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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.08.2022

Spannende, atmosphärische Sommerlektüre, die zum Miträtseln einlädt!

Das Hotel
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Endlich Urlaub, endlich Zeit für Entspannung! Trotzdem kann Single Alice die schöne Zeit im luxuriösen Hotel nicht richtig genießen, denn die strengen Regeln und das ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Endlich Urlaub, endlich Zeit für Entspannung! Trotzdem kann Single Alice die schöne Zeit im luxuriösen Hotel nicht richtig genießen, denn die strengen Regeln und das seltsame Verhalten des Personals lassen sie misstrauisch werden. Irgendwas stimmt hier nicht, oder?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz

Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Blut, Gewalt, Medikamente, Depression, Suizidgedanken, Krankheit
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Weib

Kurzrezension

„Ich lächle. Dieser Urlaub ist alles, was wir wollten – und dieses Hotel scheint perfekt dafür.“ E-Book, Position 210

Da „Das Hotel“ mit seinem Urlaubssetting nach der perfekten, spannenden Sommerlektüre klang, konnte ich ihm nicht widerstehen. Der angeblich kreative Twist, der in vielen Rezensionen gelobt wurde, machte mich zusätzlich neugierig – denn welche Leserin weiß gut gemachte überraschende Wendungen nicht zu schätzen?

Doch wie gelungen ist dieser Thriller aus österreichischer Feder wirklich? Meiner Meinung nach macht das „Hotel“ tatsächlich sehr viel richtig: Der flüssige, extrem angenehme und anschauliche Schreibstil lässt einen nur so durchs Buch fliegen, auch die Atmosphäre ist dicht, kafkaesk und zunehmend beunruhigend. Sie nimmt einen schnell gefangen.

Überhaupt entwickelt der Thriller stellenweise so einen Sog, dass man ihn kaum zur Seite legen kann. Die mysteriösen Vorkommnisse und das seltsame Verhalten des Personals ließen nicht nur die Protagonistin, sondern auch mich als Leserin misstrauisch werden. Oft sind es nur kleine Details, die einen denken lassen: Hier stimmt doch etwas ganz und gar nicht! Die stufenweise Eskalation und die Protagonistin, die sich schon bald fragen muss, ob sie vielleicht langsam verrückt wird, haben mich an den Horrorfilm „Mother!“ erinnert.

Besonders viel Spaß hat mir das Miträtseln gemacht – jede Beobachtung lässt einen neue, immer ausgefallenere Theorien aufstellen und wieder verwerfen. Genau so wünsche ich mir das bei einem Thriller! Die ungewöhnliche Auflösung hat mich tatsächlich überrascht und überzeugt. Wichtig: Im Vorhinein sollte man am besten so wenig wie möglich über dieses Buch lesen – schon ein Stichwort zu viel könnte den Lesespaß erheblich schmälern!

Überzeugen konnte mich auch die empathische, intelligente, selbstbewusste Protagonistin, die sich nichts sagen lässt und deren Verhalten, Gedanken und feministische Kommentare ich immer sehr gut nachvollziehen konnte. Die meisten anderen Figuren nehmen nur kleine Rollen ein, aber auch sie wirkten auf mich echt und glaubwürdig. Überraschenderweise konnte mich auch die kleine „verbotene“ Liebesgeschichte begeistern (die zum Glück nicht zu viel Raum einnimmt). Ich mochte den Love Interest (spätestens nach seinem Plädoyer gegen das Slutshaming von Frauen hatte er sowieso mein Herz gewonnen! ♥) und fand die zwei echt süß zusammen! Für mich war es jedenfalls sicher nicht das letzte Buch der Autorin – ihren Fantasy-Roman „Das Herz im Glas“ möchte ich unbedingt auch noch lesen.

