Ach, schade. Da habe ich mir deutlich mehr von versprochen, dass ich mehr drin bin, mehr mitleide, mehr "dabei bin". Aber dieses Buch wollte mich irgendwie nicht richtig mitnehmen. Da war diese kühle Distanz, die immer zwischen uns stand.
Kintsugi ist es "kleines" Buch, begrenzt in Sachen Raum und handelnder Charaktere. Ein Kammerspiel in einem Haus an einem See in der Uckermark, mit vier Menschen, die einander seit 20 Jahren zugewandt sind und sich in- und auswendig kennen. Denken sie zumindest. Doch weder Max und Reik, das hausbesitzende schwule Paar, noch Reiks bester Freund Tonio oder seine Tochter Pega - von Beginn an von dem Trio quasi co-aufgezogen - sind so ganz ehrlich. Nicht gegenüber den anderen, aber auch nicht immer gegenüber sich selbst. Und so kommen sie dann doch ans Tageslicht, die verborgenen Dinge, die den Dynamiken der Gruppe ganz neue Richtungen verleihen.
Das hörte sich alles ganz toll an, und ging auch gut los. Ich war voll und ganz bereit, mich komplett auf die vier einzulassen. Aber ich kam einfach nicht richtig ran. Die Charaktere blieben mir fremd, sie haben keine Gefühle in mir ausgelöst - und das ist es, was ich von Büchern erwarte. Die Dynamiken zwischen den Figuren, ihre Bewegungen zueinander hin und wieder weg - ich stand am Rande und habe es zur Kenntnis genommen. Mehr leider nicht.
Stilistisch war das größtenteils okay, grob untereilt ist das Buch in vier große Kapitel, in denen jede Figur abwechselnd einen langen Monolog halten darf. Diese geben Einblicke in Vergangenes und die daraus entstandenen Konsequenzen. Hier und da wurde mir etwas zu viel ausgeholt, die Charaktere erschienen mir dann zu weit weg. Zwar waren sie auch in diesen Szenen fast nie allein, dann aber doch - Interaktion findet nur wenig statt, die Handlung spielt sich auf einer tieferen, inneren, sehr intimen Ebene ab - und eben da bin ich nicht richtig rangekommen.
Die psychische Erkrankung eines Charakters wurde etwas - für mich - zu stark metaphorisch behandelt. Was mich persönlich überfordert hat, waren die Stilbrüche zwischen den großen Kapiteln. Als eine Art Bindeglied wird eine kürzere Szene in Form eines Theaterstücks dargestellt. Plötzlich reden alle vier durcheinander, es herrscht regen Treiben, Aktivität überall - das war mir zu plötzlich zu viel - als ob plötzlich die Linse aufgerissen wird, mir die Totale bunt und grell entgegen springt und ich keine Sonnenbrille dabei habe.
Schließlich hatte mir das letzte Kapitel zu sehr etwas von "Kreis schließen". Der Titel, "Kintsugi", bedeutet die Kunst, zerbrochene Teeschalen mit Goldlack zu reparieren. Und Brüche, wieder Zusammengekittetes usw. waren auch der rote Faden. Da hätte ich mir am Ende noch etwas mehr Bruch gewünscht - so ergab sich eine Kette, in der Charakter 1 Charakter 2 beleuchtete usw., bis das letzte Kapitel den "Schlussbogen" spannte. Ich hatte gehofft, dass es genau so nicht kommt, das war mir zu "rund".
Abgesehen davon liest sich die Geschichte sich sehr gefällig, und ich bin mir sicher, dass andere Menschen daran sicher mehr Freude haben werden als ich. Ich kann auch nicht sagen, dass es mir überhaupt nicht gefallen hat - es hat mich nur nicht besonders angesprochen und leider zu kalt gelassen.