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Veröffentlicht am 14.08.2022

Unterhält, informiert und berührt!

Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?
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Die Eindrücke:

Inhalt: John Green ist bisher vor allem für seine international bekannten Jugendbücher (zum Beispiel "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken", "Eine wie Alaska" oder "Das Schicksal ist ein mieser ...

Die Eindrücke:

Inhalt: John Green ist bisher vor allem für seine international bekannten Jugendbücher (zum Beispiel "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken", "Eine wie Alaska" oder "Das Schicksal ist ein mieser Verräter"), aber auch als Podcaster und YouTuber bekannt. Mit der Essaysammlung "Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen" mischt er philosophische Gedanken über Existenz, Genie, Menschsein, Hoffnung und Zukunft mit gut recherchierte Fakten und persönlichen, autobiografischen Einblicken in sein bisheriges Leben, den Umgang mit der Corona-Pandemie und psychische Belastungen. Ob John Green mit den 44 kurzen Essays wirklich die Essenz des Anthropozän - also des vom Einfluss der Menschheit dominierten Erdzeitalters - trifft, ist jedoch fragwürdig. Die Auswahl der Themen, sinnbildlich für das aktuelle Zeitalter der Menschen auf der Erde stehen sollen, wirkte auf mich leider etwas trivial und litt unter einem starken Fokus auf USA-spezifische Orte, Produkte, Traditionen und Lebensrealitäten wie zum Beispiel Diet Dr. Pepper, CNN, Indianapolis oder die Bonneville Salt Flats, mit denen eine internationale wohl weniger anfangen kann. Der große Aha-Effekt zum Anthropozän blieb bei mir also aus, da es sich unterm Strich mehr um einen subjektiven, autobiografischen Erlebnisbericht als um ein Sachbuch handelt. Wer also schon immer mal einen authentischen und an einigen Stellen beinahe intimen Blick auf den sympathischen Menschen hinter den erfolgreichen Bestsellern werfen wollte, wird hier spannende Einblicke erleben.

Schreibstil: Die große Stärke des Romans ist, dass er sich trotz des enormen inhaltlichen und emotionalen Tiefgangs humorvoll und leicht lesen lässt. Der Mix aus unterhaltsamen Fun Facts, existenziellen Gedanken und persönlichen Anekdoten funktioniert unfassbar gut und so unterhält, informiert und berührt "Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen?" uns LeserInnen gleichermaßen. Man merkt den kurzen 2-7-seitigen Essays auch stark an, dass John Green durch seinen schriftstellerischen Werdegang darin geübt ist, komplexe Themen verständlich auf den Punkt zu bringen und seine Meinung zu äußern. So werden wir beim Lesen weder über- noch unterfordert und zwischen seiner ganz persönlichen Perspektive und wissenswerten Fakten bleibt genügend Raum für eigene Gedanken. Naturgemäß gefielen mir dabei einige Essays besser als andere. Während beispielsweise der Artikel über "die zeitliche Verbreitung der Menschheit" gekonnt informiert hat, mich Greens Gedanken zu "unserer Fähigkeit zu staunen" bewegt und zum Nachdenken angeregt haben, habe ich wieder andere wie beispielsweise sein Essay über die mir völlig unbekannte Band "The Mountain Goats" nur teilnahmslos überflogen. Festzuhalten ist jedoch, dass jedes der Themen sorgsam von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, bevor eine subjektive Sternebewertung am Ende jedes Essays erfolgt und er damit den Kern des Menschseins trifft: wir sind die einzige lebendige uns bekannte Spezies, die über ihre Existenz, ihren Einfluss auf die Welt und ihre Zukunft reflektieren und nachgrübeln kann und das macht das Anthropozän zu einer Zeit, die gleichsam voller Schrecken und Wunder ist!


Die Zitate:


“Kann sein, dass wir nie erfahren werden, warum wir hier sind, aber wir können hoffnungsvoll behaupten, dass wir hier sind. Ich finde nicht, dass diese Art von Hoffnung albern oder idealistisch oder abwegig ist. Wir leben in Hoffnung – dass das Leben besser wird, und vor allem, dass es weitergeht, dass die Liebe überdauert, obwohl wir es nicht tun.”