Lediglich zwei kleine Schönheitsfehler sind mir aufgefallen. Zum einen gibt es im Mittelteil durch ein paar inhaltliche Wiederholungen kleinere Spannungseinbrüche – hier hätte man die Geschichte sicher noch kürzen und dem Thriller so mehr Tempo verleihen können. Zum anderen wurden mir die Auflösung und das Ende (das ich aber trotzdem mochte) etwas zu schnell abgehandelt. Mein Lesespaß wurde dadurch aber zum Glück nicht getrübt!

„Als sich die Türen mit einem „Pling!“ öffnen, platzt die Familie raus wie Popcorn.“ E-Book, Position 108

Mein Fazit

Ich habe genau das bekommen, was ich mir vom „Hotel“ gewünscht habe: eine spannende, atmosphärische Sommerlektüre für den Strand oder den heimischen Balkon, die Urlaubsfeeling aufkommen lässt, sehr gut unterhält und zum Miträtseln einlädt. Die genau richtige Portion Liebe ist auch dabei. Daher empfehle ich euch dieses Buch gerne weiter!

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Tiefe: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Figuren: 4 Sterne
Liebesgeschichte: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Tempo: 4 Sterne
Wendungen: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 5 Sterne ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir 4 Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.08.2022

Atemlos spannend, fesselnd und atmosphärisch – ein Thriller, der Spaß macht!

Meine beste Freundin
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Achtung: Die Rezension enthält Spoiler! Vor diesen wird aber im Text noch einmal gewarnt.

Inhalt

Nach einem schrecklichen Unfall bei einer Büro-Party ist Lizzies ehrgeizige Kollegin Becca ganz von ...

Achtung: Die Rezension enthält Spoiler! Vor diesen wird aber im Text noch einmal gewarnt.

Inhalt

Nach einem schrecklichen Unfall bei einer Büro-Party ist Lizzies ehrgeizige Kollegin Becca ganz von der Bildfläche verschwunden. Eines Tages findet Lizzie eine Instagram-Seite: Anscheinend hat Becca ein neues Leben begonnen, ist verheiratet und hat ein Kind. In einer Nachricht an ihre beste Freundin lästert Lizzie über das Baby ab – doch sie schickt die Nachricht versehentlich an Becca selbst. Ein folgenschwerer Fehler. Wozu ist Becca fähig?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel bis lang

Tiere im Buch: + / - Eine Katze wird einzeln gehalten (das ist Tierquälerei, Katzen bitte immer mindestens zu zweit halten!) und vernachlässigt und eine Katze und ein Hund werden getreten. Es wird kurz beschrieben, wie eine Ratte getötet wird.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Blut, Gewalt (auch gegen Frauen), Fehlgeburt, Tierquälerei, Alkohol, psychische Krankheiten
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Zicke, Tussi, Miststück, Fo+++, Hu++

Warum dieses Buch?

Ich habe immer nur positive Rezensionen zum Buch gesehen, wodurch ich auch immer neugieriger wurde. Besonders das Fazit von @wiener_buchwurm (Instagram) ist mir da in Erinnerung geblieben, denn ihre Begeisterung ist sehr ansteckend! :)

Kurzrezension

Das mochte ich…

+ den starken, extrem spannenden, mitreißenden Anfang. Selten zuvor hat mich ein Thriller schon so früh gefesselt wie „Meine beste Freundin“! Ich konnte das Buch kaum weglegen.
+ den unglaublich angenehmen, flüssigen, anschaulichen Schreibstil, durch den man nur so durch die Seiten fliegt! Unglaublich, dass die Autorin dieses Buch in nur 6 Wochen geschrieben hat!
+ die authentische, durchaus charmante, , liebevoll ausgearbeitete Protagonistin, mit der ich trotz ihrer Schwächen und Fehler durchgehend mitgefühlt und mitgefiebert habe.
+ die unheilvolle, ja, fast schon unheimliche Grundstimmung, die das ganze Buch durchzieht und für Gänsehaut sorgt.
+ die anderen Figuren, die auch als dreidimensional und echt empfand.
+ das alltägliche Setting dieses „Domestic Thrillers“ (Haus, Arbeit, Alltag), aus dem die Autorin aber sehr viel gemacht hat.
+ den wendungsreichen Plot und die Themen (Eifersucht, Liebe, Ehrgeiz, Freundschaft, Geheimnisse, Rache), die die Autorin auch mit angemessener Tiefe behandelt.

