Ich habe das Buch nun zweimal gelesen und komme immer wieder zum selben Schluss. Ich habe seit langem, ach seit Ewigkeiten, nichts besseres gelesen als diese Geschichte. Es geht scheinbar um eine Tötung, ...
Ich habe das Buch nun zweimal gelesen und komme immer wieder zum selben Schluss. Ich habe seit langem, ach seit Ewigkeiten, nichts besseres gelesen als diese Geschichte. Es geht scheinbar um eine Tötung, einen vermeintlichen Mord. Aber eigentlich geht es um das Leben von Kya, dem sogenannten Marschmädchen, um ihre Ausgrenzung, ihre Form des Andersseins. Es geht um Liebe, gesellschaftliche Klassenunterschiede, Diskriminierung, Vorurteile. Es geht um eine herrliche Natur, zu der sich Kya verbunden fühlt, die sie liebt und lebt. Weil sie musste und weil sie es kann. Durch den gekonnten, nüchtern und zugleich sehr feinfühlig beschreibenden Erzählstil gelingt es Delia Owens, in mir eine große Sympathie für Kya zu entfachen, die mich von Anfang an um dieses Kind bangen lässt. Ich hoffe auf Toleranz für Kya, ich wünsche ihr Anerkennung und Respekt, Glück und Frieden für ihre Seele. Dieses Buch lässt meine Tränen nicht trocken, macht mein Herz warm. Ein Plädoyer für Großherzigkeit, Mitgefühl und Toleranz für alle Menschen, egal wie fremd sie scheinbar wirken.
Isabel Allende erzählt in ihrem berührenden, klaren Erzählstil eine authentische Geschichte über Flucht, Exil, Liebe, Ankommen, Familienbande und Menschlichkeit; eingebettet in den historischen Kontext ...
Isabel Allende erzählt in ihrem berührenden, klaren Erzählstil eine authentische Geschichte über Flucht, Exil, Liebe, Ankommen, Familienbande und Menschlichkeit; eingebettet in den historischen Kontext von 1938 bis 1994 in Spanien, Chile und Venezuela. Die Leser*innen erleben die Kriegswirren von Franco, den System-Change von Allende zu Pinochet und den Weg Chiles zur Demokratie, welche engen Einfluss auf das Leben des Arztes Victor, der Pianistin Roser und anderer Familienmitglieder haben. Berührt wird deren Weg von Salvador Allende und Pablo Neruda, die ganz glaubhaft in die Story verwoben sind.
Der Roman hat auch autobiographische Züge und ist damit ein Dokument zeitgenössischer Literatur auf dem südamerikanischen Kontinent, ganz so wie man es von Isabel Allende kennt. Ein Buch zum fesseln Lassen, zum Eintauchen und Miterleben.
Die meisten Unfälle passieren im Hormonhaushalt. So auch in Motte, der eigentlich Morten heißt. Mitten im Umbauprozess befindlich schildert Motte knapp ein Jahr seines Teenagerlebens. Ihm passiert die ...
Die meisten Unfälle passieren im Hormonhaushalt. So auch in Motte, der eigentlich Morten heißt. Mitten im Umbauprozess befindlich schildert Motte knapp ein Jahr seines Teenagerlebens. Ihm passiert die erste Begegnung mit Mädchen ebenso wie die Begleitung seines schwerkranken besten Freundes und die Scheidung der Eltern nebst Umzug. Man fragt sich beim Lesen, ist das nicht eigentlich alles tragisch oder ist es doch so komisch wie es durch die Erzählstimme aus Mottes Kopf kommt? Es ist beides zugleich! Und das macht den Charme dieses Buches aus. Motte ist so verpeilt, unbeholfen, kann Emotionen nicht erkennen, benennen, einordnen und geschweige denn in eigenes Handeln implementieren. Wer als Leser mitten in der Pubertät drin steckt, fühlt sich völlig und endlich mal verstanden. Wer schon raus ist, schämt sich fremd, steigt wieder ein und fühlt innerlich wieder mit, während man äußerlich den Kopf schüttelt. Ein Buch, um seine pubertierenden Kinder wieder besser verstehen zu können und für alle die, die nochmals froh sein wollen, dass sie das hinter sich haben.
Katja lebt 1930 in der Ukraine als Stalin beginnt, die ukrainische Bevölkerung auszuhungern. Katjas Vater Tato sagt da: „Es ist jedes Mal dasselbe. Seit Jahrhunderten. Jeder will die fruchtbare Erde der ...
Katja lebt 1930 in der Ukraine als Stalin beginnt, die ukrainische Bevölkerung auszuhungern. Katjas Vater Tato sagt da: „Es ist jedes Mal dasselbe. Seit Jahrhunderten. Jeder will die fruchtbare Erde der Ukraine für sich, und niemand will sie den Ukrainern lassen.“ Auf diese Geschichte zurückgeblickt steht der Ukraine genau dieses Schicksal wieder bevor. „Stalins Plan, die verbliebenen Ukrainer durch Terror zu zwingen, sich ihm zu unterwerfen, schien genau so zu funktionieren, wie er es sich erhofft hatte.“ Holodomor. Millionen Ukrainer verhungern. In dieser Zeit spielt die berührende, schmerzhafte und tragische Geschichte rund um Katja, die ihr Leben ab 1930 in einem Tagebuch festhält. Plastisch sehe ich als Leserin die Ereignisse vor mir, mit aller Brutalität der Worte, die Erin Litteken gekonnt wählt und Emotionen erzeugt. Mitgefühl, Fassungslosigkeit, Entsetzen. Von der ersten Zeile an konnte ich beim Lesen mitfiebern und hoffen, hoffen, hoffen, dass es Katja schaffen wird. Unterstützt wird dies schriftstellerisch gekonnt durch eine zweite Zeitebene, die 2004 in den USA beginnt und die Aufarbeitung von Katjas Geschichte durch Cassie und ihre Familie zum Kern hat. Die ukrainischstämmige Großmutter Bobby wird hier zur zentralen Figur und deren Lebensweisheiten finden auch in Cassies Leben Verankerung. Beide Zeitebenen sind geschickt miteinander verzahnt, teasern sich gegenseitig und ergeben am Ende eine gemeinsame Geschichte.
