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Veröffentlicht am 07.09.2022

Verstehen und dann handeln

Wir können auch anders
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„Wir sind Gefangene eines Systems, von dem wir uns Freiheit versprochen haben und aus dem wir jetzt den Ausgang nicht mehr finden.“ (2%)

Inzwischen haben es wohl die meisten mitbekommen: Dass wir vor ...

„Wir sind Gefangene eines Systems, von dem wir uns Freiheit versprochen haben und aus dem wir jetzt den Ausgang nicht mehr finden.“ (2%)

Inzwischen haben es wohl die meisten mitbekommen: Dass wir vor der größten Krise der Menschheit stehen, der Klimakrise. Dass es so nicht weitergehen kann. Viele von uns möchten etwas ändern. Doch wie? Alles scheint viel zu langsam zu gehen und ist man selbst nicht nur eine winzig kleine Stimme, die gar nicht gehört wird?

Maja Göpel beschreibt in ihrem neuen Buch, wie das System unserer Gesellschaft funktioniert. Wie man aus systemwissenschaftlicher Sicht Veränderungen angehen kann. Denn es reicht nicht, hier und da ein Symptom zu bekämpfen und damit an anderer Stelle Schaden anzurichten. Man muss erst einmal das große Ganze verstehen. Außerdem macht sie Mut. Denn jeder Mensch kann ein „Wirk“ sein, jemand, die oder der etwas bewegt und eine Veränderung anstößt.

Man muss sich auf Maja Göpels Bücher schon sehr einlassen. Sie sind nicht leicht und schnell gelesen. Doch wenn man das tut, dann öffnen sie den Blick und geben viele neue Impulse. Aus dem Blickwinkel der Systemwissenschaften heraus unsere gesamte Weltordnung zu betrachten, ist eine spannende Idee. Plötzlich erkennt man nicht nur die Zusammenhänge, sondern sieht auch wieder seinen eigenen Platz im großen Gefüge. Am Beispiel des Romanesco Salates beschreibt sie, was Fraktale sind: „Ein Gebilde, bei dem einzelne Teile dem Ganzen selbstähnlich sind, weil sie sich in ihm immer wiederholen.“ So ist auch unsere Gesellschaft aufgebaut und jeder von uns ist ein Teil davon. Ändere ich nun in meinem Umfeld etwas an bestehenden Strukturen und Mustern, gebe ich sie weiter an die Menschen in meinem Umfeld, verändert sich nach und nach auch das Gesamtgefüge.

Ich finde das spannend und ich möchte daran glauben. Man kann es ja auch schon beobachten: Die Veränderungen gehen durch unsere Gesellschaft. Wir stehen an einem sozialen Kipppunkt und die Zeit für Veränderungen ist jetzt.

Maja Göpels Stimme ist eine sehr wichtige in dieser Zeit. Sie erklärt und macht Mut.

„Veränderte Strukturen spiegeln eine veränderte Kultur. Sie machen bisher abweichendes Verhalten zur neuen Normalität.“ (55%)

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Veröffentlicht am 22.08.2022

Geschichte nachvollziehbar und erlebbar

1939 – Exil der Frauen
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„Die Realität bricht endgültig ein in die Welt der Intellektuellen, deren Gedanken bislang darum kreisten, wie die eigene Existenz nach philosophischen Maximen am elegantesten zu ordnen sei und wie ein ...

„Die Realität bricht endgültig ein in die Welt der Intellektuellen, deren Gedanken bislang darum kreisten, wie die eigene Existenz nach philosophischen Maximen am elegantesten zu ordnen sei und wie ein unbürgerliches Liebesleben aussehe. Die Angst vor dem Krieg war bislang immer noch von der Hoffnung auf kluge politische Entscheidungen überlagert worden. Jetzt ist der Krieg da.“ (67%)

1939 - die Nazis übernehmen immer mehr die Macht in Deutschland, der Zweite Weltkrieg nimmt seinen schrecklichen Lauf. Viele Menschen sind schon geflohen, fühlen sich aber auch in den europäischen Exilländern nicht mehr unbedingt sicher und müssen vielleicht weiterziehen. Wieder andere müssen noch in Sicherheit gebracht werden. Da wären Brecht und seine bunt zusammengewürfelte Familie in Dänemark und Schweden. Erika und Klaus Mann in Amerika. Aber auch Simone de Beauvoir, die in Paris bleibt, und ihr sehr geliebter Partner Satre, der zum Kriegsdienst einberufen wird.
Die Zeiten sind unruhig, gefährlich, schrecklich. Wie konnte es nur so weit kommen.
Auch die Frauen, die gerade anfingen sich zu emanzipieren, geraten wieder ins Hintertreffen. Die Nazis drängen Frauen rigoros in ihre Rolle als Mutter und Hausfrau zurück. Aber auch für Frauen im Exil ist es schwierig, weiterhin ihrer Berufung oder Beschäftigung nachzugehen. Die Auftragslage der Fotografin Gisèle Freund zum Beispiel wird dünn, auf der Flucht müssen viele Werke zurückgelassen werden. Internationale Kunstausstellungen sind nur schwierig zu organisieren; vor allem geht es gerade darum, die Werke europäischer Künstler in Sicherheit zu bringen. Einige Frauen engagieren sich sehr mutig. Zum Beispiel Ingrid Warburg, die sich um geflüchtete Kinder in Amerika kümmert.

