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Veröffentlicht am 12.06.2022

Heimkehr in den Tod

Durch die Welt ein Riss
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Das Schweigen der Waffen hält schon seit 9 Wochen an und der Krieg ist zu Ende. Die überlebenden des Kriegsgefangenenlagers können kaum glauben, dass es nach jahrelangem Kämpfen, Hungern und Frieren und ...

Das Schweigen der Waffen hält schon seit 9 Wochen an und der Krieg ist zu Ende. Die überlebenden des Kriegsgefangenenlagers können kaum glauben, dass es nach jahrelangem Kämpfen, Hungern und Frieren und den desolaten Verhältnissen im Lager nur noch einen Weg für sie gibt - zurück nach hause. Am 16.Juli 1945 besteigen 1200 Soldaten den Zug, der Träume wahr werden lässt. Doch es ist für viele eine Heimkehr in den Tod....


Geprägt nach von den aktuellen Bildern des schrecklichen Zugunglücks von Garmisch-Partenkirchen, brennt sich dieses Buch in die Herzen der Lesenden und hinterlässt tiefe Spuren. Simon Viktor gibt all denjenigen eine Stimme, die am 16.Juli 1945 für immer verstummt sind.

Er erzählt von einem bayerischen Dorf, das immer noch geprägt ist von den alten Denkweisen, die sich so schnell nicht abschütteln lassen. Gegen die Vorurteile und den Zusammenhalt einer eingeschworenen Dorfgemeinschaft anzukommen ist schwer, wenn gar unmöglich. Und doch versucht Tierarzt Marra mit seinem Sohn in Aßling ein neues Zuhause zu finden.

Hass und Häme sind an der Tagesordnung, wenn Paul, durch einen Klumpfuß gehandicapt, versucht, ein Teil der Klassengemeinschaft zu werden. Kinder können grausam sein und der Autor zeigt eindringlich, wie die Mitschüler Paul verbal und körperlich zusetzen.

Die Tragödie nimmt ihren Lauf und der Autor lässt die Unglücksnacht mit ihren unheilschwangeren Gewitterwolken wieder lebendig werden. Zuerst ist das monotone Rattern der Rädern auf den Gleisen zu hören, um dann jäh in einer Kackophonie aus berstenden Waggons, die ineinander geschoben werden, herumfliegenden Holz- & Eisenteilen und markerschütternden Schreien der Verwundeten und Sterbenden zu enden.

Die Dorfbewohner:innen helfen, wo sie können und doch gleiten ihnen die Leben der Soldaten durch die Hände. Machtlos müssen sie mit ansehen, wie aus denen, die lebend aus einem sinnlosen Krieg heimgekehrt sind, das Leben entweicht. Die Eindrücke dieser Nacht verändern alles....

Simon Viktor schildert die tragischen Ereignisse so wirklichkeitsnah, sodass Panik, Angst und Entsetzen unter die Haut kriechen und den Leser:innen immer wieder der Atem stockt. Es fällt schwer, hier die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion zu erkennen, da die Bilder, Handlungen und Figuren einfach zu real erscheinen.

Ausgelöst durch ein tragisches Missgeschick, ist dieses Zugunglück eine der schlimmsten Bahnkatastrophen in der Deutschen Nachkriegsgeschichte und leider in Vergessenheit geraten. Simon Viktor setzt mit seinem Debütroman Opfern und Helfenden ein eindrucksvolles Denkmal.


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Veröffentlicht am 11.06.2022

Menschen zwischen Denkmal und Idylle

Menschen am Alten Kanal
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Aufmerksam geworden bin ich auf dieses schöne Fleckchen Erde durch den Schmidt Max in seiner Sendung "freizeit". Wie er da so mit seinem Radl entlang der königlichen Wasserstrasse gefahren ist, hat der ...

Aufmerksam geworden bin ich auf dieses schöne Fleckchen Erde durch den Schmidt Max in seiner Sendung "freizeit". Wie er da so mit seinem Radl entlang der königlichen Wasserstrasse gefahren ist, hat der Kanal seinen Charme versprüht und mich verzaubert.

Mein Interesse war geweckt und bei Battenberg-Gietl bin ich dann auf dieses interessante Buch gestossen, das nicht nur Geschichte, sondern auch Geschichten von den Menschen am Kanal erzählt.

Einst als Wirtschaftsweg erdacht, hat die künstliche Wasserstrasse vielen Menschen Lohn und Brot gegeben. Wolf-Dietrich Nahr hat mit seiner analogen Kamera über einen Zeitraum von 10 Jahren eindrucksvolle Aufnahmen in Schwarz-Weiß angefertigt, die vom verblichenen Glanz und der immer noch währenden Faszination erzählen. Alte Schleusen, verfallene und teilweise liebevoll restaurierte Kanalwärterhäuschen, Kräne und Brücken als stumme Zeitzeugen - wer genau hinhört, kann dem sanft fliessenden Gewässer zuhören und der ein oder anderen Anekdote vom Treideln, der Eisernte oder von Aktienpapieren mit unermesslichem Wert lauschen.

