Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
online

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.07.2022

Wilde Männer am Anfang und am Ende

Susanna
0

Es beginnt mit einem wilden Mann, der laut Tradition in Basel aus dem Rhein ans Ufer steigt, um ein Tänzchen zu wagen und dem von einem kleinen Mädchen - Susanna, der Titelheldin des Buches - ...

Es beginnt mit einem wilden Mann, der laut Tradition in Basel aus dem Rhein ans Ufer steigt, um ein Tänzchen zu wagen und dem von einem kleinen Mädchen - Susanna, der Titelheldin des Buches - mit dem bloßen Finger ein Auge ausgestochen wird. Vor Schreck und aus Versehen, versteht sich.

Susanna nimmt von diesem Kindheitserlebnis etwas mit - mit auf ihre Lebensreise, die in der Tat eine weite Reise beinhaltet, nämlich nach New York. Dorthin bricht ihre Mutter auf, zu einem anderen Mann, nachdem sie den Vater und die Söhne verlassen hat. Sie ist auf dem Weg zu einem anderen Mann. Dieser ganze Neuanfang spielt sich im Gegensatz zum Beginn des Buches recht friedlich ab.

Ich habe mich sehr schwer getan mit dem Start in den Roman, empfand ihn als umständlich, einige Ausführungen erschienen mir ausgesprochen weit hergeholt. Doch ich habe durchgehalten - Gott sei Dank, muss ich im Nachhinein sagen, denn sonst hätte ich ein paar ebenso unkonventionelle Wendungen verpasst.

Wobei Alex Capus in mancherlei Hinsicht durchaus ein unkoventioneller Autor ist - beispielsweise in der, wie sehr er die Frau und ihre Belange - gerne auch wie hier in deutlich früheren Zeiten in den Mittelpunkt stellt. Nicht immer, aber es kommt bei ihm nicht gerade selten vor.

Andererseits ist die umständliche und manchmal tüddelige Erzählweise, derer er sich desöfteren bedient, alles andere als unkonventionell, bzw. ist sie nicht mit derartigen Begriffen zu beschreiben. So schreiben Menschen, die schreiben müssen, nicht wie solche, denen es quasi wie von Geisterhand aus der Feder fließt.

Erfreulicherweise ändert sich diese Ausrichtung, als Susanna und ihre Mutter Maria in den Staaten eintreffen: früh entdeckt Susanna ihre Begabung als Malerin und die damit verbundene Verdienstmöglichkeit.

Sie wird Mutter eines Sohnes mit einem ähnlich starken Charakter wie dem ihrigen: als sie nach einer großen Erbschaft beschließt, auf große Fahrt zu gehen, setzt sich der Sohn mit seinem Reisewunsch durch und die beiden landen vor der Behausung von Sitting Bull, dem zweiten wilden Mann in der Geschichte, wo sie wochenlang bleiben.

Was dann passiert, sollten sie aber selber lesen - nach einem etwas steinigen Start erwartet Sie durchaus ein Lesevergnügen.

Veröffentlicht am 10.07.2022

Einstehen für Gerechtigkeit

Die Hafenärztin. Ein Leben für das Glück der Kinder (Hafenärztin 2)
0

Das tun die drei Protagonist:innen dieses Buches: die titelgebende (Hafen)Ärztin Anne Fitzpatrick, die kurz vor ihrem Abschluss als Lehrerin stehende Helene Curtius und der Kriminalkommissar ...

Das tun die drei Protagonist:innen dieses Buches: die titelgebende (Hafen)Ärztin Anne Fitzpatrick, die kurz vor ihrem Abschluss als Lehrerin stehende Helene Curtius und der Kriminalkommissar Berthold Rheydt - und zwar jeder auf seine Art.

Anne kümmert sich um die Ärmsten der Stadt Hamburg, von denen viele zu den Auswanderern, die im Hafen ihr Leben fristen und auf ihre Übersetzung in die neue Welt warten, gehören. Helene unterrichtet im Rahmen ihres zur Ausbildung gehörenden Praktikums die Kinder im Hafen, von denen die meisten kein Deutsch sprechen. Berthold hingegen fällt die Aufgabe zu, für Gerechtigkeit zu sorgen, worum er sich auch redlich müht - alles andere als einfach, wenn man diese denen zukommen lassen will, die in der gesellschaftlichen Hackordnung ganz weit unten stehen.

Sie alle führt nach einigen Monaten der Weg wieder einmal zueinander. Kein Wunder, liegen ihre teilweise selbst gewählten Aufgabenbereiche doch eng zusammen. Und seien wir ehrlich: im Jahre 1911, in dem die Handlung angesiedelt ist, interessieren sich noch weniger Menschen als heute für die, die ganz unten stehen. Ganz im Gegenteil, manch einer versucht noch, seine eigene Last, was für eine das auch immer sein mag, auf diese abzuladen.

