Außergewöhnliche Mischung aus Orwell und Houllebecq
Die 33. Hochzeit der Donia NourMittelägypten, 2048: Donia Nour lebt in Zeiten der Neo-Sharia und des Shariatainment. Die Menschen sollen so viel beten und konsumieren, wie möglich. Wer nicht genügend "Gute-Taten-Punkte", beispielsweise ...
Mittelägypten, 2048: Donia Nour lebt in Zeiten der Neo-Sharia und des Shariatainment. Die Menschen sollen so viel beten und konsumieren, wie möglich. Wer nicht genügend "Gute-Taten-Punkte", beispielsweise durch religiösen Eifer, sammelt, der muss um den Zugang zum Himmel bangen. Donia möchte Ägypten unbedingt verlassen, doch um die Schlepper zu bezahlen braucht sie ein Kilogramm Gold. Dafür geht sie immer wieder so genannte Lustehen ein: Ehen, die nur zum Sex dienen und innerhalb von 24 Stunden annuliert werden. Allerdings wollen die Kunden nur Jungfrauen und so lässt Donia diese immer wieder wiederherstellen. Die 33. Hochzeit ist die letzte, bevor Donia das Gold zusammenhat, doch dann geht alles fürchterlich schief ...
Ägypten, 1952: der Professor und Philosoph Ostaz Mukhtar, der für den nächsten Tag eine gerichtliche Vorladung wegen Blasphemie hat, wird von Außerirdischen entführt. Fast 100 Jahre später bringen sie ihn zurück, da er einer gewissen Donia Nour helfen soll.
Dieses Buch ist etwas ganz Ungewöhnliches. Es erinnert an George Orwells "1984", da die Einwohner von ihrer eigenen Regierung bespitzelt werden. Es gibt ein zentrales System, dass die Häufigkeit der Gebete erfasst und wer nicht oft genug betet, wird vorgeladen. Die allgegenwärtigen elektronischen Sittenwächter geben sofort Alarm, wenn unter einem Schleier eine Haarsträhne hervorschaut. Die Position der Frau hat sich nicht wesentlich gebessert. Mit Houllebecqs Buch teilt "Die 33. Hochzeit ..." vor allem den Gegenstand der Dystopie: den islamistischen Gottesstaat.
Meiner Meinung nach befeuert Ilmi jedoch nicht zwangsläufig die Islamophobie, denn es geht nicht darum, dass ein islamischer Staat die Weltherrschaft erringen will. Der Gottesstaat Ägypten dieses Buches ist lokal begrenzt, der Westen existiert weiterhin und wird, wie heutzutage schon normal, verunglimpft und verteufelt. Das erinnert eher an die Propaganda im Kalten Krieg. Es geht in diesem Buch auch vielmehr darum, zu kritisieren, wozu (jegliche) Religion instrumentalisiert wird und wie sie dazu dient, die Interesse der Mächtigen und Reichen zu schützen und zu fördern. Das Buch kritisiert auch die Auslegung und vor allem Rückständigkeit heiliger Schriften. Hierzu lässt Ilmi Ostaz Streitgespräche führen, in denen er Koranzitate anführt, die genau gegenteilig interpretiert werden könnten, wenn man dafür offen wäre. Leider übertreibt er in seinen Reden die Provokationen dann doch ein wenig bzw. sind diese an einingen wenigen Stellen wirklich sehr von der Holzhammer-Sorte, sodass ich mir die heftigen Reaktionen auf dieses Buch in arabischen Ländern gut vorstellen kann.
Dass dieses Buch gerade durch aktuelle Debatten Unbehagen auslöst, kann ich nachvollziehen. Doch ist genau dieser Punkt das, was das Buch zu etwas Besonderem macht: in der westlichen Welt sind wir längst daran gewöhnt, unsere Lebensweise kritisiert zu sehen und bislang ist die Mehrheit der bekannten Dystopien ausschließlich westlich geprägt. Warum sollte eine Dystopie nicht auch die Gefahren in anderen Kulturkreisen aufzeigen, vor allem vor der aktuellen weltpolitischen Lage? Das Streben nach einem islamischen Staat ist derzeit präsenter denn je und bedient sich derzeit genau der Methoden, die dieses Buch anprangert. Daher ist es äußerst wichtig, dass auch öffentlich die Frage gestellt wird, wie ein solcher Staat zukünftig aussehen könnte. Vor allem, wenn dies durch einen Ägypter selbst geschieht, der seinen Handlungsort und seine Religion am besten kennt.
Insgesamt präsentiert der Autor neben der Gesellschaftskritik interessante Ideen wie auch die Zukunft des Konsums aussehen könnte. Mit dem Handlungsstrang um Ostaz und die Außerirdischen bringt er etwas Leichtigkeit und Humor mit in die Geschichte. Beklemmend fand ich dagegen die zahlreichen Sex-, Gewalt- und auch vereinzelten Vergewaltigungsszenen. Das Buch ist keine seichte Unterhaltung, sondern neben der nachdenklich machenden Gesellschaftskritik von der Handlung und den Erlebnissen der Hauptfiguren her teilweise harter Tobak. Trotzdem ist es ein ganz ungewöhnliches und außergewöhnliches Buch, das viele Leser finden sollte.