Wer alle drei Bände von Unda Hörner gelesen hat, kann die schnellen und heftigen Entwicklungen der Zeit sehr intensiv nacherleben. Das zögerliche Aufatmen nach dem Ersten Weltkrieg, die aufregenden und glamourösen Zeiten der Zwanziger Jahre, in denen so viel für die Emanzipation der Frauen erreicht wurde. Und aber auch das Aufkeimen des Nationalsozialismuses, denn die Zeiten waren unruhig, man versuchte eine Neudefinition.

Ich habe alle drei Bände sehr atemlos gelesen. Der aktuelle Band, „1939 - Exil der Frauen“, ist sehr beklemmend. Die Entwicklung, die sich abzeichnete, aber die man nicht glauben und ernst nehmen wollte, eskaliert.

Ich kann alle drei Bände jedem nur sehr ans Herz legen. Die Lektüre ist sehr aufschlussreich und Geschichte wird hier nachvollziehbar und erlebbar.
Unda Hörners Bücher sind nicht nur ein spannendes Leseabenteuer; sie sind auch mahnend. Einige Entwicklungen unserer krisengeschüttelten Zeit sind denen in jüngster Geschichte recht ähnlich. Gesellschaftlich scheinen wir gerade ähnlich verwundbar wie vor hundert Jahren.

Unbedingt lesen.

„Sartre antwortet: »Sie haben mich lebhaft interessiert mit dem, was Sie über unsere passive Verantwortung gegenüber der Generation nach uns sagten.« Philosophieren im stillen Kämmerlein, das stete Kreisen um sich selbst, wie eitel im Angesicht der Ereignisse!“ (81%)

Die Frauen:

Hannah Arendt
Simone de Beauvoir
Anna Freud
Gisèle Freund
Peggy Guggenheim
Lotte Jacobi
Milena Jesenská
Frida Kahlo
Else Lasker-Schüler
Erika Mann
Luise Mendelsohn
Annemarie Schwarzenbach
Dorothy Thompson
Helene Weigel
Virginia Woolf

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Veröffentlicht am 31.07.2022

Eine wunderbare Sommerlektüre

Reisen mit leichtem Gepäck
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„Natürlich hatte ich großen Respekt vor diesen Herren, die einzig und allein ihre verlorene Lust suchten und denen sonst nichts wichtig war, aber gleichzeitig machte ich mir Sorgen, ob wir genügend Kaffee ...

„Natürlich hatte ich großen Respekt vor diesen Herren, die einzig und allein ihre verlorene Lust suchten und denen sonst nichts wichtig war, aber gleichzeitig machte ich mir Sorgen, ob wir genügend Kaffee im Haus hatten und ob es sehr unaufgeräumt war.“ (37)

Die für ihre Mumin-Bücher berühmte Autorin und Illustratorin Tove Jansson war ein Ausnahmetalent. Vielen hierzulande dürfte nicht (mehr?) bekannt sein, dass sie auch Literatur für Erwachsene geschrieben hat. In „Reisen mit leichtem Gepäck“ versammeln sich zwölf Kurzgeschichten der bekannten Schriftstellerin.

Dieses Buch hat alle meine Erwartungen übertroffen. Ich mag Kurzgeschichten, zum Beispiel von Alice Munro und Judith Hermann. Tove Janssons Geschichten sind genauso pointiert und klug. Besonders ist hier aber, dass die Geschichten trotz ihrer Ernsthaftigkeit sehr leicht und wohlwollend sind.

Ein wunderbares Lesevergnügen. Tove Jansson war eine kluge Beobachterin, eine Menschenkennerin, die in ihren Geschichten stets freundlich auf ihre Figuren schaut, so schwierig und eigensinnig sie auch sein mögen. Sie erzählt uns in „Reisen mit leichtem Gepäck“ von den unterschiedlichsten zwischenmenschlichen Beziehungen und lässt ihre Protagonisten dafür reisen. Reisen, um alte Bekannte, Verwandte oder Freunde zu besuchen. Reisen, um mal rauszukommen aus dem Alltag. Oder auch mal reisen, um in einer leeren Nachkatastrophenwelt „einkaufen“ zu gehen.

Ich habe dieses Buch so genossen und werde nun einen ihrer Romane lesen.

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Veröffentlicht am 04.07.2022

Die Geschichte der Frauen - spannend und unterhaltsam

1919 - Das Jahr der Frauen
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„Die ersten Minuten des neuen Jahres sind angebrochen, 1919, das klingt wie eine Schnapszahl, nein, es soll vor allem eine Glückszahl sein.“ (11)

In diesem Jahr kann erstmals ein wenig aufgeatmet werden: ...

