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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.09.2023

Absolute Leseempfehlung

Der Totengräber und der Mord in der Krypta (Die Totengräber-Serie 3)
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In der Gruft unterm Stephansdom lässt sich bei den nicht ganz so offiziellen Führungen gut gruseln. Manchmal auch zu gut, denn die Führungsgruppe entdeckt eine waschechte Leiche. Leopold von Herzfeldt ...

In der Gruft unterm Stephansdom lässt sich bei den nicht ganz so offiziellen Führungen gut gruseln. Manchmal auch zu gut, denn die Führungsgruppe entdeckt eine waschechte Leiche. Leopold von Herzfeldt wird mit dem prekären Fall betraut, denn bei dem Toten handelt es sich nicht nur um einen guten Freund seines Vorgesetzten, sondern er hat sich zudem bei den Spiritismusanhängern Feinde gemacht. Bei der Suche nach den Hintergründen ist natürlich auch wieder Totengräber Rothmayer von der Partie, denn niemand kennt die Toten Wiens so gut wie er.

Dieser dritte Band der Reihe ist wirklich ein Krimihighlight. Man muss die vorherigen Bände nicht zwingend gelesen haben (auch wenn die ebenfalls sehr empfehlenswert sind), um zusammen mit Julia, Leo und Augustin auf Verbrecherjagd gehen zu können. Die führt die drei in die wirklich obskuren Kreise der Geisterbeschwörer, Glaube trifft auf Wissenschaft, auch auf fragwürdige Pseudowissenschaften. Dem Autor gelingt es ganz hervorragend Hintergrundwissen zu vermitteln und ebenso aufzuzeigen, warum es doch gelang, so viele Leute davon zu überzeugen. Die Figuren spielen wieder gut zusammen; die kleinen Reibereien in der Beziehung Julia/Leo werden fortgeführt, nehmen aber nicht zu viel Raum ein. Heimlicher Star ist natürlich der Totengräber, der mit seiner ruhigen und gewissenhaften Art wieder überzeugt. Auch seine Ziehtochter Anna hat mir in ihrer Rolle wieder super gefallen. Ergänzt wird der gesetzte Cast durch einen berühmten Überraschungsgast, der sich ganz hervorragend einfügt. Auch sonst überzeugt der Autor wieder mit unerwarteten Entwicklungen, weiß hervorragend Spannung aufzubauen und trotzdem bleibt genug Zeit um ein sehr lebendiges Bild der Stadt aus dem Jahre 1895 zu zeichnen. Ergänzt wird die Handlung durch die bereits bekannten Auszüge aus dem neuesten wissenschaftlichen Werk aus der Feder des Totengräbers. All das passt wunderbar zusammen und ergibt so einen sehr spannenden, lebendigen historischen Krimi, den ich wirklich kaum aus der Hand legen konnte. Für mich der bisher beste Teil der Reihe.

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Veröffentlicht am 29.05.2023

Leben mit der Katastrophe

Blue Skies
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Die Geschichte dreht sich um das ältere Ehepaar Frank und Ottilie, sowie ihre erwachsenen Kinder Cooper und Cat. Während Cooper sich nicht nur beruflich Gedanken um Artenschwund, Klimawandel und die Möglichkeiten ...

Die Geschichte dreht sich um das ältere Ehepaar Frank und Ottilie, sowie ihre erwachsenen Kinder Cooper und Cat. Während Cooper sich nicht nur beruflich Gedanken um Artenschwund, Klimawandel und die Möglichkeiten jedes einzelnen dagegen macht, lebt Cat das andere Extrem: obwohl das eigene Haus dank steigendem Meeresspiegel ständig von den Fluten bedroht ist, schert sie sich einen ziemlich Dreck um das Thema.
Boyles Roman lässt den Leser hautnah spüren, wie die Zukunft in nur wenigen Jahren aussehen könnte, aussehen wird. Zwei Extreme (Dürre und Flut) in nur einem Land zeigen schon deutlich mit welche verschiedenen Problemen und Gefahren wir uns auseinandersetzen müssen. Auch wie schnell die Auswirkungen zum Alltag dazugehören werden, egal ob man ignorant (Cat), sehr bewusst (Cooper) oder bemüht (Ottilie) dagegen angeht. Die Figuren sind wirklich sehr unterschiedlich, dabei detailliert gezeichnet und immer für eine Überraschung gut. Ich konnte eigentlich jeder etwas abgewinnen, nicht zuletzt weil es kein reines Schwarz-Weiß-Denken gibt. Der Stil ist locker und ruhig, trotzdem wird sowohl Positives wie auch Negatives hervorgehoben. Auch Abstruses, wovon der Autor so einiges im Roman versteckt hat. Die Handlung ist abwechslungsreich, unvorhersehbar und dabei trotzdem nicht überfrachtet. Mich hat Blue Skies bei allem, was bedrückt und nachdenklich machte, trotzdem ganz wunderbar unterhalten. Eine wirklich gelungene Mischung.

