Gut, aber ...
Rokesby – Miss Bridgerton und der geheimnisvolle VerführerAls riesengroßer Bridgerton-Fan stand es für mich außer Frage, dass ich auch die dazugehörigen Rokesby-Bände lesen muss. Bei "Miss Bridgerton und der geheimnisvolle Verführer" handelt es sich zwar um den ...
Als riesengroßer Bridgerton-Fan stand es für mich außer Frage, dass ich auch die dazugehörigen Rokesby-Bände lesen muss. Bei "Miss Bridgerton und der geheimnisvolle Verführer" handelt es sich zwar um den dritten Teil, doch dank der exzellenten Schreibkünste von Bestsellerautorin Julia Quinn - die jeder Geschichte und deren Figuren stets so viel Individualität einhaucht, dass man felsenfest davon überzeugt sein könnte, einen Einzelband zu lesen - tauchte ich mühelos in die Storywelt ein, begab mich mit Poppy und Andrew auf See, und erfreute mich an dem Gedanken, dass auch diese Quinn'sche Buchreihe mein regencyliebendes Herz beglücken wird.
ABER … so sehr ich die wundervolle Figurenzeichnung und speziell Poppys Charakter geliebt habe … so sehr ich den emotionalen, humorvoll-frechen, bildreichen Schreibstil der Autorin sowie die Authentizität ihrer Beschreibungen rund um das Themengebiet Schifffahrt bewundert habe … muss ich fairerweise eingestehen, dass dieses Werk für mich der bisher schwächste Read aus ihrer Feder war. Ich wage es kaum zu sagen, doch abgesehen von Anfang und Ende - in anderen Worten: abgesehen von den wenigen Passagen, die sich NICHT auf dem Schiff abspielten - war es zwischenzeitlich ziemlich … langatmig. Ich möchte betonen: Es lag am Plot! Schreibtechnisch hat die Autorin das Beste aus einer faden Situation - Poppy ist den Großteil der Handlung in der Kapitänskajüte eingesperrt - herausgeholt. Sie lässt uns die Hauptfiguren intensiv kennenlernen und verwöhnt uns mit Formulierungen, die vor Romantik nur so strotzen:
"Er war kein romantischer Mann, zumindest hatte er sich nie dafür gehalten. Aber dieser Augenblick war zu einem Gedicht geworden, der Wind flüsterte die Zeilen […] Und wenn die Welt unter seinen Füßen ein Sonett geworden war, dann verkörperte sie die schönste aller Melodien."
Ja, ja … der heimlich im Dienst für die englische Krone agierende Kapitän mimt nach außen den harten Captain, hat im Grunde allerdings ein ein butterweiches Herz. Es sorgt sich um das Wohl seiner Crew (ausreichend Ruhezeiten, gutes Essen), speziell um den jüngsten Matrosen, der beinahe noch ein Kind ist (Billy). Obwohl Poppy seinen Alltag durcheinanderwirbelt, ist er äußerst bemüht um ihre Sicherheit und ihre Gemütslage. Als er dem Drang nicht widerstehen kann, sie zum Lächeln bringen zu wollen, nimmt er sie eines Nachts mit an Deck - und wir erleben einen magisch schönen Moment unterm Sternenhimmel mit ihnen.
"Seltsam, wie zufrieden er damit war, ihr einfach ins Gesicht zu blicken. Poppy beobachtete den Himmel, und er beobachtete sie, und es war vollkommen."
Das Geplänkel zwischen Andrew und Poppy habe ich total genossen! Poppy ist echt ein Unikat - so liebenswert chaotisch und wissbegierig, dass man sie einfach mögen muss; Andrew kann gar nicht anders, als ihrem Charme zu erliegen.
"Poppy Bridgerton war irritierend, nervtötend und viel zu klug für seinen Seelenfrieden. Sie war eine Unannehmlichkeit, eine drohende Katastrophe, und trotzdem, wenn er an sie dachte - und das tat er die ganze Zeit, verdammt -, dann lächelte er. Manchmal grinste er sogar."
Nicht so toll hingegen fand ich die endlosen Gedankenschleifen beider Hauptfiguren; ich verstehe jedoch, dass die Autorin - angesichts der relativen Ereignislosigkeit auf See - auf dieses Stilmittel zurückgreifen musste. Apropos Seefahrt: Ich lerne gerne Neues dazu, doch die Vielzahl der nautischen Fachbegriffe hat mich teilweise fast zum Querlesen jener Passagen verleitet.
Nach dieser Lektüre weiß ich: Im realen Leben mag ich eine Wasserratte sein, doch auf literarischer Ebene bevorzuge ich Ereignisse an Land - zumindest im Bridgerton'schon Universum.
Vielleicht war dies der eigentliche Knackpunkt: Abgesehen von den Namen der Figuren war es eher ein allgemeiner historischer Roman, der zufällig zur Regencyzeit spielt; das Vertraute und das, was ein Bridgerton-Werk für mich ausmacht (gesellschaftliche Ränkespiele, rauschende Ballnächte, die besondere Familiendynamik, das Setting - englische Landsitze, Stadthäuser, von Kerzenlicht erleuchtete Ballsäle, etc.) fehlte mir.
𝐅𝐚𝐳𝐢𝐭: 3 ✰ ✰ ✰
Trotz einiger Kritikpunkte - zu viel Schiffsreise, zu wenig Bridgerton - war es ein unterhaltsamer historischer Roman. Band 4 der Reihe steht bereits in meinem Bücherregal und ich freue mich darauf, nach diesem ungewöhnlichen Setting hoffentlich wieder in - wie Andrew es vermutlich ausdrücken würde - 'vertraute Gewässer' zurückzukehren.