Erschreckend (real) (3,5-4 Sterne)
Sanctuary – Flucht in die FreiheitIn einer nahen Zukunft werden die Menschen in den USA durch ID-Chips kontrolliert, was ein Leben als Undokumentierter beinahe unmöglich macht. Doch die 16-jährige Vali und ihre Familie sind genau das. ...
In einer nahen Zukunft werden die Menschen in den USA durch ID-Chips kontrolliert, was ein Leben als Undokumentierter beinahe unmöglich macht. Doch die 16-jährige Vali und ihre Familie sind genau das. Als die Sicherheitsvorkehrungen noch verstärkt werden, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu fliehen - nach Kalifornien, der Staat, der sich von all dem abgrenzt. Doch zahllose Schrecken warten bei ihrer Flucht auf sie, vor allem, als Vali und ihr Bruder schließlich auf sich allein gestellt sind ...
Dieser Moment, wenn man sich gar nicht sicher ist, ob man wirklich eine Dystopie liest, oder doch eher einfach einen Roman über die heutige Gesellschaft. Denn das furchtbar erschreckende an Sanctuary ist, dass diese dystopische Zukunft unserer Gegenwart so unfassbar nah ist, dass man fast schon in zwei Aspekte einteilen kann: Die Dinge, die längst passieren; und die Dinge, die schon morgen passieren könnten. In ihrem Nachwort schreibt eine der Autorinnen, dass es beim Schreibprozess oft so war, dass sie ein Kapitel beendet haben und sich dachten "das ist jetzt ganz schön düster" und einen Tag später gabs eine News, dass sowas ähnliches gerade eintritt - und ich denke, das sagt einiges über dieses Buch, aber auch über unsere Welt aus.
Deshalb ist Sanctuary, obwohl es als Jugendbuch betitelt wird, auch keine leichte Kost. Es passieren sehr viele, sehr schlimme und schwer verdauliche Sachen, auf die man vorbereitet sein muss, wenn man beginnt zu lesen. Wie das ganze umgesetzt wurde, die Art, wie es geschrieben wurde, durch die Augen einer 16-Jährigen, fand ich sehr gelungen. Und auch, wenn es bei dem Thema ein bisschen makaber klingt: Die Flucht und was sie erlebt haben, war sehr fesselnd. Man war die ganze Zeit in Angst, was wohl als nächstes passiert, ob sie die Situation überstehen, wo es sie hinführt etc. Ich hab also ziemlich an den Seiten geklebt.
Dabei habe ich zwar keine richtige emotionale Bindung zu Vali oder wem anders aufbauen können, dafür gabs irgendwie zu wenig Innensicht, zu wenig Kennenlernen der Charaktere - aber trotzdem fand ich die Gedanken und den Umgang mit der Situation realistisch und ich konnte (so gut das eben geht, wenn man keine Vorstellung davon hat, wie sowas sein muss) Valis Reaktionen und Handlungen immer nachvollziehen. Dass sie für ihren kleinen Bruder verantwortlich ist, macht alles wirklich nicht leichter. Ich habe sehr mit ihnen gebangt.
Aber ... leider gibt es ein Aber. Ich hatte mir tatsächlich mehr unter diesem Buch vorgestellt, mehr erhofft, denn die Thematik bietet wirklich einiges an Potenzial. Ich dachte ich bekomme eine Dystopische Welt, einen Überwachungsstaat, eine junge Protagonistin, die flieht und versucht, all dem Unrecht entgegenzustehen. Vor allem, weil auch ein Zitat auf der Rückseite lautet: "Ein atemberaubendes Werk dystopischer Jugendliteratur, das von der leidenschaftlichen Stimme einer jugendlichen Protagonistin getragen wird."
Ich fand irgendwie nicht, dass das zutrifft. Sie hatte keine leidenschaftliche Stimme, sie war ein Mädchen, dass von A nach B flieht, aber sich kein bisschen mit der gesellschaftlichen Situation auseinandersetzt. Sich dagegen auflehnt o.ä. Wir haben kaum etwas darüber erfahren, wie die USA genau funktionieren, was alles gerade los ist in dem Land. Wie vielleicht in Kalifornien dagegen vorgegangen wird. Wie die Zukunft aussehen könnte. Oder irgendwas vergleichbares. Es war wirklich "nur" die Flucht eines Mädchens. Mehr nicht. Und dazu mit einem ziemlich offenen Ende. Was ist denn jetzt mit diesem Überwachungsstaat? Was genau passiert da überhaupt und wie geht es weiter? Das alles wird leider nicht beantwortet.
Es war durchaus ein gutes Buch, wie gesagt, sehr eindringlich, gut geschrieben, die Flucht und alles, was sie erleben, nimmt mit und regt zum Nachdenken an. Und ich finde es total wichtig, dass es dieses Buch gibt. Dass Leute es lesen. Damit mehr Menschen erfahren, was schon gerade abgeht und wie es bald aussehen könnte. Für diesen Aspekt gibt es eine riesige Empfehlung von mir.
Aber ich hatte mir mehr davon erhofft, bin vielleicht mit falschen Erwartungen rangegangen, aber ich glaube, da wäre viel Potenzial für mehr gewesen. Ich gebe deshalb 3,5 bis 4 Sterne.