Das Buch "Herz auf Eis" ist die Geschichte eines Existenzkampfes auf einer einsamen Insel, die so dicht und eindringlich geschrieben ist, dass mich das Buch einfach nur überwältigt hat. Das Buch ist ein moderner Abenteuerromanen, Liebesroman, Extremerfahrung und Überlebenskampf und lässt den Leser nicht mehr los, so packend und spannend erzählt die Autorin Isabelle Autissier.
"Als Kind hat sie geträumt, sie sei eine Heldin. Aber dem Leben sind die Träume egal."
Das Paar Louise und Ludovic, begütert und versorgt, verlassen das Pariser Leben für einen Segeltörn über der Atlantik. Die beiden hatten sich beim Klettern kennengelernt, und die schüchterne, zurückhaltende junge Frau kann es kaum fassen, dass der schöne und begehrenswerte Ludovic sich ausgerechnet in sie verliebte.
Ludovic, vom Leben verwöhntes Einzelkind und genervt vom grauen Job-Alltag, will aussteigen und überredet die auf Sicherheit bedachte und konventionelle Louise, deren Passion und Rückzug das Bergsteigen ist, zum Sabbatjahr für die Atlantik-Segeltour.
Von den Antillen entlang der Südamerikanischen Atlantikküste mit der Yacht "Jason" bis Kap Hoorn ist die Reise für die beiden der Inbegriff von Freiheit, sie fühlen sich stark und überlegen und glauben, der Essenz des wahren Lebens auf der Spur zu sein.
Doch das Reiseglück schlägt im Südatlantik um, als sie ohne vorher ihren Standort zu funken eine einsame Insel anlaufen. Durch einen Sturm, bei dem die "Jason" sinkt, unfreiwillig gestrandet auf der Insel Stromness (Südgeorgien) jenseits des 50. Breitengrades, 1400 km östlich der Falklandinseln gelegen, Naturschutzgebiet mitten im Meer und nur von Pinguinen und Robben bewohnt, stürmisch und eiskalt, felsig und abweisend, müssen sie sich ohne Ausrüstung dem Überlebenskampf stellen.
" Jason, ihr Schiff, ihr Haus, der Inbegriff ihrer Freiheit, ist einfach ausgelöscht, wegradiert wie ein Fehler. ... Sie sind geradezu empört, empfinden ihre Lage als unangemessen."
Das hochdramatische Ringen ums Überleben auf der Felseninsel, das psychologische Drama, das sich zwischen Louise und Ludovic entspinnt, der Versuch der beiden, Menschlichkeit zu bewahren, ist von der Autorin höchst eindringlich und spannend beschrieben. Anfänglicher Aktionismus und großer Elan dienen der Verdrängung der Gedanken an die Zukunft, Überleben scheint möglich.
"Die Gewissensforschung, der Stolz auf die geleistete Arbeit, die Anstrengungen - all das beweist ihr Menschsein, unterschiedet sie von Tieren...Solange sie die Gesellschaft nachahmen, gehören sie ihr noch an."
Anfangs als Partner agierend und die Schuldfrage und die Wut über das Geschehen notwendigerweise zurückstellend entwickelt sich das Verhältnis der beiden im Überlebenskampf immer mehr zu einem Kampf gegeneinander. Ludovic setzt sich durch und gibt wie seit Beginn der Beziehung der beiden den Takt an, schafft damit Situationen, bei denen der partnerschaftliche und zivilisierte Umgang des Paares in reine Abscheu und Gewalt umschlägt.
Dennoch verzehren sich Louise und Ludovic füreinander und brauchen sich gegenseitig. Sie schöpfen erneut Hoffnung aus gemeinsamer Arbeit, doch der sich verschlechternde Gesundheitszustand durch zu wenig und Mangelernährung, Sorge vor dem einsetzenden Winter und weitere Rückschläge schaffen eine ganz unmittelbare Leben-oder-Tod-Situation. Louise, die starke Kämpferin, trifft allein eine Entscheidung, die sie an den Rand und darüber hinaus dessen bringt, das sie aushalten kann.
"Sie hat sich einen Kokon gesponnen, der sie am Leben hält, oder eher zwischen zwei Leben, dem davor und dem danach."
Sprachlich präzise und knapp, sachlich und klar schafft es die Autorin auf dem reichlich 200-Seiten-Roman mit wenigen Worten, den Leser in bedrohliche Situationen zu stellen, ohne ablenkende oder beschönigende Umschreibungen. Die Beschreibung der kargen Insel und der Lebensumstände ist so gut getroffen, dass ich beim Lesen gefroren habe. Eindrucksvoll ist, wie man beim Lesen die Naturgewalten des Meeres, des Sturmes und des Eises ängstlich fühlen kann.
"Nicht mehr kämpfen, den Albtraum beenden, der doch zu nichts führt. Schlafen, schlafen ohne Hunger, ohne diese ständige Angst vor dem nächsten Tag."
Das Lesen des Romanes ist, wie die Geschichte selbst, eine grenzwertige Erfahrung. Man wird an den Rand des Erträglichen geführt, und obwohl man von der Autorin dort nicht allein stehen gelassen wird, ist es extem, insbesondere im Hinblick auf die psychologischen Aspekte. Der Kampf um den Erhalt der Menschlichkeit und Liebe, ums Überleben und gegen die Verzweiflung und gegen das Aufgeben sind derartig nachspürbar und dicht, dass es fast nicht auszuhalten ist.
Bravo dafür, ich bin komplett überwältigt von diesem großartigen, mitreißenden, traurigen und zugleich hoffnungsvollen Roman, der völlig zu Recht für den Prix Goncourt nominiert wurde.
Die französische Autorin Isabelle Autissier, geboren 1956, umsegelte übrigens 1991 als erste Frau selbst die Welt und weiß, wovon sie schreibt. Sie lebt in La Rochelle und schreibt seit den 1990er Jahren.