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Veröffentlicht am 05.08.2022

Auf den Spuren des Vaters

Was ich nie gesagt habe (Die Gretchen-Reihe 2)
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Tom Monderaths Vater ist schon vor etlichen Jahren gestorben, seine Mutter Greta dement und er selbst derzeit glücklich verliebt. Als er durch Zufall erfährt, dass er neben einem Halbbruder sogar noch ...

Tom Monderaths Vater ist schon vor etlichen Jahren gestorben, seine Mutter Greta dement und er selbst derzeit glücklich verliebt. Als er durch Zufall erfährt, dass er neben einem Halbbruder sogar noch einige weitere Halbgeschwister hat, beginnt die Suche nach den Hintergründen. Vor allem seine Freundin Jenny und sein Halbbruder Henk versuchen mehr über den umtriebigen Vater Konrad herauszufinden. Dieser geriet als Jugendlicher in amerikanische Gefangenschaft und kam danach nach Heidelberg, wo er sich in Greta verliebt. Ab dieser Zeit beginnt ein Familiengeheimnis, das sich bis in Toms Gegenwart zieht.
Das Cover zeigt die Rückenansicht dreier Personen: einen Mann, der einen kleinen Jungen an seiner Hand hält und etwas abseits eine Frau im karierten Kostüm. Die Kapitel erzählen alternierend die Geschichte Toms und die seines Vaters Konrad. Der Roman ist die Fortsetzung des Buches „Stay away from Gretchen“, kann aber ohne Schwierigkeiten auch ohne Kenntnis des ersten Teils gehört oder gelesen werden.
Das Hörbuch ist 2022 bei Hörbuch Hamburg erschienen und wird von Vera Teltz gelesen. Ganz am Anfang der Geschichte war ihre Stimme etwas gewöhnungsbedürftig für mich, was sich aber sehr schnell legte. Die Sprecherin trifft wirklich immer den richtigen Ton. Egal, ob es sich um gefühlvolle oder ernste Passagen handelt, ob sie Sätze in Kölsch wiedergibt und dabei trockenen Humor in ihren Unterton legt, die Sprecherin schafft es durchgehend großartig, das Publikum vollkommen in ihren Bann und damit mitten in den Sog der spannenden Handlung zu ziehen.
Die Autorin verpackt die Geschichte in lebhafte Dialoge und lässt mit den detaillierten Beschreibungen richtige Bilder entstehen. Die Auflösung der verzwickten Familienverhältnisse ist sicher recht interessant, sehr viel mitreißender sind aber die Rückblenden ins Leben von Toms Vater. Ob es um die gut recherchierte Darstellung der Lebenssituation zur Zeit des zweiten Weltkriegs geht, um die Maßnahmen der NS-Ideologie, die sich in alle Lebensbereiche drängten oder um deren schrecklichen Umgang mit Behinderten als Untersuchungsobjekte, das Buch spricht vielfältige Themen an. Auf die Nachkriegszeit bezogen wird vor allem die Geschlechterrolle und das Eheleben beleuchtet, sowie damit zusammenhängende Komplikationen, so werden auch Reproduktionsmedizin oder Verhütung angesprochen. Der Sprachstil ist größtenteils an die damalige Zeit angenähert ohne aber aufgesetzt zu wirken.
Die Charaktere sind authentisch und deren Handlungen nachvollziehbar. Die Geschichte selbst, so unglaublich sie mit der Anzahl an Halbgeschwistern auch wirken mag, hat in der Realität tatsächlich einige Vorbilder, was sie noch um einiges interessanter macht.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.08.2022

Zwei Frauenleben – aufrüttelnd und beeindruckend

Die Wunder
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Obwohl Maria ihre Großmutter ist, konnte Alicia diese noch nicht kennenlernen. Aus Schande über ein uneheliches Kind ließ Maria ihre Tochter Ende der Sechziger Jahre bei ihrer Familie zurück und lebte ...