„Ich werde das Gefühl nicht los, dass etwas Schlimmes passieren wird, etwas Schlimmeres als ohnehin schon.“ Seite 105

Das lässt mich zwiegespalten zurück…

~ der Spannungsbogen. Nach der atemlosen Spannung in der ersten Hälfte, kommt es zu einem Spannungseinbruch im Mittelteil, von dem sich die Geschichte aber später wieder erholt.
~ der Feminismus. Das Buch enthält zwar viele starke, intelligente Frauenfiguren und besteht den Bechdel-Test, leider gibt es aber auch einige gegenderte Beleidigungen, Stutenbissigkeit und ein paar Genderstereotype. Außerdem hat die Protagonistin ziemlich toxische, sexistische Vorstellungen von Dating (weil sie einfach zu viele „Frauenmagazine“ über dieses Thema gelesen hat).

„Die Schlaftablette verlangsamt mein Denkvermögen, als würde mein Gehirn mit einem veralteten Betriebssystem arbeiten, das dringend aktualisiert werden müsste.“ Seite 100

Das hat mir nicht gefallen…


Achtung: Spoiler!

- die Wendungen und die Auflösung am Schluss, die ich unglaubwürdig fand und die mir einfach „too much“ (= zu übertrieben) war. Zum Beispiel wird eine Figur von einem auf den anderen Moment so dermaßen comic-haft böse und „verrückt“, dass ich es ihr nicht abnehmen konnte. Außerdem verhält sich die Polizei derart unprofessionell und dilettantisch, dass es zum Haareraufen war. Warum wird Lizzie plötzlich alles (jede noch so unwahrscheinlich klingende Aussage) geglaubt, obwohl sie vorher schon als verdächtig galt? Warum wird die Polizei nicht misstrauisch, als sie die riesigen Urinpfützen im Obergeschoss findet und den Zustand bemerkt, in dem das Opfer ist (dehydriert, ältere Verletzungen, Spuren der Handschellen)? Warum werden keine DNA-Spuren und Urinproben genommen, obwohl alles darauf hindeutet, dass das Opfer längere Zeit in diesem Raum eingesperrt war? Warum wird Lizzie einfach geglaubt, dass die Urinpfützen von der Katze stammen (auch dann hätte die Polizei doch zumindest wegen Tierquälerei ermitteln müssen)? Fragen über Fragen! Doch auch wenn mich das Ende mit seinen Logiklöchern ziemlich enttäuscht hat, konnte es den Lesespaß, den ich davor hatte, natürlich nicht auslöschen. Deshalb ziehe ich auch nur einen Stern ab!

Spoiler-Ende!


Mein Fazit

„Meine beste Freundin“ ist in meinen Augen ein kleiner, aber feiner, atemlos spannender, sehr atmosphärischer und mitreißender „Domestic Thriller“, der wirklich Spaß macht! Besonders gut gefallen haben mir der fesselnde Schreibstil und die unheilvolle Grundstimmung. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen – und ihr werdet das auch nicht können. Von mir gibt es deshalb eine Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Tiefe: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 5 Sterne ♥
Ende: 2 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Spannung: 4 Sterne
Tempo: 4 Sterne
Wendungen: 3,5 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne
Einzigartigkeit: 4 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀❀ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir 4 zufriedene Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.06.2022

Originelle, absurde, verstörende Kurzgeschichtensammlung ohne Tabus, Grenzen und Kompromisse!

