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Veröffentlicht am 05.10.2022

Scönheit als Schild gegen das lauernde Dunkle

Drei Tage im August
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Drei Tage im August 1936 in Berlin Unter den Linde. Die Stadt wiegt sich während der Olympischen Spiele in trügerischer Sicherheit vor dem Aufstieg der Nazis und damit dem Untergang des Deutschen Reiches. ...

Drei Tage im August 1936 in Berlin Unter den Linde. Die Stadt wiegt sich während der Olympischen Spiele in trügerischer Sicherheit vor dem Aufstieg der Nazis und damit dem Untergang des Deutschen Reiches. Allerdings nehmen die Ladenbetreiber Unter den Linden die seltsam bedrohliche Atmosphäre bereits deutlich wahr. Sei es in Gestalt eines schwarzen Tieres, das die Protagonistin Elfie als Sinnbild ihrer Schwermut auf Schritt und Tritt folgt. Mühsam versucht sie ihren Alltag als Angestellte der Chocolaterie Sawade aufrecht zu erhalten. Sei es in Form der existentiellen Bedrohung des Buchhändlers Franz Marcus, dem die Nazis mit Schließung der Buchhandlung drohen und der an Flucht denkt, bevor er gänzlich in der Falle sitzt. Oder in Form des Todes, der die alte Madame Comte über der Chocolaterie bedroht. Alle versuchen der drohenden Dunkelheit mit Hilfe der Schönheit zu trotzen, der Schönheit der Schokoladen und ihrer Verpackungen, der Schönheit der Bücher und der Schönheit der Erinnerungen an das gelebte Leben. Darin verwebt sich das Schicksal der Haupt- und Nebendarsteller Unter den Linden auf sehr gefühlvoll-melancholische Weise. In bedächtigen und leiden Worten schafft die Autorin ein stark atmosphärisches Bild der Allee in diesen drei Tagen im August und setzt damit selbst das Schöne gegen das Böse. Wer spannungsreiche Handlung sucht und große Geschichten, der ist hier schlecht beraten. Wer sich in die komplexen Gefühlswelten, die ein wenig mantrahaft stets von Neuem heraufbeschworen werden, begeben will, findet hier einen „ausnehmen schöne[n] Roman, voll zarter Sinnlichkeit und besonderen Figuren“, wie es der Klappentext verspricht.

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Veröffentlicht am 15.09.2022

In der Mausefalle

Die Wagemutige
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In dem Roman „Die Wagemutige“ geht es um Lisa Fittko, die schon bei Machtergreifung der Nazis 1933 in den Widerstand geht und damit in der Illegalität lebt. Die Handlung setzt ein in dem Internierungslager ...