Diesmal geht es um Giftattentate, zu deren Opfern vor allem die Kinder der Auswanderer zählen: wer hat einen Grund, diesen den Tod zu wünschen? Sowohl Berthold als auch Anne und Helene hegen ein großes Interesse in der Aufklärung dieser Fälle und kämpfen schon bald nicht mehr nur gegen Windmühlen. Nein, offenbar kommen sie jemandem - oder gar einigen - ordentlich ins Gehege.

Ein mitreißender Roman, irgendwo zwischen Historienroman und Krimi angesiedelt, den ich - einmal angefangen - nicht mehr aus der Hand legen konnte. Die Autorin hat akribisch recherchiert und versteht es, mitreißend zu schreiben und dabei so wichtige Themen wie die damalige Frauenbewegung und weitere politische Entwicklungen nicht außer Acht zu lassen. Einzig ganz am Ende ging es mir doch zu weit - es war quasi ein Ende wie aus einem Action-Film. Aus meiner Sicht wäre hier weniger mehr gewesen. Aber dennoch hat mich das Buch insgesamt begeistert. Eine sehr geeignete Lektüre für die möglicherweise bevorstehenden Sommerferien, zumal es einen ersten Band gibt, der die Möglichkeit bietet, die Beschäftigung mit den drei Protagonisten noch zu vertiefen.

Veröffentlicht am 21.06.2022

Ein ebenso typisches wie untypisches Leben im 20. Jahrhundert

Minna. Kopf hoch, Schultern zurück
0

Autorin Felicitas Fuchs - in Wahrheit ist sie eine andere - schreibt über ihre Großmutter Minna, deren Geschichte hier in Düsseldorf beginnt, in Wahrheit jedoch irgendwo in einem kleinen Ort in Rheinland.

In ...

Autorin Felicitas Fuchs - in Wahrheit ist sie eine andere - schreibt über ihre Großmutter Minna, deren Geschichte hier in Düsseldorf beginnt, in Wahrheit jedoch irgendwo in einem kleinen Ort in Rheinland.

In Düsseldorf kommt sie genau richtig an: sie ist fast 20, bereit zu leben und zu erleben - und sie ist bereit, zu arbeiten. Sie kann auch schon was, nämlich nähen und das ist etwas, das zu der Zeit - Mitte der 1920er Jahre - viele Menschen begehren. Doch bevor sie sich eine Existenz aufbaut, heiratet sie - und zwar weit über ihrem Stand. Fritz ist zehn Jahre älter, hat studiert, ist das einzige Kind und heiratet Mia, wie Minna sich fortan nennt, gegen den Willen seiner Eltern.

Minnas Mutter und Geschwister nehmen Fritz offen auf, doch er fühlt sich dort nicht so richtig wohl. Und das, obwohl Minna alles gibt und eine elegante Schneiderei eröffnet, die bei den schicken Düsseldorfer Damen absolut boomt. Oder gerade deswegen?

Nach sechs wilden Jahren landen beide - ohne Kinder und ohne Geld - und lassen sich scheiden. Minna verschlägt es nun nach Minden, der Heimat ihrer Mutter, in diese seit einigen Jahren wieder lebt - gemeinsam mit einem Bruder.

In dieser Provinzstadt erlebt die Familie den Nationalsozialismus und den Zusammenbruch des Dritten Reiches. Und verlieren einmal mehr alles.

Wie so viele Schicksale ist dies ebenso typisch wie untypisch. Denn jeder hat sein eigenes Bündel zu tragen, bzw. tragen sie es hier alle zusammen.

Minna hat kein glückliches Leben, allerdings hat auch sie viele schöne und spannende Momente. Ein Leben wie ein Roman, ja es ist es tatsächlich. Die Großmutter der Autorin hat eher mehr erlebt als so manche Romanheldin und vertracktere wie auch tragischere Situationen überstanden.

Aus meiner Sicht wäre dieser Roman stilistisch etwas ausbaufähig gewesen - ihr gelingen - so meine Ansicht - Krimis mit Abstand am besten. Dennoch ist dieser Roman, in dem es vor allem um die1920er bis 1950er Jahre geht, ausgesprochen interessant zu lesen und empfehlenswert für Leser, die sich für Lebenswege "normaler" Menschen interessieren!

Veröffentlicht am 17.06.2022

Es ist einfach nicht zu fassen

Wir sind nicht zu fassen
0

was so an der Ashville High passiert. Gut, an jeder Highschool in den Staaten wird mal ein bisschen Unfug verzapft, aber das, was der Chaos Club hier bereits seit Jahrzehnten veranstaltet, das geht auf ...

was so an der Ashville High passiert. Gut, an jeder Highschool in den Staaten wird mal ein bisschen Unfug verzapft, aber das, was der Chaos Club hier bereits seit Jahrzehnten veranstaltet, das geht auf keine Kuhhaut - nein, die Kühe befinden sich vielmehr eines Tages auf dem Dach der Schule: es ist eine ganze Herde, die da aufgeboten wird. Wie ist sie dadrauf gekommen?