23 Uhr 12 – Menschen in einer Nacht
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In einer Sommernacht treffen an einer Autobahn-Raststätte 12 eigenwillige, gänzlich verschiedene Persönlichkeiten aufeinander und werden Zeug·innen, wie eine ältere ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In einer Sommernacht treffen an einer Autobahn-Raststätte 12 eigenwillige, gänzlich verschiedene Persönlichkeiten aufeinander und werden Zeug·innen, wie eine ältere Dame über die Leitplanke auf die Fahrbahn klettert…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählweise / Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche, männliche und tierische Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: - Im Buch werden Tiere (Pferde, Delphine) verletzt, vernachlässigt, gequält und getötet (genauer: ein grausamer Tod steht einem Tier unmittelbar bevor, wird jedoch nicht näher beschrieben).
Triggerwarnung: Tod von Menschen und Tieren, Tierquälerei, psychische Krankheiten und Störungen, Mord, Blut, Gewalt, sexualisierte Gewalt, Ausbeutung von Mensch und Tier, Misogynie
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: N+tte, Schla+++, Tussi, Schnalle

Warum dieses Buch?

Das Debüt der Autorin („Das wirkliche Leben“) war das beste Buch, das ich 2020 gelesen habe und ich habe es sooo geliebt. Deshalb wäre es auch vollkommen egal gewesen, welches Buch die Autorin herausgebracht hätte – egal ob Roman, Kinderbuch oder Gärtnerei-Fachbuch –, ich hätte es gelesen!

Kurzrezension

Das hat mir gefallen…

Schreibstil (4 Lilien)

Dass Adeline Dieudonné gut schreiben kann, beweist sie auch in ihrem neuen Buch wieder. Ihre Sprache ist angenehm lesbar, roh, kraftvoll und bildlich und enthält vereinzelte poetische Beschreibungen und kreative, gelungene Metaphern. Ganz so fesselnd und mitreißend wie in ihrem Debüt erzählt sie dieses Mal aber nicht.

„Der Fernseher war für Julianne, was das Lagerfeuer für Steinzeitmenschen gewesen sein musste. Es vertrieb die Dunkelheit, wärmte sie und beschützte sie vor Angreifern.“ Seite 50

Idee / Geschichte / Themen / Umsetzung (4 Lilien)

Mit ihrem Debütroman „Das wirkliche Leben“ hat mich die Autorin tief berührt und beeindruckt. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an „23 Uhr 12“. In ihrem neuesten Werk präsentiert Adeline Dieudonné eine große Bandbreite an Themen – und auch dieses Mal schreckt sie weder vor Tabus noch vor den Grenzen des guten Geschmacks zurück. Mord, Tierquälerei, Gewissenlosigkeit, Ausbeutung, Wahnsinn – die Klaviatur der menschlichen Abgründe beherrscht die Autorin virtuos. Garniert wird das Ganze noch mit viel Absurdität, unrealistischen Sexszenen, einem Hauch Gesellschaftskritik und einer großen Portion schwarzem Humor. „23 Uhr 12“ ist ein kompromissloses Buch der Extreme, ein Buch, das unangenehm und befremdlich ist, das oft verstört und einen inneren Widerwillen auslöst, ein Buch, das einen immer wieder beeindruckt („Wie mutig! Wie kreativ!“), das einem manchmal aber auch zu weit geht, Ekel hervorruft und einem den Mund offen stehen lässt („Das hat sie gerade nicht wirklich geschrieben, oder?!“). In manchen Momenten weiß man nicht, ob man auflachen oder entsetzt oder schockiert oder vielleicht sogar beleidigt sein soll – so habe ich mich noch nie bei einem Buch gefühlt!