Obwohl Maria ihre Großmutter ist, konnte Alicia diese noch nicht kennenlernen. Aus Schande über ein uneheliches Kind ließ Maria ihre Tochter Ende der Sechziger Jahre bei ihrer Familie zurück und lebte seither als Hausangestellte in Madrid, von wo aus sie sich nur durch Geld an der Erziehung des Kindes beteiligte. Auch die Enkelin Alicia flieht aus innerer Unruhe und einer familiären Tragödie in die spanische Hauptstadt. Beiden fehlt es sowohl an Geld als auch an Selbstvertrauen; aber auch am Vertrauen in ihr Heimatland und dessen Veränderungen.
Das Cover zeigt in ruhigem, unaufgeregtem Braun das Gesicht einer jungen Frau, im unteren Viertel Frauen bei einem Protestmarsch. Die Kapitel erzählen verschiedene Zeitabschnitte aus dem Leben von María und Alicia, wobei innerhalb der Kapitel auch abwechselnd von Großmutter und Enkelin berichtet wird. Der Schreibstil ist zunächst gewöhnungsbedürftig; Dialoge sind nicht als solche abgegrenzt, sondern fließen ohne Anführungszeichen in den Text ein. Einige Stellen werden in erster Person von den Frauen, andere aus der Sicht eines Erzählers wiedergegeben. Getrieben, fast hektisch treiben die Wörter die Handlung voran. Doch je mehr man in dieser vorankommt, desto fesselnder wird die Geschichte und man erkennt, dass der Schreibstil für dieses Buch nicht passender sein könnte; vor allem jedoch für die Gedanken der Protagonistinnen, die sich an manchen Stellen förmlich zu überschlagen scheinen.
Elena Medel gelingt mit ihrem Debüt ein großartiger Bildungsroman, der einen genauen Blick auf das Leben und die Stellung – nicht nur – der spanischen Frauen wirft. Sie verfährt dabei aber nicht mit militant-feministischen Parolen, sondern wagt sich sehr gefühlvoll an das Thema heran. Anhand der Protagonistinnen Maria und Alicia erörtert sie, wie unterschiedlich sich Bildung, soziale Herkunft und auch Geld auf Frauen verschiedener Generationen auswirken. Dazu beleuchtet sie auch die politischen Ereignisse Spaniens, die gekonnt mit dem Leben der beiden Frauen verwoben werden. Maria versucht seit ihrer Jugend sich ihre Freiheit zu erkämpfen – etwas anderes bleibt ihr auch nicht übrig. Alicia hätte durch ihre Ausbildung die Möglichkeit, viel mehr aus ihrem Leben zu machen – und verharrt dennoch in ihrer Verschlossenheit.
Die Autorin behandelt in diesem aufrüttelnden Roman die Macht der Männer, die Stellung der Familie und vor allem der Mütter, aber auch die damit zusammenhängende Situation der Frauen und deren Versuch, Freiheiten zu erlangen; es geht um Rechte und Pflichten, und um Stolz, aber vor allem auch um den Mangel an verschiedenen Dingen – allen voran um den Mangel an Geld, mit dessen Vorhandensein die Frauen Emanzipation und Befreiung zu erlangen glauben.

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Veröffentlicht am 05.08.2024

Wenn das Opfer den Spieß umdreht ...

Ein Mann zum Vergraben
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Als Sally ihren Ehemann im Lockdown mit einer gusseisernen Pfanne erschlägt, handelt es sich um ein Versehen. Nach dieser Art Unfall die Polizei zu rufen wäre der nächste logische Schritt. Den Sally allerdings ...

Als Sally ihren Ehemann im Lockdown mit einer gusseisernen Pfanne erschlägt, handelt es sich um ein Versehen. Nach dieser Art Unfall die Polizei zu rufen wäre der nächste logische Schritt. Den Sally allerdings verschiebt und sich lieber erst einmal ein Stück Kuchen und ein Schaumbad gönnt. Auch Ruth, Samira und Janey finden keinen anderen Ausweg als ihre tyrannischen Ehemänner zu entsorgen und so gründen die vier Frauen als Club der heimlichen Witwen eine Selbsthilfegruppe. Mit viel schwarzem Humor geht die Autorin hier ein sehr ernstes und leider allgegenwärtiges Thema an.
Am Cover die Zeichnung einer Frau mit Spaten im Garten; ihr Gesicht sieht man nur teilweise, es könnte sich also um jede beliebige Frau handeln. Oder aber um eine der vier Protagonistinnen, die einen letzten Ort für den beseitigten Ehemann sucht. Die Kapitel sind kurz und der lebhafte Schreibstil passt sehr gut zu dieser schwarzhumorigen Komödie. Die verschiedenen Blickwinkel bringen einem der Hintergründe der Familien näher. Der Einfallsreichtum, aber vor allem der Zusammenhalt der vier Frauen ist großartig dargestellt.
Das Buch regt zum Lachen an, aber auch zum Nachdenken. Denn das Lachen kann einem schon im Halse stecken bleiben, wenn man sich die Realität vor Augen hält. Femizide mögen in der Statistik als schreckliche Realitäten erfasst sein – befasst man sich aber mit jeder einzelnen Frau, jedem einzelnen Mädchen, das der Gewalt eines Mannes zum Opfer fiel, dann sieht die Sache ganz anders aus; greifbarer, näher.
Egal aus welchem Kulturkreis die Betroffenen stammen, häusliche und familiäre Gewalt, Misshandlungen, Ehrenmorde, Zwangsheiraten, sind auch in unserer Gesellschaft leider fast schon in den Alltag integriert. Es sind daher auch vor allem moralische Fragen, die immer wieder durch den Text herauskommen. Im Nachwort gibt es noch einige interessante Informationen zum Thema häusliche Gewalt und Femizide.
Casales Idee, diesen ernsten Hintergrund in eine humorige, schwarze Komödie einzubauen, ist ein ungewöhnlicher Weg, gerade auch wenn sie die Geschichte im Lockdown ansiedelt, in dem die Gewalttaten ja sogar zunahmen. Aber ihr Buch ist auch eine Art, die Aufmerksamkeit einer breiteren Bevölkerungsschicht auf das ernste Thema zu lenken. Und nähere Beschäftigung täte uns allen gut. So wie sich die vier Protagonistinnen finden und ihre Probleme erkennen, sollten auch Unbeteiligte öfter die Augen offen halten und genauer hinschauen, wenn sie in der Umgebung Ungewöhnliches abspielt. Und damit meine ich nicht, das Entdecken getöteter ungeliebter Partner, sondern die Meldung an eine zuständige Stelle, bevor es zum Schlimmsten kommt. Denn dieses Buch macht nicht zuletzt auch Hoffnung.

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Veröffentlicht am 24.11.2024

Eine Pinnwand voller Leben

Das Buch der neuen Anfänge
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Nach der Trennung von Ihrem langjährigen Freund flüchtet Jo nach London und übernimmt dort den Schreibwarenladen ihres pflegebedürftigen Onkels Wilbur. Eigentlich wollte sie weiter Datenbanken bearbeiten, ...

Nach der Trennung von Ihrem langjährigen Freund flüchtet Jo nach London und übernimmt dort den Schreibwarenladen ihres pflegebedürftigen Onkels Wilbur. Eigentlich wollte sie weiter Datenbanken bearbeiten, heiraten und eine Familie gründen, nun verkauft sie ein beinahe antiquiertes Sortiment aus Füllern, Tinte und Briefbögen. Die unterschiedlichen Menschen, die den Laden betreten werden für Jo mit der Zeit zu Freunden, von denen jeder seine Geschichte zu erzählen hat.
Das Cover ist farbenfroh, mit den Efeuranken recht verträumt, und macht durch den geöffneten Reisekoffer mit verschiedenen Utensilien sehr neugierig auf die Lebenswege der Protagonisten. Mit dem verwendeten Sprachstil knüpft die Autorin an ihren Debütroman „Das Glück der Geschichtensammlerin“ an. Angenehm zu lesen, kommt man rasch im Text voran und erfährt Seite für Seite mehr aus dem Leben der Protagonistin und ihrem neuen Freundeskreis. Man versteht Jos Trennungsschmerz und wünscht ihr ein neues glückliches Leben; ihre ständig wiederkehrenden Gedanken an ihren langjährigen Lebensgefährten waren mir an manchen Stellen doch zu viel. Es kommt zu Wiederholungen, die nichts zur Handlung beitragen und der Geschichte dadurch nicht guttun. An das erste Buch der Autorin kommt diese neue Geschichte daher nicht ganz heran.
Dennoch ist es ein herzergreifender Roman, der Themen wie unerfüllte Lebensträume, alte und neue Freundschaften und die unterschiedlichen Formen von Trennung auf recht unterhaltsame Art verarbeitet. Gerade in der Herbst- und Winterzeit verleiht dieser Roman den Lesenden ein warmes Gefühl von Geborgenheit und Hoffnung.

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Veröffentlicht am 12.09.2024

Ein Mathematiker hat nie frei

Pi mal Daumen
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In einer Vorlesung trifft der hochbegabte, sechzehnjährige Oscar auf Moni Kosinsky, die nicht nur durch knalligen Lippenstift, hohe Absätze und ihr Alter aus einer anderen Welt als der junge Adlige zu ...

In einer Vorlesung trifft der hochbegabte, sechzehnjährige Oscar auf Moni Kosinsky, die nicht nur durch knalligen Lippenstift, hohe Absätze und ihr Alter aus einer anderen Welt als der junge Adlige zu kommen scheint. Moni wird für eine Putzfrau gehalten, erfüllt sich aber mit Verstand und Beharrlichkeit den Traum von einem Mathe-Studium. Bald findet der weltfremde Oscar eine warmherzige Freundin. Die Geschichte dieser beiden Außenseiter wird zu einem leichtfüßigen, tragikomischen Roman über eine schillernde Heldin und eine ungewöhnliche Freundschaft.
Das pastellfarbene Cover zeigt das Profil einer alterslosen Frau, die gerade einen Kirschkern ausspuckt. Es ist die Abbildung von Moni, dargestellt aus der Sicht Oscars, welcher als Ich-Erzähler die Geschichte der ungewöhnlichen Freundschaft wiedergibt. Am Anfang und Ende des Buches befindet sich ein ungewöhnlicher Stammbaum, der Monis Familienverhältnisse aufzeichnet. Oscar trägt autistische Züge und der Schreibstil wirkt durch seine Direktheit kühl, an vielen Stellen dadurch aber auch humorvoll, auf jeden Fall einfach und verständlich. Das Buch legt den Alltag, die Probleme und Unzulänglichkeiten, aber auch die gegenseitige Hilfe dar, die die beiden Außenseiter einander leisten.
Im ersten Drittel wirkt die Geschichte etwas langatmig; die Handlung kommt fast nicht voran. Im Gegensatz dazu gibt es im letzten Drittel Zeitsprünge und das Ende tritt beinahe abrupt ein. Das Buch gehandelt auf leichte Art soziale Unterschiede, Vorurteile, führt über schmerzhafte Spuren auch in die Vergangenheit der Protagonisten. Die Charaktere sind sehr klar gezeichnet, sowohl Oscars als auch Monis Familie kann man sich lebhaft vorstellen. Dennoch muss gesagt werden, dass die Figuren sehr überzogen dargestellt sind. Die Klischees, die bedient werden, sind sogar bis zur Schmerzgrenze ausgereizt. Auch Oscar und Moni stehen als lebendige Personen vor uns auf, dass es solche extremen Typen allerdings tatsächlich geben soll, wirkt aber tatsächlich weniger glaubhaft. Zumindest nicht, wenn man sich die enge Verbindung der beiden und die Veränderung der beiden unterschiedlichen Charaktere vor Augen hält, die einfach zu rasch vor sich geht und daher einfach unrealistisch wird.
Insgesamt ist aber doch eine unterhaltsame Geschichte entstanden, die den einen oder anderen Leser zum Nachdenken anregen kann – nicht nur über das Thema Mathematik.

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