Profilbild von Wordworld_Sophia

Wordworld_Sophia

Lesejury Star
offline

Wordworld_Sophia ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wordworld_Sophia über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.12.2022

Über Identität, Sexualität, Beziehungen und wahre Größe!

Die sieben Männer der Evelyn Hugo
0

"The Seven Husbands of Evelyn Hugo" lag bei mir viel zu lange auf meinem SuB und durfte mich deshalb endlich über die Weihnachtsfeiertage als Buddyread mit Sofia von @sofiasworldofbooks begleiten (an dieser ...

"The Seven Husbands of Evelyn Hugo" lag bei mir viel zu lange auf meinem SuB und durfte mich deshalb endlich über die Weihnachtsfeiertage als Buddyread mit Sofia von @sofiasworldofbooks begleiten (an dieser Stelle mal wieder ein Shoutout an meine liebste Buddyreadpartnerin!). Meine Erwartungen an das Buch waren aufgrund der vielen begeisterten Rezensionen durchaus hoch, die Geschichte konnte ihnen aber mit Leichtigkeit mehr als gerecht werden und hat mir auf den letzten Meter noch ein unerwartetes, aber deshalb umso intensiveres Jahreshighlight beschert! Einfach wow!

Zunächst wie immer einige Worte zur Gestaltung. Ich habe die englische Originalausgabe gelesen, deren Titel und Cover zwar nicht unbedingt als schön zu bezeichnen sind, aber passender nicht sein könnten. Zu sehen ist die abgeschnittene Form einer blonden Frau in einem smaragdgrünen Abendkleid, Perlenkette und rotem Lippenstift, die vor dem dunkelroten Hintergrund eines Strandhauses posiert. Damit entspricht sie genau dem Bild, das ich von Evelyn Hugo während dem Lesen kultiviert habe und vermittelt einen Eindruck von Glamour und Geheimnissen - eben genau des Mottos, nachdem Evelyn lebt:

“Never let anyone make you feel ordinary.”


Schon nach wenigen Seiten hatte die Geschichte mich am Haken und ich wusste: das wird richtig, richtig gut! Ich finde es sehr schwer, mich zu entscheiden, wo ich bei diesem Meisterwerk überhaupt anfangen will, denke aber, man muss zunächst die interessante Erzählweise kennen, um die besondere Wirkung des Buches zu verstehen. Die Autorin breitet hier so lebensecht die Lebensgeschichte einer Hollywood-Ikone von Anfang bis Ende aus, dass es sich ohne Weiteres um eine echte Biografie handeln könnte. Dazu nutzt sie zwei Zeitebenen und verschiedene Erzählperspektiven. Zunächst lernen wir die junge Journalistin Monique kennen, die das überraschende Angebot erhält, die Memoiren von Schauspiel-Legende Evelyn Hugo zu schreiben. Zwischen kurzen Abschnitten in der Gegenwart, in denen eine betagte Evelyn Monique ihre Lebensgeschichte erzählt, ist eben jene Biografie aus der Ich-Perspektive von Evelyn eingeschoben. Beginnend mit dem Tod ihrer Mutter und dem Kennenlernen ihres ersten Ehemanns in 1954 verfolgen wir aufgeteilt in sieben Teile, die jeweils nach ihren Ehemännern benannt sind, Evelyns Aufstieg vom armen Hells Kitchen bis in den höchsten Ränge Hollywoods. Zusätzlich zu den zwei Zeitebenen und Erzählperspektiven, sind auch in regelmäßigen Abständen Zeitungsauschnitte beigefügt, die jeweils die Sicht der Öffentlichkeit auf die Geschehnisse widerspiegeln.

“Evelyn looks at me with purpose. "Do you understand what I'm telling you? When you're given an opportunity to change your life, be ready to do whatever it takes to make it happen. The world doesn't give things, you take things. If you learn one thing from me, it should probably be that.”


Durch diese beigefügten Artikel und Moniques Außensicht auf Evelyn sehen wir in ihr zunächst, was die ganze Welt sieht: eine überlebensgroße Ikone mit einem bewegten Leben, sieben Ehemännern und großem Talent. Zusammen mit Evelyn dann in die Tiefe zu gehen und herauszufinden, was wirklich hinter den sieben Ehen und ihrem großen Erfolg gesteckt hat, fühlt sich dadurch sehr intim an. Ihr Leben aus ihrer eigenen Sicht nachzuerleben ist ein schockierendes, skandalöses, beeindruckendes und immer wieder überraschendes Leseerlebnis. Denn trotz dass wir durch die Zeitungsartikel und Monqiues Recherchen in groben Zügen wissen, wie Evelyns Leben verlaufen wird, kann man nicht anders als sich kopfüber in die Geschichte zu stürzen und gebannt an jedem Wort zu hängen. Das liegt vor allem an den beiden großen Leitfragen, die sich als Spannungsgeber durch die Geschichte ziehen: Wer war Evelyn Hugos große Liebe? Und: Wie sind die Leben von Monique und Evelyn verbunden, sodass die Hollywood Größe ausgerechnet die unbekannte Journalistin dazu auserkoren hat, ihre Geschichte zu erzählen?

“People think that intimacy is about sex. But intimacy is about truth. When you realize you can tell someone your truth, when you can show yourself to them, when you stand in front of them bare and their response is 'you're safe with me'- that's intimacy.”


Auch der mitreißende Schreibstil der Autorin sorgt dafür, dass die Geschichte eine Dynamik entwickelt, der man sich nicht entziehen kann. Taylor Jenkins Reid entführt hier in das Old Hollywood der 50er Jahre und zeichnet ein Bild von Licht und Schatten. Bald wird klar, dass hier weniger die Kunst des Filmemachens im Vordergrund steht und mehr Intrigen, Machtkämpfe, Korruption, Skandale, Zufall, Glück, die Meinung der Presse und gute Beziehungen festlegen, wer Erfolg hat und wer nicht. Es geht um Opfer, Hass, Gewalt, Sucht und den schönen Schein, jedoch auch um Talent, Inspiration, Hilfe, Freundschaft und Liebe. Ich bin beim Lesen geradezu durch die Seiten gerauscht und habe immer wieder Bewunderung für Taylor Jenkins Reid verspürt, gleichzeitig ist jedoch schwer festzumachen, was ihren Schreibstil eigentlich überhaupt ausmacht, da er für mich stark mit Evelyn als erzählender Figur verschmolzen ist. Ich habe zeitweise komplett vergessen, dass hier Taylor Jenkins Reid eine fiktive Geschichte schreibt und nicht Evelyn Hugo tatsächlich von ihrem Leben erzählt. Und das ist wohl alles, was ich des Lobes über ihren Schreibstil sagen muss.

“You do not know how fast you have been running, how hard you have been working, how truly exhausted you are, until somewhat stands behind you and says, “It’s OK, you can fall down now. I’ll catch you.”


Damit wären wir auch schon beim großen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte angekommen: Die Hauptfigur. Evelyn Hugo - Der beeindruckendste und vielschichtigste Mensch, der mir zwischen zwei Buchdeckeln jemals begegnet ist und der so lebensnah erschien, dass ich mich beim Lesen mehrmals davon abhalten musste, sie zu googeln. Zu sehen, wie sich diese starke Frau mit enormem Talent, großen Ambitionen und dem Willen, für ihren Traum alles zu opfern, in einer männerdominierten, eiskalten Welt bis ganz nach oben durchschlägt, hat mich zu gleichen Teilen stolz gemacht und mein Herz gebrochen. Sie ist eine moderne Frau in einer sexistischen Welt, die für ihre Fortschrittlichkeit noch nicht bereit war und sie auf das heruntergebrochen hat, was auf den ersten Blick ersichtlich war: ihre Schönheit, ihre Sexualität, ihre sieben Ehemänner. Wir bekommen allerdings einen Blick hinter die Kulissen der großen Ikone und sehen sie als Freundin, als Mutter, als Ehefrau und als Geliebte, sehen sie mit ihren Schwächen, ihren Fehlern, ihrer Menschlichkeit und bewundern sie für ihre Einstellung, sich nicht kleinreden zu lassen und selbstbestimmt zu entscheiden, wer sie sein möchte. Dadurch entsteht beim Lesen eine große Nähe zu ihr, auch wenn man sie als Figur nicht zu jedem Zeitpunkt sympathisch finden kann, und es geht nicht anders, als ihre Entwicklung über die Jahre hinweg mit Spannung zu verfolgen.

“It’s always been fascinating to me how things can be simultaneously true and false, how people can be good and bad all in one, how someone can love you in a way that is beautifully selfless while serving themselves ruthlessly.”


Besonders spannend ist, dass sie mit der Zeit nicht nur klarer sieht, was sie eigentlich möchte und langsam zu ihren Wurzeln zurückfindet, sondern auch durch ihre Erfahrungen eine aufmerksamere Beobachterin wird. Das schlägt sich auch in der Erzählperspektive wieder. Ihre eigenen Gefühle und Gedanken werden immer reflektierter und auch die Ambivalenz der Menschen um sie herum immer eindeutiger, sodass man mehrmals seine Meinung über sie ändern muss. Sowohl während ihrer Geschichte als auch rückblickend, als alle Geheimnisse aufgedeckt und alle schmerzhaften Fakten auf dem Tisch liegen, kann man Evelyn für ihre Handlungen und Entscheidungen weder ausschließlich bewundern noch klar verurteilen. Monique fasst diese Komplexität am Ende sehr treffend zusammen: "There´s Evelyn Hugo for you. Somewhere in the middle."

No one is just a victim or a victor. Everyone is somewhere in between. People who go around casting themselves as one or the other are not only kidding themselves, but they’re also painfully unoriginal.”

Auch die Nebenfiguren sind so greifbar und lebendig dargestellt, dass man sich beim Lesen sicher ist, dass es sie gegeben haben muss. Egal ob die sieben Ehemänner, Evelyns Freundin Celia, ihre Tochter Connor oder die vielen Wegbegleiter, die eher kleinere Rollen spielen - alle sind nuanciert mit vielen Grautönen dargestellt, sodass man sie alle gleichermaßen lieben und verachten muss. Mein absoluter Lieblingscharakter war dabei der Filmproduzent Harry Cameron. Über die Gründe für meine Bewunderung für ihn sowie meine Meinung zu weiteren Nebenfiguren kann ich hier allerdings leider nicht viel schreiben, da es zu viel spoilern würde. Lasst Euch allerdings gesagt sein, dass nichts ist, wie es scheint und auch ehemals verhasste Figuren nochmal ein überraschendes Comeback haben können...