Präsentiert bekommen wir kurze Einblicke ins Leben von 11 Menschen und einem Pferd, die sich zufälligerweise alle zur gleichen Zeit an einer Autobahnraststätte aufhalten. Diese 12 Geschichten hängen allerdings nur lose zusammen, ein richtiger Roman ist das für mich nicht. Ich bin eigentlich kein Fan von Kurzgeschichtensammlungen, habe mich aber trotzdem erstaunlich gut unterhalten gefühlt. Jede Geschichte ist originell, interessant, hebt sich von den anderen ab und bleibt in Erinnerung, aber: Es ist natürlich nicht möglich, auf den wenigen Seiten, die pro Person zur Verfügung stehen, in die Tiefe zu gehen. Doch genau von dieser emotionalen Tiefe hat der Debütroman der Autorin gelebt – im direkten Vergleich kann „23 Uhr 12“ also nur verlieren. Obwohl das Buch ohne Zweifel eine spannende, ungewöhnliche, interessante und unterhaltsame Leseerfahrung war, bleibe ich doch etwas enttäuscht zurück, weil ich nicht das bekommen habe, was ich mir erhofft hatte: nämlich mehr von dem, was ich an „Das wirkliche Leben“ so geliebt habe. Das ist aber natürlich Kritik auf hohem Niveau. Das nächste Werk der Autorin (ich hoffe auf einen zusammenhängenden Roman) werde ich mir deshalb natürlich wieder nicht entgehen lassen!

„Ihre Freundin Rose ist vor ein paar Wochen von ihrem Chef geschwängert worden. Alica hat ihr geraten, sich bei der Botschaft Hilfe zu holen. Aber Rose hat sich lieber vor einen Zug geworfen.“ Seite 41

Spannung & Atmosphäre (4 Lilien)

Auch wenn es aufgrund des Aufbaus des Romans keinen durchgehenden Spannungsbogen gab, wollte ich immer wissen, wie es weitergeht. Es gelingt der Autorin gut, innerhalb der Kapitel spannende und atmosphärische Momente zu erschaffen und die Leser·innen mit unerwarteten Wendungen am Ball zu halten.

Das lässt mich zwiegespalten zurück…

Figuren (3,5 Lilien)

Es sind extreme, teilweise schreckliche Schicksale, kuriose Situationen, eigenwillige Persönlichkeiten – man könnte sogar sagen, es ist eine Ansammlung von psychischen Störungen und Krankheiten –, auf die man im Buch trifft. Hat man eine Figur einmal kennengelernt, vergisst man sie nicht mehr und verwechselt sie später auch nicht; im Gegenteil, die Charaktere brennen sich sein, obwohl man ihnen nur wenige Seiten lang über die Schulter schauen darf. Genug Zeit für eine liebevolle, tiefgehende Ausarbeitung, fürs Verstehen der Figuren, fürs Mitfühlen und Mitfiebern bleibt aber leider nicht. Überhaupt wirken die meisten Figuren mehr wie überzeichnete, klischeehafte Karikaturen als wie echte Menschen. Außerdem sind viele davon so unsympathisch, dass es unmöglich ist, eine Verbindung zu ihnen aufzubauen.

„Seine Augen lauerten tief in den Höhlen, wie zwei kleine Köter, die bereit waren loszukläffen.“ Seite 16

Feminismus (3 Lilien)

Aus feministischer Sicht ist das Buch sehr schwer zu beurteilen. Es gibt zwar starke Frauenfiguren und das Buch besteht den Bechdel-Test, aber es kommen gegenderte Beleidigungen und problematische Ansichten vor und die Sexszenen sind teilweise so unrealistisch und so durch den Male Gaze geprägt, dass ich sie eher einem Mann zugetraut hätte als einer Autorin. Frauen sind gleichzeitig eiskalte Killerinnen und werden als Gebärmaschinen gesehen, das Buch reproduziert gleichzeitig Geschlechterklischees bzw. veraltete Vorstellungen von Geschlechterrollen und kritisiert sie bzw. bricht sie im nächsten Atemzug auf. Ich vergebe in dieser Kategorie daher etwas ratlose 3 Sterne/Lilien.