Nun, bevor man sich darüber Gedanken macht, sollte man zunächst überlegen, wer denn eigentlich hinter dem Chaos Club steht. Zumindest für Max und seine vier Leidensgenossen ist dies eine ausgesprochen brennende Frage, finden sie sich doch eines Nachts auf dem Wasserturm wieder - eine Einladung des Chaos Clubs, die auf mehr - vielleicht sogar auf eine Aufnahme in diese illustre Vereinigung - hoffen ließ, stellte sich als Falle heraus.

Aber es hat auch sein Gutes: die Fünf - bislang eher Einzelgänger - bilden bald eine schlagkräftige Truppe, die dem Chaos Club entgegenhält. Natürlich im Geheimen wie auch der Chaos Club selbst in den 40 Jahren seines Wirkens noch nie entlarvt wurde. Und sind sie erfolgreich? Nun, man wird sehen - wer neugierig geworden ist, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen.

Denn hinter diesem Buch steckt viel mehr als seichte amerikanische Jugendunterhaltung, nein, hier geht es um Selbstvertrauen, Vertrauen in andere, um Leistungen - gemeinsame als auch diejenigen, die man als Individuum bringt und vor allem - und dies sollte in viel mehr Jugendbüchern eine Rolle spielen - darum, einen, nämlich seinen Platz in der Welt zu finden.

Der Autor schreibt eindringlich und oft auch entlarvend, die Gestaltung der Charaktere entpuppt sich als seine ganz starke Seite. Nicht nur die Jugendlichen, auch die Lehrer sind wirklich sehr anschaulich gezeichnet, man hat einen jeden direkt vor Augen.

Teilweise erschienen mir die Handlungen und Gedanken nicht so ganz nachvollziehbar, ja, ich empfand sie gar als verwirrend und brauchte eine Weile, um wieder in die Geschichte hineinzufinden. Dennoch ist das Buch lesenswert, zumal sicher nicht jeder sich von den Ausführungen Kurt Dinans irritieren lässt. Eine ungewöhnliche und unterhaltsame Lektüre nicht nur für Jugendliche!

Veröffentlicht am 17.06.2022

Gegen das Vergessen ankämpfen

Tage zwischen Ebbe und Flut
0

Das tun in vielen Fällen nicht nur Alzheimerpatienten selbst, sondern fast noch häufiger ihr Umfeld. Die Familie, die Kinder, Enkel, vor allem jedoch der Ehepartner leidet am meisten - und oft ist es für ...

Das tun in vielen Fällen nicht nur Alzheimerpatienten selbst, sondern fast noch häufiger ihr Umfeld. Die Familie, die Kinder, Enkel, vor allem jedoch der Ehepartner leidet am meisten - und oft ist es für ihn am einfachsten, so zu tun, als wäre alles "so wie immer".

So auch Ellen, die Ehefrau von Felix und alles andere als eine Sympathieträgerin, die ihren Mann zu einem, ja zu seinem Traumurlaub, nämlich einer Kreuzfahrt, begleitet.

Tochter Judith, alleinstehend und um die 40, findet das gar nicht so klasse, ist sie doch schon immer ein Papakind gewesen. Außerdem will Ellen immer nur Golfen - auch diesmal fiel es schwer, etwas anderes durchzusetzen - und so findet sich bald die Familie - durch einen Zufall ist auch die 17jährige Nichte bzw. Enkelin Fabienne mit dabei - auf dem Schiff, wobei die drei Frauen vor allem schauen, dass ihnen jeweils die Felle nicht davonschwimmen.

Und Felix? Er ist ganz begeistert von seiner lang ersehnten Schiffsreise, immer öfter jedoch scheint es dem Leser, als würden seine Belange eigentlich gar keine Rolle spielen.

Die Damen haben vergessen, dass sie gegen das Vergessen angehen wollen/müssen - und haben doch auch selber so viele Bedürfnisse.

Autorin Carin Müller versteht es, ihre Geschichte mit Humor und einer gewissen Warmherzigkeit, die jedoch nicht jeden trifft, rüberzubringen, reiht auf der anderen Seite aber auch Klischee an Klischee: Judith, die alleinstehende Tochter, muss ein Geheimnis haben, ebenso wie die humorlose Mutter. Und der sympathische Kapitän Henri weckt definitiv Assoziationen zu den "Traumschiff"-Sendungen.

Darüber muss geschaut werden, dass das so wichtige Thema Demenz nicht ins Hintertreffen kommt! Ich halte es ingesamt für eine gute Idee, in dieses dunkle, so viele Menschen betreffende Thema ein wenig Leichtigkeit hineinzubringen, auch Späße: hat nicht zuletzt die mit Abstand witzigste und gelungenste Szene im ganzen Buch definitiv Felix' Erkrankung zum Grund und auch zum Thema.

Ein netter Roman, von dem man jedoch nicht zuviel erwarten sollte. Er beschönigt zwar nichts, stellt aber auch keinen Aspekt sonderlich heraus. Man sollte es bspw. als Urlaubslektüre zum Nachdenken oder als etwas Unterhaltsames für Zwischendurch nicht ganz ohne Anspruch lesen - dann kommt man sicher auf seine Kosten!