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Veröffentlicht am 07.08.2023

Die düsteren Seiten der Schönwalds

Schönwald
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Die Schönwalds sind sicherlich keine Familie zum Liebhaben, aber sie bieten einiges an Erzählstoff. Ruth, Hans-Harald und ihre drei längst erwachsenen Kinder Chris, Karolin und Benni haben sich in ihrem ...

Die Schönwalds sind sicherlich keine Familie zum Liebhaben, aber sie bieten einiges an Erzählstoff. Ruth, Hans-Harald und ihre drei längst erwachsenen Kinder Chris, Karolin und Benni haben sich in ihrem „Familienleben“ gut eingerichtet, das zumindest oberflächlich nur deshalb so reibungslos funktioniert, weil jeder hier alles für sich behält, niemand über Gefühle oder Wahrheiten spricht und mehr oder minder zufrieden damit ist, belanglos nebeneinander her zu existieren.

Wie bei einem Kammerspiel treibt Familie Schönwald nach Jahrzehnten milde interessierter Koexistenz auf einen großen Showdown zu, als sich alle Familienmitglieder treffen zur Eröffnung von Karolins Buchladen für queere Literatur treffen, bei der es zu einem Skandal kommt. Dieses Ereignis nutzt Philipp Oehmke als Auftakt für tiefe Einblicke in die Vergangenheit und Gegenwart der Familienmitglieder. Ausführlich beleuchtet er Schlüsselmomente in der Entwicklung seiner Figuren, zeigt eindrücklich auf, warum diese so werden mussten, wie sie sind. So wird der Roman zu einer breitangelegten, überaus durchdachten Charakterstudie einer ganzen Familie, ihres Beziehungsgeflechts und ihrer mangelnden Kommunikation.

Darüber hinaus gelingt es Oehmke äußerst vergnüglich, mitunter haarscharf an der Satire vorbeistreifend, den Finger in die Wunden heutiger und vergangener deutscher Befindlichkeiten zu legen. Der Text ist sehr oft frech, politisch zum Glück nicht immer korrekt, dafür aber ehrlich, genau auf den Punkt und durchaus auch subtil ironisch. Hier wird mit allerlei Hysterie und vermeintlich gerade herrschendem Mainstream aufgeräumt – es tut tatsächlich sehr gut, mal einen Text zu lesen, der sich etwas traut und die Absurditäten unserer Zeit (wie z.B. Wohlstands-Bio-Kost, Dorf-Lifestyle und völlig ahnungslose Social-Media-Moralisten) vom Podest holt. Oehmkes Beobachtungsgabe ist messerscharf und mitunter fast respektlos, aber stets zutreffend und manchmal auch mit einem Hauch von Nostalgie verbrämt (ein Highlight ist z.B. die Beschreibung der Senator-Lounge der Lufthansa).

Eingebettet sind diese sehr unterhaltsamen Kommentare in einen äußerst lesbaren Text, der einen enorm hohen Unterhaltungswert bietet. Die Handlungsorte und einzelnen Handlungsaspekte sind ausgezeichnet beschrieben und bilden den passenden Hintergrund für die Irrungen und Wirrungen der Familie Schönwald. Vom Tennisclub über den Unibetrieb bis hin zum Hospital in Islamabad und der teuren psychologischen Praxis in Köln-Hahnwald – in diesem Roman wirkt alles authentisch und lebensecht, sicherlich auch, weil der Bezug zu realen Personen wie der Trump-Gefolgschaft geschaffen wird. Oehmke ist mit „Schönwald“ – was für ein Name für eine sehr deutsche Familie – ein unterhaltsames, punktgenaues und sehr zeitgeistiges Porträt von Menschen gelungen, die nicht mit, aber auch nicht ohne einander leben können.

Das Einzige, was man an dem Roman bemängeln könnte, ist, dass er aufgrund seiner Konstruktion der Rückschauen und Perspektivenwechsel oftmals den Eindruck erweckt, in jedem Kapitel zwei Schritte vor und einen zurück zu machen. Einige Ereignisse werden mehrfach aufgegriffen und dann aus der Sicht verschiedener Figuren betrachtet. Dies ist sowohl für das Verständnis der Situation als auch der Figur sinnvoll, führt aber mitunter zu einem Hauch von Langatmigkeit und dem Eindruck, dass der Text etwas auf der Stelle tritt.
Dennoch: „Schönwald“ ist absolut lohnenswert, sicherlich ganz besonders wenn man selbst der Generation X angehört. Feiner Humor, eine gründliche Auseinandersetzung mit Figuren, ein klarer und kritischer Blick auf deutsche Befindlichkeiten und die Fallstricke familiären Miteinanders wurden selten so gekonnt vereint.

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Veröffentlicht am 20.12.2022

Wenn die Krise kommt...

Connemara
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Nicolas Mathieu hat mich in seinem neuen Roman „Connemara“ für Hélènes Geschichte begeistern können. Obwohl das Buch nicht sonderlich schlank ist, hat es mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen ...

