So unaufgeregt, so mitreißend!
Das war eins von diesen Büchern, an die ich aus welchen Gründen auch immer keine allzu hohen Erwartungen hatte. Ob es an dem unscheinbaren Cover lag oder an dem ernsten Thema, kann ich gar nicht sagen. ...
Das war eins von diesen Büchern, an die ich aus welchen Gründen auch immer keine allzu hohen Erwartungen hatte. Ob es an dem unscheinbaren Cover lag oder an dem ernsten Thema, kann ich gar nicht sagen. Was ich allerdings sagen kann, ist, dass ich unglaublich falsch lag. „Die karierten Mädchen“ haben sich als wahrer Schatz erwiesen und ich habe jede einzelne Seite geliebt.
„Die karierten Mädchen“ erzählen eine Lebensgeschichte, die Geschichte von Klara Möbius. Klara ist eine junge, bodenständige Frau mit Prinzipien, die ihrer Zeit weit voraus sind. Inmitten der Weltwirtschaftskrise hat sie eine Anstellung als Lehrerin in einem Kinderheim ergattern können. Trotz der schwierigen Zeiten lief alles eine Weile in geregelten Bahnen und Klara entpuppte sich als große Bereicherung für das Kinderheim in Oranienbaum. Und dann kam Tolla, ein Waisenkind – mit jüdischen Wurzeln.
Was dann folgte, hat mich besonders fasziniert. Wir müssen mit ansehen, wie sich unsere Protagonistin vollkommen dafür einsetzt, das Kinderheim zu verstaatlichen. Objektiv betrachtet selbstverständlich eine furchtbare Entscheidung: Sie wird mehr oder weniger freiwillig Teil des Naziregimes. Doch gleichzeitig lehnt sie sich auch dagegen auf, indem sie persönlich weder die nationalsozialistischen Werte vertritt noch diese ihren Schülerinnen lehrt und natürlich indem sie ein jüdisches Mädchen bei sich versteckt und sich als ihre Mutter ausgibt. Zum Schutz ihrer Mädchen, des Kinderheims und ihres privaten Glücks, passt sie sich dem dritten Reich an und ebnet der nationalsozialistischen Frauenbewegung ein Stück weit den Weg. Sie teilte die Ansichten der Regierung nicht und war in ihrem Innersten kein Nazi, dennoch unternahm sie nichts dagegen. Sie war keine Rebellin, ihr fehlte der Mut, aktiven Widerstand zu leisten, hat so indirekt sämtliche Schandtaten unterstützt. Dennoch bringe ich es nicht über mich, sie dafür zu verurteilen. Ich kann ihre Motive beängstigend gut nachvollziehen und ich würde heucheln, wenn ich behauptete, ich hätte damals anders als Klara gehandelt, wenn ich behauptete, ich wäre mutiger gewesen.
Und genau diesen Aspekt schätze ich an den karierten Mädchen so sehr: Es ist keine Heldengeschichte von mutigen Rebellen, die jeglichen Hindernissen zum Trotz für ihre Vision und für eine bessere Welt kämpfen. Das hier ist die Geschichte einer ganz normalen Frau, die versucht in jenen schwierigen Zeiten die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich will Klara nicht von ihrer Schuld freisprechen, denn schuldig ist sie definitiv, so schuldig wie alle Deutschen damals, die einfach nur zusahen, die im Nachhinein von nichts gewusst haben. Doch die Geschichte ist realistisch. Sie ist so realistisch wie sie nur sein kann, weil sie nichts anderes als die Realität abbildet. Wir müssen uns mit unserer eigenen Natur auseinandersetzten, und das geht nicht, wenn wir nur die Geschichten von glorreichen Helden lesen. Denn wir sind keine Helden. Wir sind Menschen, und daran ist nichts falsch.
Trotz der Thematisierungen von Nationalsozialismus, Weltkrieg und Schuld habe ich die Geschichte nicht als grau und düster wahrgenommen. Es wurde zwar nichts beschönigt, allerdings wurden auch die guten Momente, die sich selbst in dieser schrecklichen Zeit ereigneten, nicht unter den Tisch gekehrt. Auf ihre eigene Art sind die karierten Mädchen ein richtiges Wohlfühlbuch für mich geworden, das so wundervoll erzählt ist, dass ich es vermutlich an einem Tag hätte lesen können, gleichzeitig aber auch nicht fertig werden wollte. Alexa Henning von Lange hat mit „Die karierten Mädchen“ ein wahres Meisterwerk geschaffen, das mich vermutlich noch eine Weile verfolgen wird.
Offensichtlich eine klare Leseempfehlung!