“Ich weiß, dass wir überall Wunden geschlagen und Narben hinterlassen haben und dass unser besessenes Verlangen, zu machen, zu haben, zu tun, zu sagen, zu gehen und zu wollen – im Englischen mit die häufigsten Verben -, uns letztendlich die Fähigkeit rauben werden, einfach zu sein, das häufigste Verb im Englischen.”

“Ich habe mein ganzes bisheriges Leben gebraucht, um mich in die Welt zu verlieben, aber seit ein paar Jahren kann ich es selbst spüren. Wenn man sich in die Welt verliebt, heißt das nicht, dass man über das Leiden hinwegsieht, sei es nun menschlicher oder anderer Art. Sich in die Welt zu verlieben bedeutet für mich, zum Nachthimmel aufzublicken und zu spüren, wie der Verstand angesichts der Schönheit und der Ferne der Sterne ins Schwimmen gerät. Es bedeutet, unsere Kinder an uns zu drücken, wenn sie weinen, oder zuzusehen, wenn im Juni die Platanen austreiben. Wenn mein Brustbein schmerzt, wenn sich mein Hals zusammenzieht und wenn mir Tränen in die Augen schießen, dann will ich diese Gefühle nicht an mich heranlassen. Ich möchte sie ironisch abwehren und auch sonst nichts unversucht lassen, damit ich sie nicht direkt spüre. Wir alle wissen, wie das Lieben endet. Ich möchte mich aber trotzdem in die Welt verlieben, möchte, dass sie meine Schale aufbricht. Solange ich hier bin, möchte ich alles spüren, was es zu spüren gibt.”

“Man kann die Zukunft nicht vorhersehen - nicht die Schrecken, natürlich nicht, aber auch nicht die bevorstehenden Wunder, die Augenblicke lichtdurchfluteter Freude, die jeden von uns erwarten.”

“Wie hat mir das Anthropozän bis jetzt gefallen? Es ist voller Wunder! (...) Wie hat mir das Anthropozän bis jetzt gefallen? Es ist schrecklich!”


Das Urteil:


"Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen" ist sowohl lehrreich als auch unterhaltsam und weiß zusätzlich mit autobiografischen Einblicken in das Leben John Greens zu begeistern. Wir lernen hier aufgrund der stark subjektiven und zusätzlich sehr amerikanischen Perspektive zwar mehr über den Autor als Individuum als über die Menschheit im Allgemeinen, dieses Sachbuch ist aber so charmant, einfühlsam und humorvoll geschrieben, dass man sich beim Lesen ein bisschen in die Welt, die Menschheit, den Autor und sich selbst verliebt!

Auch wenn es einer gewissen Ironie nicht entbehrt, eine Rezensionssammlung mit 5-Sterne-System in eben diesem 5-Sterne-System zu bewerten, vergebe ich hoffnungsvolle 4,5 Sterne mit leicht realistischem Einschlag für das Anthropozän und dieses Sachbuch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.08.2022

Unterhält, informiert und berührt!

Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?
0

Die Eindrücke:

Inhalt: John Green ist bisher vor allem für seine international bekannten Jugendbücher (zum Beispiel "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken", "Eine wie Alaska" oder "Das Schicksal ist ein mieser ...

Die Eindrücke:

Inhalt: John Green ist bisher vor allem für seine international bekannten Jugendbücher (zum Beispiel "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken", "Eine wie Alaska" oder "Das Schicksal ist ein mieser Verräter"), aber auch als Podcaster und YouTuber bekannt. Mit der Essaysammlung "Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen" mischt er philosophische Gedanken über Existenz, Genie, Menschsein, Hoffnung und Zukunft mit gut recherchierte Fakten und persönlichen, autobiografischen Einblicken in sein bisheriges Leben, den Umgang mit der Corona-Pandemie und psychische Belastungen. Ob John Green mit den 44 kurzen Essays wirklich die Essenz des Anthropozän - also des vom Einfluss der Menschheit dominierten Erdzeitalters - trifft, ist jedoch fragwürdig. Die Auswahl der Themen, sinnbildlich für das aktuelle Zeitalter der Menschen auf der Erde stehen sollen, wirkte auf mich leider etwas trivial und litt unter einem starken Fokus auf USA-spezifische Orte, Produkte, Traditionen und Lebensrealitäten wie zum Beispiel Diet Dr. Pepper, CNN, Indianapolis oder die Bonneville Salt Flats, mit denen eine internationale wohl weniger anfangen kann. Der große Aha-Effekt zum Anthropozän blieb bei mir also aus, da es sich unterm Strich mehr um einen subjektiven, autobiografischen Erlebnisbericht als um ein Sachbuch handelt. Wer also schon immer mal einen authentischen und an einigen Stellen beinahe intimen Blick auf den sympathischen Menschen hinter den erfolgreichen Bestsellern werfen wollte, wird hier spannende Einblicke erleben.