Es sind sehr stimmige Porträts von Menschen, die ihr Leben und Wirken mit dem Kanal verbinden und zwischen den 100 Schleusen ihre ganz persönliche Wasserstrassen-Geschichte erzählen.

Liebevoll zusammengestellt und sehr gut recherchiert, setzt dieses Buch ein Denkmal für das Denkmal.

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Veröffentlicht am 11.06.2022

Freundschaft ist ein Geschenk des Himmels

Den Himmel verschenken
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Was kann mir schon gescheh'n?
Glaub mir, ich liebe das Leben
Das Karussell wird sich weiterdreh'n
Auch wenn wir auseinandergeh'n

(Vicky Leandros)


Eine Recherche führt die Wege von Angela Krumpen und ...

Was kann mir schon gescheh'n?
Glaub mir, ich liebe das Leben
Das Karussell wird sich weiterdreh'n
Auch wenn wir auseinandergeh'n

(Vicky Leandros)


Eine Recherche führt die Wege von Angela Krumpen und Regina Groot Bramel zusammen und lässt aus dem anfangs beruflichen Schriftwechsel eine Freundschaft entstehen, die immer wieder kleine Licht- & Glanzpunkte wie Sterne am Himmel setzt.

Beide Frauen eint der unvoreingenommene Blick auf das Leben, bei dem es immer wieder gilt, den Schönheiten des Tages ins Auge zu blicken und aus scheinbar negativen Ereignissen etwas Positives herauszuziehen.

Regina hat ein großes Herz, in dem nicht nur ihre eigenen Kindern, sondern auch 9 Pflegekinder Platz haben und das immer weit und offen ist, neue Menschen in eben jene Herzkammern zu lassen und ihnen mit Neugier und Liebe zu begegnen.

Die vielen Worte, die im Verlauf der innigen Freundschaft per Mail hin und her fliegen, aber auch gemeinsame Erlebnisse, bilden den Grundstock für diesen Roman in Briefform und zeigen, dass Freundschaft ein Geschenk des Himmels ist. Ein Buch randvoll mit ganz vielen intimen Momenten und Erinnerungen, die auch mal schmerzhaft sein können. Worte voller Liebe, Dankbarkeit und Freundschaft und eine Hommage an das Leben selbst. .

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Veröffentlicht am 10.06.2022

"Mantje, mantje, Timpe te, Buttje, Buttje in der See"

Fischers Frau
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Die Welt von Mia Sund beherbergt so manch wertvolles Stück aus der Vergangenheit, denn als Kuratorin hat sie den Blick für Kunst, kann echt von falsch unterscheiden und Qualitätsarbeit beurteilen. Ein ...

Die Welt von Mia Sund beherbergt so manch wertvolles Stück aus der Vergangenheit, denn als Kuratorin hat sie den Blick für Kunst, kann echt von falsch unterscheiden und Qualitätsarbeit beurteilen. Ein Fischerteppich mit seiner unglaublichen Farbintensität weckt ihre Aufmerksamkeit. Das Grün changiert und fasziniert Mia und so betrachtet sie sich das handwerkliche Ausnahmestück etwas genauer. Der Teppich ist nicht einfach nur ein Teppich, er erzählt eine unglaubliche Geschichte, der Mia auf den Grund gehen muss...

Karin Kalisa erzählt in "Fischers Frau" eine Art modernes Märchen, das in Anlehnung an das Märchen der Brüder Grimm für ein sehr phantastisches Grundgerüst sorgt. Ihre Erzählstränge gleichen Fäden, die mal, mehr mal weniger dicht gezwirbelt sind, mal glänzende, mal stumpfe Garne enthalten und die es gilt, zu einem Gesamtbild zuknüpfen.

Dabei greift sie die Tradition des Knüpfens von Fischerteppichen auf und verwebt diese mit einer fiktiven Geschichte, die in leisen, aber kraftvollen Worten von zwei Frauen erzählt, die ihren Weg in die Welt und zu sich selbst ernst noch finden müssen.

Beide Frauen eint, dass sie unschöne Erfahrungen machen mussten, die den Lebensfaden beschneiden, ihn ausdünnen und auch mal reißen lassen. Und trotzdem knüpfen beide immer wieder neue Verbindungen, um ihren Weg zu gehen und mit den Narben (hier versinnbildlicht als Knoten) das Bild zu vervollständigen.

