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Veröffentlicht am 10.07.2022

Genetische (und umweltbedingte) Ursachen für Krankheiten

Der unangepasste Mensch
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Martin Brüne, Professor für Psychiatrie, lotet hier aus, wie unser evolutionäres Erbe noch heute unsere Gesundheit und unser Verhalten beeinflusst. Im Gegensatz zu den meisten anderen Werken zu diesem ...

Martin Brüne, Professor für Psychiatrie, lotet hier aus, wie unser evolutionäres Erbe noch heute unsere Gesundheit und unser Verhalten beeinflusst. Im Gegensatz zu den meisten anderen Werken zu diesem Thema konzentriert er sich dabei nicht nur auf körperliche Folgen, sondern räumt auch der menschlichen Psyche viel Raum ein, spürt etwa den Ursachen für psychische Erkrankungen nach. Dabei zeigt sich, dass wir Angehörige der Spezies Homo sapiens auch in diesem Bereich weitaus mehr unseren Genen bzw einem Zusammenspiel zwischen Genen und Umwelt unterworfen sind, als wir gerne glauben würden.
Er überlegt beispielsweise, wie besonders frühe oder späte Mutterschaft durch unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien erklärt werden kann, welche Folgen Vernachlässigung oder traumatische Erfahrungen in der Kindheit je nach genetischer Prädisposition haben können, wie die Darmflora den ganzen Körper beeinflusst oder welche Auswirkungen Stress hat.

Der Inhalt ist großteils interessant, regt zum Nachdenken an und ließ mich einige Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten.
Bisweilen sind die Ausführungen und die hergestellten Zusammenhänge jedoch sehr spekulativ, was der Autor immerhin meist auch eingesteht. Außerdem neigt er zu Abschweifungen. Nicht nur, dass sich manchmal ganze Abschnitte vom eigentlichen Thema entfernen und es etwa im letzten Kapitel hauptsächlich um die Mängel des heutigen Medizinsystems geht. Es fließen auch sonst zu häufig diverse kritische bis polemische Bemerkungen ein, die der Sache nicht unbedingt dienen, da sie von den eigentlichen Aussagen ablenken. So ist es beispielsweise sicher gerechtfertigt zu konstatieren, dass die meisten Menschen mit ihrem Auto sorgsamer umgehen als mit ihrem Körper. Sich dann aber noch darüber auszulassen, dass Zigarettenkippen auf die Straße statt in den Aschenbecher geworfen werden, ist entbehrlich. Ebenso wie regelmäßige Anspielungen auf die Flüchtlingskrise.

Dennoch ein lesenswertes Buch, das erhellende Einsichten darüber bietet, wie die Evolution arbeitet und welche Schlüsse wir daraus für unser Leben und unsere Gesellschaft ziehen können.

Veröffentlicht am 10.07.2022

Tour durch die Geschichte der Mathematik

Wie die Null aus dem Nichts entstand
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Dieses Buch stellt eine flotte Tour durch die Geschichte der Mathematik dar. Der Autor spürt den Sternstunden seines Fachgebiets nach – beginnend mit dem Moment in grauer Vorzeit, als ein unbekanntes Genie ...

Dieses Buch stellt eine flotte Tour durch die Geschichte der Mathematik dar. Der Autor spürt den Sternstunden seines Fachgebiets nach – beginnend mit dem Moment in grauer Vorzeit, als ein unbekanntes Genie erkannte, dass „ein Paar Tage und ein Paar Fasane jeweils Ausdruck der Zahl zwei waren“.
Unter anderem fragt er, wann die Null erstmals nicht mehr als Platzhalter für eine Leerstelle, sondern als Zahl begriffen wurde, schildert, wie die Mathematiker auf den „logischen Skandal“ der Inkommensurabilität (also der Existenz irrationaler Zahlen) reagierten, zeigt, wie imaginäre Zahlen in der Physik zur Beschreibung der Wirklichkeit verwendet werden oder erklärt, dass über die Euklidische Geometrie hinausgegangen werden muss, um die wahre Geometrie des Raumes zu erkennen.

Der Inhalt ist interessant und wird weitgehend auf allgemein verständliche Weise dargestellt. Es kommt wenig „richtige“ Mathematik vor und wenn, dann immer in eine geometrische Aufgabe verpackt, sodass sie mittels Grafiken veranschaulicht werden kann.
Der Text besteht allerdings zu oft in einer bloßen Auflistung, wer wann was gesagt oder geschrieben hat. Obwohl das Buch insgesamt relativ kurz ist und eigentlich eher zu wenig in die Tiefe geht, wirkt es dadurch doch öfters langatmig.