In dem Roman „Die Wagemutige“ geht es um Lisa Fittko, die schon bei Machtergreifung der Nazis 1933 in den Widerstand geht und damit in der Illegalität lebt. Die Handlung setzt ein in dem Internierungslager Gurs in Frankreich, in das Lisa 1940 wie alle deutschen Frauen muss, nachdem die Deutschen in Frankreich einmarschiert sind. Als sie von dort fliehen kann und nach Marseille kommt, ist sie eine der vielen Flüchtlinge, die sich von dort die Rettung vor den Nazis über das Meer nach Amerika erhoffen. Ihre Lage spitzt sich dramatisch zu, als der noch nicht besetzte südliche Teil Frankreichs mit den Deutschen ein Abkommen eingeht, die deutschen Flüchtlinge an die Nazis auszuliefern. Daraufhin macht Lisa sich auf die Suche nach einem Schlupfloch aus der Mausefalle für sich und ihre Familie, aber zunächst einmal auch für viele andere, die auf Flucht vor den Nazis sind, Schriftsteller, Intellektuelle, Politiker, Andersdenkende, Juden …
Der erste Teil im Lager Gurs und auf der Flucht lies sich so, wie die Protagonisten sich fühlen: wie ein absurdes Theaterstück. Das Leben der Betroffenen lässt sich weder mit dem Verstand noch emotional wirklich fassen und begreifen. Fassungslos liest der Leser, in welcher Situation sich diese vielen Frauen, die glaubten, in Frankreich vor den Nazis sicher zu sein, und nun von den Franzosen als Deutsche unter widrigsten Uimständen interniert werden, befinden. Ein schwer ertäglich zu lesender Einstieg.
Spannung und Dramatik nehmen zu, als Lisa sich aufmacht, Fluchtrouten aus Frankreich zu erkunden. Dies zieht den Leser in einen Sog, sie und den ihr Anvertrauten auf ihren verwegenen Pfaden atemlos zu folgen, wo sie nicht nur durch Gendarmerie, sondern auch durch feindlich gesinnte Zivilisten und durch die Tücken der Natur immer wieder in Gefahren geraten.
In diesem Teil rückt mir persönlich die Hauptakteurin auch ein stückweit näher. Die Autorin selbst erklärt im Nachwort, sie habe Lisa Fittko, die in ihrer Autobiographie das Persönliche und Emotionale weggelassen habe, eben dieses in ihrem Roman wiedergeben wollen, indem sie versucht habe, ihre Gedanken, Wünsche und Emotionen nachzufühlen. Das ist sicherlich eine schwieriges Unterfangen. Und gerade anfänglich bin ich nicht sehr warm geworden mit dieser Figur, weil sie für mich nicht zu einer Person wurde, sondern zu einer Frau, die eine Rolle übernimmt. Aber dessen ungeachtet ist dies insgesamt ein auf jeden Falls lesenswerter Roman über die Zeit des Exils in Frankreich, kommen doch viele bekannte historische Persönlichkeiten vor, deren Schicksal anrührt, und viele historische Tatsachen, aber auch über eine wagemutige Frau, die Großes geleistet hat, aber ganz unverdientermaßen in Vergessenheit geraten ist. Auch in dieser Hinsicht ist dies ein wichtiges Buch!

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Veröffentlicht am 24.07.2022

Wer die Erinnerung macht

Beifang
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Weiß man, wer man ist und wohin man will, wenn man weiß, woher man kommt? Auch wenn der Erzähler des Romans „Beifang“ sich auf die Suche danach macht, woher er kommt, scheint er doch nicht zu wissen, was ...

Weiß man, wer man ist und wohin man will, wenn man weiß, woher man kommt? Auch wenn der Erzähler des Romans „Beifang“ sich auf die Suche danach macht, woher er kommt, scheint er doch nicht zu wissen, was er mit seinem Leben anfangen soll.
Als das elterliche Haus verkauft und zu diesem Zweck entrümpelt wird, weil die Eltern in eine altengerechte Wohnung ziehen, werfen sich dem Erzähler auf einmal Fragen danach auf, wie sein Vater in diesem alten, kleinen Zechenhaus zusammen mit 10 Geschwistern groß geworden ist mit Eltern, die weder Zeit noch Geld für diese 11 Kinder hatten. Weil sein Vater darüber keine klare Auskunft gibt, wendet er sich an die Geschwister, die ja in genügender Zahl vorhanden sind. Verschiedene von ihnen sucht er mit mehr oder minder großem Erfolg aus. Einige erzählen ihre Version der Geschichte, malen ihr Bild von ihrem Vater. Dabei entsteht ein für den Leser spannender, aber auch bedrückender Einblick in das Leben in der Zechensiedlung in den 50er und 60er Jahren. Die Zimmermanns mit ihren vielen Kindern gelten als Asoziale, mit denen keiner etwas zu tun haben will. Trotzdem schaffen einige von ihnen den Schritt in die kleinbürgerliche Welt, wie der Vater des Erzählers. Und weil der Erzähler selbst auch Vater eines Sohnes ist, auch wenn er diesen nur 4mal im Jahr sieht, ergeben sich bisweilen sehr aufschlussreiche Vergleiche der Erziehung damals und heute.
Der Roman ist atmosphärisch dicht geschrieben, der Stil leicht und nüchtern, berührt aber umso unmittelbarer. Die Figuren sind zum Teil sehr skurril oder zumindest unkonventionell, wenn auch auf ihre Art sympathisch. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Vergangenheit, teils anklagend, teils idealisierend, teils voller Verständnis, teils voller Verbitterung, ergibt sich für den Leser ein diffuses Bild: letztlich weiß er nicht, wem er trauen soll und wie er zu einem Urteil kommen kann. Vielleicht muss er das ja auch nicht und das Ende bringt noch einmal eine interessante Wende, lässt den Leser aber auch etwas allein und ratlos zurück.