Schreibstil: Die große Stärke des Romans ist, dass er sich trotz des enormen inhaltlichen und emotionalen Tiefgangs humorvoll und leicht lesen lässt. Der Mix aus unterhaltsamen Fun Facts, existenziellen Gedanken und persönlichen Anekdoten funktioniert unfassbar gut und so unterhält, informiert und berührt "Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen?" uns LeserInnen gleichermaßen. Man merkt den kurzen 2-7-seitigen Essays auch stark an, dass John Green durch seinen schriftstellerischen Werdegang darin geübt ist, komplexe Themen verständlich auf den Punkt zu bringen und seine Meinung zu äußern. So werden wir beim Lesen weder über- noch unterfordert und zwischen seiner ganz persönlichen Perspektive und wissenswerten Fakten bleibt genügend Raum für eigene Gedanken. Naturgemäß gefielen mir dabei einige Essays besser als andere. Während beispielsweise der Artikel über "die zeitliche Verbreitung der Menschheit" gekonnt informiert hat, mich Greens Gedanken zu "unserer Fähigkeit zu staunen" bewegt und zum Nachdenken angeregt haben, habe ich wieder andere wie beispielsweise sein Essay über die mir völlig unbekannte Band "The Mountain Goats" nur teilnahmslos überflogen. Festzuhalten ist jedoch, dass jedes der Themen sorgsam von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, bevor eine subjektive Sternebewertung am Ende jedes Essays erfolgt und er damit den Kern des Menschseins trifft: wir sind die einzige lebendige uns bekannte Spezies, die über ihre Existenz, ihren Einfluss auf die Welt und ihre Zukunft reflektieren und nachgrübeln kann und das macht das Anthropozän zu einer Zeit, die gleichsam voller Schrecken und Wunder ist!


Die Zitate:


“Kann sein, dass wir nie erfahren werden, warum wir hier sind, aber wir können hoffnungsvoll behaupten, dass wir hier sind. Ich finde nicht, dass diese Art von Hoffnung albern oder idealistisch oder abwegig ist. Wir leben in Hoffnung – dass das Leben besser wird, und vor allem, dass es weitergeht, dass die Liebe überdauert, obwohl wir es nicht tun.”

“Ich weiß, dass wir überall Wunden geschlagen und Narben hinterlassen haben und dass unser besessenes Verlangen, zu machen, zu haben, zu tun, zu sagen, zu gehen und zu wollen – im Englischen mit die häufigsten Verben -, uns letztendlich die Fähigkeit rauben werden, einfach zu sein, das häufigste Verb im Englischen.”

“Ich habe mein ganzes bisheriges Leben gebraucht, um mich in die Welt zu verlieben, aber seit ein paar Jahren kann ich es selbst spüren. Wenn man sich in die Welt verliebt, heißt das nicht, dass man über das Leiden hinwegsieht, sei es nun menschlicher oder anderer Art. Sich in die Welt zu verlieben bedeutet für mich, zum Nachthimmel aufzublicken und zu spüren, wie der Verstand angesichts der Schönheit und der Ferne der Sterne ins Schwimmen gerät. Es bedeutet, unsere Kinder an uns zu drücken, wenn sie weinen, oder zuzusehen, wenn im Juni die Platanen austreiben. Wenn mein Brustbein schmerzt, wenn sich mein Hals zusammenzieht und wenn mir Tränen in die Augen schießen, dann will ich diese Gefühle nicht an mich heranlassen. Ich möchte sie ironisch abwehren und auch sonst nichts unversucht lassen, damit ich sie nicht direkt spüre. Wir alle wissen, wie das Lieben endet. Ich möchte mich aber trotzdem in die Welt verlieben, möchte, dass sie meine Schale aufbricht. Solange ich hier bin, möchte ich alles spüren, was es zu spüren gibt.”

