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Veröffentlicht am 25.07.2022

(Un)Schuld

Die karierten Mädchen
1

Klara ist über neunzig und blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück. Vieles hat sie mit ihrem Mann Gustav und ihren vier Kindern geteilt, einiges jedoch hat sie über all die Jahrzehnte tief in sich ...

Klara ist über neunzig und blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück. Vieles hat sie mit ihrem Mann Gustav und ihren vier Kindern geteilt, einiges jedoch hat sie über all die Jahrzehnte tief in sich verborgen. Nun spricht sie, mittlerweile blind, ihre Erinnerungen auf Tonbandkassetten. Sie erzählt von ihrer Zeit als Lehrerin im Kinderheim Oranienbaum, von der immer schwieriger werdenden finanziellen Lage, einem jüdischen Säuglingsmädchen, das in ihrer Erziehungsanstalt abgegeben worden ist, von den Nazis, welche das Haus in ein ländliches Frauenbildungsheim verwandeln wollen und darüber, wie sie Gustav kennengelernt hat.

In unregelmäßigem Wechsel schildert Alexa Hennig von Lange die Situation der alten Dame, wie sie ihre Kassetten bespricht oder in Erinnerungen schwelgt und Kapitel, welche ab 1929 datieren. Als Vorlage für Klaras Lebensgeschichte dienen die Erlebnisse ihrer eigenen Großmutter, die sie als diszipliniert und streng beschreibt. Aufgrund dieser Eigenschaften bleibt leider auch Klara im Roman sehr distanziert und oberflächlich. Die Autorin beschreibt zwar ihre Zuneigung zu ihrer Familie und zu ihrer Kollegin und Freundin Susanne, aber immer wieder drängt sich hier das Gefühl auf, dass es sich (auch) um Pflichtbewusstsein oder Eigennutz handelt. Im Grunde ist Klara eine strebsame Einzelkämpferin, die entschieden für ihr Vorwärtskommen eintritt, selbst wenn es dafür mit den Nazis zusammenzuarbeiten heißt. Wenig interessiert an Politik, merkt sie erst spät, wo sie da hineingeraten ist.

Die starre Vorlage der Kassettenaufzeichnungen führt leider zu einer eher langatmigen Szenenabfolge anstelle einer aufregenden Romanhandlung. Insbesondere fehlen mir nahegehende Gefühle und Gewissenskonflikte, möglicherweise aber war die Dame tatsächlich so streng und kühl wie ihr starrer Dutt am Hinterkopf? Dann hätte ein wenig Fiktion, gemischt mit der Realität, ein bisschen Schwung ins Geschehen bringen können.

Natürlich ist es im Nachhinein einfach, zu urteilen, aber die Naivität und politische Interessenlosigkeit von Klara ist schon bemerkenswert. Und schließlich stellt sich die Frage, was Hennig von Lange mit diesem Buch bezwecken will. Soll das reale Leben der 1930er-Jahre abgebildet werden oder ist es ein Versuch, die Großmutter zu entlasten? Ich habe mir vom Beginn dieser Trilogie mehr erwartet …



Titel Die karierten Mädchen

Autor Alexa Hennig von Lange

ISBN 978-3-8321-8168-0

Sprache Deutsch

Ausgabe Gebundenes Buch, 368 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 2. August 2022

Verlag Dumont

Band 1 einer Trilogie

Veröffentlicht am 04.07.2022

Geschwisterliebe?

Dunkle Tiefen
0

Zwanzig Jahre nach dem tragischen Unglück, bei dem die jüngste Schwester Rose aus ungeklärten Gründen über eine Klippe gestürzt ist, kehren die übrigen drei jungen Frauen in das Sommercottage zurück, um ...

Zwanzig Jahre nach dem tragischen Unglück, bei dem die jüngste Schwester Rose aus ungeklärten Gründen über eine Klippe gestürzt ist, kehren die übrigen drei jungen Frauen in das Sommercottage zurück, um gemeinsam die Weihnachtsfeiertage zu verbringen. Angesichts der Tatsache, dass sie einander schon seit etwa zehn Jahren nicht mehr gesehen haben, ein eher schwieriges und verkrampftes Unterfangen. Misstrauen und Argwohn verleiden den Geschwistern ein unbeschwertes Miteinander.