“Isn't it awfully convenient,” Harry added, “that when men make the rules, the one thing that's looked down on the most is the one thing that would bear them the greatest threat? Imagine if every single woman on the planet wanted something in exchange when she gave up her body. You'd all be ruling the place. An armed populace. Only men like me would stand a chance against you. And that's the last thing those assholes want, a world run by people like you and me.”

Monique, die die Geschichte in der Gegenwart erzählt, bleibt neben der ausführlich aufgerollten Lebensgeschichte von Evelyn eher im Hintergrund, wenn auch dadurch nicht blass. Besonders zu sehen, wie die Begegnung mit Evelyn ihr eigenes Leben und ihre Entscheidungen beeinflusst, in dem sie die vielen kleinen Lebensweisheiten berücksichtigt, die Evelyn mal ganz klar ausspricht, mal mit großen Fußspuren vorlebt, ist sehr interessant und herzerwärmend. Die große Wendung am Ende, die die Verbindung zwischen den beiden Frauen enthüllt, kam für mich allerdings nicht zu 100% überraschend, als vorhersehbar würde ich sie aber definitiv nicht bezeichnen. Eher dass Taylor Jenkins Reid durch viele versteckte Hinweise eine Art Bauchgefühl bei uns LeserInnen etabliert, das uns dann auf die richtige Fährte führt.

When you dig just the tiniest bit beneath the surface, everyone's love life is original and interesting and nuanced and defies any easy definition.”

Generell ist es bezeichnend, dass man trotz des enormen Foreshadowings immer wieder von der Geschichte überrascht wird und auch das Ende einschlägt wie eine Bombe. Zwar weiß man durch die Vorausgriffe der Zeitungsartikel, was in etwa passieren wird und dass Evelyn am Ende ihres Lebens alleine dastehen wird. Auf den absoluten Herzschmerz der letzten 100 Seiten kann dieses Wissen einen aber dennoch nicht vorbereiten. Nach dieser emotionalen Reise durch Evelyns Leben zuzusehen, wie sie nacheinander alle Menschen verliert, die ihr jemals am Herzen lagen, ist einfach nur herzzerreißend und ich gebe gerne zu, dass ich beim Lesen des Endes geweint habe. Und zwar die kompletten letzten 50 Seiten! Als kleine Kostprobe kommt zum Abschluss meiner Rezension das Zitat, das mich am allermeisten zerstört hat:

“But if you have to go, then go. Go if it hurts. Go if it's time. Just go knowing you were loved, that I will never forget you, that you will live in everything Connor and I do. Go knowing I love you purely, Harry, that you were an amazing father. Go knowing I told you all my secrets. Because you were my best friend.”


Fazit:

Unterm Strich ist "The Seven Husbands of Evelyn Hugo" also ein wahnsinnig lebensechtes Porträt einer starken Frau, das von Beginn an durch eine unglaublich interessante Dynamik und intensive Nähe zu den Figuren mitreißt und beim Lesen die gesamte Palette an verfügbaren Emotionen ausgelöst hat. Ich bin tief beeindruckt von dieser Geschichte über Identität, Sexualität, Beziehungen und wahre Größe und werde sie definitiv noch lange in Erinnerung behalten.



Zum Abschluss noch ein paar weitere Zitate:

“Sometimes reality comes crashing down on you. Other times reality simply waits, patiently, for you to run out of the energy it takes to deny it.”

“Heartbreak is a loss. Divorce is a piece of paper.”

“And taking pride in your beauty is a damning act. Because you allow yourself to believe that the only thing notable about yourself is something with a very short shelf life.”

“Which is about the cruelest thing you can do to someone you love, give them just enough good to make them stick through a hell of a lot of bad.”

“Oh I know the whole world prefers a woman who doesn't know her power, but I'm sick of all that.”

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2022

Einfach nur EPISCH!

Crescent City – Wenn ein Stern erstrahlt
0

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert ...

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert habe. Da der deutsche Verlag mit der Übersetzung wahnsinnig Gas gegeben hat, stand schon seit Mitte Juni meinem Versuch zu überprüfen, ob die Geschichte wirklich den Hype der englischen Community verdient, nichts mehr im Weg ... außer meinen eigenen Ansprüchen. Wie bei allen langersehnten Neuerscheinungen hatte ich als langjähriger Sarah-J.-Maas-Fan ein wenig Angst, von diesem Genreausflug enttäuscht zu werden und mir deshalb einige Wochen Zeit gelassen, bis ich mich im Buddyread zusammen mit Sofia von @SofiasWorldofBooks dem Buch gewidmet habe. Doch wieder einmal waren diese Sorgen unbegründet: "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" ist genau wie sein Vorgänger unfassbar komplex, brutal, schonungslos, herzbrechend, wunderschön, magisch, liebevoll, bildgewaltig, detailreich und wieder einmal einfach nur EPISCH!

Schon bei der Gestaltung könnte ich stundenlang ins Schwärmen kommen. Dass das detailgetreue Cover mit den vielen liebevoll gestalteten Einzelheiten, den inhaltliche abgestimmten Spielereien, den kontrastreichen Farben und dem fantasievollen Motiv ein Hingucker ist, muss ich denke ich nicht genauer erklären. Positiv überrascht haben mich aber der kunstvolle Buchschnitt, der auch nach dem Lesen immer noch farbenfroh und knitterfrei mit dem Hauptmotiv verzückt, die aufwändig illustrierte Karte, der goldene Sichelmond unter dem Schutzumschlag und die episch-düstere Ausgestaltung der Buchdeckelinnenseiten. Dass das Buch trotz der knapp 900 Seiten und der gebundenen Ausgabe recht dünn ist, wird durch die recht kleine Schrift und das dünne Bibel-Seiten-Papier gewährleistet. Warum die englische Ausgabe trotzdem nur etwa die Hälfte des Umfangs aufweist, ist und bleibt mir ein Rätsel...

Erster Satz: "Sofie hatte jetzt schon zwei Wochen im Todeslager von Kavalla überlebt."

Inhaltlich aufgeteilt ist die Geschichte in drei nach den Kreisen der Hölle benannten Teile "Die Kluft", "Der Abgrund" und "Der Schlund", sowie in 78 Kapitel inklusive eines kurzen Epilogs und eines außergewöhnlich langen Prologs, die dieser langen und komplexen Story eine Struktur verschaffen. Zunächst lernen wir im Prolog mit Sofie eine neue Protagonistin kennen und dürfen einen ersten Blick auf das vom Krieg zwischen den Asteri und den Ophion Rebellen erschütterte Pangera werfen, bevor wir dann zu Bryce und Hunts Leben nach dem großen Showdown von Band 1 zurückkehren. Einige Monate sind vergangen, seit Bryce sich selbst als Erbin der Sterngeborenen Fae enthüllt hat und mithilfe von Lunas Horn auf ihrem Rücken die Stadt vor den einströmenden Dämonen gerettet hat, die der Erzengel Micah in einem Anflug von Größenwahn freigelassen hat. Um die Asteri nicht auf sich aufmerksam zu machen und zu riskieren, dass sie ihre Meinung doch noch ändern und die beiden eliminieren, müssen sich Bryce und Hunt seit den Vorfällen im Frühjahr bedeckt halten und versuchen, ein normales Leben zu führen. Als jedoch eine neue Erzengelin für die Stadt ernannt wird und die Ophion-Rebellen in Crescent City aktiv werden, wird es für die beiden immer schwieriger, unbeteiligt zu bleiben...

"Was machst du, wenn du die Wahrheit herausgefunden hast?" Bryce biss sich auf die Unterlippe. "Vermutlich zu Cthona beten, dass ich sie akzeptieren kann."


Der Einstieg in Band 2 fiel mir deutlich leichter als der in Band 1, da wir die vielen Namen, Orte, Erklärungen, Zusammenhänge und Besonderheiten des Worldbuildings schon kennen. Auch hier benötigt die Geschichte allerdings einige Seiten, um in Schwung zu kommen und wählt zugunsten vieler Details und einem starken Fokus auf die Figuren und deren Beziehung zueinander ein langsameres Erzähltempo. Doch wer zu Beginn noch dachte, Sarah J. Maas sei so begeistert von ihrem Setting gewesen, dass sie es mit dem Worldbuilding etwas übertrieben hat, wird im Laufe der Geschichte bald merken, dass alles Teil eines abgekarteten Verwirrspiels ist und all die kleinen versteckten Details am Ende ihr Comeback im Showdown erhalten. Vergleichbar zu Band 1 gibt es auch hier wieder einen Kriminalfall, an dem sich die sonstige Handlung wie an einem roten Faden entlanghangelt. Während es in Band 1 um den Mord an Danika ging, begeben sich unsere Hauptfiguren nun auf die Suche nach dem verschollenen Jungen Emile, welcher als mächtiger Donnervogel über Sieg und Niederlage der Rebellen entscheiden könnte.

"Diese Welt könnte so viel mehr sein. Diese Welt könnte frei sein. Ich verstehe nicht, warum ihr das nicht auch wollt." "Es ist schwer, die Freiheit zu genießen, wenn man tot ist", entgegnete Hunt finster. Cormac öffnete die Tür und trat in die wallenden Schatten hinaus. "Ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen, für den ich mein Leben aufgeben würde."


Dabei wird die Geschichte abermals aus verschiedenen Perspektiven an verschiedenen Orten erzählt. Neben den beiden Hauptprotagonisten Bryce und Hunt, erzählen auch Bryces Fae-Bruder Ruhn, der Meermann Tharion und der Wolf Ithan aus einer personalen Erzählperspektive, welches es möglich macht, viel vor dem Leser zu verbergen und doch einen Einblick in die Gefühle und Gedanken der Figuren zu erhaschen. Durch die vielen Erzählperspektiven sowie den Nebenhandlungsstrang rund um die Rebellen und die Wolfsmystikerin rückt der Fokus etwas von Hunt und Bryce ab, wodurch die beiden recht wenig Zeit alleine haben (die nicht mit Sexszenen gefüllt ist - die Autorin versucht nämlich in der zweiten Hälfte großzügig dafür zu entschädigen, dass es in Band 1 nicht zur Sache gegangen ist). Während die beiden als ungleiches Ermittlerduo in Band 1 beinahe die ganze Zeit zu zweit unterwegs waren, ist in "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" häufig mindestens noch eine andere Figur dabei, weshalb mir das unbeschwerte, natürliche Geplänkel zwischen den beiden etwas gefehlt hat. Dafür zelebriert die Autorin hier aber den Found-Family-Trope und wir dürfen zusehen, wie die liebevoll "Team Scheiß-auf-die-Regeln" benannte Gruppe immer größer wird und beweist, dass gemeinsame Werte mehr zusammenschweißen als eine gemeinsame Herkunft. Besonders gut gefallen hat mir dabei Ruhns Handlungsstrang mit einer ganz besonderen Romanze, die man so nicht kommen sieht...