Dabei fließen immer wieder Teile des Märchens ein, dienen las Wegbereiter und Türöffner, um die Welt von Mia und Nina mit offenen Augen zu sehen, jedoch wird es hier vollkommen anders interpretiert. Viele Symbole im geknüpften Teppich stehen für ein prägendes Ereignis und Mia muss diese Botschaften entschlüsseln, um hinter das Geheimnis zu kommen. So lernt Mia nicht nur Nina besser kennen, sondern erfährt auch viel über sich selbst und durchlebt eine Wandlung, die sie selbst am allerwenigsten für möglich gehalten hätte.

Das Cover verbindet beide Frauen miteinander, die zwar in unterschiedliche Richtungen blicken, aber durch Meer und Wellen vereint sind. Fast erscheint es so, als würden beide Frauen eine Symbiose eingehen.

Karina Kalisa zeichnet zwei Frauenbilder mit feiner Feder, macht ihre Gefühls-& Gedankenwelt zugänglich und fängt ihre Leser:innen mit einem fein gesponnenen Netz wie eine Menschenfischerin ein. Mal poetisch, mal aufwühlend, mal geheimnisvoll, aber immer auf den Punkt - für mich großartige Erzählkunst und deswegen vergebe ich gerne eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 09.06.2022

Ich habe noch nie eine Grenze gesehen. Aber ich habe gehört, dass diese im Kopf einiger Menschen existieren (Heyerdahl)

Der Duft von Erde nach dem Regen
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Die ganze Welt scheint nur noch Kopf zu stehen, denn die völkischen Ideologien verbreiten sich immer mehr in Köpfen. Leopold ist regelrecht besessen davon, sieht im Wirken der Faschisten seine Zukunft ...

Die ganze Welt scheint nur noch Kopf zu stehen, denn die völkischen Ideologien verbreiten sich immer mehr in Köpfen. Leopold ist regelrecht besessen davon, sieht im Wirken der Faschisten seine Zukunft und schließt sich ihnen an. War der Riss zwischen ihm und seiner Schwester Franziska vorher schon deutlich zu erkennen, ist der endgültige Bruch nun nicht mehr aufzuhalten.Während Franziska versucht, den Apfelhof als Pension in Schwung zu bringen, schreiten die politischen Auswüchse immer weiter voran und ein drohender Krieg schwebt über Südtirol wie ein Damoklesschwert...


Waren meine Gefühle nach Band eins noch gespalten und mit einer gewissen Enttäuschung verbunden, da ich nicht wirklich Zugang zu den Figuren und ihrer Geschichte gefunden habe, so bin ich froh und dankbar, dass ich Band zwei gelesen habe. Denn Anna Thaler legt in diesen Folgeband alles hinein, was es zu einem guten historischen Roman braucht, um die Leser:innen nicht nur zu begeistern, sondern sie mit in die Geschichte hineinzuziehen.

Franziska und Wilhelm haben eine enorme Entwicklung hingelegt und jetzt endlich kann ich ihnen ihre tiefe, innige Verbundenheit glauben. Die Autorin zeichnet eine sehr liebevolle, von gegenseitigem Vertrauen und Verständnis geprägte Ehe, die zugleich Stütze und Kraftquelle für beide Ehepartner ist.

Das Leben auf dem Hof könnte so idyllisch sein, wenn da nicht Leopold wäre. Diesem querschädeligen Dickkopf ist nichts heilig, seinen Verstand hat er mehr oder weniger versoffen und bereitet so dem braunen Gedankengut einen Nährboden, bei dem die dunkle Saat nur allzu bereitwillig aufgeht.

Thaler beschreibt mit sehr ergreifenden Worten die Zeitspanne vom Frühjahr 1936 bis zum Kriegsausbruch am 01.September 1939 und holt mitunter grausame Bilder aus ihrem imaginären Familienalbum hervor, die schockieren und lange nachwirken. Es sind Schicksalsschläge, die den Zusammenhalt der Dorfbewohner:innen fordern, aber auch die Auswirkungen der zunehmenden Judenverfolgung sind deutlich zu spüren. Bei Aarons Heimkehr habe ich weinen müssen, obwohl der versucht, die erlitten Demütigung mit Fassung zu tragen. Doch seine Würde ist gebrochen...

Die Autorin verknüpft ihre fiktive Handlung mit dem damaligen Zeitgeschehen, verwischt somit die Grenzen zwischen Historie und Dichtung und bewirkt so, dass sich die Vergangenheit neu zusammensetzt und um ein weiteres Handlungsfeld in Südtirol ergänzt wird. Personen kommen und gehen, hinterlassen Spuren auf dem Apfelhof sowie in den Herzen der Lesenden und teilen mit ihnen ein Schicksal, das berührt und betroffen macht.

Mit diesem Folgeband hat mich Anna Thaler komplett überzeugt und ich warte nun gespannt auf das Finale, denn ich möchte unbedingt wissen, was aus den Südtiroler:innen geworden ist.

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