Nicolas Mathieu hat mich in seinem neuen Roman „Connemara“ für Hélènes Geschichte begeistern können. Obwohl das Buch nicht sonderlich schlank ist, hat es mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen und gefesselt. Es besticht durch seine Glaubwürdigkeit, seine relativ ruhige und gelassene Erzählweise, die es aber versteht äußerst präzise Sachverhalte, Emotionen und Kummer in Worte zu fassen, ohne dabei distanziert oder zu dramatisch zu wirken.

Besonders seine Figuren sind Nicolas Mathieu außerordentlich gelungen. Authentisch, wahrhaftig und nachvollziehbar, ausgestattet mit dem ein oder anderen Identifikationsmoment segeln seine Protagonisten, die bereits im Mittelalter angekommen sind, durch ihre Unzufriedenheit, Niederlagen, Versäumnisse, Wünsche, Begierden und amourösen Verwicklungen. Da die Beschreibungen frei von Sentimentalitäten sind, ist die rückhaltlose Darstellung der Gefühlswelten in sich auf eine besondere Weise berückend schön und ungekünstelt, ehrlich und echt. Diese Glaubwürdigkeit, die sich vor allem in Hélènes Arbeitswelt und ihrem Familienleben zeigt, ist vom Burn-out in Paris über die Rückblenden in ihre Vergangenheit bis zu ihren versuchten Neustarts überzeugend und tatsächlich auch erfrischend.

Ein Manko, ohne dass ich sicherlich gut hätte auskommen können (das aber wie immer Geschmackssache ist), ist die immer wieder in den Mittelpunkt gestellte Sexualität und Intimität – dass muss sicherlich nicht in diesem Ausmaß ausgeführt werden, auch wenn es sich um einen Roman handelt, der ein Liebesverhältnis zentral setzt. Das kann man bestimmt auch gemäßigter umsetzen.

Dennoch: mir hat er Roman sehr viel Freude bereitet, ich schätze den reflektierten Umgang mit gesellschaftlichen Erwartungen und Normen und dem allgemeingültigen Rollenverständnis und mag es, wie Mathieu diese Komponenten ans Licht zerrt und dem Leser einen Einblick in die französischen Gegebenheiten gewährt. Ich empfinde die Lektüre daher als lohnenswert und kann den Roman mit ein paar Abzügen empfehlen.

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Veröffentlicht am 18.12.2022

Wieder ein schönes Tagebuch!

Gregs Tagebuch 17 - Voll aufgedreht!
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Auch im 17. Band von Gregs Tagebuch geht es wieder rund. Dieses Mal kommen Rockfans voll auf ihre Kosten, denn Greg wird zum Helfer der Band „Folle Vindl“ seines Bruders Rodrick befördert, wo er eine kleine ...

Auch im 17. Band von Gregs Tagebuch geht es wieder rund. Dieses Mal kommen Rockfans voll auf ihre Kosten, denn Greg wird zum Helfer der Band „Folle Vindl“ seines Bruders Rodrick befördert, wo er eine kleine Karriere vom Träger bis zum Gitarristen durchläuft. Auch wenn Greg in diesem Band natürlich mit von der Partie ist, geht es in dem Roman sehr viel um Rodrick und seinen Traum vom Erfolg, der mit viel Werbung und Tipps von seinen Idolen wahr werden soll.

Zwar spielen Rupert und Manny fast keine Rolle in diesem Roman, was etwas schade ist, aber das Buch sorgt dennoch für viel Lesespaß, vor allem weil man als Leser so sehr viel Einblick in Rodricks Leben bekommt. Gewohnt witzig ist der Roman auf jeden Fall, er gehört unbedingt zu den guten Tagebüchern von Greg. Unvergesslich lustige Szenen spielen sich z.B. ab, wenn die Band zu streiten beginnt oder sich auf ungewöhnliche Weise versucht, sich Drumsticks zu verbessern.

Wie üblich ist auch diese Gregs Tagebuch mit zahlreichen sehr passenden und kreativen Zeichnungen geschmückt, die die Handlung zusätzlich illustrieren und das Vergnügen noch vergrößern.

„Voll aufgedreht“ ist eine große Leseempfehlung für alle Greg-Liebhaber und Rodrick-Freunde. Schön, dass hier einmal der Fokus auf dem großen Bruder liegt – dies sorgt für Abwechslung in Gregs Welt.

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Veröffentlicht am 28.10.2022

Die vertraulichen Ebenen der Kommunikation

Intimitäten
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„Intimitäten“ – ein Wort, das wie eine leicht verniedlichende Beschönigung daherkommt, entwickelt in Katie Kitamuras ruhigem und faszinierenden Roman eine besondere Dynamik. Denn auch wenn „echte“ Intimitäten ...

