny, Brooklyn, Bronca, Padmini und Aislyn, ihrer Stadtteile und ihrer Bewusstwerdung vertraut.

Das Unheil selbst personalisiert sich in Gestalt der "Frau in Weiß" - viktorianisches Gruselmotiv oder Symbol der weißen Übermacht? Mit deren historischen Narrativen, beispielsweise dem von Weißen errichteten New York auf unbewohntem Ödland, rechnet N.K. Jemisin jedenfalls genauso konsequent ab wie mit (umgekehrtem) Rassismus im Kunst- und Kulturbetrieb, mit Gentrifizierung, Sexismus, Homophobie, Polizeigewalt - allem, was einer Stadt das Leben nimmt.
Innerhalb der fantastischen Rahmenhandlung mit actionreichen Verfolgungsjagden, Brückenschlachten und Poolmonstern geht es also auch inhaltlich ziemlich in die Tiefe.
Die ohnehin beeindruckend kluge Autorin hat akribisch recherchiert und das Manuskript viele ExpertInnen gegenlesen lassen, um die Figuren der Wächterinnen historisch wahr, divers, kultursensibel und politisch korrekt zu zeichnen. Eine ungeheure Faktenfülle, zahllose Referenzen an NYC, die nicht zu bremsende Fabulierlust, eine scharf gespitzte Feder und der absolut schräge Plot verwirbeln zu einem großen Lesevergnügen.
Eines, das durchaus auch mal anstrengend sein kann:
„Die Dinge, die aus dem Mund der Frau kommen, ergeben immer fast einen Sinn. Und Aislyn versteht fast, was vor sich geht...aber schließlich schüttelt sie doch frustriert den Kopf. 'Primären was?'" (S.131)
So wie Aislyn angesichts ihrer noch unbewussten Wächterinnenschaft für Staten Island, ging es mir während der Lektüre, die phasenweise sehr verkopft und übererklärt daherkommt.
Dennoch: Fans von Neil Gaiman und Matt Ruffs "Fool on the Hill" werden es lieben. Und die von New York City natürlich erst recht.

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Veröffentlicht am 01.03.2022

Meisterlich und spannend

Vertrauen
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REZENSION - „Vertrauen“ von Dror Mishani, ins Deutsche übertragen von Markus Lemke, erschienen @diogenes

Ein ausgesetztes Frühgeborenes und ein Hotelgast, der ohne Bezahlung verschwindet. ...

REZENSION - „Vertrauen“ von Dror Mishani, ins Deutsche übertragen von Markus Lemke, erschienen @diogenes

Ein ausgesetztes Frühgeborenes und ein Hotelgast, der ohne Bezahlung verschwindet. Ein geistig verwirrter Mann, der seine Mutter anzuzünden versucht und ein Dreijähriger, der im Auto von seinen Eltern vergessen wird und wenig später an Dehydrierung stirbt. War es das, weshalb er Polizist geworden war? „Ein Detektiv , der es mit trauergebeugten Eltern, versehrten Kindern und kleinen, traurigen Fällen zu tun hat, deren Aufklärung der Welt nur weiteres Leid beschert.“ (S.22)
Oberinspektor Avi Avraham kämpft nicht nur mit der Trauer um seine geachtete Kollegin und Vorgesetzte Ilana Liss, die ihm in ihren letzten Lebenswochen jeden Kontakt versagte, sondern auch mit einer schweren Sinnkrise. Nicht, dass er sich zu gut wäre für das gewöhnliche Verbrechen. „Aber er wollte endlich das tun, wovon er geträumt hatte, als er zur Polizei gegangen war […] : Leben retten und Grausamkeit, Gewalt und das Böse bekämpfen.“ ( S.19) Auf dem Weg in das schäbige Hotel, dessen Gast so spurlos verschwunden war, träumt er von Anrufen aus Langley und seinem Lieblingsdetektiv Jules Maigret. Doch dann stimmt etwas nicht in diesem Hotel, das seine Anzeige plötzlich zurückzieht, da zwei Verwandte des Gastes aufgetaucht seien, die Rechnung bezahlt und die Sachen abgeholt hätten. Bald spürt er die Tochter des Gastes auf, die behauptet, ihr Vater hätte für den Mossad gearbeitet. Avis Interesse ist geweckt…
Parallel dazu ermittelt seine Kollegin Esthi Wahabe im Fall des ausgesetzten Säuglings. Die Frau, die die Tasche vor dem Krankenhaus abstellte, ist schnell als Liora Talias identifiziert. Doch diese verstrickt sich in einem schwer durchdringbaren Zick-Zack-Kurs aus Täuschung, Lügen und Widerruf. Wen will sie schützen und weshalb? In Paris laufen schließlich beide Fälle nicht nur geografisch zusammen…