Das hat mir nicht gefallen:

---

Mein Fazit

„23 Uhr 12“ ist eine originelle, absurde, schwarzhumorige Kurzgeschichtensammlung ohne Tabus, Grenzen und Kompromisse, die einen gleichzeitig amüsiert, beeindruckt, schockiert und leicht verstört zurücklässt. Wer nach einem unvergleichlichen, ungewöhnlichen Leseerlebnis der Extreme sucht, wird mit diesem Buch viel Freude haben, aber wer sich ein tiefgründiges „Das wirkliche Leben 2“ mit liebenswerten Figuren erhofft, wird bitter enttäuscht werden. Wenn man weiß, worauf man sich einlässt (und das wisst ihr nach meiner Rezension ja jetzt), kann dieses kleine Büchlein aber durchaus Spaß machen und für einige unterhaltsame Lesestunden sorgen!

Wer allerdings das Debüt der Autorin („Das wirkliche Leben“) noch (immer!) nicht gelesen hat (vorwurfsvoller Blick meinerseits 😉), der sollte unbedingt zuerst das lesen! Es ist ein großartiges, berührendes Buch, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilie
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Dialoge: 4 Lilien
Figuren: 3,5 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3,5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien
Einzigartigkeit: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.06.2022

Gewohnt gute Unterhaltung, aber nicht der beste Band der Reihe!

Das Vermächtnis der Orphans
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Vor seinem Ausstieg war er ein Auftragskiller der Regierung, jetzt nutzt Evan seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, um Menschen in Not zu helfen. In den letzten Jahren ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Vor seinem Ausstieg war er ein Auftragskiller der Regierung, jetzt nutzt Evan seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, um Menschen in Not zu helfen. In den letzten Jahren hat er vielen davon das Leben gerettet, doch der Preis war hoch. Deshalb beschließt er: Noch eine letzte Rettungsmission, dann hört er als „Nowhere Man“ auf. Doch dieser letzte Auftrag scheint immer gefährlicher zu werden und einfach kein Ende zu nehmen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #5 von (aktuell) 7
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: hauptsächlich männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz

Tiere im Buch: +/- Im Buch werden Hunde zu Hundekämpfen gezwungen, verletzt und gequält (keine genauen Beschreibungen). Es wird kein Tier getötet. Der Protagonist verletzt auch in einer Notsituation keine Tiere, ein Hund wird sogar gerettet.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Gewalt, Blut, Tierquälerei, Erbrechen
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Hu++söhne, Bitch (wird aber nie für Frauen verwendet)

Warum dieses Buch?

Ich verfolge diese Reihe und ihren liebenswürdigen Helden schon seit Band 1. Jedes Mal fühlt sich das Lesen an wie heimkommen. Deshalb war auch dieser 5. Band natürlich wieder Pflichtlektüre für mich!

Kurzrezension

Das hat mir gefallen…

+ die liebevoll ausgearbeiteten, authentischen Figuren, die auch dieses Mal wieder die größte Stärke dieses Thrillers sind. Im Mittelpunkt steht erneut Evan – der knallharte, erstklassig ausgebildete, absolut tödliche Geheimagent mit dem großen Herz. Auch seine rebellische, wilde, hochintelligente Ziehtochter Joey und der süße Hund namens „Hund“ haben sich in mein Herz geschlichen. Diese Reihe zu lesen, ist für mich immer wie heimkommen – und das liebe ich!
+ der flüssige, für einen Thriller perfekt geeignete Schreibstil, der sowohl in Actionszenen als auch in ruhigeren, emotionalen Momenten überzeugt.
+ die für diese Thriller-Reihe typischen actionreichen Kämpfe & unglaublichen Heldenmomente, die auch dieses Mal wieder großen Spaß gemacht haben. Waffenkunde gibt es wie immer gratis dazu!
+ der Feminismus. Auch dieses Mal treffen wir wieder auf viele intelligente und starke Frauenfiguren und erneut wird gänzlich auf Sexismus und großteils auch auf Geschlechterstereotype verzichtet. Mich überrascht es immer wieder positiv, wie wenig „Male Gaze“ in den Büchern von Gregg Hurwitz zu finden ist, obwohl es sich bei Agenten-Geschichten doch um ein so männlich geprägtes Genre handelt: Er verzichtet darauf, Frauen zu objektifizieren und sexualisieren, und präsentiert sie uns stattdessen als Menschen mit Ecken und Kanten – und das liebe ich an ihm!
+ die Themen (Familie, Liebe, Opfer, Schuld), die auch dieses Mal wieder tiefgründig behandelt werden.
+ die unerwarteten Wendungen, die immer wieder für eine Überraschung gut sind.