In zwei Zeitebenen mit einem Hin und Her auch im Jetzt ist Abwechslung gegeben, die interessanten Sichtweisen unterschiedlicher Personen fließen in das Geschehen ein. Trotzdem entsteht immer wieder eine gewisse Langatmigkeit, die der ganzen Geschichte viel an Spannung raubt. Auch die raue Landschaft und das klirrende Winterwetter können die düstere Stimmung im Haus nicht richtig untermalen, die drei rothaarigen Damen bleiben dem Leser in gewisser Weise fremd und unnahbar. So entwirrt sich zwar nach und nach, was im damaligen Sommer 1997 geschehen sein mag, und als Außenstehender möchte man natürlich wissen, was passiert ist, aber das Gefühl, man müsse Kapitel um Kapitel verschlingen, bleibt leider aus. Irgendwann lichtet sich das Ganze, aber auch das gewisse Überraschungsmoment bei der Auflösung am Ende fehlt.

Fazit: nette Unterhaltung, aber keineswegs ein atemberaubender Psychothriller. Schade, der Klappentext hat da sehr viel mehr erwarten lassen.



Titel Dunkle Tiefen

Autor Elizabeth Kay

ISBN 978-3-7857-2728-7

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 416 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 24. Juni 2022

Verlag Lübbe

Originaltitel High Places

Übersetzer Rainer Schumacher

Veröffentlicht am 29.06.2022

Verwandtschaftliche Verhältnisse

Das Haus der stummen Toten
0

Eleanor will, wie jeden Sonntagabend, ihre Großmutter Vivianne besuchen. Aber anstelle der Oma öffnet ein Fremder die Türe und stürzt rasch davon, während die alte Frau erstochen im Flur liegt. Aufgrund ...

Eleanor will, wie jeden Sonntagabend, ihre Großmutter Vivianne besuchen. Aber anstelle der Oma öffnet ein Fremder die Türe und stürzt rasch davon, während die alte Frau erstochen im Flur liegt. Aufgrund einer Gesichtserkennungsschwäche ist es Eleanor unmöglich, eine Beschreibung des Täters abzugeben. Einige Monate später werden die wenigen Verwandten vom Notar auf einen Gutshof geladen, um das Erbe zu regeln, von dem Eleanor gar nichts weiß.

Einem interessanten Einstieg folgt der Hauptteil am Gutshof einige Monate später. Die Geschehnisse dazwischen kann man nur erahnen. Angenehm zu lesen ist die Sichtweise Eleanors, von der Großmutter auch Victoria gerufen, in der Ich-Form. Dazwischen finden sich Tagebucheinträge von Annuschka ab dem Jahre 1965.

Die Zusammenhänge herauszufinden, gestaltet sich nicht nur für die Protagonisten schwierig, für den Leser jedenfalls ein wenig langatmig. Sind schon Eleanors zwei Namen irritierend, so spitzen sich die Verwandtschaftsverhältnisse der unterschiedlichen Figuren im Laufe der Tage noch zu.

Die zugrundeliegende Idee für all die Überraschungen und Wendungen am Gutshof gefällt mir gut, jedoch lässt die Umsetzung jegliche Spannung oder gar Gänsehaut vermissen. Oftmals plätschert alles nur so dahin, die Erwartungen an einen fesselnden Thriller werden da nicht so recht erfüllt. Lange ist nicht klar, wohin die Handlung eigentlich will. Während man sich Eleanor und die Dienstmädchen sehr gut vorstellen kann, bleiben andere Personen eher farblos und in einer gewissen Distanz. Dafür ist die winterliche Atmosphäre in Schweden, weitab der Zivilisation, gut dargestellt. Die klirrende Kälte, welche Gedanken und Reaktionen lähmt, passt gut zu der unerwarteten Situation. Das Ende ist dann klar aufgelöst, aber doch spürbar konstruiert, damit alle undurchsichtigen Fäden zu einem Strang zusammenlaufen können.

Fazit: (zu) wenig Spannung in einer ursprünglich interessanten Familiengeschichte.



Titel Das Haus der stummen Toten

Autor Camilla Sten

ISBN 978-3-7499-0398-6

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 416 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 24. Mai 2022

Verlag HarperCollins

Originaltitel Arvtagaren

Übersetzer Nina Hoyer, Justus Carl

  • Einzelne Kategorien
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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.06.2022

Austauschbar

Immer der Liebe entgegen (Zeit für Rügen)
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Eine gescheiterte Beziehung und eine vierwöchige Auszeit auf Rügen, eine gewitzte Tante und ein brummiger Neffe als Vermieter. Was vorhersehbar ist, bleibt vorhersehbar und bringt kaum eine Überraschung ...

Eine gescheiterte Beziehung und eine vierwöchige Auszeit auf Rügen, eine gewitzte Tante und ein brummiger Neffe als Vermieter. Was vorhersehbar ist, bleibt vorhersehbar und bringt kaum eine Überraschung in dieser Geschichte.