“Man kann die Zukunft nicht vorhersehen - nicht die Schrecken, natürlich nicht, aber auch nicht die bevorstehenden Wunder, die Augenblicke lichtdurchfluteter Freude, die jeden von uns erwarten.”

“Wie hat mir das Anthropozän bis jetzt gefallen? Es ist voller Wunder! (...) Wie hat mir das Anthropozän bis jetzt gefallen? Es ist schrecklich!”


Das Urteil:


"Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen" ist sowohl lehrreich als auch unterhaltsam und weiß zusätzlich mit autobiografischen Einblicken in das Leben John Greens zu begeistern. Wir lernen hier aufgrund der stark subjektiven und zusätzlich sehr amerikanischen Perspektive zwar mehr über den Autor als Individuum als über die Menschheit im Allgemeinen, dieses Sachbuch ist aber so charmant, einfühlsam und humorvoll geschrieben, dass man sich beim Lesen ein bisschen in die Welt, die Menschheit, den Autor und sich selbst verliebt!

Auch wenn es einer gewissen Ironie nicht entbehrt, eine Rezensionssammlung mit 5-Sterne-System in eben diesem 5-Sterne-System zu bewerten, vergebe ich hoffnungsvolle 4,5 Sterne mit leicht realistischem Einschlag für das Anthropozän und dieses Sachbuch.

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Veröffentlicht am 14.08.2022

Unterhält, informiert und berührt!

Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?
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Die Eindrücke:

Inhalt: John Green ist bisher vor allem für seine international bekannten Jugendbücher (zum Beispiel "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken", "Eine wie Alaska" oder "Das Schicksal ist ein mieser ...

Die Eindrücke:

Inhalt: John Green ist bisher vor allem für seine international bekannten Jugendbücher (zum Beispiel "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken", "Eine wie Alaska" oder "Das Schicksal ist ein mieser Verräter"), aber auch als Podcaster und YouTuber bekannt. Mit der Essaysammlung "Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen" mischt er philosophische Gedanken über Existenz, Genie, Menschsein, Hoffnung und Zukunft mit gut recherchierte Fakten und persönlichen, autobiografischen Einblicken in sein bisheriges Leben, den Umgang mit der Corona-Pandemie und psychische Belastungen. Ob John Green mit den 44 kurzen Essays wirklich die Essenz des Anthropozän - also des vom Einfluss der Menschheit dominierten Erdzeitalters - trifft, ist jedoch fragwürdig. Die Auswahl der Themen, sinnbildlich für das aktuelle Zeitalter der Menschen auf der Erde stehen sollen, wirkte auf mich leider etwas trivial und litt unter einem starken Fokus auf USA-spezifische Orte, Produkte, Traditionen und Lebensrealitäten wie zum Beispiel Diet Dr. Pepper, CNN, Indianapolis oder die Bonneville Salt Flats, mit denen eine internationale wohl weniger anfangen kann. Der große Aha-Effekt zum Anthropozän blieb bei mir also aus, da es sich unterm Strich mehr um einen subjektiven, autobiografischen Erlebnisbericht als um ein Sachbuch handelt. Wer also schon immer mal einen authentischen und an einigen Stellen beinahe intimen Blick auf den sympathischen Menschen hinter den erfolgreichen Bestsellern werfen wollte, wird hier spannende Einblicke erleben.

Schreibstil: Die große Stärke des Romans ist, dass er sich trotz des enormen inhaltlichen und emotionalen Tiefgangs humorvoll und leicht lesen lässt. Der Mix aus unterhaltsamen Fun Facts, existenziellen Gedanken und persönlichen Anekdoten funktioniert unfassbar gut und so unterhält, informiert und berührt "Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen?" uns LeserInnen gleichermaßen. Man merkt den kurzen 2-7-seitigen Essays auch stark an, dass John Green durch seinen schriftstellerischen Werdegang darin geübt ist, komplexe Themen verständlich auf den Punkt zu bringen und seine Meinung zu äußern. So werden wir beim Lesen weder über- noch unterfordert und zwischen seiner ganz persönlichen Perspektive und wissenswerten Fakten bleibt genügend Raum für eigene Gedanken. Naturgemäß gefielen mir dabei einige Essays besser als andere. Während beispielsweise der Artikel über "die zeitliche Verbreitung der Menschheit" gekonnt informiert hat, mich Greens Gedanken zu "unserer Fähigkeit zu staunen" bewegt und zum Nachdenken angeregt haben, habe ich wieder andere wie beispielsweise sein Essay über die mir völlig unbekannte Band "The Mountain Goats" nur teilnahmslos überflogen. Festzuhalten ist jedoch, dass jedes der Themen sorgsam von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, bevor eine subjektive Sternebewertung am Ende jedes Essays erfolgt und er damit den Kern des Menschseins trifft: wir sind die einzige lebendige uns bekannte Spezies, die über ihre Existenz, ihren Einfluss auf die Welt und ihre Zukunft reflektieren und nachgrübeln kann und das macht das Anthropozän zu einer Zeit, die gleichsam voller Schrecken und Wunder ist!


Die Zitate:


“Kann sein, dass wir nie erfahren werden, warum wir hier sind, aber wir können hoffnungsvoll behaupten, dass wir hier sind. Ich finde nicht, dass diese Art von Hoffnung albern oder idealistisch oder abwegig ist. Wir leben in Hoffnung – dass das Leben besser wird, und vor allem, dass es weitergeht, dass die Liebe überdauert, obwohl wir es nicht tun.”

“Ich weiß, dass wir überall Wunden geschlagen und Narben hinterlassen haben und dass unser besessenes Verlangen, zu machen, zu haben, zu tun, zu sagen, zu gehen und zu wollen – im Englischen mit die häufigsten Verben -, uns letztendlich die Fähigkeit rauben werden, einfach zu sein, das häufigste Verb im Englischen.”

“Ich habe mein ganzes bisheriges Leben gebraucht, um mich in die Welt zu verlieben, aber seit ein paar Jahren kann ich es selbst spüren. Wenn man sich in die Welt verliebt, heißt das nicht, dass man über das Leiden hinwegsieht, sei es nun menschlicher oder anderer Art. Sich in die Welt zu verlieben bedeutet für mich, zum Nachthimmel aufzublicken und zu spüren, wie der Verstand angesichts der Schönheit und der Ferne der Sterne ins Schwimmen gerät. Es bedeutet, unsere Kinder an uns zu drücken, wenn sie weinen, oder zuzusehen, wenn im Juni die Platanen austreiben. Wenn mein Brustbein schmerzt, wenn sich mein Hals zusammenzieht und wenn mir Tränen in die Augen schießen, dann will ich diese Gefühle nicht an mich heranlassen. Ich möchte sie ironisch abwehren und auch sonst nichts unversucht lassen, damit ich sie nicht direkt spüre. Wir alle wissen, wie das Lieben endet. Ich möchte mich aber trotzdem in die Welt verlieben, möchte, dass sie meine Schale aufbricht. Solange ich hier bin, möchte ich alles spüren, was es zu spüren gibt.”

“Man kann die Zukunft nicht vorhersehen - nicht die Schrecken, natürlich nicht, aber auch nicht die bevorstehenden Wunder, die Augenblicke lichtdurchfluteter Freude, die jeden von uns erwarten.”

“Wie hat mir das Anthropozän bis jetzt gefallen? Es ist voller Wunder! (...) Wie hat mir das Anthropozän bis jetzt gefallen? Es ist schrecklich!”


Das Urteil:


"Wie hat Euch das Anthropozän bis jetzt gefallen" ist sowohl lehrreich als auch unterhaltsam und weiß zusätzlich mit autobiografischen Einblicken in das Leben John Greens zu begeistern. Wir lernen hier aufgrund der stark subjektiven und zusätzlich sehr amerikanischen Perspektive zwar mehr über den Autor als Individuum als über die Menschheit im Allgemeinen, dieses Sachbuch ist aber so charmant, einfühlsam und humorvoll geschrieben, dass man sich beim Lesen ein bisschen in die Welt, die Menschheit, den Autor und sich selbst verliebt!

Auch wenn es einer gewissen Ironie nicht entbehrt, eine Rezensionssammlung mit 5-Sterne-System in eben diesem 5-Sterne-System zu bewerten, vergebe ich hoffnungsvolle 4,5 Sterne mit leicht realistischem Einschlag für das Anthropozän und dieses Sachbuch.