Veröffentlicht am 15.01.2022

Atmosphärisch beeindruckend, aber vorhersehbar

Die Dorfschullehrerin
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Februar 1961: Die aus der Sowjetisch besetzten Zone (also der DDR) geflohene Helene tritt ihre Stelle als Lehrerin im hessischen Kirchdorf an. Ihre Dienste werden auch dringend benötigt, herrschen aufgrund ...

Februar 1961: Die aus der Sowjetisch besetzten Zone (also der DDR) geflohene Helene tritt ihre Stelle als Lehrerin im hessischen Kirchdorf an. Ihre Dienste werden auch dringend benötigt, herrschen aufgrund des Lehrermangels in der Schule doch teilweise chaotische Zustände. Aber der Grund dafür, dass sie gerade in diesem Dorf arbeiten möchte, hat nichts mit ihren beruflichen Ambitionen zu tun, sondern liegt in der Nähe zu dem ostdeutschen Weisberg, das nur wenige Meter entfernt, jedoch hinter einer scharf bewachten Grenze liegt.

So ist dieser Roman vor dem Hintergrund der deutschen Teilung angesiedelt. Großteils wird die Geschichte aus Helenes Sicht erzählt, öfters werden aber auch die Perspektiven anderer Personen eingenommen, darunter auch solche, die jenseits der Grenze wohnen. Bei letzteren wird oft sehr schön der Zwiespalt deutlich zwischen der Freude über die Segnungen des Sozialismus einerseits und dem Hadern mit den erlebten Einschränkungen andererseits. Aber auch das Leben in einem kleinen Dorf im Westdeutschland der 1960er Jahre wird gut portraitiert.

Die historischen Rahmenbedingungen sind also sehr
interessant. Die eigentliche Handlung konnte mich allerdings nicht restlos begeistern.
Zwar ist Helene eine sympathische Protagonistin, mit der ich gerne mitgefiebert habe. Es gab jedoch gar nicht besonders viel zum Mitfiebern. Sie muss (zumindest während der Zeit, die hier geschildert wird) keine großen Konflikte austragen und ist schon nach wenigen Wochen allseits beliebt, nicht nur bei ihren Schülern, sondern im ganzen Ort (und insbesondere bei dem Landarzt Tobias). Auch die übrigen Figuren wirken zu glatt. Niemand hat mich (im positiven oder negativen Sinn) überrascht.
Daher plätschert die Handlung über weite Strecken nur so dahin, was angenehm zu lesen ist, aber eben auch nicht besonders aufregend. Erst im letzten Viertel kommt etwas mehr Spannung auf. Alles in allem ist das meiste aber vorhersehbar.

Fazit: Es gelingt diesem Buch sehr gut, die Atmosphäre der damaligen Zeit zu vermitteln. Schon deshalb ist es lesenswert. Wirklich packend ist die Geschichte aber nicht. Diesbezüglich gibt es für die Fortsetzung noch Luft nach oben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.01.2022

Wie Juden Österreich prägten

100 x Österreich: Judentum
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Die Journalistin und Museumsdirektorin Danielle Spera berichtet hier über das Judentum in Österreich und davon, wie es unser Land über Jahrhunderte hindurch geprägt hat.
Wie in der „100 x Österreich“-Reihe ...

Die Journalistin und Museumsdirektorin Danielle Spera berichtet hier über das Judentum in Österreich und davon, wie es unser Land über Jahrhunderte hindurch geprägt hat.
Wie in der „100 x Österreich“-Reihe üblich, wird das Thema in 100 jeweils ca zwei bis drei Seiten langen Beiträgen abgehandelt. Diese erzählen von der wechselhaften, jedoch meist von Ressentiments geprägten Beziehung zwischen Juden und der Mehrheitsbevölkerung, stellen bedeutende Persönlichkeiten aus Politik, Literatur, Wissenschaft etc vor, oder beschreiben die wichtigsten jüdischen Festtage und Gebräuche.
So erfährt man hier beispielsweise, wie viele Wiener Institutionen auf jüdische Gründer zurückgehen, was den jüdischen Humor auszeichnet oder dass der erste Weihnachtsbaum Wiens im Salon einer jüdischen Familie stand.
Das Buch befasst sich großteils mit Wien, wo Anfang des 20. Jahrhunderts immerhin die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas existierte. Es werden aber auch ein paar Blicke in die anderen Bundesländer geworfen, etwa nach Hohenems oder zum Arlberg.
Natürlich klingt dabei auch viel Negatives an, fast jeder Beitrag hat von Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung oder Ermordung zu berichten. Auch das Ringen um Gerechtigkeit, sei es im Umgang mit den Tätern oder etwa bei der Restitution geraubter Vermögenswerte, wird immer wieder thematisiert. Das alles geschieht in einem eher neutralen Tonfall, fast ein bisschen zu sachlich.
Auch sonst handelt es sich zu sehr um eine bloße Aufzählung von – durchaus interessanten – Fakten, denen aber zu wenig Leben eingehaucht wird. Wenn beispielsweise in manchen Kapiteln eine Person nach der anderen erwähnt wird, die Beschreibung ihres Lebenswerks sich aber jeweils auf ein oder zwei Zeilen beschränkt.
Ich habe den Eindruck, dass die Autorin auf dem ihr zur Verfügung stehenden Platz zu viele Informationen unterbringen wollte.