"Meinen Verstand hat in der Dunkelheit deinen gefunden. Über einen Ozean hinweg. (...) ich werde dich finden", sagte er an ihren lodernden Haaren. "Eines Tages werde ich dich finden, das verspreche ich dir."

Trotz des leicht abschweifenden Fokus gelingt es der Autorin ihre Hauptfiguren weiterzuentwickeln und sie uns noch näher zu bringen. Gerade Bryce muss man für ihre starke, sture und sarkastische Persönlichkeit einfach lieben und sie ist mir mit jeder Seite mehr ans Herz gewachsen. Auch der gefallene Engel Hunt (eigentlich Orion) Athalar, der als Auftragsmörder für den Gouverneur Micah arbeitete und deshalb als "Todesschatten" gefürchtet wird, hat sich über das anfängliche Klischee hinaus entwickelt und entdeckt neue Seiten an sich selbst. Wir kennen sie ja alle: dominante, starke, sexy Protagonisten (ob CEOs, Prinzen, Engel, Vampire oder Fae spielt dabei keine Rolle), mit großem Ego, insgeheim gebrochenen Herzen und starken Eifersuchtsproblemen. Auch Sarah J. Maas wurde in der Vergangenheit oft für ihre dominanten Alpha-Love-Interests kritisiert. Mit Hunt und Bryce findet sie jedoch einen Weg, genau dieses Stereotyp zu parodieren und offen anzusprechen, in dem sich Bryce über das "Alpha-Arschloch-Gehabe" der Männer in ihrem Umfeld ärgert. Dadurch kommt es nicht nur zu unfassbar lustigen Dialogen, sie problematisiert auch indirekt diese Art der Figurendarstellung, auf die wir LeserInnen immer wieder hereinfallen, auf sehr unterhaltsame Art und Weise.

"Ist es ein Klischee, wenn ich sage, dass Ärger mein zweiter Vorname ist?" "Und ob. Definitiv." "Was wäre dein zweiter Vorname?", neckte er. Ihre Flammen zogen sich zurück und enthüllten diese Augen aus purem Feuer. "Vergeltung."

Das eigentliche Genie der Geschichte entfaltete sich wie immer im ausgeklügelten Verwirrspiel der Autorin: wie sie den Leser immer wieder auf falsche Fährten lockt und dann überrascht und ein komplett neues Bild zeichnet, ist wirklich genial! Hier spielt Maas geradezu mit falschen Annahmen und tänzelt auf einem schmalen Grat zwischen Verschwiegenheit, Geheimnissen, Lügen und Täuschungen. Würde ich die Geschichte mit meinem jetzigen Wissen nochmals lesen, würden mir viele subtile Andeutungen und wohl platzierte Ausführungen zu später wichtigen Themen auffallen, die ich angesichts der Komplexität der Handlung beim ersten Lesen komplett übersehen habe. So kommen viele Wendungen zwar sehr überraschend, sind aber nach kurzem Nachdenken immer schlüssig und nachzuvollziehen - was die wirkliche Kunst bei Plot-Twists ist.

"Wenn du mich nach Nena geholt hättest, wäre ich niemals hier gelandet. In Lunathion." Sein Lächeln wurde breiter, als er hinausging. "Dann wäre ich niemals Bryce begegnet." Jedes Grauen, jeder Albtraum... all das hatte sich allein ihretwegen gelohnt."

Neben der spannenden Machart mit den vielen unvorhergesehenen Wendungen und Entwicklungen sowie den dynamischen Protagonisten lebt die Geschichte auch von den bekannten Stärken der Autorin. Die erste: Worldbuilding. Manche Fantasy-Welten werden einmal aufgebaut und dann spielt sich die Handlung in diesem statischen Bühnenbild ab, doch nicht bei Sarah J. Maas: Ständig verändert sich der Fokus, der Blickwinkel, der Handlungsort der Geschichte, es werden neue Dinge aufgenommen, bestehende ändern sich - eine stetige Entwicklung, die die Geschichte so perfekt und schlüssig erweitert, dass aus dem roten Fanden, ein rotes Band wird. Das ist eine Fähigkeit, für die ich Sarah J. Maas immer bewundern werde: ihre zusammenhängende Darstellung der Welt, die immer komplexer, verschachtelter und geheimnisvoller wird, mit jedem Charakter und Handlungsstrang, der dazukommt. Hier kreiert sie eine spritzige Mischung aus Dystopie, Krimi und Fantasy-Epos und erzählt von einer modernen Welt, die von einer eigentlich unmöglichen Kombination an Fantasy-Wesen bevölkert wird. Denn statt sich für eine Spezies zu entscheiden, mischt sie hier Engel, Fae, Meereswesen, Hexen, Kobolde, Gestaltwandler, Chimären, Sensenmänner, Vampire, Werwölfe, Geister und Co - fehlen nur noch Feen, Zwerge und Riesen und dann hätte sie alles abgedeckt, was das Fantasy-Genre in den letzten Jahrhunderten erfunden hat (aber dafür gibt es hier ja noch Otter 😊😌). Besonders erstaunlich ist, dass diese verrückte Fantasy-Steampunk-Kombination tatsächlich funktioniert und sie nie das Wesentliche aus den Augen verliert oder die Story überlädt. Sie pickt sich einzelne interessante Aspekte gekonnt heraus, welche dann weitergesponnen und vernetzt werden, bis ein umwerfendes, vielseitiges Gesamtergebnis entsteht!

"Du erinnerst mich an den Wind. Mächtig und fähig, die Welt mit einem halben Gedanken zu kühlen oder erfrieren zu lassen, sie zu formen, obwohl niemand dich sehen kann, nur deine Wirkung auf die Umgebung."


Hier wären wir dann bei der zweiten bekannten Stärke der Autorin angelangt: ihrem außergewöhnlichen Schreibstil. Auch wenn sie hier durchaus modernen schreibt, als in ihren bisherigen Fantasy-Reihen und ich mich erst an die derbe Ausdrucksweise mit den vielen Flüchen und Beleidigungen gewöhnen musste, kann auch der neue Erzählton nichts an ihrem unfassbaren Talent ändern. Wie für all ihre Bücher gibt es ein Wort, das ihr erstaunliches Talent, Worte in Sätzen so zu platzieren, dass sie der Geschichte alleine durch den Schreibstil ein imposantes Auftreten verleihen, super beschreibt: EPISCH. Durch ihre teils sehr außergewöhnliche Wahl der Worte und ihre intensiven Szenenbeschreibungen, fühlt man sich oft, als würde man einem Film zusehen, der vor den eigenen Augen abläuft - Ein wunderbarer Film voller Action, Gefühle und Hintergrund und mit genialen Schauspielern natürlich

"Wir arbeiten für keine der beiden Seiten." "Für wen dann?" "Für die Wahrheit", sagte Bryce schlicht. "Wir wollen die Wahrheit herausfinden."

Kurz bevor ich zum Ende komme (ja ich weiß, diese Rezension wird lang, aber ich habe auch viel zu sagen😊), will ich Euch nicht vorenthalten, dass die Geschichte im Mittelteil durchaus einige Wiederholungen und eine deutliche Überlänge enthielt, die die Autorin versuchte mit gelegentlichen Actionszenen, heißen Szenen oder plötzlichen Schockern aufzulockern. Besonders schade fand ich, dass auch hier wieder bei jedem Thema eine Verbindung zu Danika auftaucht, welche mit der Zeit leider ein wenig konstruiert und unglaubwürdig wirkt. Ihr wird post mortem so ziemlich zu jeder Gruppierung und jeder Handlung eine Verbindung angehängt, was in Band 1 ja noch ganz gut funktioniert hat, hier aber etwas zu viel des Guten erscheint. Das Ende entschädigt jedoch genau wie in Band 1 großzügig für alle kleineren Schwächen und hat dafür gesorgt, dass ich meinen Leseeindruck von 4 Sternen augenblicklich auf 5 Sterne hochkorrigiert habe. Hier reiht sich nicht nur eine 180-Grad-Wendung an die nächste, wir bekommen auch das unfassbarste, krasseste, extremste (OMG!!!! Ich schreie innerlich immer noch, wenn ich nur daran denke) Crossover vorgesetzt, über das man erstmal hinwegkommen muss. Ich musste während dem Lesen der letzten Kapitel regelmäßig Denk- und Verarbeitungspausen einlegen und nachdem ich den letzten Satz gelesen hatte, war erstmal ein kleiner Spaziergang zum Sortieren meiner Gedanken nötig. Spätestens ab dort waren alle objektiven Kritikpunkte vergessen und ich konnte dem actionreichen, dramatischen und unglaublich tragischen Schluss nur gebannt folgen. Das einzige Problem ist nun: Mir ist absolut schleierhaft, wie ich nach DIESEM Ende die Zeit bis zum Erscheinungstermin des nächsten Bandes überbrücken soll!!!!

"Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, und das gesamte Universum löste sich in Luft auf. Es gab nur noch sie beide, jetzt und in Zukunft, vereint im Tanz, während ihre Seelen sich miteinander verwoben. "Sämtliche Ereignisse in meinem Leben sind nur deshalb passiert, damit ich dir begegnen konnte, Quinlan. Damit ich hier bei dir sein kann. Ich gehöre dir. Für immer."




Fazit:


"Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" bleibt objektiv durch kleinere Schwächen leicht hinter Band 1 zurück. Das unfassbare Ende ganz zu schweigen von den dynamischen Protagonisten und den bekannten Stärken der Autorin wie Schreibstil und Worldbuilding, entschädigten aber großzügig für alle Kritikpunkte und machten die Geschichte zu einem wahren Lieblingsbuch und Jahreshighlight!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2022

Einfach nur EPISCH!

Crescent City – Wenn ein Stern erstrahlt
0

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert ...

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert habe. Da der deutsche Verlag mit der Übersetzung wahnsinnig Gas gegeben hat, stand schon seit Mitte Juni meinem Versuch zu überprüfen, ob die Geschichte wirklich den Hype der englischen Community verdient, nichts mehr im Weg ... außer meinen eigenen Ansprüchen. Wie bei allen langersehnten Neuerscheinungen hatte ich als langjähriger Sarah-J.-Maas-Fan ein wenig Angst, von diesem Genreausflug enttäuscht zu werden und mir deshalb einige Wochen Zeit gelassen, bis ich mich im Buddyread zusammen mit Sofia von @SofiasWorldofBooks dem Buch gewidmet habe. Doch wieder einmal waren diese Sorgen unbegründet: "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" ist genau wie sein Vorgänger unfassbar komplex, brutal, schonungslos, herzbrechend, wunderschön, magisch, liebevoll, bildgewaltig, detailreich und wieder einmal einfach nur EPISCH!

Schon bei der Gestaltung könnte ich stundenlang ins Schwärmen kommen. Dass das detailgetreue Cover mit den vielen liebevoll gestalteten Einzelheiten, den inhaltliche abgestimmten Spielereien, den kontrastreichen Farben und dem fantasievollen Motiv ein Hingucker ist, muss ich denke ich nicht genauer erklären. Positiv überrascht haben mich aber der kunstvolle Buchschnitt, der auch nach dem Lesen immer noch farbenfroh und knitterfrei mit dem Hauptmotiv verzückt, die aufwändig illustrierte Karte, der goldene Sichelmond unter dem Schutzumschlag und die episch-düstere Ausgestaltung der Buchdeckelinnenseiten. Dass das Buch trotz der knapp 900 Seiten und der gebundenen Ausgabe recht dünn ist, wird durch die recht kleine Schrift und das dünne Bibel-Seiten-Papier gewährleistet. Warum die englische Ausgabe trotzdem nur etwa die Hälfte des Umfangs aufweist, ist und bleibt mir ein Rätsel...

Erster Satz: "Sofie hatte jetzt schon zwei Wochen im Todeslager von Kavalla überlebt."

Inhaltlich aufgeteilt ist die Geschichte in drei nach den Kreisen der Hölle benannten Teile "Die Kluft", "Der Abgrund" und "Der Schlund", sowie in 78 Kapitel inklusive eines kurzen Epilogs und eines außergewöhnlich langen Prologs, die dieser langen und komplexen Story eine Struktur verschaffen. Zunächst lernen wir im Prolog mit Sofie eine neue Protagonistin kennen und dürfen einen ersten Blick auf das vom Krieg zwischen den Asteri und den Ophion Rebellen erschütterte Pangera werfen, bevor wir dann zu Bryce und Hunts Leben nach dem großen Showdown von Band 1 zurückkehren. Einige Monate sind vergangen, seit Bryce sich selbst als Erbin der Sterngeborenen Fae enthüllt hat und mithilfe von Lunas Horn auf ihrem Rücken die Stadt vor den einströmenden Dämonen gerettet hat, die der Erzengel Micah in einem Anflug von Größenwahn freigelassen hat. Um die Asteri nicht auf sich aufmerksam zu machen und zu riskieren, dass sie ihre Meinung doch noch ändern und die beiden eliminieren, müssen sich Bryce und Hunt seit den Vorfällen im Frühjahr bedeckt halten und versuchen, ein normales Leben zu führen. Als jedoch eine neue Erzengelin für die Stadt ernannt wird und die Ophion-Rebellen in Crescent City aktiv werden, wird es für die beiden immer schwieriger, unbeteiligt zu bleiben...

"Was machst du, wenn du die Wahrheit herausgefunden hast?" Bryce biss sich auf die Unterlippe. "Vermutlich zu Cthona beten, dass ich sie akzeptieren kann."


Der Einstieg in Band 2 fiel mir deutlich leichter als der in Band 1, da wir die vielen Namen, Orte, Erklärungen, Zusammenhänge und Besonderheiten des Worldbuildings schon kennen. Auch hier benötigt die Geschichte allerdings einige Seiten, um in Schwung zu kommen und wählt zugunsten vieler Details und einem starken Fokus auf die Figuren und deren Beziehung zueinander ein langsameres Erzähltempo. Doch wer zu Beginn noch dachte, Sarah J. Maas sei so begeistert von ihrem Setting gewesen, dass sie es mit dem Worldbuilding etwas übertrieben hat, wird im Laufe der Geschichte bald merken, dass alles Teil eines abgekarteten Verwirrspiels ist und all die kleinen versteckten Details am Ende ihr Comeback im Showdown erhalten. Vergleichbar zu Band 1 gibt es auch hier wieder einen Kriminalfall, an dem sich die sonstige Handlung wie an einem roten Faden entlanghangelt. Während es in Band 1 um den Mord an Danika ging, begeben sich unsere Hauptfiguren nun auf die Suche nach dem verschollenen Jungen Emile, welcher als mächtiger Donnervogel über Sieg und Niederlage der Rebellen entscheiden könnte.

"Diese Welt könnte so viel mehr sein. Diese Welt könnte frei sein. Ich verstehe nicht, warum ihr das nicht auch wollt." "Es ist schwer, die Freiheit zu genießen, wenn man tot ist", entgegnete Hunt finster. Cormac öffnete die Tür und trat in die wallenden Schatten hinaus. "Ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen, für den ich mein Leben aufgeben würde."


Dabei wird die Geschichte abermals aus verschiedenen Perspektiven an verschiedenen Orten erzählt. Neben den beiden Hauptprotagonisten Bryce und Hunt, erzählen auch Bryces Fae-Bruder Ruhn, der Meermann Tharion und der Wolf Ithan aus einer personalen Erzählperspektive, welches es möglich macht, viel vor dem Leser zu verbergen und doch einen Einblick in die Gefühle und Gedanken der Figuren zu erhaschen. Durch die vielen Erzählperspektiven sowie den Nebenhandlungsstrang rund um die Rebellen und die Wolfsmystikerin rückt der Fokus etwas von Hunt und Bryce ab, wodurch die beiden recht wenig Zeit alleine haben (die nicht mit Sexszenen gefüllt ist - die Autorin versucht nämlich in der zweiten Hälfte großzügig dafür zu entschädigen, dass es in Band 1 nicht zur Sache gegangen ist). Während die beiden als ungleiches Ermittlerduo in Band 1 beinahe die ganze Zeit zu zweit unterwegs waren, ist in "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" häufig mindestens noch eine andere Figur dabei, weshalb mir das unbeschwerte, natürliche Geplänkel zwischen den beiden etwas gefehlt hat. Dafür zelebriert die Autorin hier aber den Found-Family-Trope und wir dürfen zusehen, wie die liebevoll "Team Scheiß-auf-die-Regeln" benannte Gruppe immer größer wird und beweist, dass gemeinsame Werte mehr zusammenschweißen als eine gemeinsame Herkunft. Besonders gut gefallen hat mir dabei Ruhns Handlungsstrang mit einer ganz besonderen Romanze, die man so nicht kommen sieht...

"Meinen Verstand hat in der Dunkelheit deinen gefunden. Über einen Ozean hinweg. (...) ich werde dich finden", sagte er an ihren lodernden Haaren. "Eines Tages werde ich dich finden, das verspreche ich dir."

Trotz des leicht abschweifenden Fokus gelingt es der Autorin ihre Hauptfiguren weiterzuentwickeln und sie uns noch näher zu bringen. Gerade Bryce muss man für ihre starke, sture und sarkastische Persönlichkeit einfach lieben und sie ist mir mit jeder Seite mehr ans Herz gewachsen. Auch der gefallene Engel Hunt (eigentlich Orion) Athalar, der als Auftragsmörder für den Gouverneur Micah arbeitete und deshalb als "Todesschatten" gefürchtet wird, hat sich über das anfängliche Klischee hinaus entwickelt und entdeckt neue Seiten an sich selbst. Wir kennen sie ja alle: dominante, starke, sexy Protagonisten (ob CEOs, Prinzen, Engel, Vampire oder Fae spielt dabei keine Rolle), mit großem Ego, insgeheim gebrochenen Herzen und starken Eifersuchtsproblemen. Auch Sarah J. Maas wurde in der Vergangenheit oft für ihre dominanten Alpha-Love-Interests kritisiert. Mit Hunt und Bryce findet sie jedoch einen Weg, genau dieses Stereotyp zu parodieren und offen anzusprechen, in dem sich Bryce über das "Alpha-Arschloch-Gehabe" der Männer in ihrem Umfeld ärgert. Dadurch kommt es nicht nur zu unfassbar lustigen Dialogen, sie problematisiert auch indirekt diese Art der Figurendarstellung, auf die wir LeserInnen immer wieder hereinfallen, auf sehr unterhaltsame Art und Weise.

"Ist es ein Klischee, wenn ich sage, dass Ärger mein zweiter Vorname ist?" "Und ob. Definitiv." "Was wäre dein zweiter Vorname?", neckte er. Ihre Flammen zogen sich zurück und enthüllten diese Augen aus purem Feuer. "Vergeltung."

Das eigentliche Genie der Geschichte entfaltete sich wie immer im ausgeklügelten Verwirrspiel der Autorin: wie sie den Leser immer wieder auf falsche Fährten lockt und dann überrascht und ein komplett neues Bild zeichnet, ist wirklich genial! Hier spielt Maas geradezu mit falschen Annahmen und tänzelt auf einem schmalen Grat zwischen Verschwiegenheit, Geheimnissen, Lügen und Täuschungen. Würde ich die Geschichte mit meinem jetzigen Wissen nochmals lesen, würden mir viele subtile Andeutungen und wohl platzierte Ausführungen zu später wichtigen Themen auffallen, die ich angesichts der Komplexität der Handlung beim ersten Lesen komplett übersehen habe. So kommen viele Wendungen zwar sehr überraschend, sind aber nach kurzem Nachdenken immer schlüssig und nachzuvollziehen - was die wirkliche Kunst bei Plot-Twists ist.

"Wenn du mich nach Nena geholt hättest, wäre ich niemals hier gelandet. In Lunathion." Sein Lächeln wurde breiter, als er hinausging. "Dann wäre ich niemals Bryce begegnet." Jedes Grauen, jeder Albtraum... all das hatte sich allein ihretwegen gelohnt."

Neben der spannenden Machart mit den vielen unvorhergesehenen Wendungen und Entwicklungen sowie den dynamischen Protagonisten lebt die Geschichte auch von den bekannten Stärken der Autorin. Die erste: Worldbuilding. Manche Fantasy-Welten werden einmal aufgebaut und dann spielt sich die Handlung in diesem statischen Bühnenbild ab, doch nicht bei Sarah J. Maas: Ständig verändert sich der Fokus, der Blickwinkel, der Handlungsort der Geschichte, es werden neue Dinge aufgenommen, bestehende ändern sich - eine stetige Entwicklung, die die Geschichte so perfekt und schlüssig erweitert, dass aus dem roten Fanden, ein rotes Band wird. Das ist eine Fähigkeit, für die ich Sarah J. Maas immer bewundern werde: ihre zusammenhängende Darstellung der Welt, die immer komplexer, verschachtelter und geheimnisvoller wird, mit jedem Charakter und Handlungsstrang, der dazukommt. Hier kreiert sie eine spritzige Mischung aus Dystopie, Krimi und Fantasy-Epos und erzählt von einer modernen Welt, die von einer eigentlich unmöglichen Kombination an Fantasy-Wesen bevölkert wird. Denn statt sich für eine Spezies zu entscheiden, mischt sie hier Engel, Fae, Meereswesen, Hexen, Kobolde, Gestaltwandler, Chimären, Sensenmänner, Vampire, Werwölfe, Geister und Co - fehlen nur noch Feen, Zwerge und Riesen und dann hätte sie alles abgedeckt, was das Fantasy-Genre in den letzten Jahrhunderten erfunden hat (aber dafür gibt es hier ja noch Otter 😊😌). Besonders erstaunlich ist, dass diese verrückte Fantasy-Steampunk-Kombination tatsächlich funktioniert und sie nie das Wesentliche aus den Augen verliert oder die Story überlädt. Sie pickt sich einzelne interessante Aspekte gekonnt heraus, welche dann weitergesponnen und vernetzt werden, bis ein umwerfendes, vielseitiges Gesamtergebnis entsteht!

"Du erinnerst mich an den Wind. Mächtig und fähig, die Welt mit einem halben Gedanken zu kühlen oder erfrieren zu lassen, sie zu formen, obwohl niemand dich sehen kann, nur deine Wirkung auf die Umgebung."


Hier wären wir dann bei der zweiten bekannten Stärke der Autorin angelangt: ihrem außergewöhnlichen Schreibstil. Auch wenn sie hier durchaus modernen schreibt, als in ihren bisherigen Fantasy-Reihen und ich mich erst an die derbe Ausdrucksweise mit den vielen Flüchen und Beleidigungen gewöhnen musste, kann auch der neue Erzählton nichts an ihrem unfassbaren Talent ändern. Wie für all ihre Bücher gibt es ein Wort, das ihr erstaunliches Talent, Worte in Sätzen so zu platzieren, dass sie der Geschichte alleine durch den Schreibstil ein imposantes Auftreten verleihen, super beschreibt: EPISCH. Durch ihre teils sehr außergewöhnliche Wahl der Worte und ihre intensiven Szenenbeschreibungen, fühlt man sich oft, als würde man einem Film zusehen, der vor den eigenen Augen abläuft - Ein wunderbarer Film voller Action, Gefühle und Hintergrund und mit genialen Schauspielern natürlich

"Wir arbeiten für keine der beiden Seiten." "Für wen dann?" "Für die Wahrheit", sagte Bryce schlicht. "Wir wollen die Wahrheit herausfinden."

Kurz bevor ich zum Ende komme (ja ich weiß, diese Rezension wird lang, aber ich habe auch viel zu sagen😊), will ich Euch nicht vorenthalten, dass die Geschichte im Mittelteil durchaus einige Wiederholungen und eine deutliche Überlänge enthielt, die die Autorin versuchte mit gelegentlichen Actionszenen, heißen Szenen oder plötzlichen Schockern aufzulockern. Besonders schade fand ich, dass auch hier wieder bei jedem Thema eine Verbindung zu Danika auftaucht, welche mit der Zeit leider ein wenig konstruiert und unglaubwürdig wirkt. Ihr wird post mortem so ziemlich zu jeder Gruppierung und jeder Handlung eine Verbindung angehängt, was in Band 1 ja noch ganz gut funktioniert hat, hier aber etwas zu viel des Guten erscheint. Das Ende entschädigt jedoch genau wie in Band 1 großzügig für alle kleineren Schwächen und hat dafür gesorgt, dass ich meinen Leseeindruck von 4 Sternen augenblicklich auf 5 Sterne hochkorrigiert habe. Hier reiht sich nicht nur eine 180-Grad-Wendung an die nächste, wir bekommen auch das unfassbarste, krasseste, extremste (OMG!!!! Ich schreie innerlich immer noch, wenn ich nur daran denke) Crossover vorgesetzt, über das man erstmal hinwegkommen muss. Ich musste während dem Lesen der letzten Kapitel regelmäßig Denk- und Verarbeitungspausen einlegen und nachdem ich den letzten Satz gelesen hatte, war erstmal ein kleiner Spaziergang zum Sortieren meiner Gedanken nötig. Spätestens ab dort waren alle objektiven Kritikpunkte vergessen und ich konnte dem actionreichen, dramatischen und unglaublich tragischen Schluss nur gebannt folgen. Das einzige Problem ist nun: Mir ist absolut schleierhaft, wie ich nach DIESEM Ende die Zeit bis zum Erscheinungstermin des nächsten Bandes überbrücken soll!!!!

"Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, und das gesamte Universum löste sich in Luft auf. Es gab nur noch sie beide, jetzt und in Zukunft, vereint im Tanz, während ihre Seelen sich miteinander verwoben. "Sämtliche Ereignisse in meinem Leben sind nur deshalb passiert, damit ich dir begegnen konnte, Quinlan. Damit ich hier bei dir sein kann. Ich gehöre dir. Für immer."




Fazit:


"Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" bleibt objektiv durch kleinere Schwächen leicht hinter Band 1 zurück. Das unfassbare Ende ganz zu schweigen von den dynamischen Protagonisten und den bekannten Stärken der Autorin wie Schreibstil und Worldbuilding, entschädigten aber großzügig für alle Kritikpunkte und machten die Geschichte zu einem wahren Lieblingsbuch und Jahreshighlight!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2022

Einfach nur EPISCH!

Crescent City – Teil 2: Wenn ein Stern erstrahlt
0

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert ...

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert habe. Da der deutsche Verlag mit der Übersetzung wahnsinnig Gas gegeben hat, stand schon seit Mitte Juni meinem Versuch zu überprüfen, ob die Geschichte wirklich den Hype der englischen Community verdient, nichts mehr im Weg ... außer meinen eigenen Ansprüchen. Wie bei allen langersehnten Neuerscheinungen hatte ich als langjähriger Sarah-J.-Maas-Fan ein wenig Angst, von diesem Genreausflug enttäuscht zu werden und mir deshalb einige Wochen Zeit gelassen, bis ich mich im Buddyread zusammen mit Sofia von @SofiasWorldofBooks dem Buch gewidmet habe. Doch wieder einmal waren diese Sorgen unbegründet: "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" ist genau wie sein Vorgänger unfassbar komplex, brutal, schonungslos, herzbrechend, wunderschön, magisch, liebevoll, bildgewaltig, detailreich und wieder einmal einfach nur EPISCH!

Schon bei der Gestaltung könnte ich stundenlang ins Schwärmen kommen. Dass das detailgetreue Cover mit den vielen liebevoll gestalteten Einzelheiten, den inhaltliche abgestimmten Spielereien, den kontrastreichen Farben und dem fantasievollen Motiv ein Hingucker ist, muss ich denke ich nicht genauer erklären. Positiv überrascht haben mich aber der kunstvolle Buchschnitt, der auch nach dem Lesen immer noch farbenfroh und knitterfrei mit dem Hauptmotiv verzückt, die aufwändig illustrierte Karte, der goldene Sichelmond unter dem Schutzumschlag und die episch-düstere Ausgestaltung der Buchdeckelinnenseiten. Dass das Buch trotz der knapp 900 Seiten und der gebundenen Ausgabe recht dünn ist, wird durch die recht kleine Schrift und das dünne Bibel-Seiten-Papier gewährleistet. Warum die englische Ausgabe trotzdem nur etwa die Hälfte des Umfangs aufweist, ist und bleibt mir ein Rätsel...

Erster Satz: "Sofie hatte jetzt schon zwei Wochen im Todeslager von Kavalla überlebt."

Inhaltlich aufgeteilt ist die Geschichte in drei nach den Kreisen der Hölle benannten Teile "Die Kluft", "Der Abgrund" und "Der Schlund", sowie in 78 Kapitel inklusive eines kurzen Epilogs und eines außergewöhnlich langen Prologs, die dieser langen und komplexen Story eine Struktur verschaffen. Zunächst lernen wir im Prolog mit Sofie eine neue Protagonistin kennen und dürfen einen ersten Blick auf das vom Krieg zwischen den Asteri und den Ophion Rebellen erschütterte Pangera werfen, bevor wir dann zu Bryce und Hunts Leben nach dem großen Showdown von Band 1 zurückkehren. Einige Monate sind vergangen, seit Bryce sich selbst als Erbin der Sterngeborenen Fae enthüllt hat und mithilfe von Lunas Horn auf ihrem Rücken die Stadt vor den einströmenden Dämonen gerettet hat, die der Erzengel Micah in einem Anflug von Größenwahn freigelassen hat. Um die Asteri nicht auf sich aufmerksam zu machen und zu riskieren, dass sie ihre Meinung doch noch ändern und die beiden eliminieren, müssen sich Bryce und Hunt seit den Vorfällen im Frühjahr bedeckt halten und versuchen, ein normales Leben zu führen. Als jedoch eine neue Erzengelin für die Stadt ernannt wird und die Ophion-Rebellen in Crescent City aktiv werden, wird es für die beiden immer schwieriger, unbeteiligt zu bleiben...

"Was machst du, wenn du die Wahrheit herausgefunden hast?" Bryce biss sich auf die Unterlippe. "Vermutlich zu Cthona beten, dass ich sie akzeptieren kann."


Der Einstieg in Band 2 fiel mir deutlich leichter als der in Band 1, da wir die vielen Namen, Orte, Erklärungen, Zusammenhänge und Besonderheiten des Worldbuildings schon kennen. Auch hier benötigt die Geschichte allerdings einige Seiten, um in Schwung zu kommen und wählt zugunsten vieler Details und einem starken Fokus auf die Figuren und deren Beziehung zueinander ein langsameres Erzähltempo. Doch wer zu Beginn noch dachte, Sarah J. Maas sei so begeistert von ihrem Setting gewesen, dass sie es mit dem Worldbuilding etwas übertrieben hat, wird im Laufe der Geschichte bald merken, dass alles Teil eines abgekarteten Verwirrspiels ist und all die kleinen versteckten Details am Ende ihr Comeback im Showdown erhalten. Vergleichbar zu Band 1 gibt es auch hier wieder einen Kriminalfall, an dem sich die sonstige Handlung wie an einem roten Faden entlanghangelt. Während es in Band 1 um den Mord an Danika ging, begeben sich unsere Hauptfiguren nun auf die Suche nach dem verschollenen Jungen Emile, welcher als mächtiger Donnervogel über Sieg und Niederlage der Rebellen entscheiden könnte.

"Diese Welt könnte so viel mehr sein. Diese Welt könnte frei sein. Ich verstehe nicht, warum ihr das nicht auch wollt." "Es ist schwer, die Freiheit zu genießen, wenn man tot ist", entgegnete Hunt finster. Cormac öffnete die Tür und trat in die wallenden Schatten hinaus. "Ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen, für den ich mein Leben aufgeben würde."


Dabei wird die Geschichte abermals aus verschiedenen Perspektiven an verschiedenen Orten erzählt. Neben den beiden Hauptprotagonisten Bryce und Hunt, erzählen auch Bryces Fae-Bruder Ruhn, der Meermann Tharion und der Wolf Ithan aus einer personalen Erzählperspektive, welches es möglich macht, viel vor dem Leser zu verbergen und doch einen Einblick in die Gefühle und Gedanken der Figuren zu erhaschen. Durch die vielen Erzählperspektiven sowie den Nebenhandlungsstrang rund um die Rebellen und die Wolfsmystikerin rückt der Fokus etwas von Hunt und Bryce ab, wodurch die beiden recht wenig Zeit alleine haben (die nicht mit Sexszenen gefüllt ist - die Autorin versucht nämlich in der zweiten Hälfte großzügig dafür zu entschädigen, dass es in Band 1 nicht zur Sache gegangen ist). Während die beiden als ungleiches Ermittlerduo in Band 1 beinahe die ganze Zeit zu zweit unterwegs waren, ist in "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" häufig mindestens noch eine andere Figur dabei, weshalb mir das unbeschwerte, natürliche Geplänkel zwischen den beiden etwas gefehlt hat. Dafür zelebriert die Autorin hier aber den Found-Family-Trope und wir dürfen zusehen, wie die liebevoll "Team Scheiß-auf-die-Regeln" benannte Gruppe immer größer wird und beweist, dass gemeinsame Werte mehr zusammenschweißen als eine gemeinsame Herkunft. Besonders gut gefallen hat mir dabei Ruhns Handlungsstrang mit einer ganz besonderen Romanze, die man so nicht kommen sieht...

"Meinen Verstand hat in der Dunkelheit deinen gefunden. Über einen Ozean hinweg. (...) ich werde dich finden", sagte er an ihren lodernden Haaren. "Eines Tages werde ich dich finden, das verspreche ich dir."

Trotz des leicht abschweifenden Fokus gelingt es der Autorin ihre Hauptfiguren weiterzuentwickeln und sie uns noch näher zu bringen. Gerade Bryce muss man für ihre starke, sture und sarkastische Persönlichkeit einfach lieben und sie ist mir mit jeder Seite mehr ans Herz gewachsen. Auch der gefallene Engel Hunt (eigentlich Orion) Athalar, der als Auftragsmörder für den Gouverneur Micah arbeitete und deshalb als "Todesschatten" gefürchtet wird, hat sich über das anfängliche Klischee hinaus entwickelt und entdeckt neue Seiten an sich selbst. Wir kennen sie ja alle: dominante, starke, sexy Protagonisten (ob CEOs, Prinzen, Engel, Vampire oder Fae spielt dabei keine Rolle), mit großem Ego, insgeheim gebrochenen Herzen und starken Eifersuchtsproblemen. Auch Sarah J. Maas wurde in der Vergangenheit oft für ihre dominanten Alpha-Love-Interests kritisiert. Mit Hunt und Bryce findet sie jedoch einen Weg, genau dieses Stereotyp zu parodieren und offen anzusprechen, in dem sich Bryce über das "Alpha-Arschloch-Gehabe" der Männer in ihrem Umfeld ärgert. Dadurch kommt es nicht nur zu unfassbar lustigen Dialogen, sie problematisiert auch indirekt diese Art der Figurendarstellung, auf die wir LeserInnen immer wieder hereinfallen, auf sehr unterhaltsame Art und Weise.

"Ist es ein Klischee, wenn ich sage, dass Ärger mein zweiter Vorname ist?" "Und ob. Definitiv." "Was wäre dein zweiter Vorname?", neckte er. Ihre Flammen zogen sich zurück und enthüllten diese Augen aus purem Feuer. "Vergeltung."

Das eigentliche Genie der Geschichte entfaltete sich wie immer im ausgeklügelten Verwirrspiel der Autorin: wie sie den Leser immer wieder auf falsche Fährten lockt und dann überrascht und ein komplett neues Bild zeichnet, ist wirklich genial! Hier spielt Maas geradezu mit falschen Annahmen und tänzelt auf einem schmalen Grat zwischen Verschwiegenheit, Geheimnissen, Lügen und Täuschungen. Würde ich die Geschichte mit meinem jetzigen Wissen nochmals lesen, würden mir viele subtile Andeutungen und wohl platzierte Ausführungen zu später wichtigen Themen auffallen, die ich angesichts der Komplexität der Handlung beim ersten Lesen komplett übersehen habe. So kommen viele Wendungen zwar sehr überraschend, sind aber nach kurzem Nachdenken immer schlüssig und nachzuvollziehen - was die wirkliche Kunst bei Plot-Twists ist.

"Wenn du mich nach Nena geholt hättest, wäre ich niemals hier gelandet. In Lunathion." Sein Lächeln wurde breiter, als er hinausging. "Dann wäre ich niemals Bryce begegnet." Jedes Grauen, jeder Albtraum... all das hatte sich allein ihretwegen gelohnt."

Neben der spannenden Machart mit den vielen unvorhergesehenen Wendungen und Entwicklungen sowie den dynamischen Protagonisten lebt die Geschichte auch von den bekannten Stärken der Autorin. Die erste: Worldbuilding. Manche Fantasy-Welten werden einmal aufgebaut und dann spielt sich die Handlung in diesem statischen Bühnenbild ab, doch nicht bei Sarah J. Maas: Ständig verändert sich der Fokus, der Blickwinkel, der Handlungsort der Geschichte, es werden neue Dinge aufgenommen, bestehende ändern sich - eine stetige Entwicklung, die die Geschichte so perfekt und schlüssig erweitert, dass aus dem roten Fanden, ein rotes Band wird. Das ist eine Fähigkeit, für die ich Sarah J. Maas immer bewundern werde: ihre zusammenhängende Darstellung der Welt, die immer komplexer, verschachtelter und geheimnisvoller wird, mit jedem Charakter und Handlungsstrang, der dazukommt. Hier kreiert sie eine spritzige Mischung aus Dystopie, Krimi und Fantasy-Epos und erzählt von einer modernen Welt, die von einer eigentlich unmöglichen Kombination an Fantasy-Wesen bevölkert wird. Denn statt sich für eine Spezies zu entscheiden, mischt sie hier Engel, Fae, Meereswesen, Hexen, Kobolde, Gestaltwandler, Chimären, Sensenmänner, Vampire, Werwölfe, Geister und Co - fehlen nur noch Feen, Zwerge und Riesen und dann hätte sie alles abgedeckt, was das Fantasy-Genre in den letzten Jahrhunderten erfunden hat (aber dafür gibt es hier ja noch Otter 😊😌). Besonders erstaunlich ist, dass diese verrückte Fantasy-Steampunk-Kombination tatsächlich funktioniert und sie nie das Wesentliche aus den Augen verliert oder die Story überlädt. Sie pickt sich einzelne interessante Aspekte gekonnt heraus, welche dann weitergesponnen und vernetzt werden, bis ein umwerfendes, vielseitiges Gesamtergebnis entsteht!

"Du erinnerst mich an den Wind. Mächtig und fähig, die Welt mit einem halben Gedanken zu kühlen oder erfrieren zu lassen, sie zu formen, obwohl niemand dich sehen kann, nur deine Wirkung auf die Umgebung."


Hier wären wir dann bei der zweiten bekannten Stärke der Autorin angelangt: ihrem außergewöhnlichen Schreibstil. Auch wenn sie hier durchaus modernen schreibt, als in ihren bisherigen Fantasy-Reihen und ich mich erst an die derbe Ausdrucksweise mit den vielen Flüchen und Beleidigungen gewöhnen musste, kann auch der neue Erzählton nichts an ihrem unfassbaren Talent ändern. Wie für all ihre Bücher gibt es ein Wort, das ihr erstaunliches Talent, Worte in Sätzen so zu platzieren, dass sie der Geschichte alleine durch den Schreibstil ein imposantes Auftreten verleihen, super beschreibt: EPISCH. Durch ihre teils sehr außergewöhnliche Wahl der Worte und ihre intensiven Szenenbeschreibungen, fühlt man sich oft, als würde man einem Film zusehen, der vor den eigenen Augen abläuft - Ein wunderbarer Film voller Action, Gefühle und Hintergrund und mit genialen Schauspielern natürlich

"Wir arbeiten für keine der beiden Seiten." "Für wen dann?" "Für die Wahrheit", sagte Bryce schlicht. "Wir wollen die Wahrheit herausfinden."

Kurz bevor ich zum Ende komme (ja ich weiß, diese Rezension wird lang, aber ich habe auch viel zu sagen😊), will ich Euch nicht vorenthalten, dass die Geschichte im Mittelteil durchaus einige Wiederholungen und eine deutliche Überlänge enthielt, die die Autorin versuchte mit gelegentlichen Actionszenen, heißen Szenen oder plötzlichen Schockern aufzulockern. Besonders schade fand ich, dass auch hier wieder bei jedem Thema eine Verbindung zu Danika auftaucht, welche mit der Zeit leider ein wenig konstruiert und unglaubwürdig wirkt. Ihr wird post mortem so ziemlich zu jeder Gruppierung und jeder Handlung eine Verbindung angehängt, was in Band 1 ja noch ganz gut funktioniert hat, hier aber etwas zu viel des Guten erscheint. Das Ende entschädigt jedoch genau wie in Band 1 großzügig für alle kleineren Schwächen und hat dafür gesorgt, dass ich meinen Leseeindruck von 4 Sternen augenblicklich auf 5 Sterne hochkorrigiert habe. Hier reiht sich nicht nur eine 180-Grad-Wendung an die nächste, wir bekommen auch das unfassbarste, krasseste, extremste (OMG!!!! Ich schreie innerlich immer noch, wenn ich nur daran denke) Crossover vorgesetzt, über das man erstmal hinwegkommen muss. Ich musste während dem Lesen der letzten Kapitel regelmäßig Denk- und Verarbeitungspausen einlegen und nachdem ich den letzten Satz gelesen hatte, war erstmal ein kleiner Spaziergang zum Sortieren meiner Gedanken nötig. Spätestens ab dort waren alle objektiven Kritikpunkte vergessen und ich konnte dem actionreichen, dramatischen und unglaublich tragischen Schluss nur gebannt folgen. Das einzige Problem ist nun: Mir ist absolut schleierhaft, wie ich nach DIESEM Ende die Zeit bis zum Erscheinungstermin des nächsten Bandes überbrücken soll!!!!

"Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, und das gesamte Universum löste sich in Luft auf. Es gab nur noch sie beide, jetzt und in Zukunft, vereint im Tanz, während ihre Seelen sich miteinander verwoben. "Sämtliche Ereignisse in meinem Leben sind nur deshalb passiert, damit ich dir begegnen konnte, Quinlan. Damit ich hier bei dir sein kann. Ich gehöre dir. Für immer."




Fazit:


"Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" bleibt objektiv durch kleinere Schwächen leicht hinter Band 1 zurück. Das unfassbare Ende ganz zu schweigen von den dynamischen Protagonisten und den bekannten Stärken der Autorin wie Schreibstil und Worldbuilding, entschädigten aber großzügig für alle Kritikpunkte und machten die Geschichte zu einem wahren Lieblingsbuch und Jahreshighlight!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.07.2022

Episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung

Elias & Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm
0

Seit ich 2020 Band 1-3 der "Elias & Laia"-Reihe gelesen habe, bin ich ein großer Fan von Sabaa Tahir und konnte es kaum erwarten, wie die epische Geschichte weitergeht. Um mir die Wartezeit zu versüßen ...

Seit ich 2020 Band 1-3 der "Elias & Laia"-Reihe gelesen habe, bin ich ein großer Fan von Sabaa Tahir und konnte es kaum erwarten, wie die epische Geschichte weitergeht. Um mir die Wartezeit zu versüßen und meine Erinnerungen anzuregen, habe ich kurz vor dem Finalband nochmal einen Reread der vorherigen Bände gewagt, welcher mir nochmals bestätigt hat, dass Sabaa Tahirs Epos zu meinen Top 5 Fantasy-Favoriten zählt. In "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" erzählt die Autorin ihre Saga nun in einem ebenso düsteren, undurchsichtigen, spannenden und intensiven Band zu Ende und hinterlässt ein vierbändiges Gesamtkunstwerk, das ich jedem Fan von Fantasy, Dystopien und Abenteuergeschichten nur wärmstens empfehlen kann!

Doch eins nach dem anderen. Das Cover ist ein ganz nett gestaltetes aber typisches Jugendbuch-Dystopie-Cover. Zu sehen sind ein Teil eines männlichen Gesichts, das von der Andeutung einer dunkeln Kapuze umspielt wird, sowie die Andeutung einer kargen Wüstenlandschaft im unteren Teil des Bildes. Beide Elemente passen zur Handlung und durch die Hell-Dunkel-Kontraste und die warmen Farbtöne wird die düstere Atmosphäre des Wüstensettings gut transportiert. Wer genau hinschaut, wird erkennen, dass dabei dasselbe Gesicht wie auf dem ersten Cover abgebildet ist. Der Verlag hat sich also dafür entschieden, im Finale nochmal Elias in den Vordergrund zu stellen, was ich nach dem Lesen des Buches durchaus verstehen kann. Positiv hervorherben möchte ich außerdem wieder die toll gestalteten und übersichtlichen Karten des Imperiums, welche vorn und hinten im Buch beigefügt beim Navigieren in Schlachten und bei Reisen quer durch das Imperium helfen.

Erster Satz: "Ich erwachte im Schein einer jungen Welt, als der Mensch vom Jagen wusste, aber nicht vom Ackerbau, vom Stein, aber nicht vom Stahl."

Sabaa Tahir setzt ihren Finalband nur wenige Wochen nach dem Ende der Handlung von Band 3, also der großen Schlacht um Anthium und dem Befreien der Dschinns durch den Nachtbringer an. Da die Autorin hier wie in den Vorgängerbänden ohne große Umschweife und Erklärungen direkt in die Handlung einsteigt, war ich sehr froh über meinen Reread der vorangegangenen Teile, ohne den ich mich wohl weder im Setting noch in der komplexen Handlung zurechtgefunden hätte. Sabaa Tahir erzählt in "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" abermals abwechselnd aus der Perspektive von Laia, Elias - hier nach seiner Selbstaufgabe an Mauth nur noch "Seelenfänger" genannt- und Helena - welche ebenfalls ihre Identität hinter ihrem Titel "Blutgreif" zu verlieren droht. Zusätzlich darf der Nachtbringer zu Beginn eines jeden der sechs großen Teile seine Geschichte erzählen und selbst Keris Veturia darf am Ende ein Kapitel aus ihrer Sicht erzählen. Insgesamt ermöglicht die Kombination der Erzählstränge also wieder einen umfassenden Blick auf verschiedene Geschehnisse im Imperium.

Laia: "Ich würde gerne zu Protokoll geben, dass ich diesen Plan viel zu riskant finde."
"Darin lacht auf. "Daher wissen wir, dass es ein Laia-Plan ist - vollkommen wahnsinnig und höchstwahrscheinlich mit dem Tod endend."


Und das ist auch dringend notwendig, da hier an den unterschiedlichsten Orten alles zu gleich passieren zu scheint. In diesem Finale läuft die Story weniger eindeutig auf ein Ziel zu, so wie in den ersten Bänden, sondern erscheint mehr wie ein undurchsichtiger Strudel von Ereignissen, der sich langsam zuspitzt und sich auf ein Finale zubewegt: die große Endschlacht, in dem entweder der Nachtbringer besiegt wird oder die Welt in Dunkelheit versinkt. Während Laia auf der Suche nach der Geschichte des Nachtbringers und einer Möglichkeit, ihn zu besiegen sucht und dabei durch die Stammeslande zieht, kämpft Helena darum, ihren neugeborenen Neffen, Imperator Zacharias, am Leben zu erhalten und möglichst viele Patres für ihren Kampf gegen die Kommandantin auf ihre Seite zu ziehen. Elias hingegen begreift erst, dass er als Seelenfänger in den tobenden Krieg einmischen muss, als eine geheimnisvolle Macht die Geister aus der Zwischenstatt stiehlt und er jede Nacht von einem vernichtenden Mahlstrom träumt. Werden die drei vor dem Ende nochmal zusammenfinden, um den wahren Feind zu bekämpfen und die Welt zu retten...?

Der Blutgreif: "Ich habe mitangesehen, wie meine Familie zu meinen Füßen verblutet ist, und ich habe für mein Volk gekämpft und mich einer Horde Karkaunen allein auf einem Haufen von Leichen gestellt. Ich bin eine Kämpferin. Ich bin der Blutgreif.
Du bist ein Kind.
Ich bin der Blutgreif.
Du bist nichts.
"Ich bin der Blutgreif", schreie ich."


Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte so komplex und gut durchdacht, sodass man beim Lesen viele Ahnungen erhält, was noch folgen könnte, gleichzeitig aber ratlos ist, wie die Geschichte am Ende tatsächlich ausgehen wird. Aufgrund dieser Offenheit und Unvorhersehbarkeit hatte ich regelrecht Angst vor dem Ende und hätte am liebsten gerne vorab versichert gewusst, dass wirklich alles gut geht. An dieser Stelle möchte ich kurz kritisierend anfügen, dass genau wie im dritten Band die abrupten Sprünge zwischen den einzelnen Perspektiven und die vielen Reisen quer durchs Imperium die Handlung ein wenig entzerren. Angesichts der sonstigen Genialität kann das bei der Bewertung aber nicht ins Gewicht fallen. Denn zusätzlich zu ihrer Handlung baut Sabaa Tahir die magischen Elemente ihres Settings weiter aus. Ob nun das Totenreich im Dämmerwald, die Geschichte vom Niedergang der Dschinn, der Racheplan des Nachtbringers oder die erwachsenen magischen Fähigkeiten in einigen Protagonisten - auch der magische Aspekt der Handlung entwickelt sich weiter und bekommt neue Tiefe. Der vierte Teil besticht demnach nicht nur mit mehr Hintergrundinformationen zum Setting, der Geschichte des Landes und neuen Begegnungen, sondern ist auch deutlich vielseitiger als die vorherigen Teile. Politische Intrigen, Verfolgungen, Befreiungsaktionen, Schlachten und magische Duelle... was will man mehr?

Der Nachtbringer: "Wer sind sie?" Sie faszinierten mich. Ich konnte nicht wegsehen.
"Sie sind deine Last", sagte Mauth. Zerbrechlich, ja, aber mit Seelen wie die großen alten Eichen, langlebig und stark. Wenn ihre Leiber am Ende sind, müssen diese Seelen weiterreisen. Viele werden das ohne dich tun. Doch andere werden deine Hilfe brauchen."
"Wohin reisen sie?"
"Weiter", antwortete er, "auf die andere Seite. Zu einem Dämmerhimmel und friedlichen Gestaden."
"Wie sorge ich für sie? Wie helfe ich ihnen?"
"Du liebst sie", sagte er."


Während all dessen ist das Finale noch grausamer, brutaler und schonungsloser als die vorherigen Teile. Auch wenn die Protagonisten nun immer wieder aufs Neue gezeigt haben, dass sie unter widrigen Bedingungen überleben und an Herausforderungen wachsen können, sind die physischen und psychischen Qualen, die sie während ihrer Abenteuer erleiden müssen und mitansehen oftmals schockierend. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass diese Geschichte von tatsächlichen Vorkommnissen inspiriert wurde, die sie als Auslandsredakteurin der Washington Post lesen musste. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Imperialismus, ist auch die Gewalt auf konkreterer Ebene kaum auszuhalten. Egal ob an Konzentrationslager erinnernde Zellen in Kauf, Folter von Kindern, dem Homizid an den Kundigen, die willkürliche Hinrichtung von Familienmitgliedern oder sinnloses Gemetzel auf dem Schlachtfeld - die Grausamkeit der fiktiven Szenen übersteigt bei Weitem das, was ich 14jährigen Lesern (Altersempfehlung des Verlags) zumuten würde.

Laia: "Wir sind verflucht, du und ich", raunt der Nachtbringer, und als er mein Gesicht mit seinen Händen berührt, dessen Feuer abgekühlt ist, zittere ich nicht. "Dazu, mehr Liebe zu geben, als wir je empfangen werden."

Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für den sensiblen Leser mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte oder wilde Feste beschreibt und regelrecht die einstmals blühende Stadt Serra in die Wüste malt. Ganz unverhofft kommen immer wieder wunderschöne Beschreibungen, Feststellungen oder Dialoge, sodass ich hier mal wieder so viele Zitate markiert habe, dass ich sie gar nicht alle hier miteinfließen lassen kann. Wie ihre Vorgänger ist also auch "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" wieder voller schöner und hässlicher Momente, prall gefüllt mit Gesellschaftskritik, kleinen Weisheiten und dem Aufruf nach Versöhnung, Barmherzigkeit und Dialog. Der intensive, emotionale, mitreißende Eindruck, den die Autorin, ohne dafür viele Worte zu benötigen, generiert, kann dabei auf die Nähe der LeserInnen zu den Figuren zurückgeführt werden. Dadurch, dass wir die Figuren nun schon so lange bei ihrem Kampf ums Überleben, durch Leid, Schmerz, Tod und Freude begleitet haben, fühlen sie sich beinahe an wie Familienmitglieder und ich konnte nicht anders als mit vollem Herzen mitzufiebern.

Der Seelenfänger: "Einen sicheren Ort?" Laia lacht und es klingt schrecklich. "In dieser Welt gibt es keinen sicheren Ort für mich, Elias. Es sei denn, ich erschaffe ihn mir selbst."

Nachdem in einem stetigen, entmutigenden Abwärtstrend in Band 3 nicht nur wieder tausende Kundige abgeschlachtet und das Blut von Unschuldigen vergossen, sondern auch Laia das Herz gebrochen, Elias die Menschlichkeit und Helena die Seele genommen wurde, beginnen alle drei in diesem Finale endlich zu heilen und wie Phönixe aus der Asche aufzusteigen: stärker als je zuvor. Sabaa Tahir nutzt ihre drei vielschichtigen und einfühlsam charakterisierten Figuren wieder als zutiefst menschliche Sympathieträger und führte ihre Entwicklung grandios zu einem Ende. War Laia anfangs noch schwach, ängstlich und unauffällig, wird sie durch all das Leid, die Angst und Ungewissheit, die sie erfährt, zu einer selbstbewussten und starken jungen Frau, die es versteht zu kämpfen und unsere Herzen zu bewegen. Auch wenn sie nicht so mutig ist, wie ihre Mutter und nicht so besonnen ist, wie ihr Vater, die beide den Widerstand angeführt haben und dann verraten wurden, brennt in ihr ein Feuer, das andere dazu inspiriert, ebenfalls gegen Unrecht aufzustehen und sich ihr in einem zwecklos scheinenden Kampf anzuschließen. Während sie in Band 3 deutlich hinter Elias und Helena zurückgetreten ist, konnte ich mich vor allem gegen Ende hier wieder besser in sie hineinfühlen und habe aus vollem Herzen mitgefiebert, wie sie gegen ihr gebrochenes Herz kämpft und entdeckt, dass Liebe tatsächlich stärker ist als der Tod...

Laia: "Geliebter", flüstere ich. Das Wort macht mich furchtbar traurig. Denn selbst wenn er das einmal war, ist er es jetzt nicht mehr. "Liebe und Hass, Laia", fährt Rehmat fort. "Sie sind zwei Seiten derselben Münze. Der Hass des Nachtbringers brennt so hell wie seine Liebe."

Auch Elias, der gegen Ende von Band 3 ja zum eiskalten Seelenfänger geworden ist, der seine Menschlichkeit, seine Erinnerungen und seine Gefühle für die Macht Mauths opfern musste, um die Welt vor der Flut an Geistern zu beschützen, hat in diesem Finale noch einiges an Entwicklung vor sich. Wie die Autorin geschafft hat, uns über die Reihe hinweg viele verschiedene Facetten dieser Figur zu zeigen, ohne sie ihren Kern verlieren zu lassen, ist wirklich einzigartig und ich habe mich gemeinsam mit Helena und Laia auch ein bisschen in ihn verliebt.

Am spannendsten fand ich aber wieder einmal die Entwicklung von Helena Aquilla, welche Laia als Hauptprotagonistin ja schon zuvor klar der Rang abgelaufen hatte. Als Blutgreif eines gespalteten Imperiums ist sie zunehmend zwischen ihren eigenen Gefühlen und Prinzipien und ihrer Verantwortung gegenüber dem Imperium hin und her gerissen und weiß schon bald nicht mehr, welche Prioritäten sie setzen und wem sie vertrauen soll. Mit ihrer ungetrübten Liebe zu ihrem Land und ihrem Volk, die ihre kalte Fassade Lügen strafen, ihrer inmitten von Chaos, Krieg und Schadensbegrenzung aufblitzenden Liebe zwischen ihr und ihrem Stellvertreter Avitas Harper, mit all ihren Facetten, Abgründen und ihrer Charakterstärke ist sie wohl einer der tiefgründigsten, ambivalentesten Protagonisten, von denen ich im Bereich Fantasy jemals gelesen habe.

Der Blutgreif: "Ich bin zerstört." Ich flüstere Harper die Worte zu, die der Augur mir gegenüber vor so langer Zeit geäußert hat. "Ich bin gebrochen." Harper kniet nieder und wischt mir die Tränen mit dem Daumen weg. Dann hebt er mein Gesicht an. Auch seine Augen sind feucht und sein Blick glüht, wie ich es selten gesehen habe. "Du bist gebrochen. Aber was gebrochen ist, ist am schärfsten. Am tödlichsten. Mit jenen, die gebrochen sind, rechnet man nicht. Man unterschätzt sie."

Besonders gefreut hat mich auch der Einblick in die Geschichte des Nachtbringers. Dadurch, dass wir immer mehr von seiner Aufgabe, seiner Vergangenheit und seinen Gefühlen erfahren, wird er von Kapitel zu Kapitel zu einem hintergründigen Charakter, dem man eigentlich gar nicht böse sein kann, weil er alles nur aus Liebe tut. So bleibt als wirklicher Antagonist und Projektionsfeld für all die angestaute Frustration während dem Lesen eigentlich nur noch die Kommandantin übrig. Auch etliche Nebenprotagonisten bekommen hier mehr Tiefe, indem ihre Geschichte erzählt wird. So erfahren wir zum Beispiel endlich mehr über die Vergangenheit der Kommandantin oder Laias Mutter, Mirra von Serra, die Löwin des Widerstands. Nebenfiguren wie die Stammesfrau Ayfa, der Sklavenjunge Tas, der zwiespältige Hauptmann Harper, die Dschinns, der Bienenzüchter Musa oder der neugeborene Zacharias bringen ordentlich Pepp in die Handlung und trösten und darüber hinweg, dass Sabaa Tahir auch hier wieder nicht gerade zaghaft mit liebgewonnenen Protas umgeht und der Verlust wieder groß ist.

Besonders gegen Ende haben wir (wie ich es angesichts des schon in Band 1-3 hohen Schwunds nicht anders erwartet hatte) einige herzzerreißende Verluste zu beklagen. Vor allem einer davon hat mich sehr wütend auf die Autorin gemacht und fast dazu gebracht, das Buch an die Wand zu werfen. Trotz der wirklich fiesen Charaktertode kann ich nicht anders, als das Ende zu bewundern, welches alle Handlungsstränge stimmig zusammenführt und eine komplexe und intensive Geschichte so zu Ende erzählt, wie sie begonnen hat: episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung!

Beenden möchte ich diese Rezension deshalb mit meinem Lieblingszitat, in dem Mami Rila die Macht der Geschichteerzählenden Kehannis beschreibt und damit auch die Erzählkunst der Autorin auf den Punkt bringt:

Laia: "Wir suchen nach Wahrheit, Laia. Und wenn wir sie finden, müssen wir uns ihr mit Mitgefühl nähern. Wir müssen die Lebewesen, die unsere Geschichten bevölkern, ob feeisch oder menschlich, verstehen. Respektieren. Lieben, trotz der bösen Dinge, die sie tun. Wir müssen sie sehen. Wie sonst sollen unsere Geschichten einen Widerhall in den Herzen jener finden, die sie hören? Wie sonst sollen die Geschichten über das Erzählen hinaus leben?"



Fazit


Sabaa Tahir bringt die Elias und Laia Reihe in diesem Finalband würdig zu einem Ende und hinterlässt so ein vierbändiges Gesamtkunstwerk, das ich jedem Fan von Fantasy, Dystopien und Abenteuergeschichten nur wärmstens empfehlen kann! Episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung - mit "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" beweist die Autorin, dass ihre Saga zu Recht zu meinen Top-5-Fantasy-Epen gehört!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere