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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.08.2022

Vielschichtiger, tiefgründiger Literaturklassiker, der zum Nachdenken anregt!

Der Vorleser
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Als Michael sich krankheitsbedingt übergeben muss, kommt ihm eine fremde Frau zu Hilfe. Von der Familie wird er zu ihr geschickt, um sich mit Blumen zu bedanken. Er ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Als Michael sich krankheitsbedingt übergeben muss, kommt ihm eine fremde Frau zu Hilfe. Von der Familie wird er zu ihr geschickt, um sich mit Blumen zu bedanken. Er ist 15 Jahre alt, sie ist 36 und wird seine erste Liebe / Affäre. Da sie selbst nicht lesen kann, liest er ihr jeden Tag aus Klassikern vor. Doch eines Tages verschwindet sie plötzlich. Jahre später sieht sie Michael sie unter unerwarteten Umständen wieder und erfährt, dass sie die ganze Zeit ein schreckliches Geheimnis hatte…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz

Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: NS-Zeit, Holocaust, Tod von Menschen, Beziehung zwischen einem Minderjährigen und einer Erwachsenen, toxische Beziehung, Gewalt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Kurzrezension

„Warum? Warum wird uns, was schön war, im Rückblick dadurch brüchig, dass es hässliche Wahrheiten verbarg?“ Seite 38

„Der Vorleser“ gilt als literarischer Klassiker, den man gelesen haben muss, und als beliebte Schullektüre. Pflichtbewusst gekauft, verstaubte das Buch aber zuerst einmal 2 Jahre in meinem Regal, bis ich in den Sommerferien dieses Jahres endlich Lust darauf hatte.

Zuerst: Hat mir das Buch gefallen? Ja, durchaus! Aber ist es auch so großartig wie angepriesen? Da bin ich mir nicht so sicher. Auf meine hohen Erwartungen folgten zwar ein paar unterhaltsame, interessante und tiefgründige Lesestunden, aber leider auch Ernüchterung. Den ruhigen, unaufgeregten Schreibstil mochte ich, die philosophischen und moralischen Fragen, die immer wieder gestellt werden, haben mich zum Nachdenken angeregt, was mir ebenfalls gefallen hat. Aber Achtung: „Der Vorleser“ ist ein Literaturklassiker, der zwar viele (und vor allem: die richtigen) Fragen stellt, der aber keine klaren, einfachen Antworten liefert!

Die ernsten Themen (NS-Vergangenheit, Literatur, Schuld, Erwachsenwerden, erste Liebe, Analphabetismus) und ihre tiefgründige Ausarbeitung haben mich ebenso überzeugt wie die komplexen, glaubwürdigen Figuren (besonders Hanna ist sehr gut gelungen) und der sympathische, selbstkritische, nachdenkliche Protagonist. Teilweise ist diese Mischung aus Liebesgeschichte, Roman und Justizkrimi wirklich spannend geschrieben und es gibt einige unerwartete Wendungen. Aus feministischer Sicht fallen die starken, intelligenten, beruflich erfolgreichen Frauenfiguren positiv auf (besonders da der Roman 1995 erstmals erschienen ist), auch die Darstellung von Frauen als Täter·innen ist außergewöhnlich und bemerkenswert. Die Verfilmung, für die Kate Winslet sogar einen Oscar erhalten hat, werde ich mir auf jeden Fall noch anschauen!

Leider enthält das vielschichtige Buch aber auch sehr langatmige, zähe, handlungsarme Passagen, bei denen ich nur im Schneckentempo vorangekommen bin. Ich kann mir gut vorstellen, dass Schüler·innen hier die Geduld verlieren und das Buch abbrechen könnten. Außerdem könnten ihnen die teilweise recht expliziten sexuellen Beschreibungen unangenehm oder peinlich sein.

Doch wenn man sich die Frage stellt, ob dieses Buch als Schullektüre (für die Oberstufe, früher würde ich das Buch mit einer Klasse nicht lesen) geeignet ist, muss noch ein Punkt angesprochen werden: Hochproblematisch ist natürlich die toxische, teilweise sogar gewalttätige Beziehung / Affäre zwischen dem Minderjährigen Michael (15 Jahre alt) und der Erwachsenen Hanna (Mitte 30). Gesetzlich wäre so eine Beziehung zumindest in Österreich erlaubt, moralisch bleibt sie trotzdem mehr als fragwürdig, ist in meinen Augen sehr problematisch und grenzt für mich an sexuellen Missbrauch wegen der unterschiedlichen Lebenserfahrung und des Machtgefälles (das Hanna bewusst ausnutzt). Wenn das Buch in der Schule besprochen wird, sollte dieser Aspekt auf jeden Fall nicht ignoriert, sondern klar angesprochen und diskutiert werden.

Mein Fazit

„Der Vorleser“ ist ein unterhaltsamer, tiefgründiger, interessanter Literaturklassiker, der zum Nachdenken anregt und mir trotz seiner langatmigen Passagen insgesamt gut gefallen hat. Wird das Buch als Schullektüre verwendet, sollte darauf geachtet werden, die ernsten Themen (NS-Vergangenheit, Schuld) altersgerecht aufzubereiten und auch die problematischen Aspekte der Geschichte (Altersunterschied in der Beziehung) nicht unter den Teppich zu kehren, sondern klar anzusprechen. Von mir gibt es jedenfalls eine Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Tiefe: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonist: 4 Sterne
Figuren: 5 Sterne ♥
Spannung: 3 Sterne
Tempo: 3 Sterne
Wendungen: 4 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 5 Sterne ♥

Insgesamt:

❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.06.2022

3,5 Sterne: Ganz okay, aber man hätte mehr daraus machen können!

Ancora
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Inhalt

Sich entspannen, an ihrem Gedichtband weiterschreiben, sich selbst besser kennenlernen, ihre Beziehung retten – das alles erhofft sich die junge Romy von ihrem mehrwöchigen Sommerurlaub im abgeschiedenen ...

Inhalt

Sich entspannen, an ihrem Gedichtband weiterschreiben, sich selbst besser kennenlernen, ihre Beziehung retten – das alles erhofft sich die junge Romy von ihrem mehrwöchigen Sommerurlaub im abgeschiedenen Dorf Ancora. Strom, Handyempfang und Leistungsdruck gibt es dort nicht. Doch schon in der ersten Nacht passieren seltsame Dinge. Sind Romy und ihre Freunde vielleicht doch nicht so willkommen, wie sie dachten?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere gequält. Es werden Tiere geschlachtet (keine Beschreibungen), ein Huhn wird kopfüber in die Küche getragen, wo es später geschlachtet wird.
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---
Feministisch? Ja.

Warum dieses Buch?

Nach den vielen Dystopien, die ich in letzter Zeit gelesen habe, musste endlich wieder einmal ein spannender Thriller her, der in der Gegenwart spielt. Als ich „Ancora“ entdeckt habe, wusste ich sofort: Das wird mein nächstes Buch!

Kurzrezension

Das hat mir gefallen…

Atmosphäre & Setting (4 Lilien)

Das Setting – dieses abgeschiedene, kleine Dörfchen irgendwo im Nirgendwo ohne Strom und Handyempfang – hatte natürlich viel Potential und ich fand es grandios gewählt. Besonders in der ersten Hälfte des Buches habe ich die Atmosphäre als sehr dicht und stellenweise sogar richtig düster und unheimlich wahrgenommen. Vor allem die gruselige Stimmung in den finsteren, nur durch Kerzen- und Mondlicht erhellten Nächten hat mir sehr gut gefallen!

„Sie lebt. Die Dunkelheit lebt. Und sie wartet nur darauf, dass man unvorsichtig wird und einen Fehler macht." E-Book, Position 78

Protagonistin (4 Lilien)

Mit Romy hat der Autor eine starke, sympathische, mutige und wissenshungrige Protagonistin geschaffen, die Mädchen als Vorbild dienen kann und mit der sich Jugendliche bestimmt identifizieren können. Auch ich habe sie gerne durch die Geschichte begleitet– auch wenn ich ihr Verhalten nicht immer ganz nachvollziehen konnte.

„Ich weiß nicht wieso, aber dieses Dorf, dieses Tal, macht etwas mit mir.“ E-Book, Position 613

Feminismus (4 Lilien)

Aus feministischer Sicht gibt es nicht viel auszusetzen: Das Buch ist frei von gegenderten Beleidigungen (das ist mir gerade bei Jugendliteratur immer sehr wichtig!), besteht den Bechdel-Test, enthält viele starke Frauen und sogar Diversität in Form einer lesbischen Liebesgeschichte. Einen Punkt Abzug gibt es für die vereinzelten Geschlechterstereotypen. Wächst da etwa gerade eine neue Generation von modernen, feministisch eingestellten männlichen Autoren heran? Der vorliegende Jugendroman stimmt jedenfalls hoffnungsvoll!

Das lässt mich zwiegespalten zurück…

Schreibstil (3 Lilien)

Der Schreibstil lässt mich eindeutig zwiegespalten zurück. Einerseits ist er natürlich einem Jugendbuch angemessen (weder zu einfach noch zu komplex) und stellenweise angenehm zu lesen, andererseits fand ich ihn auch manchmal holprig und wurde hin und wieder aus dem Lesefluss gerissen.

Geschichte / Themen (3,5 Lilien)

Für mich ist „Ancora“ ein solider Mysterythriller für Jugendliche, den auch ich ganz unterhaltsam fand. Thematisch stehen Selbstfindung, Liebe, Freundschaft, das Leben in einer Gemeinschaft und Kritik an der Leistungsgesellschaft im Mittelpunkt. Das volle Potential des Settings und der Idee konnte der Autor aber leider nicht nutzen, hier fehlten mir Tiefe und ein besser durchdachter Plot. Vieles wurde mir einfach zu hastig und oberflächlich abgehandelt, und gegen Ende wurde die Geschichte zunehmend wirrer. Da hat mich „Ancora“ dann auch (emotional) verloren.

„Nachdem in den 70er Jahren ein nahegelegenes Chemiewerk explodiert ist, wurde die ganze Gegend für längere Zeit zur Sperrzone erklärt. Dutzende Mitarbeiter sollen bei der Explosion ihr Leben verloren haben.“ E-Book, Position 91

Spannung (3 Lilien)

Leider hat das Buch außerdem ein großes Problem mit seinem „Pacing“ (= Tempo, Struktur). Was der gruselige, fesselnde Prolog verspricht, kann der Rest der Geschichte leider nicht halten. Anfangs kommt die Geschichte nur langsam ins Rollen, der Spannungshöhepunkt befindet sich seltsamerweise in der Mitte des Buches, danach liegen noch viele Seiten vor einem, in denen aber nicht mehr viel passiert. Versteht mich nicht falsch – die Geschichte hat durchaus ihre spannenden Momente, aber zwischendurch bricht der Spannungsbogen leider immer wieder ein.

Figuren (3 Lilien)

Die meisten Nebenfiguren (es gibt natürlich auch ein paar Ausnahmen) blieben meiner Meinung nach leider relativ blass, eindimensional und austauschbar. Sie waren zwar nicht (alle) unsympathisch, aber ich werde sie wohl leider schnell wieder vergessen.

Das hat mir nicht gefallen:

Dialoge (2 Lilien)

Die Dialoge fühlten sich stellenweise wirklich sehr hölzern, konstruiert und künstlich an. Es gab zum Beispiel plötzliche Themenwechsel und Witze, die nicht so richtig passten – das war in meinen Augen leider oft kein normaler Gesprächsverlauf, in dem sich ein Satz aus dem anderen ergibt.

Mein Fazit

„Ancora – Die Zeit ist gegen dich“ ist für mich ein solider Mysterythriller für Jugendliche, der mit einer dichten Atmosphäre, einer starken Protagonistin und einem überzeugenden Setting punktet, der aber leider (!) sein volles Potential nicht nutzen kann und Schwächen beim Plot, beim Tempo und bei der Figurenzeichnung aufweist. Das Zielpublikum kann mit diesem Buch bestimmt ein paar schöne Lesestunden verbringen und auch ich fand es nicht schlecht – ich habe nur einfach mehr erwartet…

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Lilien
Umsetzung: 3,5 Lilie
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Dialoge: 2 Lillien
Protagonistin: 4 Lilien
Figuren: 3 Lilien
Spannung: 3 Lilien
Wendungen: 3 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.05.2022

Lustig und überraschend feministisch, aber auch klischeehaft und kitschig!

The Secret Book Club – Ein fast perfekter Liebesroman
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Achtung! Die Rezension enthält Spoiler!

Inhalt

Die Ehe von Profisportler Gavin ist am Ende, seine Frau Thea verlangt die Scheidung. Unerwartete Hilfe kommt von seinem besten Freund, der Gavin mit ...

Achtung! Die Rezension enthält Spoiler!

Inhalt

Die Ehe von Profisportler Gavin ist am Ende, seine Frau Thea verlangt die Scheidung. Unerwartete Hilfe kommt von seinem besten Freund, der Gavin mit zu einem Treffen eines geheimen Buchclubs nimmt. Gemeinsam lesen die Männer Liebesromane (die sie Handbücher nennen), um Frauen besser zu verstehen. Auf diese Weise versuchen sie gemeinsam, Gavins Ehe zu retten. Das Problem: Ehefrau Thea will das eigentlich gar nicht…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe (aktuell 5 Bände, ein weiterer ist in Arbeit)
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche & männliche Perspektive im Wechsel
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Bitch (im positiven Sinne verwendet), Hu+++sohn
Feministisch? Ja.

Warum dieses Buch?

Ich lese ja eigentlich selten und eher ungern Liebesromane, aber hier fand ich die Grundidee so lustig, dass ich das Buch unbedingt lesen musste!


Kurzrezension


Das hat mir gefallen…

Humor (5 Lilien ♥):

Die größte Stärke des Buches ist für mich ganz klar der Humor: Hier werden uns herrlich witzige Dialoge und grandiose Situationskomik, die mich nicht nur einmal zum Schmunzeln oder Lachen gebracht hat, serviert. Dafür gibt es von mir ein großes Lob!

Schreibstil (4 Lilien):

Mit ihrem flüssig lesbaren, locker-leichten und angenehmen Schreibstil konnte mich die Autorin überzeugen. Man fliegt nur so durch die Seiten! Lediglich ein bisschen atmosphärischer und anschaulicher hätten die Beschreibungen manchmal sein dürfen.

„‘Ihr lest Liebesromane?‘
‘Wir nennen Sie Handbücher‘, antwortete der Russe.“ Seite 42

Figuren (4 Lilien):

Das Figurenensemble hat mir richtig gut gefallen. Besonders die Mitglieder des geheimen Buchclubs fand ich als Gruppe sehr charmant, lustig und liebenswürdig (auch wenn das eine oder andere Klischee vorhanden war). Die Protagonistin Thea und ihre beschützerische Schwester Liz mochte ich (offensichtlich im Gegensatz zu vielen anderen Leser·innen) ebenfalls sehr. Als Feministin konnte ich Theas Frustration und Unzufriedenheit sehr gut nachvollziehen, immerhin hat sie ihre Karriere für Gavin aufgegeben und musste sich jahrelang alleine um Haushalt und Kinder kümmern – ohne dafür Dankbarkeit und Wertschätzung zu erhalten.

Feminismus (4 Lilien):

Dieser Liebesroman enthält überraschend viel Feminismus: Wir treffen auf starke weibliche Figuren, feministische Themen werden diskutiert (zum Beispiel die Mental Load und die Rolle des Mannes in der heutigen Gesellschaft) und den Bechdel-Test besteht dieser Auftakt ebenfalls problemlos. Auch die Mitglieder des Buchclubs sind zum Glück moderne Männer und keine Chauvinisten. Einen Punkt Abzug gibt es für die vereinzelt vorkommenden Rollenklischees.

„‘Die Abwertung des Pumpkin Spice Latte ist ein perfektes Beispiel dafür, wie toxische Männlichkeit unser Leben bis in die banalsten Alltagsdetails durchdringt. Wenn Frauen etwas mögen, macht sich unsere Gesellschaft automatisch darüber lustig. Wie über Liebesromane.‘" Seite 68


Das lässt mich zwiegespalten zurück…

Geschichte / Themen (3 Lilien):

Ich bin ja eigentlich kein großer Liebesroman-Fan, aber hin und wieder kann ich nicht widerstehen. Bereut habe ich die Lektüre nicht, trotzdem habe ich mir von der großartigen Grundidee mehr erwartet. Der geheime Buchclub und die literarischen Analysen spielen nämlich leider eine viel kleinere Rolle als erhofft. Erfrischend ist bei diesem Werk dafür, dass es einmal nicht um eine neu aufkeimende Liebe geht, sondern um eine bestehende Ehe, die gerettet werden soll. Das genretypische Beziehungsdrama steht trotzdem auch hier im Mittelpunkt. Streckenweise hätte ich mir bei der Behandlung von Themen wie Beziehungskrisen, Selbstverwirklichung und Elternschaft etwas mehr Tiefe gewünscht. Trotzdem hat mich das Buch einige Stunden lang ganz gut unterhalten.

„‘Liebesromane werden hauptsächlich von Frauen für Frauen geschrieben, und darin geht es vor allem darum, wie sie behandelt werden wollen und was sie vom Leben und in einer Beziehung erwarten.‘“ Seite 44

Spannung (3 Lilien):

Typisch für einen Liebesroman hielt sich auch hier die Spannung in Grenzen, vor allem da die Geschichte auch recht vorhersehbar auf ein Happy End zusteuert. Als Thrillerleserin bin ich da natürlich anderes gewohnt und hatte wieder den Eindruck, dass man das Buch gut hätte kürzen können. Trotzdem habe ich mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt – und das schafft nicht jedes Romance-Buch!


Das hat mochte ich nicht…

Kitsch-Level (hoch)

Kitschige Szenen führen bei mir leider nicht zu romantischen Gefühlen, sondern zu akutem Augenrollen während der Lektüre. Dieses Buch kommt zum Glück über weite Strecken ohne Kitsch aus – aber am Ende konnte sich die Autorin wohl nicht mehr zurückhalten und hat noch alles an Kitsch in die letzten Seiten gestopft, was noch irgendwie Platz hatte. Da das wirklich nur das Ende betrifft, war es für mich aber erträglich.


Mein Fazit

„The Secret Book Club“ ist ein überraschend feministischer, moderner Liebesroman, der mich nicht nur einmal zum Lachen gebracht hat und der mich einige Stunden ganz gut unterhalten konnte. Punkteabzug gibt es für das eine oder andere Klischee, den Mangel an Spannung und den übertriebenen Kitsch am Ende. Fans des Genres (zu denen ich ja leider nicht gehöre) können mit diesem Buch aber sicher nichts falsch machen, sondern hier bedenkenlos zugreifen!


Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Lilien
Umsetzung: 3,5 Lilie
Worldbuilding: 3 Lilien
Einstieg: 3 Lilien
Ende: 2 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonist·innen: 4 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 3 Lilien
Wendungen: 2 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3,5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit: 3 Lilien


Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.12.2020

3,5*: Interessantes Sachbuch mit wunderschönen Illustrationen – leider nur bedingt für die Zielgruppe (3+) geeignet !

Das Faultier und die Motte
0

Inhalt

In diesem Buch stehen Symbiosen und Freundschaften im Tierreich im Mittelpunkt – eingerahmt von einer kleinen Geschichte um einen unzufriedenen Kater auf Wanderschaft.

Übersicht

Einzelband oder ...

Inhalt

In diesem Buch stehen Symbiosen und Freundschaften im Tierreich im Mittelpunkt – eingerahmt von einer kleinen Geschichte um einen unzufriedenen Kater auf Wanderschaft.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Altersempfehlung: 3+
Erzählweise: Ich-Erzähler, Sachbuchstil, Präsens
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt oder getötet. Lediglich die Strategien der Beutegreifer werden kurz erläutert. Mich freut es übrigens sehr, dass in diesem Buch einmal keine Katze alleine gehalten wird – so muss das sein, da Katzen in Einzelhaltung unglücklich sind.
Triggerwarnung: -

Warum dieses Buch?

Ich liebe die Illustrationen von Emilia Dziubak, deshalb lasse ich mir auch keine ihrer Neuerscheinungen entgehen!

Meine Meinung

Geschichte / Inhalt (3 Lilien)

„PISTOLENKREBS und GRUNDEL – Die Grundel (ein Fisch) beschützt den Krebs. Der baut dafür die
gemeinsame Höhle.“ E-Book, Seite 4

Bei „Das Faultier und die Motte“ handelt es sich um ein bedingt kindgerechtes Sachbuch über das Tierreich, durch das ein Kater führt. Kleinen Kindern wird es sicher gefallen, die niedliche Katze auf jeder Seite zu suchen und durchs Buch zu begleiten. Thematisch stehen Symbiosen, die Liebe zwischen verschiedenen Tierarten (z. B. Esel und Pferd) und „Freundschaften“ (Zusammenarbeit) im Tierreich im Mittelpunkt. Beschrieben werden bekannte Symbiosen wie die Seeanemone und der Clownfisch, die Orchidee und der Pilz und der Kapuzineraffe und der Feigenbaum. Für Kinder wird jedoch das meiste neu sein – und auch ich konnte noch einiges dazulernen! Wusstet ihr zum Beispiel, dass die Nyala-Antilope und der Pavian zusammenarbeiten, indem sie gegenseitig auf ihre Warnrufe hören? Kindern, die sich für Tiere, Biologie und die Natur interessieren (also so gut wie alle Kinder!) wird es Spaß machen, die verschiedenen Tierfreundschaften in diesem Buch zu entdecken. Auch die Botschaft am Ende, dass es zu Hause, wo man geliebt wird, doch am schönsten ist, hat mir sehr gut gefallen. Am Schluss gibt es noch einen Psycho-Test, mit dem man herausfinden kann, welcher Freundschaftstyp man ist, und ein Labyrinth, das zum Mitmachen animiert.

Ganz so begeistert wie von den anderen Büchern der Autorin, in denen meist herzerwärmende fiktive Geschichten erzählt werden, bin ich von diesem Sachbuch allerdings leider nicht. Das liegt daran, dass es auch Schwächen hat. Mein größter Kritikpunkt ist die schwierige Altersempfehlung. Einerseits soll das Buch für Kinder ab 3 Jahren geeignet sein, dafür ist der Text aber teilweise zu nüchtern, zu schwer verständlich und vermutlich auch nicht interessant genug. Der Psycho-Test mit seinen vielen Antwortmöglichkeiten scheint sich hingegen an Schulkinder zu richten. Andererseits sind die Informationen für ältere Kinder schon wieder zu oberflächlich und das Labyrinth viel zu leicht. Generell finde ich, dass das Buch vieles zu schnell und oberflächlich behandelt. Ich bin mir nicht sicher, ob da wirklich Begeisterung und Interesse geweckt werden können. Ich hätte es besser gefunden, sich hier auf weniger Aspekte zu konzentrieren und dafür mehr in die Tiefe zu gehen (z. B. mehr Bilder zu einer Symbiose). Insgesamt scheint das Buch für keine Altersgruppe so richtig geeignet zu sein, was ich schade finde. Die Idee, dass man mit dem Buch aufwächst, sich zuerst die Bilder anschaut und erst später mit dem Text beschäftigt, wie in manchen Rezensionen vorgeschlagen wurde, finde ich nicht schlecht. Das kann funktionieren.

Allerdings gibt es meiner Meinung nach bessere Sachbücher für kleine Kinder. Hier kann ich zum Beispiel meine letzte Lektüre, „Wenn es Winter wird im Wald“ von Marion Dane Bauer, wärmstens empfehlen. Dort werden Sachinformationen geschickt in eine herzerwärmende Geschichte eingebettet.

Schreibstil (3 Lilien)

„RAUPE DES AMEISENBLÄULINGS und AMEISE – Die Raupe des Ameisenbläulings lockt mit einem süßen Nektar Ameisen an und sondert eine Substanz ab, die die natürliche Aggressivität der Ameisen senkt. Die Ameisen halten die Raupe dadurch für eine Ameisenlarve, füttern sie und ziehen sie groß.“ E-Book, Seite 13

Der Schreibstil an sich hat mir trotz seiner Schwächen (siehe „Inhalt“) nicht schlecht gefallen. Die Bilder sind mit Nummern versehen, die dazu gehörende Erklärung findet sich in „Fußnoten“, also gesammelt in einem Textfeld, wodurch viel Platz für die Illustrationen bleibt. Die Informationen sind kurz und knapp, meist auch leicht verständlich. Fachbegriffe (wie z. B. Bestäubung) werden in einem eigenen Feld erklärt, manchmal sind jedoch trotzdem noch zusätzliche Erklärungen von den Vorlesenden nötig (Woher sollen Kinder zum Beispiel wissen, was der „Stempel“ einer Pflanze ist?).

Figuren (4 Lilien)

Homer ist ein süßer, sympathischer Protagonist, der meiner Meinung nach als Begleitung durch das Buch sehr gut gewählt wurde. In die Tiefe konnte bei der Figurenzeichnung aufgrund seiner kleinen Rolle verständlicherweise aber leider nicht gegangen werden.

Illustrationen (5 Lilien ♥)

Auch dieses Mal überzeugt Emilia Dziubak mit wunderschönen, kunstvollen Illustrationen. Dieses Mal sind ihre gemalten Bilder allerdings nicht so fantasievoll wie gewöhnt, sondern bis auf kleine Details sehr naturnah gehalten. Das nächste Buch der Autorin werde ich mir alleine wegen der Illustrationen sicher wieder nicht entgehen lassen!

Geschlechterrollen (5 Lilien)

Dieses Buch ist (auch aufgrund des tierischen Inhalts) vollkommen frei von Geschlechterstereotypen und klischeehaften Geschlechterrollen.

Mein Fazit

Bei „Das Faultier und die Motte“ handelt es sich um ein bedingt kindgerechtes Sachbuch über das Tierreich, durch das ein Kater führt. Begeistert haben mich auch dieses Mal wieder die wunderschönen, kunstvollen Illustrationen, doch der interessante, aber auch oberflächliche Inhalt und der nüchterne, nicht immer leicht verständliche Schreibstil lassen mich zwiespältig zurück. Die größte Schwäche des Buches ist, dass es für keine Altersgruppe so richtig geeignet ist. Deshalb ist „Das Faultier und die Motte“ sicher nicht das beste Buch der Autorin (ich empfehle hier eher „Linas Reise ins Land Glück“ und „Als Larson das Glück wiederfand“), und es gibt meiner Meinung nach bessere Sachbücher für kleine Kinder. Hier kann ich euch zum Beispiel meine letzte Kinder-Lektüre, „Wenn es Winter wird im Wald“ von Marion Dane Bauer, wärmstens ans Herz legen. Dort werden Sachinformationen geschickt in eine herzerwärmende Geschichte eingebettet. Das nächste Buch der Autorin werde ich mir trotzdem (alleine schon aufgrund der wunderschönen Illustrationen!) wieder nicht entgehen lassen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Geschichte / Inhalt: 3 Lilien
Ausführung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Illustrationen: 5 Lilien ♥
Rollenbilder: 5 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch erhält von mir dreieinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.08.2020

3,5*: Entschleunigende, poetische Liebeserklärung an die Natur & ungewöhnliche Freundschaften – stellenweise leider langatmig!

Offene See
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Der junge Robert soll (zu seinem Missfallen) in die Fußstapfen seines Vaters treten und auch Bergarbeiter werden. Zuerst unternimmt er aber nach dem Schulabschluss (kurz ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Der junge Robert soll (zu seinem Missfallen) in die Fußstapfen seines Vaters treten und auch Bergarbeiter werden. Zuerst unternimmt er aber nach dem Schulabschluss (kurz nach dem 2. Weltkrieg) eine Reise zum Meer. Dabei trifft er auf eine unkonventionelle Dame, die seinen Blick auf die Welt für immer verändern wird…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: mittel bis lang
Tiere im Buch: +/- Es wird Fleisch und Fisch gegessen, Tiere sind nach dem Krieg unterernährt und verhungern. Außerdem berichtet die Hauptfigur, dass sie als Kind aus Spaß Tiere getötet hat. Nichts davon wird im Detail beschrieben und als Erwachsener verhält sich Robert sehr tierlieb.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Tod von Tieren, Suizid, Depressionen, Alkohol, Trauer, Krieg;

Warum dieses Buch?

Zuerst war ich ja unsicher, ob ich das Buch lesen sollte. Ich hatte Angst, dass es vielleicht langatmig sein könnte wegen der Naturbeschreibungen. Die vielen positiven und begeisterten Rezensionen haben mir dann aber keine Ruhe gelassen – also musste ich es auch lesen!

Meine Meinung

Einstieg (2 Lilien)

„Manchmal fühlt es sich an, als würde [mein Körper] fast nur noch von Sehnen der Erinnerung und Bändern der Hoffnung zusammengehalten. Der Verstand ist ein verstaubtes Museum.“ E-Book, Position 33

Den dialogarmen und sehr stillen Einstieg empfand ich leider als etwas zäh. Erst als Robert auf die alte Dame Dulcie trifft, kommt Schwung in die Geschichte. Ab diesem Zeitpunkt war ich in der Geschichte angekommen.

Schreibstil (4 Lilien)

„‘Die Nacht legte sich über die Wiese wie ein Schleppnetz, das langsam in tieferes Wasser sinkt, und die untergehende Sonne tauchte alles in Dunkelheit.‘“ E-Book, Position 681

Auf die Schönheit des Schreibstils wurden einige Lobeshymnen gesungen, weswegen ich Großartiges erwartete. Tatsächlich lässt sich das Buch trotz seiner komplexen Sprache sehr angenehm und flüssig lesen, Benjamin Myers schreibt poetisch und schön. Trotzdem haben mich seine Naturbeschreibungen und Vergleiche nicht durchgehend begeistert, ich habe großartigere, kreativere sprachliche Bilder erwartet und mich leider nicht so in die Sprache verliebt, wie ich mir das erhofft hätte.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3,5 Lilien)

„‘Das da draußen ist die offene See‘, sagte Dulcie leise. ‚Dieser ferne Streifen, wo Himmel und Wasser eins werden.‘“ E-Book, Position 1252

Mit „Offene See“ hat Benjamin Myers eine entschleunigende, poetische Liebeserklärung an die Natur und ungewöhnliche Freundschaften geschrieben, der viele starke Momente enthält, mich aber trotzdem nicht auf ganzer Linie überzeugen konnte.

Richtig gut gefallen hat mir die Entschleunigung im Roman, dieses Erkennen der Schönheit der Natur und das Wertschätzen der einfachen Dinge. Das Buch sollte übrigens lieber nicht mit hungrigem Bauch gelesen werden, weil einem die wunderbaren Essenbeschreibungen das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen! Dem Autor gelingt es sogar, einem frisches, kühles Wasser so schmackhaft zu machen, dass man sofort etwas trinken will! Auch Themen wie Liebe, Tod, Vergänglichkeit, Krieg, Bildung, Literatur, gesellschaftliche Konventionen und Erwartungen und LGBT-Themen werden teilweise tiefgründig behandelt, was mir sehr gut gefallen hat. Immer wieder hat mich der Autor mit seinem Roman zum Nachdenken gebracht. Auch den Humor, der an manchen Stellen durchblitzt, mochte ich sehr. Ein passendes, gelungenes Ende rundet die Geschichte perfekt ab.

Trotzdem waren es mir stellenweise zu viele Naturbeschreibungen, durch die sich die Geschichte oft zog und langatmig war. An manchen Stellen hätte ich mir noch mehr Tiefe gewünscht und außerdem fürchte ich, dass der Roman nicht allzu lange nachwirken wird.

„‘Niemand gewinnt einen Krieg wirklich; manche verlieren bloß ein bisschen weniger als andere.‘“ E-Book, Position 76

Protagonist & Figuren (3 Lilien & 5 Lilien ♥)

„‘Wie spät ist es?‘
‚Ich habe keine Ahnung‘, sagte sie. ‚Ich besitze nämlich keine Uhr.‘“ E-Book, Position 740

Mit Dulcie hat der Autor eine ungewöhnliche, erfrischend unkonventionelle und absolut unvergessliche weibliche Figur geschaffen. Ich liebe ihre direkte, unverblümte Art, ihre Unabhängigkeit, ihr Hinwegsetzen über gesellschaftliche Normen, ihre Intelligenz und ihre Liebe zur Literatur. Sie ist für mich das Beste am ganzen Buch!

Robert hingegen, unser eigentlicher Protagonist, bleibt dagegen ein wenig blass. Er hätte durchaus noch etwas mehr Persönlichkeit und Ecken und Kanten haben dürfen. Stattdessen schien er nur aus klischeehaften Attributen zu bestehen, um einen Kontrast zu Dulcie zu bilden: Jugend, mangelnder Bildung, Arbeiterklasse, Selbstfindung, Unerfahrenheit. Aus dieser Figur hätte man noch mehr machen können!

Spannung (2 Lilien) & Atmosphäre (5 Lilien ♥)

„‘Denn nichts anderes sind Gespenster: die nackten Wahrheiten, denen wir lieber nicht ins Gesicht sehen, oder die Stimmen derjenigen, die wir im Stich gelassen haben. Wir tragen unsere eigenen Gespenster in uns, mit denen wir uns selbst heimsuchen.‘“ E-Book, Position 2048

Trotz des Geheimnisses, das Dulcie zu haben scheint und das von Anfang an angedeutet wird, ist der Roman sehr spannungsarm, obwohl er ja eigentlich recht kurz ist. Mir war er stellenweise zu zäh und langatmig, besonders wenn Robert alleine war. Da musste ich mich manchmal schon aufraffen, das Buch zur Hand zu nehmen. Die Gespräche mit Dulcie hingegen fand ich sehr lebendig und unterhaltsam.

Dafür punktet „Offene See“ mit seiner dichten englischen Landatmosphäre in der Nachkriegszeit, die ich sehr genossen haben! Wenn man das Buch im Sommer liest, kann man (wie ich) sicher noch besser in die Geschichte eintauchen. Man hat beim Lesen das Summen der Bienen im Ohr, köstlichen Essensgeruch in der Nase und fühlt den lauen Sommerwind im Gesicht. Toll!

Feministischer Blickwinkel (4,5 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++

Eine feministische Analyse dieses Romans fällt positiv aus. Das Buch besteht den Bechdel-Test, enthält starke, intelligente weibliche Figuren und sogar ein weibliches Genie (endlich!). Zusätzlich werden auch LGBT-Themen angesprochen und gesellschaftliche Normen kritisiert. Zudem ist das Buch großteils (bis auf wenige Ausnahmen) frei von Geschlechterstereotypen.

Mein Fazit

Mit „Offene See“ hat Benjamin Myers eine entschleunigende, poetische Liebeserklärung an die Natur und ungewöhnliche Freundschaften geschrieben, der viele starke Momente enthält, mich aber trotzdem nicht auf ganzer Linie überzeugen konnte. Gefallen haben mir der flüssige, komplexe, schöne und poetische Schreibstil, die unkonventionelle Dulcie, die starken weiblichen Figuren, die Entschleunigung, das Erkennen der Schönheit der Natur, die Zufriedenheit mit den einfachen Dingen, die köstlichen Essensbeschreibungen, der Humor, die Dialoge, die Behandlung und Auswahl der Themen und die dichte Landatmosphäre. Nicht überzeugen konnte mich der schwierige Einstieg, der etwas blasse Protagonist, die ausufernden Naturbeschreibungen (mir waren es zu viele), das fehlende Nachhallen des Romans und die mangelnde Spannung. Zudem hätte ich mir großartigere, kreativere sprachliche Bilder und an manchen Stellen mehr Tiefe gewünscht. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung gibt es von mir nicht, aber wer gerne stille, atmosphärische Bücher über ungewöhnliche Freundschaften liest, wird den Griff zu diesem Roman bestimmt nicht bereuen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Lilien
Umsetzung: 3,5 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 2 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonist: 3 Lilien
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 2 Lilie
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 3,5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4,5 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Lilien!

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