Über die Notwendigkeit, hinter die Fassade zu blicken
Du bist der Sturm, du bist das LichtWas braucht es, um das eigene Verhalten zu ändern? Neue Erfahrungen? Einen Schubser in die richtige Richtung? Zeit?
Tegan hat sich bisher nicht viele Gedanken dazu gemacht. Sie ist eine gute Beobachterin ...
Was braucht es, um das eigene Verhalten zu ändern? Neue Erfahrungen? Einen Schubser in die richtige Richtung? Zeit?
Tegan hat sich bisher nicht viele Gedanken dazu gemacht. Sie ist eine gute Beobachterin und sieht, wenn andere sich falsch verhalten. Auch sie selbst hat sich bei einer Sache gewaltig falsch verhalten. Bisher konnte sie das vor sich selbst rechtfertigen. Bis zu jener Nacht, in der sie nicht die Einzige ist, die sich im Museum vor der Realität versteckt. Die Nacht, in der sie Mac Durant, die scheinbar menschgewordene Perfektion, kennenlernt. Richtig kennenlernt, hinsieht und hinhört. Und was sie dabei erfährt, stellt so einiges auf den Kopf: Ihre Definition von Fairness, ihre Sicht auf ihre Mitmenschen, ihr Verhalten diesen gegenüber – und ihre Gefühlswelt. Aber was wird Tegan mit all diesen neuen Erkenntnissen tun?
Ich habe vor DU BIST DER STURM, DU BIST DAS LICHT noch keine Bücher von dem Autor gelesen. Aber durch alles, was ich von DEAR EVAN HANSEN gehört habe, war mir klar, dass der Autor nicht an Tiefgang und Konfrontationen sparen würde. Diese Grundannahme finde ich wichtig, wenn man das Buch zu lesen beginnt. Es ist zwar ein Winterbuch, aber keines, das durchweg sweet und cozy ist.
Die Geschichte beginnt sehr handlungsreich. Tegan ist bereits im Museum und Mac stößt direkt hinzu. Die Erzählung bleibt stets spannungsvoll, denn sie ist eine clevere Mischung aus verschiedenen Erzählweisen und -stilen. Wechsel zwischen der Nacht und dem Tag zuvor. Wechsel zwischen personalem und allwissendem Erzähler. Wechsel zwischen Erzählung und Mails. Nach und nach fügen sich die Puzzlestücke zusammen.
Trotz der Spannung hat die Geschichte etwas sehr Erdendes an sich. Auf dem Cover wird die Liebesgeschichte als leise bezeichnet, aber das würde ich gar nicht unbedingt so sagen. Die Tatsache, dass dreihundert Seiten an einem einzigen Tag spielen, setzt das Erzähltempo herunter und entspannt beim Lesen. Man liest weiter und weiter, die Zeit um einen herum scheint stillzustehen. Auch der zu gleichen Teilen kunstvolle und schlichte Schreibstil mag daran Anteil haben. Aber wie gesagt – Wohlfühlroman ist etwas anderes.
Die Themen sind sehr authentisch. Es geht um Familie. Zwei ganz unterschiedliche Familien mit ganz unterschiedlichen Problemen und Zukunftsaussichten. Es geht ums Erwachsenwerden und darum, die Person zu werden, die man wirklich sein will. Es geht auch um die sozialen Medien – und so manche Risiken, die sie bergen. Aber das ist nur ein Teil der Themen. Das gesamte Buch ist um Thomas Edison, den Erfinder der Glühbirne, herum aufgebaut. Seine Erfindungen und seine Person sind geschickt mit der Handlung verknüpft und verleihen dem Roman ein unverkennbares Etwas.
Eine Geschichte steigt und fällt mit ihren Figuren heißt es – oder so ähnlich. Jedenfalls wird die Geschichte nie aus Macs, sondern immer aus Tegans Sichtweise erzählt. Tegan hat etwas von einer Pessimistin, zumindest den Großteil der Geschichte über. Sie legt eine Entwicklung hin, die mir gut gefallen hat, aber die ersten zwei Drittel hatte ich so meine Zweifel an ihr. Tegan schien mir manchmal sehr naiv für ihr Alter. Sehr unsensibel in Anbetracht der Erfahrungen, die sie selbst gemacht hat. Zu vorschnell dafür, dass sie eigentlich die ruhige Beobachterin sein soll. Sie war nicht immer authentisch. Oder besser gesagt: Sie war authentisch im Rahmen ihrer ganz eigenen Welt. Nur konnte ich nicht zu jedem Zeitpunkt der Geschichte gleichermaßen verstehen, wie Tegans Welt funktioniert. Einer der zentralsten Konflikte im Buch entsteht durch Tegan. Der Konflikt bahnt sich lange an, man sieht ihn kommen. Es ist, als würde man den Eisberg sehen und dennoch darauf zusteuern – im Schneckentempo. Diese Art von Konflikt trifft einfach nicht meinen Geschmack.
Mac dagegen - obwohl Tegan ihn etwas verkehrt wahrnimmt - schien deutlich authentischer. Auf Tegan wirkt er wie ein weltfremder Optimist, doch für mich war Mac durchweg Realist. Ich hatte ihn sehr gern.
Mein Fazit:
DU BIST DER STURM, DU BIST DAS LICHT ist zweifelsohne ein besonderer Roman. Er besitzt Tiefgang und Alleinstellungsmerkmale. Es ist ein Roman, der nicht in der Menge untergeht. Obwohl ich den Konflikt und Tegan als Auslöser nicht so mochte, konnte mich die Geschichte berühren. Ich mochte die Entwicklungen und die Realitätsnähe. DU BIST DER STURM, DU BIST DAS LICHT ist kein vollkommen rundes Buch – und genau diese Kanten machen die Geschichte aus. Ich habe das Buch (zum Großteil) gerne gelesen und kann es weiterempfehlen – bevorzugt an LeserInnen zwischen 12 und 18 Jahren. Von mir gibt es 4 Sterne.