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Veröffentlicht am 02.07.2022

Bilderbuch oder Buch der Bilder

Blanche Monet und das Leuchten der Seerosen (Ikonen ihrer Zeit 6)
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In ihrem Nachwort nennt die Claire Paulin das Buch Jean-Pierre Hoschedé über seine Schwester Blanche „eine Hommage an ihre großartige Malerei, ihr sanftes Wesen und ihr ereignisreiches Leben, dem [sie ...

In ihrem Nachwort nennt die Claire Paulin das Buch Jean-Pierre Hoschedé über seine Schwester Blanche „eine Hommage an ihre großartige Malerei, ihr sanftes Wesen und ihr ereignisreiches Leben, dem [sie sich] mit diesem Roman nur in allergrößter Bescheidenheit anschließen möchte.“ Das „nur in allergrößter Bescheidenheit“ darf sie meiner Ansicht nach gerne streichen.
Ihr Roman „Blanche Monet und das Leuchten der Seerosen“ schildert das Leben der Blanche Hoschedé, die nach dem Bankrott ihres Vaters mit Mutter und mehreren Geschwistern bei dem zu diesem Zeitpunkt noch recht unbekannten und umstrittenen Maler Claude Monet und seiner Familie Unterschlupf findet. Auch wenn beide Familien immer wieder mit materieller Not und familiärem Unfrieden zu kämpfen haben, findet die kleine Blanche ihr Glück darin, dem Maler Monet bei seinen Arbeiten bei Wind und Wetter stundenlang über die Schulter zu schauen und zu lernen, ohne je von ihm gelehrt zu werden. So wird auch aus ihr eine talentierte Malerin. Doch das Leben verlangt ihr immer wieder allzu Übermenschliches ab. Die Reihe von Todesfällen in der Familie scheint nicht abzureißen. Auch ein privates Glück mit eigener Familie scheint ihr nicht vergönnt, stellt sie sich doch immer wieder in den Dienst ihrer eigenen Familie und vor allem Monets. Dieses ereignisreiche Leben, wie es der Bruder nennt, macht aus ihr eine Frau mit starker Persönlichkeit, doch dabei stets sanftem Charakter.
Die Stärke dieses Romans sehe ich zum einen in der Figurengestaltung: Die liebenswerte Blanche, die gerade in Teil 2 und 3 des Romans dem Leser immer mehr ans Herz wächst, ihre impulsiv-kindliche Schwester Suzanne, ihre stets etwas griesgrämig-verhärmte ältere Schwester Marthe, aber auch der teils cholerisch, teils liebevoll besorgte Ziehvater Monet sind sehr individuell und lebendig dargestellt. Nur der Vater und einer der Sohne Monets, Jean, der in Blanches Leben eine besondere Rolle spielen wird, bleiben in ihren abrupten Charakterumschwüngen dem Leser eher fremd. In beiden Fällen erfährt der Leser erst zum Ende hin den Grund für diese Brüche, die zwar plausibel sind, aber doch nicht hinreichend zu sein scheinen für die gravierenden Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Was aber ganz besonders an dem Roman besticht, sind die Beschreibungen der Landschaften und Stimmungen, die den Leser sofort an Monets Gemälde erinnern. Ganz besonders der Wohnsitz Monets in Giverny ist liebevoll detailliert beschrieben, sodass sich der Leser wünscht, diesen Garten selbst zu sehen oder, noch besser, gleich einen solchen selbst so hegen und pflegen zu können.
Weder der Titel noch das Cover werden dem Roman gerecht, neigen beide doch – auch wenn der Hintergrund des Covers Bezug auf Monets Seerosenteiche nimmt – zum Kitsch. Aber kitschig ist dieser Roman nun gerade nicht, sondern er erzählt die Geschichte von Blanche ebenso still und sanft wie das Wesen seiner Titelheldin.