"Er sieht aus wie ein ganz normaler Mann. Aber das ist er nicht." E-Book, Position 271

Das lässt mich zwiegespalten zurück…

~ der Spannungsbogen. Auch Band 5 hat mich wieder einige Stunden lang gut unterhalten, aber der beste Band der Reihe ist es nicht. Das liegt daran, dass die Geschichte eher langsam ins Rollen kommt, dass in der Mitte einige ruhigere Passagen vorkommen und dass das hohe Erzähltempo und die atemlose Spannung der Vorgängerbände dieses Mal nicht erreicht werden.
~ die Länge der Reihe. Eigentlich wäre die Reihe als Trilogie angelegt gewesen, mittlerweile gibt es 7 Bände (auf Englisch). Ich hoffe, dass der Autor bald zum Ende kommt, weil ich es nicht mag, wenn sich Reihen ewig in die Länge ziehen und dabei schlimmstenfalls immer schlechter werden. Trotzdem freue ich mich schon jetzt auf Band 6, den ich natürlich wieder lesen werde. Hoffentlich erscheint auch die vor langer Zeit angekündigte Serie bald, auf die freue ich mich nämlich schon sehr!

"Aber ich möchte, dass du eines tust. Sieh mich an. Sie mich ganz genau an. Und frag dich: Sehe ich aus, als ob ich Angst hätte? " eBook, Position 1897

Das hat mir nicht gefallen…

- die Übersetzung (zumindest stellenweise), weil viele englische Begriffe einfach nicht übersetzt werden. Wie sollen das Menschen, die nicht gut Englisch können, verstehen? Die ganze Zeit im Internet nachzuschlagen, macht beim Lesen sicher keinen Spaß!

"Jedes Mal meldete er sich mit demselben Satz: ‚Brauchen Sie meine Hilfe?' und dann griff er ein, um die Unschuldigen zu beschützen, weil es sonst niemand tat." E-Book, Position 271

Mein Fazit

Auch Band 5 ist wieder unterhaltsam und wurde mit viel Herz geschrieben – das beste Buch der Reihe ist er aber nicht. Gewohnt stark präsentieren sich auch dieses Mal die Figuren, der Schreibstil und die tiefgründigen Themen, dafür schwächelt der Thriller etwas bei der Spannung und beim Tempo. Das ist natürlich Kritik auf hohem Niveau, deshalb freue ich mich schon jetzt auf Band 6! Fans der Reihe können hier unbesorgt zugreifen – und wer die Reihe noch nicht kennt, sollte das so schnell wie möglich ändern! Viel Spaß!

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Tiefe: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonist: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 3 Lilien
Tempo: 3 Lilien
Wendungen: 4 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 4 zufriedene Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.06.2022

Actionreich und spannend, aber leider kamen die Gefühle zu kurz!

