Ich bereue es, dieses Buch gelesen zu haben!
Der Kuss der Lüge Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Prinzessin Lia soll aus politischen Gründen einen Prinzen heiraten, den sie noch nie gesehen hat. Im letzten Moment zieht sie die Reißleine und flüchtet. In der Taverne, ...
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Prinzessin Lia soll aus politischen Gründen einen Prinzen heiraten, den sie noch nie gesehen hat. Im letzten Moment zieht sie die Reißleine und flüchtet. In der Taverne, in der sie daraufhin als Schankmädchen arbeitet, lernt sie 2 Männer kennen, die sie sofort faszinieren. Was sie nicht weiß: Einer davon ist der abgewiesene Prinz, der seine Braut sucht, der andere ist ein Assassine, der ausgeschickt wurde, um sie zu töten…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Band #1 von 3
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: - Fische werden gefangen, Würmer werden gegessen, Pferde werden gequält, schwer verletzt und getötet.
Content Note / Inhaltswarnung: Tod von Menschen, Tod von Tieren, Blut, Erbrechen, (sexualisierte) Gewalt (gegen Frauen), Misogynie, Sexismus
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Hu++, M+ststück, Schabracke, Dirne, Weib
Warum dieses Buch?
Ich habe mir das Buch vor einigen Jahren gekauft, weil ich den Klappentext einfach genial fand und nur Gutes darüber gehört hatte! Dann verstaubte es lange in meinem Regal – und im April wurde dann in meiner Instagram-Story für dieses Werk als Leserunden-Buch (gemeinsam mit @miss.pageturner.de) abgestimmt.
Rezension
Das hat mir gefallen…
Feminismus (4 Sterne)
Eine feministische Analyse lässt mich insgesamt zufrieden zurück. Die Geschichte besteht den Bechdel-Test und im Buch gibt es viele starke, intelligente, kompetente Frauen, die sich nichts gefallen lassen – was in dieser patriarchalisch geprägten Welt nicht immer leicht ist. Einen Punkt Abzug gibt es für die toxische Männlichkeit, also dafür, dass der Großteil der Männer grob, ungehobelt, aggressiv und klischeehaft „männlich“ ist und dass Frauen (auch Lia) ständig von ihnen belästigt und bedroht werden.
„Sie hatte Angst. Ich habe gesehen, wie die Krüge in ihrer Hand zitterten, aber ihre Angst konnte sie nicht aufhalten.“ Seite 116
Das lässt mich zwiegespalten zurück…
Atmosphäre (3 Sterne)
Gut gefallen haben mir die atmosphärischen Beschreibungen der Natur und Umgebung – auch wenn sie mir oft zu sehr ausuferten.
„Man wird uns jagen“, sagte ich. „Man wird ein Kopfgeld auf mich aussetzen.“ Seite 38
Das hat mir nicht gefallen:
Schreibstil (2 Sterne)
Eigentlich begrüße ich es, wenn Jugendliteratur etwas komplexer geschrieben ist und ihrem Zielpublikum etwas zutraut. Leider nehmen die vielen unnötigen Beschreibungen von Banalitäten und unwichtige Details so viel Tempo raus und machen den Schreibstil sooo zäh und träge, dass es kaum auszuhalten war! Bei Reisen wird fast jeder Tag einzeln beschrieben – und wenn noch so wenig passiert. In Momenten größter Spannung ist noch genug Zeit für ein paar Nebensätze über die Natur oder dafür, zu schildern, was alle anwesenden Leute gerade im Hintergrund so treiben. Ich wundere mich nur, dass nicht auch noch jeder einzelne Toilettengang beschrieben wurde – hoffentlich haben wir da jetzt nichts Wichtiges verpasst…
„Es kann Jahre dauern, bis ein Traum Gestalt annimmt. Es dauert nur einen Sekundenbruchteil, um ihn zu zerschmettern.“ Seite 327
Idee / Geschichte / Themen / Umsetzung (1 Stern für die Grundidee)
Konnte das Buch halten, was der geniale Klappentext und der Hype versprechen? Nein! Aber hat das Lesen wenigstens trotzdem Spaß gemacht? Auch nein! Aber hat es sich wenigstens gelohnt, dass ich mich bis zum bitteren Ende durchgequält habe? Ebenfalls nein! Ich habe dieses Buch nicht genossen, sondern durchgearbeitet wie ein Lehrbuch, damit ich endlich mitreden kann, denn Lesen ist ja eine Kulturtechnik und hat damit auch eine soziale Komponente.
Kurz: Ich bereue es, dieses Buch gelesen zu haben und kann den Hype leider überhaupt nicht nachvollziehen! Habe ich vielleicht ein anderes Buch als alle anderen gelesen? Das wäre die einzige Erklärung, die mir einfällt. Doch was war an „Der Kuss der Lüge“ überhaupt so schlimm?
1. Das Worldbuilding ist quasi nicht vorhanden, denn die erfundene Welt bleibt vage, nicht greifbar und „generisch“, wirkt lieblos hingeklatscht und so uninspiriert, dass auch ein Bot sie erschaffen haben könnte – aus Elementen, die scheinbar aus anderen Büchern (mit besseren Weltenentwürfen) entnommen (um nicht zu sagen zusammengeklaut) wurden. Entweder, der Autorin selbst fehlten beim Schreiben jegliche Begeisterung und Leidenschaft für ihre fiktionale Welt oder es ist ihr einfach nicht gelungen, diese an uns lesende Menschen weiterzugeben. Der Lesespaß hielt sich jedenfalls ins Grenzen.
2. Der Plot ist ebenfalls so dünn und fadenscheinig, dass er ohne Lupe kaum erkennbar ist. Es ist nicht nur so, dass die Geschichte einfach langsam ins Rollen käme (damit könnte ich umgehen), sondern eher so, dass sie ÜBERHAUPT NIE ins Rollen kommt! Dieses Buch ist so voller irrelevanter Details und Schilderungen des Alltags als Schankmädchen, dass man es fast schon als Fachbuch fürs Kellnern betrachten könnte. Die schockierendsten Wendungen werden in den Händen dieser Autorin zu den lahmsten Nicht-Ereignissen, was – zugegebenermaßen – auch eine besondere Gabe ist. Jedenfalls wurde auf diese Weise jeder Ansatz von Spannung erfolgreich im Keim erstickt.
3. Thematisch stehen Erwachsenwerden, die Emanzipation von den Eltern, der Konflikt zwischen Gesellschaft (und ihren Erwartungen) und Individuum, Magie, Freundschaft und Liebe im Mittelpunkt, aber alles davon wird so oberflächlich abgehandelt, dass es mich nicht gefesselt, ja, ab einem gewissen Punkt nicht einmal mehr interessiert hat. Dieses Buch, seine Geschichte, seine Magie, seine Welt, seine Figuren – das alles war und ist mir absolut egal.
4. Besonders schmerzhaft und enttäuschend ist für mich, wie mit dem großen Potential der grandiosen Grundidee umgegangen wurde: Das Potential wurde nämlich genommen, in eine Küchenmaschine gegeben, kleingehäckselt und dann den Abfluss runtergespült. Autsch!
Alles, was ich jetzt noch tun kann, ist, euch zu warnen: Wenn ihr nach den ersten 100 Seiten abbrechen wollt, dann BITTE tut es einfach und quält euch nicht (wie ich) bis zum Ende durch. Es lohnt sich einfach nicht und eure Lebenszeit ist ja auch begrenzt – und ihr solltet sie nicht an dieses langweilige Buch verschwenden! Ob ich noch einmal ein Buch von der Autorin lesen würde? Unter gewissen Umständen bestimmt! Zum Beispiel, wenn mir jemand sehr viel Geld bietet, ich plötzlich meine masochistische Seite entdecke oder mir jemand eine Pistole an die Schläfe hält.
Protagonistin & Figuren (2 Sterne)
Die gesamte Persönlichkeit der Protagonistin ist „starke Jugendbuchheldin“ und passt bequem auf einen Teelöffel. Lia ist so nichtssagend, so austauschbar, so ohne Ecken und Kanten, dass es unmöglich ist, mit ihr mitzufiebern und mitzuleiden. Im Gegenteil, ihr Schicksal war mir egal. Ein paar der Nebenfiguren fand ich gelungen, aber auch hier bleiben die meisten Charaktere blass. Besonders schlimm war das bei den zwei Männern, von denen sich Lia angezogen fühlt. Beide sind genau gleich gutaussehend und gleich mysteriös; ich konnte sie nur an der Haarfarbe auseinanderhalten – und das ist wirklich traurig.
Liebesgeschichte (1 Stern)
Dementsprechend distanziert stand ich auch der Liebesgeschichte gegenüber, die mich überhaupt nicht erreichen und berühren konnte, sondern die ich nüchtern und emotionslos verfolgte. Schlussendlich war es mir egal, mit wem Lia zusammenkam, weil für mich beide Männer gänzlich uninteressant und kaum unterscheidbar waren.
Spannung (0 Sterne)
Das Spannung im Buch ist wie eine Sternschnuppe: Zuerst wartet man stundenlang vergeblich, dann zeigt sie sich 2 Sekunden lang – und bevor man es richtig realisiert, ist sie auch schon wieder verschwunden. In der ganzen langatmigen, stinklangweiligen Geschichte war kein Spannungsbogen erkennbar. Zum Glück kann man nicht an Langeweile sterben, sonst wäre ich wohl nicht mehr da.
Mein Fazit
„Der Kuss der Lüge“ hat mich auf ganzer Linie enttäuscht. Dieses Werk (= seine Welt, sein Plot, seine Figuren, seine Lovestory, sein Spannungsbogen) ist zu schlecht, um es zu lieben (oder auch nur zu mögen), aber gleichzeitig war es mir zu egal und ließ mich zu kalt, um es leidenschaftlich zu hassen – weswegen ich sehr unbefriedigt zurückbleibe. Dieser Fantasyroman eignet sich sehr gut als Gewicht (z. B. wenn man Blätter pressen möchte), als passiv-aggressives Geschenk für insgeheim verhasste Arbeitskolleg·innen, als nicht verschreibungspflichtiges Schlafmittel und als Folterinstrument – eine Leseempfehlung gibt es von mir aber nicht!
Bewertung
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 1 Stern
Umsetzung: 1 Stern
Worldbuilding: 0 Sterne
Einstieg: 2 Sterne
Ende: 1 Stern
Schreibstil: 2 Sterne
Dialoge: 2 Sterne
Figuren: 2 Sterne
Spannung: 0 Sterne
Wendungen: 2 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 0 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 0 Sterne
Insgesamt:
❀ Stern
Dieses Buch bekommt von einen enttäuschten Stern!