Obwohl Avi Avraham bereits zum vierten Mal ermittelt, war dies meine erste Begegnung mit dem israelischen Kommissar, der mir vielleicht aus diesen Gründen zumindest in der ersten Romanhälfte etwas blass gezeichnet schien. Auch der aus dem gesellschaftlichen Umfeld gelöste Fokus auf Vernehmungen,Tatorte und Indizien hat mich zunächst wenig für den Roman und die Schreibweise Dror Mishanis eingenommen. Ich gestehe, dass ich seit dem Tod Batya Gurs, deren Inspector-Ochajon-Romane ich vor allem für ihre unnachahmliche Israel-Sicht geliebt habe, mit Krimis aus dieser Gegend nicht mehr viel am Hut hatte. Doch je mehr sich die Informationen verdichten, sich ein Puzzleteil ans nächste fügt - und hier haben die Lesenden den Ermittelnden nichts voraus - zeigt sich die Verstrickung von Tätern und Opfern in der komplizierten israelischen Realität, verbunden mit charakterlichen Verwerfungen und psychischer Versehrtheit, die besonders im Fall des ausgesetzten Babys tief unter die Haut gehen.
Der Autor versteht es meisterlich, fast schon gelassen, Spannung und eine Atmosphäre von Bedrohlichkeit aufzubauen, derer man erst gewahr wird, wenn man sich ihr nicht mehr entziehen kann.
Und ganz am Ende des Romans offenbart sich neben Dror Mishanis dramaturgischer Größe nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner all dessen, sondern zugleich ein Hoffnungsschimmer. Das Baby, das trotz allem ein Leben vor sich hat, erhält von den Schwestern den Namen Emunah - Vertrauen.
Lesenswert! (Rezensionsexemplar)





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Veröffentlicht am 17.02.2022

Cosy Crime vom Feinsten

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar
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Englische Mordclubs schießen derzeit aus dem Boden wie Pilze im Spätsommerregen. Literarische, versteht sich, und zum Glück sind auch ein paar wunderbare dabei. Ganz neu im Bunde der Hobbyermittler, ...

Englische Mordclubs schießen derzeit aus dem Boden wie Pilze im Spätsommerregen. Literarische, versteht sich, und zum Glück sind auch ein paar wunderbare dabei. Ganz neu im Bunde der Hobbyermittler, auf die man sich regelmäßig freuen kann: Mrs Judith Potts, exzentrische 77jährige Kreuzworträtselautorin und Besitzerin eines Herrenhauses mit Themse-Zugang im idyllischen Marlow. Beim täglichen Nacktschwimmen im Fluss wird sie (Ohren)-Zeugin des Mordes an ihrem Nachbarn.
Als die Polizei ihr nicht glaubt, stellt sie eigene Nachforschungen an und entdeckt des Nachbars Leiche in seinem Garten. Doch eine Frau allein macht noch keinen Club. In der zupackenden Hundesitterin Suzie Harris und der bis dato von Putz- und Backneurosen erfüllten Pfarrersgattin Becks Starling, auf die Mrs Potts während ihrer Recherchen stößt, findet sie zwei so originelle wie unersetzliche Sidekicks.
Das staatsdienende Gegenüber erscheint in Gestalt der sympathischen und etwas überforderten DS Tanika Malik, die in Ermangelung eines richtigen Inspectors mit den Ermittlungen betraut wird und sich nur kurz gegen das pfiffige Trio stemmt. Und das ist auch gut so, denn es bleibt nicht bei dem einen Mord und vereinte Kräfte und sämtliche verfügbaren grauen Zellen sind gefragt, bis die Geschichte nach einigen Kurven in ein spannendes und rasantes Finale mündet.
Ich habe die Geschichte von der ersten Zeile an genossen, obwohl (oder weil?) Robert Thorogood hier auf bewährte Erzählstrukturen, das genreübliche kauzig-sympathische Personal und das so beliebte "typisch englische" Setting zurückgreift. Doch die Geschichte selbst ist überraschend und intelligent konstruiert, die Charaktere alles andere als flachgezeichnet. Am Ende hat jede der drei Frauen eine angemessene Entwicklung durchgemacht, und es wird weit mehr gelüftet als das Mord-Geheimnis. Insgesamt geht es ziemlich turbulent und abenteuerlich unrealistisch zu. Wer etwas anderes erwartet, sollte nicht zu diesem Genre greifen. Mit Mrs Marple, Poirot oder anderen Klassikern haben die Mordclubs von heute nicht mehr viel gemein, was der Lesefreude aber nicht abträglich ist.
Vorfreude auf Teil 2!

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