Kostbare Narben bleiben schön
Der Riss, durch den das Licht eindringtMaeve verlässt eines Nachts das Haus, während ihre Familie nichtsahnend schläft, füllt ihre Taschen mit eigens dafür gesammelten Steinen und rudert mit dem Boot hinaus, um nicht zurückzukehren. Zurück ...
Maeve verlässt eines Nachts das Haus, während ihre Familie nichtsahnend schläft, füllt ihre Taschen mit eigens dafür gesammelten Steinen und rudert mit dem Boot hinaus, um nicht zurückzukehren. Zurück bleibt ihr Mann sowie die vier Kinder, das jüngste sechzehn Jahre alt. Was ist passiert, dass sie ihre große Liebe und ihre Kinder verlässt? Und wie lebt man weiter nach einer solchen Tat?
Bereits am Anfang schildert die Autorin das Unglück, das an Heiligabend im Jahr 2005 über die Familie kommt. Dadurch bin ich zwar sofort Mitten im Geschehen, bleibe aber trotzdem seltsam unbeteiligt, was daran liegt, dass ich noch keine Beziehung zu den Personen aufbauen konnte, sodass mich der Tod von Maeve vorerst seltsam kalt lässt. Der zweite Teil katapultiert mich siebenundzwanzig Jahre früher, in die Zeit, als sich Maeve und Murtagh kennengelernt haben. In mal kleinen, mal größeren Zeitsprüngen verfolge ich ihren Lebensweg. Nach wenigen Kapitel bin ich gefesselt, kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen und bin fasziniert von der Art der Erzählung. Maeve hat ein Geheimnis, das sie lange hütet, und als es endlich ans Licht kommt, erklärt dies so viel.
„Ihre Geschichte hatte ihm das Herz gebrochen, doch sogleich war seine Liebe direkt in die Risse hineingeflossen und hatte diese wieder aufgefüllt. Er würde ein besserer Mensch werden, weil sie ihm vertraute, und sie würde ein besserer Mensch, weil sie ihm vertraut hatte.“ (Seite 78)
Traurig, tragisch, unaufhaltsam scheint Maeves Schicksal und obwohl ich schon weiß, wie ihr Leben endet, bin ich dennoch mehr als schockiert, als das Buch an die Stelle kommt, an der alles begann. Trotz allem hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Maeve das Steuer noch einmal rumreißen, ihrer unaufhaltsam immer näher kommenden Bestimmung entkommen könnte.
„Wenn die Krähe auf ihrer Schulter saß, wurde sie zur Waise, zur unverheirateten Frau, ohne Kinder, ohne Freunde, eine einsame Insel mitten im Meer. Kaum berührte sie mit den Füßen noch die Erde. Sie war wie losgelöst, bereit abzuheben. Die Seile, die sie mit dem Leben verbanden, das ihr lieb und teuer war, fransten aus.“ (Seite 138)
Was folgt ist das Leben der Familie danach. Die Autorin ist eine phantastische Geschichtenerzählerin, mehr als einmal bin ich emotional so aufgewühlt, dass ich den Tränen nahe hin. Jedes Familienmitglied geht anders mit dem Verlust um, alle verarbeiten ihren Schmerz auf eigene Weise. Die Wendung am Ende habe ich nicht erwartet, aber sie erscheint mir passend und stimmig. Ein großartiger, bewegender und auch sehr emotionaler Roman, der für mich bereits jetzt zu den Highlights dieses Jahres zählt. Von mir gibt es fünf Sterne mit Sternchen und eine Leseempfehlung.