Die Historie der Ukraine mit dem Holodomor und dann dem Zweiten Weltkrieg ist bewegend, was dieses Buch aufzeigt. Seit sich 2022 der russische Überfall auf die Ukraine einreiht, wird deutlich, dass der Slogan „Slawa Ukrajini“ mehr als das ist. Ehre der Ukraine und den Menschen, die eine solche Geschichte tragen. Es wird Zeit, dass man die Ukraine dem Volk der Ukrainer lässt, ganz so wie Tato es 1930 gemeint hat.
Dieses Buch ist ein Muss in der heutigen Zeit und allen zu empfehlen, die näher in die ukrainische Geschichte eintauchen möchten, die sich für die Aufarbeitung der Verbrechen Stalins interessieren und die offen sind für menschliche Schicksale, gestern wie heute.
Ela schildert kindlich ehrlich ihre Erlebnisse in den Jahren 1983 bis 1986, im Hunsrück aufwachsend. Ela erlebt ihre Familie mit ganzer Kinderseele, ohnmächtig gegen das Schicksal der Geburtsfamilie. Die ...
Ela schildert kindlich ehrlich ihre Erlebnisse in den Jahren 1983 bis 1986, im Hunsrück aufwachsend. Ela erlebt ihre Familie mit ganzer Kinderseele, ohnmächtig gegen das Schicksal der Geburtsfamilie. Die Beziehung der Eltern ist geprägt vom Bodyshaming des Vaters gegen die übergewichtige Mutter, der Nichtachtung von Individualität der Mutter und dem Egozentrismus des Vaters. Wie in den 80er Jahren weit verbreitet wird das Subjekt in einer Frau weniger wahrgenommen und akzeptiert, insbesondere weil der Vater sich per se höherwertig erlebt, forciert durch das minderwertige Aussehen der Mutter aufgrund ihrer Körperfülle. Der Vater versucht ganz im Sinne einer behavioristischen Erziehung durch Herablassungen seiner Frau diese zu Diäten mit Gewichtsverlust zu bewegen. Triebfeder ist die eigene Aufwertung des Mannes durch eine angesehene Optik der Partnerin. Elas Mutter aber reagiert mit ihrem eigenen Kopf, Entscheidungen über den Vater hinweg treffend, dessen Angriffen ausweichend, auch weil heimliches Essen ihr Kompensationsmechanismus ist. Dass dieses Umfeld für Ela belastend ist, wird deutlich, indem Ela bspw. beginnt, ihre Mutter mit den Augen des Vaters abschätzig zu sehen. Auch instrumentalisiert die Mutter ihr Kind in diesem Beziehungskonflikt, bspw. indem Ela Erlebtes und ihr Mitwissen gegenüber dem Vater verschweigen solle, weil sie ja wisse, wie er ist. Auch Bemerkungen der Mutter wie „du und dein Vater. Dann fahre ich irgendwann gegen den nächsten Baum“ bezeugen die Gefährlichkeit für die Kinderseele. „In dem Kammerspiel mit Namen Familie wird das Kind nicht selten zum Blitzableiter der Kräfte, denen die Frau im Patriarchat unterworfen ist.“
Zusammen ergibt sich ein Bild von einer weit verbreiteten Form psychischer Gewalt durch Blicke, Worte, Auslassungen und der fehlenden Wertschätzung der Care-Tätigkeiten von Frauen: Elas Mutter arbeitet, versorgt zwei Kinder, eine pflegebedürftige Mutter, sorgt für den Hausbau, kümmert sich um ein Nachbarskind, studiert phasenweise nebenbei während der Vater seinem beruflichen Werdegang nachjagt. Das hier vorgelebte Beziehungsbild ist toxisch und wird schriftstellerisch geschickt begleitet. Die Kapitel der Erzählungen aus Elas Perspektive werden alternierend mit Blicken auf der Metaebene des erwachsenen Ichs der Autorin aneinander gereiht. So wird der Schmerz beim Lesen der Schilderungen zugleich therapeutisch reflexiv aufgefangen. Die Schilderungen aus kindlicher und erwachsener Perspektive sind absolut authentisch und glaubhaft, was ich aus meinen Erlebnissen in der eigenen Herkunftsfamilie mit ähnlichen Mustern wahrhaft bestätigen kann. Wer nur ein wenig Herz hat, entwickelt große Empathie für Beteiligte, die in diesem Haus leben.
Schön finde ich auch, dass hier nicht ganz deutlich wird, welche Elemente autobiographisch und autofiktiv sind. Ich gebe eine absolute Leseempfehlung für alle, die gern in das Leben anderer eintauchen, „unsichtbare“ Frauen übersehen oder als solche übergangen werden.