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Veröffentlicht am 20.10.2022

Interessante und faszinierende Medizingeschichte

Der Horror der frühen Chirurgie
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Harold Gillies hatte eigentlich einen recht bequemen und einträglichen Medizinerposten inne, als ihm der erste Weltkrieg dazwischen kam. Trotzdem ist es kein Selbstläufer, dass er sich zu einem der wenigen ...

Harold Gillies hatte eigentlich einen recht bequemen und einträglichen Medizinerposten inne, als ihm der erste Weltkrieg dazwischen kam. Trotzdem ist es kein Selbstläufer, dass er sich zu einem der wenigen „Fachärzte“ für Gesichtsrekonstruktionen mauserte. Sein interdisziplinärer Ansatz sorgt dafür, dass Soldaten mit schrecklichen Gesichtsverletzungen nicht nur Schmerzen und weitere Leiden erspart, sondern auch ein würdevoller Weg zurück in die Gesellschaft ermöglicht wurde.
Die Autorin ist promovierte Medizinhistorikerin, also vom Fach. Trotzdem ist es sicherlich kein Einfaches OP-Methoden, plastische Techniken u.ä. so aufzubereiten, dass auch dem fachfremden Leser alles einleuchtet. Verletzungen sowie angewandte OP-Techniken werden sehr detailliert beschrieben, auch die Grausamkeiten des Stellungskrieges sind nicht geschönt. Diese Dinge nehmen mit den größten Teil des Buches ein, auch wenn Biografisches von Gillies und Kollegen definitiv nicht zu kurz kommt. Trotzdem sollte man als Leser jetzt nicht zu zart besaitet sein. Ich mochte schon den ersten Teil aus dieser Sachbuchreihe, und auch mit dem aktuellen wurde ich nicht enttäuscht (höchstens über den unnötig reißerischen Titel). Faszinierend was trotz widrigster Umstände möglich war (gemacht wurde), aber auch welche Leidensfähigkeit und welchen Willen die Patienten gezeigt haben. Unzählige OPs waren teilweise nötig, oft ohne ausreichende Anästhesie, ohne Antibiose; auch war mancher der Verletzten der erste seiner Art, sodass die Behandlungen oft nach dem Prinzip von trial and error behandelt wurden, auch wenn Gillies seine Methoden natürlich immer weiter verfeinerte. Ein starker Wille und Durchhaltevermögen war von Arzt und Patienten gefordert. Die Autorin findet einen guten Mittelweg zwischen der medizinischen Entwicklung einerseits, dem damaligen Tagesgeschehen sowie Gillies‘ persönlichem Leben. Ich fand es ein wenig schade, dass Zeichnungen und Fotos zwar geschildert, aber nicht abgedruckt worden sind; dies hat vielleicht rechtliche Gründe, der Übergang zum medizinischen Fachbuch wäre dann sicherlich auch schwammig, trotzdem hätte es den Inhalt des Buches abgerundet. Insgesamt bin ich von diesem Sachbuch jedoch sehr angetan und kann es quasi uneingeschränkt empfehlen.

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Veröffentlicht am 03.08.2022

Mikrokosmus Kloster

Matrix
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England, 1158: Marie, die uneheliche Schwester Königin Eleonores, darf nach dem Tod ihrer Mutter nicht etwa an deren königlicher Seite ein neues Leben beginnen, sondern wird in ein abgelegenes Kloster ...

