Spiel mit Möglichkeiten - klasse gemacht
„...Vergesst nicht: Wir sind hier nicht in Afrika. Wir fahren nicht über frisch geteerte, moderne Straßen. Wir haben 900 Kilometer alte löchrige, teilweise sogar ungeteerte Wege vor uns...“
Nein, in den ...
„...Vergesst nicht: Wir sind hier nicht in Afrika. Wir fahren nicht über frisch geteerte, moderne Straßen. Wir haben 900 Kilometer alte löchrige, teilweise sogar ungeteerte Wege vor uns...“
Nein, in den obigen Zitat ist kein Fehler! Die Welt des Romans sieht ganz anders aus als unsere Gegenwart. Fortschritt und Wohlstand gibt es in den USA, den Vereinigten Staaten von Afrika. Europa und Amerika sind in die Bedeutungslosigkeit versunken. Allerdings gibt es in der Schweiz nach wie vor ein hochspezialisiertes, von der Umwelt hermetisch abgeriegeltes und von Afrikanern beherrschtes Forschungszentrum, das Quantum.
Dorthin bekommt Levi Rosenberg, ein junger Physiker, eine Einladung. Levi ist im jüdischen Ghetto in Palästina aufgewachsen. Ein Lehrer hatte seine Begabung erkannt und ihn mittels eines afrikanischen Stipendienprogramms das Studium in Nairobi ermöglicht. Levis Forschungsgegenstand sind Zeitreisen. In der Schweiz bringt ihn Ulli ins Forschungszentrum. Ulli ist ein deutscher Ingenieur. Er kann fast alles reparieren, was ihm unter die Finger kommt. Erwartet wird Levi von Professor Numibia Djioufur und Frau Dr.
Kelly-Ann Mulligan. Letztere gilt trotz ihrer jungen Jahre als eine der genialsten Wissenschaftlerinnen ihrer Zeit.
Levi erfährt, dass es schon mindestens eine Zeitreise gegeben hat. Vor 33 Jahren verschwand Arthur Wellesley. Nun wurden Schriftstücke von ihm gefunden, die seine Zeitreisen belegen. Ein Rätsel weist den Weg zur Zeitkapsel. Levi, Ulli, Numibia und Kelly machen sich auf die Suche. Das aber passt der afrikanischen Union ganz und gar nicht. Ein Spezialtrupp soll sie ausschalten, denn ein eingriff in die Vergangenheit könnte ihre Vorherrschaft gefährden.
Der Autor hat eine fesselnde und phantasievolle Geschichte geschrieben. Die Handlung hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Das liegt nicht nur an den gut ausgewählten Protagonisten (Kelly - Christ, Numibia - Moslem, Levi – Jude, Ulli – nichts Genaues weiß man nicht), der fast gespiegelten Wirklichkeit und dem physikalischen Hintergrund, sondern auch an dem besonderen Schreibstil. Ihn als humorvoll und ironisch zu bezeichnen, trifft es nicht vollständig, aber eine bessere Beschreibung fällt mir nicht ein.
Ausgangspunkt sind die Aufzeichnungen Wellesley, der mit Napo in der Vergangenheit unterwegs war. Er hat ausgetestet, was kleine Veränderungen in der Vergangenheit für die Gegenwart bedeuten. Als Plattform für seine Spielereien hat er die Musikszene gewählt. Deshalb ist im Roman Janis Joplin auch die Leadsängerin der Rolling Stones.
Die Geschichte ist sehr geschickt aufgebaut. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit bilden die vier Protagonisten schnell ein eingespieltes Team. Jeder bringt sich mit seinen Stärken ein. Nach einer rasanten Reise durch Europa mit all den Schattenseiten eines unterentwickelten Kontinents, wie obiges Zitat zeigt, verfolgt von einem Elitetrupp, gelingt es den Protagonisten, in die Vergangenheit zu starten. Wo sie landen und was sie dort erleben, darf der zukünftige Leser selbst herausfinden.Bei ihrer Rückkehr erwartet sie eine eher unangenehme Überraschung. Dem folgt eine zweite Reise.
Das Spiel des Autors mit gesellschaftlichen Möglichkeiten finde ich erstaunlich gut gemacht. Er zeigt auf, wie unsere Erde in der Gegenwart auch aussehen könnte, wenn manche Ereignisse der Vergangenheit geringfügig anders verlaufen wären, und welche politischen Verhältnisse unter entsprechenden Voraussetzungen möglich wären. Diese Gedankenspiele werden gekonnt ironisch überhöht und lassen das Kopfkino weiterarbeiten. Allerdings zwingen sie auch zum Nachdenken über unser Tun und Handeln. Wenig erstaunlich dabei ist, dass sich zwar die Machtverteilung deutlich geändert hat, aber die gleichen Instrumente und Strukturen wirken, sei es auf afrikanischer, amerikanischer oder russischer Seite.
Das Cover ist phantasievoll gestaltet und weckt Interesse.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Einige Gründe dafür habe ich schon erwähnt. Hinzu kommt, dass die Begegnungen in der Vergangenheit für manch unerwartete Überraschung gesorgt haben. Ich sollte wohl mein Geschichtsbild hinterfragen. Selbst der Schluss des Buches enthält noch einen unerwarteten Knalleffekt.