Ganz klassisch steigt der Leser ein, als sich Maja von ihrem Freund trennt. Reden ist zwecklos, der Koffer gepackt, Rügen als Wohlfühlinsel auserkoren. Schön erzählt ist Majas Ankunft durch die lange Allee, auch sonst gibt es hübsche Erinnerungen an den Urlaub, soferne man selbst schon einmal da war. Der Blick schweift mit den Zeilen über Wiesen und das Meer, eine Bootsfahrt Richtung Hiddensee rundet die gemütliche und entspannte Stimmung passend ab. Aber die Handlung, die kommt kaum voran. Ein quälendes Hin und Her, ob Maja im eigentlich gar nicht vermietbaren Häuschen bleibt oder nicht, ob Bent mit ihr spricht oder nicht. Langatmig ziehen sich die Seiten, dümpeln die Gefühle dahin. Mit dem Klappentext scheint beinahe schon alles erzählt, was sehr schade ist, denn grundsätzlich sind die Figuren vorstellbar skizziert und bilden unterschiedliche Sichtweisen der Realität ab. Der Schreibstil ist ganz angenehm, jedoch – aus meiner Sicht – völlig unnötig in einem Roman sind dann Ausdrücke wie „die einzige Gästin“ und „Teilnehmende“, sowie mehrfaches „in die Pedalen (statt Pedale) treten“. Schlussendlich kann nur die landschaftliche Schönheit Rügens über so manche monotone Stelle hinweghelfen.

Fazit: ein durchschnittlicher und vorhersehbarer Roman ohne bedeutende Themen, welche vertieft werden und für eine Einmaligkeit sorgen würden. Nette Unterhaltung, nicht mehr, nicht weniger.



Titel Immer der Liebe entgegen

Autor Hanna Holmgren

ISBN 978-3-949221-30-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Flexibler Einband, 280 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 21. Juni 2022

Verlag FeuerWerke

Veröffentlicht am 18.06.2022

Tüdelbüdel, Tüdelbräu, Tüdeldei

Die Leiche am Deich
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Im friesischen Sünnum ticken die Uhren noch anders. Die Dorfbewohner kennen einander und treffen sich gerne auf einen Klönschnack und ein Tüdelbräu in Gesine Felbers Kroog, einer gemütlichen Kneipe, die ...

Im friesischen Sünnum ticken die Uhren noch anders. Die Dorfbewohner kennen einander und treffen sich gerne auf einen Klönschnack und ein Tüdelbräu in Gesine Felbers Kroog, einer gemütlichen Kneipe, die vielen zum zweiten Wohnzimmer geworden ist. Als aber eine Leiche vom Meer angeschwemmt wird, herrscht Aufregung. Es handelt sich um die Frau des Milchbauern Burmeister.

Mit bildreichen und stimmungsvollen Szenen beginnt dieser Nordseekrimi, die Kroogbesitzerin alias Tüdelbüdel hat alles im Griff, die Kleinen mit Zuckerfischen, die Großen mit einem Glas Tüdelbräu. Freundlich, aber bestimmt, gibt sie gerne den Ton an. So auch in dem Moment, als die Tote am Strand gefunden wird und ihre Tochter Wiebke Felber in ihrer Position als Polizistin ermitteln soll.

Gewitzt verfolgt Tüdelbüdel ihre eigenen Ideen und Theorien und grätscht immer wieder zwischen die offiziellen Nachforschungen zum mutmaßlichen Mord. Was spannend und unterhaltsam beginnt, entwickelt sich aber immer mehr zu einem Biergelage und beinahe schon übergriffigen und unglaubwürdigen Alleingängen der Friesenbrauerin. Natürlich ist der Kroog ein wichtiger Platz, jedoch verschwindet die Kriminalhandlung gerne einmal hinter dem Zapfhahn und bietet Raum für derbe Diskussionen - aber so sind die Friesen nun mal und meinen es nicht so, wie es für Fremde klingen mag. Szenen, welche aufregend sein und die Spannung steigern sollen, wirken wie an den Haaren herbeigezogen und somit wird die im Grunde interessante Geschichte rund um die Umwelt und den Milchbauern zusehends unrealistisch. Leider viel Getüdel mit überzeichneten Dorfbewohnern.

So richtig überzeugen konnte der erste Fall für die Friesenbrauerin noch nicht.



Titel Die Leiche am Deich

Autor Joost Jensen

ISBN 978-3-458-68213-4

Sprache Deutsch

Ausgabe Flexibler Einband, 358 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 16. Mai 2022

Verlag Insel

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