England, 1158: Marie, die uneheliche Schwester Königin Eleonores, darf nach dem Tod ihrer Mutter nicht etwa an deren königlicher Seite ein neues Leben beginnen, sondern wird in ein abgelegenes Kloster abgeschoben. Dort soll sie in der Vergessenheit versinken, doch Marie ist nicht nur durchsetzungsfähig, sondern auch mit einem wachen Geist und Weitsicht gesegnet, und so nutzt sie ihren Posten als Priorin nicht nur zum eigenen Vorteil.
Was hat mich dieser Roman abgeholt. Starke Frauenbilder in Romanen sind heutzutage ja ein wenig in Mode gekommen, werden aber immer wieder für mich zu abgeschmackt oder klischeehaft aufgezogen. Nicht so hier. Marie ist bis zum Tode ihrer Mutter mit sehr starken und unabhängigen Frauen aufgewachsen, und das hat sie zutiefst verinnerlicht. Das Kloster ist ein mehr oder weniger geschützter Mikrokosmus, in dem sie ihre Visionen entwickeln und auch verwirklichen kann. Nach und nach überzeugt sie nicht nur sich selbst, sondern ihre Mitschwestern, was Frauen alles können und auch leisten dürfen. Es ist wunderbar zu lesen, wie ihre und die Macht des Klosters nach und nach wachsen. Das alles erzählt die Autorin sehr kraftvoll, aber auch reduziert. Es wird nichts in großen, farbigen Bildern heraufbeschworen, sondern fein mit wenigen Worten beschrieben und trotzdem kommt man als Leser sehr schnell an. Ich fand diesen ruhigen Stil sehr stimmig mit der klösterlichen Atmosphäre.
Für mich war dieser Roman eines der Jahreslesehighlights bisher. Ganz große Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 02.07.2022

Berührender Erstling

Die Lüge
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Miki lebt nach dem Tod seiner Mutter bei seinem nun alleinerziehenden Vater. So die offizielle Version. Tatsächlich ist sein „Vater“ eigentlich sein Onkel, der ihn gemeinsam mit seinem langjährigen Partner ...

Miki lebt nach dem Tod seiner Mutter bei seinem nun alleinerziehenden Vater. So die offizielle Version. Tatsächlich ist sein „Vater“ eigentlich sein Onkel, der ihn gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Lew großzieht. Doch in der homophoben Gesellschaft Russlands hält man die Wahrheit über seine Regenbogenfamilie besser gut versteckt. Nicht leicht für Miki, der zum Zeitpunkt der Adoption gerade einmal 5 Jahre alt ist, kaum Freunde hat und auch in den kommenden Jahren immer wieder Schwierigkeiten hat, sich einzufügen. Die ständigen Lügen, das ständige Versteckspiel hinterlassen zusätzlich ihre Spuren.
Mikita Franko hat einen Coming-of-Age-Roman mit Suchtpotential geschrieben. Vieles beruht auf eigenen Erfahrungen, was das Leseerlebnis noch intensiver macht. Miki ist trotz des Todes seiner Mutter ein recht fröhlicher Junge, aufgeweckt und er mag seinen Onkel/Ersatzpapa wirklich gerne. Beste Voraussetzungen eigentlich, aber die Lügen bedrücken ihn immer mehr; diese zunehmende Zerreißprobe wird hautnah am Leser ausgelassen, immer wieder hält man den Atem an, weil die Entlarvung des Familienlebens droht. Authentisch und glaubhaft ist dieses Versteckspiel, selbst die Kleinsten werfen mit homophoben Vorurteilen um sich, sodass man der Familie vor allem eines wünscht: dass niemand die Wahrheit herausfindet. Franko zeichnet ein schonungsloses Bild davon, was es heißt in Russland „anders“ zu sein und löst damit beim Leser immer wieder große Beklemmung aus. Trotzdem ist dieser Roman nicht nur bedrückend, sondern macht vor allem durch seinen lockeren und doch intensiven Stil, seinen wachsenden Ich-Erzähler und seine frische Art großen Spaß. Ein toller Debütroman.

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