Cainstorm Island – Der Gejagte
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Der 17-jährige Parkour-Sportler Emilio lebt mit seiner hoch verschuldeten Familie auf einem armen Kontinent, der von der Welt der Reichen durch eine unüberwindbare ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Der 17-jährige Parkour-Sportler Emilio lebt mit seiner hoch verschuldeten Familie auf einem armen Kontinent, der von der Welt der Reichen durch eine unüberwindbare Barriere getrennt ist. Eines Tages erhält er ein unwiderstehliches Angebot: Ihm wird ein Chip ins Gehirn gepflanzt, der jeden Tag live überträgt, was er mit seinen Augen sieht; dafür wird er gut bezahlt. Am Anfang läuft es gut – bis Emilio live auf Sendung aus Notwehr den Anführer einer Gang tötet. Gleichzeitig wird er zum Video-Star und Gejagten…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 von (aktuell) 2
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Warum dieses Buch?

Ich habe vor der Lektüre nur Gutes über dieses Buch gehört. Außerdem ist „Cainstorm Island“ eine deutsche Dystopie, was mich zusätzlich neugierig gemacht hat!

Kurzrezension

Das hat mir gefallen…

+ der anschauliche, flüssige, angenehm lesbare (und für Jugendliche perfekt passende) Schreibstil, durch den sich das Buch schnell weglesen lässt.
+ die vielversprechende, interessante, spannende Grundidee (Junge tötet im Livestream in Notwehr einen Ganganführer und schwebt daraufhin in Lebensgefahr).
+ den sympathischen Protagonisten, den ich mochte und mit dem ich mitfiebern konnte.
+ die überraschenden Wendungen, der actionreiche Plot und das Spannungslevel, das konstant hochgehalten wird.
+ der Feminismus. Es gibt in diesem dystopischen Jugendthriller viele intelligente, mächtige und (körperlich) starke Frauen und keine gegenderten Beleidigungen, und den Bechdel-Test besteht er auch. Ein Punkt wird für die vereinzelt vorkommenden Geschlechterstereotype und uncoole Aussagen (z. B. die, dass eine Frau „schon fast zu muskulös“ sei) abgezogen.

„Mord und Totschlag ziehen bei ihnen [den Zuschauer·innen] immer. Inzwischen kenne ich sie gut. Für ein paar blutige Geschichten an einem langweiligen Donnerstagnachmittag sind sie immer zu haben. Echtes Drama aus sicherer Entfernung.“ E-Book, Position 29

Das lässt mich zwiegespalten zurück…

~ die dystopische Welt, die schon okay war, aber leider nicht viel Neues bietet.
~ die Atmosphäre, die an manchen Stellen noch dichter hätte sein können.
~ die interessanten Themen (Armut, Familie, Zusammenhalt, Freundschaft, Selbstfindung), bei deren Behandlung mir allerdings oft Tiefe fehlte.
~ die Figuren. Einige Charaktere fand ich gut gelungen, andere bleiben leider blass und austauschbar. In mein Gedächtnis gebrannt hat sich leider keiner davon, ich werde sie wohl alle schnell wieder vergessen haben…

„Sie hat Prinzipien, aber sie ist eine Killerin mit blutbespritzter Hose, einem Messer, das in ihrem Gummistiefel steckt, und einer Pistole.“ E-Book, Position 2306

Das hat mir nicht gefallen…

- der Mangel an Emotionen. Es gibt Action und Wendungen im Überfluss, aber die Gefühle bleiben dabei leider auf der Strecke. Das Buch konnte mich emotional nicht wirklich erreichen.
- das Drama, das ich in manchen Momenten wirklich übertrieben fand.

Mein Fazit

„Cainstorm Island“ eignet sich perfekt als actionreicher, spannender, recht feministischer Jugendbuch-Snack für zwischendurch – große Gefühle oder zu viel Tiefe sollte man hier aber nicht erwarten. Kurz: Kann man lesen – wer es nicht tut, verpasst aber auch nichts Weltbewegendes.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Tiefe: 3 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 3,5 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonist: 4 Lilien
Figuren: 3,5 Lilien
Spannung: 5 Lilien
Wendungen: 4 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 2,5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 4 Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere