1929 Hamburg. Cläre, die Tochter des verstorbenen Johann Behmer und seiner Frau Maria, ist inzwischen eine erwachsene junge Frau, die sich nichts mehr wünscht ein Ökonomie-Studium, wofür ihr Verlobter so gar kein Verständnis aufbringen kann. Vielmehr hofft er darauf, mit der Heirat das inzwischen von Maria Behmer geführte Kaffeekontor in der Speicherstadt zu übernehmen. Während die Nationalsozialisten in Deutschland sich immer mehr in das Leben der Menschen einmischen und dieses mit harten Gesetzen und Sanktionen erschweren, lässt die Begegnung mit dem lebenslustigen und freiheitsliebenden Journalisten Fritz Walterhausen Cläres Herz höher schlagen und aus den beiden ein Paar werden. Dann erwartet Cläre ein Kind und bringt ihre Zukunftsplanung durcheinander. Als Maria nach Brasilien reisen muss, um dort anstehende Probleme auf der Fazenda zu lösen, übernimmt Cläre das Kontor und muss sich beweisen. Schwierigkeiten drohen aber auch aus der eigenen Familie heraus, denn Tante Gertrud und deren bereits verheiratete Tochter Emma sorgen immer wieder für Unfrieden und Intrigen…
Anja Marschall hat mit „Der Geschmack von Freiheit“ den zweiten Band ihrer Speicherstadt-Trilogie vorgelegt, der dem Vorgängerroman in punkto Unterhaltungswert und historischem Hintergrund in nichts nachsteht. Mit ihrem flüssigen und bildhaften Erzählstil lädt die Autorin den Leser ins Hamburg des vergangenen Jahrhunderts ein, um sich im Haushalt der Familie Behmer einzunisten und das Schicksal von Cläre und ihren Angehörigen sowie einigen weiteren Protagonisten hautnah mitzuverfolgen. Die Handlung zieht sich über einen Zeitraum von 15 Jahren und umfasst den Zusammenbruch der Weimarer Republik, die Machtergreifung der Nazis sowie den zweiten Weltkrieg. Das Kaffeekontor wird seit dem Tod von Johann von Maria geführt, deren Tochter Cläre so gar keine Ambitionen hat, mal ins Geschäft einzusteigen, sondern lieber studieren will, was für eine Frau zur damaligen Zeit fast unmöglich war. Während die Nazis Deutschland immer mehr unter ihre Fuchtel bekommen, sich in alles einmischen und kontrollieren wollen, macht sich deren Judenfeindlichkeit auch im Umkreis der Familie Behmer bemerkbar, denn viele jüdische Kaufleute und Geschäftsinhaber müssen ihre Läden schließen und verschwinden nach und nach. Gleichzeitig ist gerade Cläres Cousine Emma eine Anhängerin der Nazis und erhofft sich für ihren Ehemann eine aufstrebende Position. Das Zusammenleben zwischen Maria, Cläre und Gertrud nebst Emma und ihrer Familie wird immer schwieriger, zumal Emma mit ihren neidischen Intrigen einiges an Unruhe ins tägliche Leben bringt. Marschall erzählt so farbenprächtig, dass der Leser die Geschichte wie einen lebendigen Film vor Augen sieht und sich als Teil der Handlung fühlt.
Die Charaktere sind mit Liebe zum Detail ausgearbeitet und überzeugen durch authentische Eigenschaften, was es dem Leser sehr leicht macht, ihnen zu folgen und mitzufiebern. Wirkt Cläre zu Beginn noch etwas naiv und verträumt, entwickelt sie sich im Verlauf der Handlung zu einer mutigen Frau, die keine Herausforderung scheut und die Dinge selbst in die Hand nimmt. Dabei wird sie ihrer Mutter Maria immer ähnlicher, auch diese ist eine Kämpfernatur, die keinem Problem aus dem Weg geht, sondern anpackt. Cousine Emma ist eine egoistische, missgünstige und intrigante Frau, die keine Gelegenheit auslässt, anderen das Leben für ihre eigenen Zwecke schwer zu machen. Aber auch Gertrud, Fritz und weitere Protagonisten wie Willi bereichern die Geschichte durch ihre Episoden.
Mit „Der Geschmack von Freiheit“ ist der Autorin eine unterhaltsame und spannende Fortsetzung gelungen. Der Mix aus akribisch recherchierter Historie sowie Familiengeschichte, Kriegsgeschehen, Intrigen, Liebe sowie menschlichen Schicksalen lässt den Leser die Handlung lebendig miterleben. Absolute Leseempfehlung!