„Intimitäten“ – ein Wort, das wie eine leicht verniedlichende Beschönigung daherkommt, entwickelt in Katie Kitamuras ruhigem und faszinierenden Roman eine besondere Dynamik. Denn auch wenn „echte“ Intimitäten durchaus eine Rolle spielen, wird Intimität in diesem feinen und stilistisch vorzüglichen Roman durch Kommunikation und – ganz besonders –Sprache erzeugt. Die Protagonistin, Dolmetscherin am Strafgerichtshof in Den Haag, fühlt sich fremd in der Stadt, fremd in der niederländischen Sprache, die sie aber zu entschlüsseln versucht, fremd in der Beziehung zu Adriaan, einem verheirateten Mann, dessen Frau ihn verlassen hat. In ihrer Arbeit wird ihr die komplexe Bedeutung des Wortes ebenso jeden Tag vor Augen geführt, wie die intime Bindung des Wortes an Aussprache und Intonation. Als Übersetzerin ist sie stets auf der Suche nach der geeigneten Entsprechung, muss aber die Herausforderung der Nuancen und der Intonation täglich anerkennen.

So wird der Roman zu einem Meisterstück der Ausleuchtung von Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzung, Sprache und Kommunikation, wobei mit zunehmendem Handlungsverlauf immer deutlicher wird, wie außerordentlich intim und beredt vor allem die nonverbalen Signale sind. Während der Roman immer stärker ins Ungesagte gleitet, das Schweigen immer prominenter wird, werden Gesten, Blicke, die ersten zehn Sekunden einer Begegnung, ein Kopfnicken und das äußere Erscheinungsbild zu unüberhörbaren , sehr persönlichen und vertraulichen Signalen – und man stellt fest, wie viel Information (und Wahrheit) auch jenseits der verbalen Äußerungen liegt, wie viel Nähe und Intimität auf dieser Ebene vergeben wird. Der Text wird so zur überaus intelligenten Reflexion über das Zwischenmenschliche, das Beobachtbare. Während der Roman auf der Handlungsebene äußerst ruhig und zurückhaltend durch die nicht sonderlich spektakuläre Handlung gleitet, lauert doch stets unter Fassade eine intensive Spannung, die einen gebannt den Fortgang des Geschehens verfolgen lässt. Dabei entzieht sich der Roman weitestgehend der Politisierung, die man vielleicht bei dem Setting des Strafgerichtshof erwarten würde, es geht vielmehr um Themen wie Heimat, Entwurzelung, Beziehung, Freundschaft und Zugehörigkeit – auch hier bezeichnend, dass schon eine kommunizierte Geschichte Wurzeln und Nähe schaffen kann.

„Intimitäten“ ist ein äußerst kluger Roman, faszinierend, einnehmend und fesselnd, der mit seinen ruhigen Zwischentönen Intimität mit dem Leser schafft. Sprachlich sehr beherrscht und stilistisch hervorragend konsequent schlägt er in seinen Bann und wirbt für mehr Aufmerksamkeit in Bezug auf Sprache und Kommunikation.

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Veröffentlicht am 11.07.2022

Einhörner ohne Pink und Glitzer

Skandar und der Zorn der Einhörner
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A. F. Steadman macht sich auf, den Mythos von Einhörnern als friedliebenden, zauberhaften Feenwesen umzudeuten. In ihrem überaus gelungenen Kinder-/Jugendroman "Skandar und der Zorn der Einhörner" sind ...

A. F. Steadman macht sich auf, den Mythos von Einhörnern als friedliebenden, zauberhaften Feenwesen umzudeuten. In ihrem überaus gelungenen Kinder-/Jugendroman "Skandar und der Zorn der Einhörner" sind die Fabeltiere unbeherrschte, blutrünstige und streitsüchtige Wesen, die nur durch die Bindung an einen Reiter einigermaßen zu zähmen sind. Skandar findet sich nach einer mysteriös anmutenden Begegnung im Adlernest, dem Ausbildungscamp für Reiter, wieder und muss es zusammen mit seinen drei Freunden und deren Einhörnern mit dem skrupellosen Weber aufnehmen.

Auch wenn Steadman weder das Fantasygenre noch den Schulroman neu erfindet, so gelingt es ihr doch einen überaus faszinierenden und spannenden Roman für eine junge Leserschaft zu erschaffen. Die von ihr erdachte Welt ist ebenso schlüssig und begeisternd wie das Spiel mit den Elementen Luft, Erde, Wasser und Feuer und einer weiteren geheimnisvollen Kraft, allein schon weil die Einhörner eine radikale Neukonzeption erfahren. Skandar und seine Freunde stehen einem übermächtigen Feind gegenüber, der sehr viel mehr Schichten aufweist, als zunächst gedacht und die Identität des Webers wird fast bis zum Ende geheim gehalten, so dass der Roman die Leser zu zahlreichen Mutmaßungen und Grübeleien über Zusammenhänge animiert. Actionreichen Episoden wie das Rennen um den Chaos-Pokal oder die Luftschlachten laden zum Mitfiebern ein und der Identifikationsgrad mit der Gruppe der jungen Helden ist enorm hoch.

Der Roman ist flüssig, aber nicht zu einfach geschrieben. Auch wenn der Text ein paar Längen aufweist und auch ein paar Male ein Zusammenhang sich nicht ganz so deutlich erschließt, erwartet einen bei der Lektüre doch ein hochgradig spannendes Lesevergnügen, das sehr gern in die zweite Runde gehen darf und für Kinder ab zehn Jahren sehr gut zum Vorlesen (auch Erwachsene kommen hier auf ihre Kosten) oder auch Selbstlesen geeignet ist.

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