Veröffentlicht am 15.01.2022

Spannende Reise durch Jahrmilliarden der Erdgeschichte

Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens
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Henry Gee, seines Zeichens Paläontologe, Evolutionsbiologe und Editor der Wissenschaftszeitschrift Nature, gibt hier einen kurzen, aber doch gehaltvollen Überblick über die Geschichte des Lebens auf der ...

Henry Gee, seines Zeichens Paläontologe, Evolutionsbiologe und Editor der Wissenschaftszeitschrift Nature, gibt hier einen kurzen, aber doch gehaltvollen Überblick über die Geschichte des Lebens auf der Erde.
Er beschreibt dessen Entstehung zu einer Zeit, als die junge Erde abwechselnd von Feuer und Eis geprägt war, und erzählt unter anderem davon, wie die Notwendigkeit, sich gegen Fressfeinde zu verteidigen, wiederholt zur Entwicklung ganz neuer Formen des Körperbaus führte, welche anatomischen Besonderheiten die Dinosaurier zu eine derart erfolgreichen Tiergruppe machten, welche Faktoren die Entstehung von Ohren, Zähnen und Fortpflanzungssystemen der Säugetiere befeuerten … - und schließlich vom Auftauchen des Homo sapiens, der ersten Spezies, die sich ihrer selbst bewusst ist. Zuletzt wagt er sogar einen Blick in die Zukunft, wo er festhält, dass längerfristig ein Zuwenig an Kohlendioxid in der Atmosphäre Probleme bereiten wird, und Spekulationen darüber anstellt, wie Tiere, Pflanzen und Pilze sich eines Tages zusammenschließen werden, um eine ganz neue Art von Organismus hervorzubringen.
Dabei wird immer wieder deutlich, wie sehr äußere Einflüsse, insbesondere die Wirkung von Kontinentalverschiebung und Vulkanismus sowie (teilweise damit zusammenhängende) Klimaveränderungen, aber auch kosmische Faktoren, das Leben geprägt, es öfters an den Rand des Aussterbens gebracht, aber auch die Evolution neuer Eigenschaften angestoßen haben.
Die Ausführungen sind in einem lockeren Ton verfasst. Manches wird etwas vereinfacht dargestellt und wissenschaftliche Kontroversen weitgehend außen vor gelassen.
Dennoch liegt diesem Werk eine umfangreiche Recherche zugrunde. Die Endnoten machen fast 80 Seiten aus und enthalten nicht nur Literaturangaben sondern vielfach auch ausführlichere weiterführende Informationen oder Hinweise dazu, wie gut abgesichert oder spekulativ manche Aussagen sind. Zumindest ein Teil dieser Inhalte hätte aber besser in den Haupttext aufgenommen werden sollen. Vor allem in den ersten Kapiteln hat das häufige Hin- und Herspringen zu den Endnoten doch meinen Lesefluss gestört.
Außerdem hätte ich ein paar Bilder oder Grafiken schön gefunden. Es gibt öfters längere Aufzählungen einer Spezies nach der anderen, die jeweils nur kurz beschrieben werden. Zumindest mir fiel es da bisweilen schwer, mir all diese Lebewesen plastisch vorzustellen.
Alles in allem eine interessante Zusammenfassung von einigen Jahrmilliarden der Erdgeschichte, die sich sowohl für Einsteiger in die Materie als auch für Fortgeschrittene eignet. Schade, dass die übrigen Werke des Autors noch nicht auf Deutsch erhältlich sind.