„Die ersten Minuten des neuen Jahres sind angebrochen, 1919, das klingt wie eine Schnapszahl, nein, es soll vor allem eine Glückszahl sein.“ (11)

In diesem Jahr kann erstmals ein wenig aufgeatmet werden: Der Krieg ist vorbei. Vieles scheint möglich. Aber es sind unruhige Zeiten und die Menschen müssen ein neues Miteinander finden. Hunger, Trauer, Angst - viele Gefühle sind noch immer präsent.
Aber es ist auch ein Jahr, in dem sich in Sachen Frauenbewegung und Emanzipation etwas tut. Frauen dürfen in Deutschland erstmals wählen und tun dies auch mit großer Mehrheit.

„Bei der Wahl-Premiere beteiligen sich 82% aller wahlberechtigten Frauen, siebenunddreißig weibliche Abgeordnete ziehen ins Parlament ein, immerhin ein Zehntel Frauen, für den Anfang nicht schlecht, unter ihnen Gertrud Bäumer, Marie Elisabeth Lüders und Louise Schröder.“ (Seite 49)

Frauen erschließen sich Lebensbereiche wie Kunst, Literatur, Erziehungswissenschaften und Naturwissenschaften. Sie machen Karriere, gründen Vereine, setzen sich für die sozial Schwächeren ein. Sie lieben und leben frei.

Unda Hörner fasst in ihrem Buch die wichtigsten Ereignisse des Jahres 1919 zusammen. Sie lässt uns nacherleben was Frauen wie Rosa Luxemburg, Coco Chanel, Else Lasker-Schüler, Anita Augspurg, Alma Mahler-Gropius und Käthe Kollwitz in diesem Jahr gemacht, gefühlt und erreicht haben.

Selten ist Geschichte so spannend und unterhaltsam aufbereitet. Und immer noch viel zu selten wird der Fokus auf die Geschichte der Frauen gelegt. Unda Hörners Buch ist eine fantastische Zeitreise; sie macht Spaß und ist lehrreich.

Wie schön, dass es bereits einen weiteren Band gibt, in dem wir in das Jahr 1929 reisen. (Und im August 2022 kommt sogar ein dritter Band raus - ich freue mich schon!)

Um die Geschichten dieser Frauen geht es:

Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann
Sylvia Beach
Coco Chanel
Marie Curie
Hedwig Dohm
Gertrud Grunow
Clara Grunwald
Caroline von Heydebrandt
Hannah Höch
Marie Juchacz
Käthe Kollwitz
Else Lasker-Schüler
Suzanne Lenglen
Rosa Luxemburg
Alma Mahler-Gropius
Gunta Stölzl
Mary Wigman

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Veröffentlicht am 19.05.2022

Die Geschichte des Buches

Papyrus
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„Wenn eine Erzählung mich packt, wenn mich ihr Wörterregen durchnässt, wenn ich auf fast schmerzliche Weise begreife, wovon da erzählt wird, wenn mich die innige, einsame Gewissheit überkommt, dass der ...

„Wenn eine Erzählung mich packt, wenn mich ihr Wörterregen durchnässt, wenn ich auf fast schmerzliche Weise begreife, wovon da erzählt wird, wenn mich die innige, einsame Gewissheit überkommt, dass der Autor mein Leben verändert hat, dann glaube ich aufs Neue: Ich - ganz besonders ich - bin die Leserin, nach der dieses Buch gesucht hat.“ (172)

Von mündlich überlieferten und schauspielerisch vorgetragenen Geschichten zur Schrift. Von Steintafeln zum geschriebenen Wort auf Papyrusrollen; bis hin zu Tierhäuten, Hadernpapier und unseren heutigen Holzpapieren. Herrscher, die das Wissen der Welt sammeln und besitzen wollten und beeindruckende Bibliotheken und Museen gründeten. Von für den Handel wichtigen Listen über Heldenepen bis hin zu einer vielfältigen Genrelandschaft. Vom gebildeten Adel über Kleriker bis hin zu nahezu jedem Bürger, der lesen lernen und dadurch Leser werden konnte. Klassiker, die immer wieder von begeisterten Lesern abgeschrieben, versteckt und bewahrt wurden und so bis heute überdauern konnten.

Irene Vallejo zeichnet all diese Entwicklungen in „Papyrus“ nach und geht der Geschichte des Buches auf faszinierende, hochgradig spannende Weise nach.

Ich kann das dieses Buch mit keinem anderen vergleichen, da es etwas völlig Neues ist. Ein aufregendes Sachbuch, eine Reise in die Antike, ein Herzensthema. Und wenn das Herz sehr für ein Thema schlägt, dann fehlen einem manchmal die Worte. So geht es mir bei diesem Buch. Ich kann eigentlich nur so viel sagen:

Ich - ganz besonders ich - bin die Leserin, nach der Irene Vallejos Buch gesucht hat. Und bestimmt auch du. Denn „Papyrus“ ist eine Geschichte für Büchermenschen.

Diese wunderschöne Ausgabe mit Goldprägung und Lesebändchen darf das Herzstück meiner kleinen Privatbibliothek werden.

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