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Veröffentlicht am 18.09.2024

Ohne Heimat

Als wir Schwäne waren
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„Als wir Schwäne waren“ ist wohl ein Roman mit autobiographischen Zügen. Der Erzähler kommt als Junge mit seinen Eltern nach Deutschland. Er wächst auf in einer Siedlung in Bochum, aus der immer mehr ...


„Als wir Schwäne waren“ ist wohl ein Roman mit autobiographischen Zügen. Der Erzähler kommt als Junge mit seinen Eltern nach Deutschland. Er wächst auf in einer Siedlung in Bochum, aus der immer mehr deutschstämmige Bewohner weg- und in die immer mehr Migranten unterschiedlichster Herkunft zuziehen. Das Leben in diesem Ghetto gestaltet sich als perspektivlos und ist geprägt von Kriminalität und Gewalt. Viele der Bewohner stammen aus einer sozial benachteiligten Schicht, bildungsfern, ohne Aufstiegschancen. Sie verdingen sich als Drogendealer oder Kleinkriminelle, gerieren sich als Halbstarke und mehr als einmal endet ein solches Leben früh und gewaltsam. Die Eltern des Erzählers sind anders. Sie sind studiert, gebildet. Aber auch für sie gibt es kaum Chancen, in der neuen Gesellschaft Fuß zu fassen. Sie versuchen ihren Status zumindest im Privaten zu kultivieren, erfahren von der Gesellschaft aber auch wenig Wertschätzung und Ausgrenzung. Das Weiterkommen scheint ein Privileg der Einheimischen zu sein. Dennoch versuchen sie dem Sohn ein Gefühl von Stolz und Würde zu vermitteln. Dieser steht zwischen beiden Polen. Zum einen zieht er mit den anderen Jugendlichen um die Häuser, dealt mit und hat viele Kontakte zu kriminellen Existenzen. Auf der anderen Seite hält ihn vielleicht sein Elternhaus davon ab, ganz in den Sumpf der Ausweglosigkeit zu rutschen. Er bleibt immer ein wenig der distanzierte Beobachter zum Geschehen.
In seinem Roman schildert Khani dieses Leben durchaus anschaulich und nachvollziehbar. Die Entwurzelung und Heimatlosigkeit des jungen Erzählers, seine Wut auf ein Land, das er sich nicht ausgesucht hat und das ihm und seinen Eltern keine Chance gibt, ist sehr greifbar. Das respektvolle Denkmal, das er seinen Eltern hier setzt, nötigt auch dem Leser einen entsprechenden Respekt ab und ein Gefühl davon, dass das Schicksal, das Menschen nötigt, ihre Heimat zu verlassen und in einem Land zu leben, in das sie eigentlich nicht wollen, ein ungerechtes und grausames ist.
Befremdlich sind bisweilen die ein wenig kryptisch, lebensphilosophischen Zwischentöne, deren Sentenzen und Bilder sich dem Zugriff verweigern. So bleibt mir letztlich auch das Bild der Schwäne diffus. In einem Land werden sie für Zugvögel gehalten, ähnlich dem Schicksal der Migranten dazu genötigt, immer weiter zu ziehen. In Deutschland aber ziehen sie nicht fort, sondern bleiben sie in ihren Gefilden. Ähnlich den Migranten, die aus dem Auffangghetto nicht hinauskommen, weil das Weiter-, das Fortkommen nur etwas für die Deutschen mit ihren Redewendungen ist, für die von nichts nichts kommt, die keine Müdigkeit vorschützen, Nägel mit Köpfen machen und auf das A-Sagen das B-Sagen folgt.
Der Roman ist sicher keine leichte Kost, am Ende ähnlich perspektivlos und desillusionierend wie das Leben im Ghetto. Während die Eltern wenigsten zurückkehren können an ihre heimatlichen Wurzeln, so bleibt dem Erzähler über seine Wut hinaus nur das Fortgehen ohne Ankommen. Was fängt der Leser an mit dieser Wut und dieser Erkenntnis? Soll er damit etwas anfangen? Oder geht es dem Autor mehr um das Loswerden und Luftmachen?

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