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Veröffentlicht am 09.06.2022

Ein temporeicher, mitreißend erzählter und vielseitiger Spionagethriller

Sense of Danger
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Dass Jennifer Estep grandiose, spannende Geschichten erzählen kann, hat sie schon in ihren Fantasy-Reihen wie der Mythos-Academy-Reihe oder der Splitterkronen-Reihe gezeigt. In ihrem neusten Roman, "Sense ...

Dass Jennifer Estep grandiose, spannende Geschichten erzählen kann, hat sie schon in ihren Fantasy-Reihen wie der Mythos-Academy-Reihe oder der Splitterkronen-Reihe gezeigt. In ihrem neusten Roman, "Sense of Danger", erzählt sie nun einen Spionagethriller mit Science-Fiction, Fantasy und romantischen Elementen - wie immer äußerst charmant, mitreißend und originell!!!

Das Cover ist zwar im typischen, unspektakulären Jugendbuch-Fantasy-Stil gehalten, dafür aber raffiniert gemacht und gefällt mir gut. Zusehen ist die Silhouette einer Frau mit wehenden Haaren, die im angedeuteten Fokus einer Kamera vor einer unbekannten Bedrohung davonläuft. Umrahmt wird das Motiv von unheilvoll roten Wolken mit den Silhouetten von Möwen, welche sich kontrastreich vom dunklen Hintergrund abheben. Auch innerhalb der Buchdeckel zieht sich das Motiv des Kamera-Fadenkreuzes durch die Gestaltung und schmückt jeden der 37 Kapitelanfänge. Sehr gut gefällt mir auch, dass der Verlag den äußerst passenden Originaltitel beibehalten hat, welcher sowohl die gefährliche Grundstimmung aufgreift als auch auf die nützliche Gabe der Hauptprotagonistin, Gefahr zu erkennen, hindeutet.

Erster Satz: "Die Auftragskiller erkannte man immer an ihren Anzügen."

Schon mit dem ersten Satz macht die Autorin klar: diese Geschichte wird alles andere als langweilig. Jennifer Estep entführt hier nach Washington DC, in dem es von normalen und paranormalen Spionen nur so wimmelt. Im Mittelpunkt steht dabei die sogenannte Section 47, eine geheime Spionageorganisation, welche Terroranschläge und Großverbrechen verhindern soll, die durch Menschen mit magischen Kräften verübt werden. Dazu sind neben Analysten, die Hintergrundrecherchen für Einsätze durchführen, Charmeuren, die durch soziale Kontakte im Außeneinsatz Informationen beschaffen vor allem die sogenannten Cleaner berüchtigt und gefährlich, da sie als speziell ausgebildete Auftragskiller, die gefährliche Ziele eliminieren. Was für uns abenteuerlich erscheinen mag, ist für unsere erste Protagonistin Charlotte Alltag. Als Analystin und Tochter eines Cleaners arbeitet sie schon seit Jahren für die Section 47, um magischen Bösewichten auf die Spur zu kommen. Im Gegensatz zu den Cleanern und Charmeuren ist ihre Aufgabe aber auf den Schreibtisch beschränkt. Das ändert sich, als der Cleaner Desmond extra aus Australien anreist und ausgerechnet sie für eine gefährliche Mission anfordert...

Die Autorin stellt hier also ein schlichtes, aber wirkungsvolles Setting vor, das den Nährboden für eine spannende Handlung bereithält. Wie jedes Büro ist auch die Section 47 nicht gegen Klüngeleien, Intrigen, Verrat und Betrug gefeit und zusätzlich zu den gefährlichen Missionen hat die Autorin beiden Hauptfiguren dunkle Hintergrundgeschichten und offene Rechnungen gegeben, die sie miteinander, mit anderen Mitarbeitern und Zielpersonen haben. Wer greift Charlotte immer wieder an? Weshalb wollte Desmond ausgerechnet sie für den Einsatz? Gibt es Verbindungen ihrer aktuellen Mission zum letzten, schiefgegangenen Einsatz ihres Vaters? Und wem können die beiden vertrauen...? Hier wird also schon allein durch das sehr dynamische und energiegeladene Setting viel Spannung und Konfliktpotential für die Handlung gewonnen. Und das ist auch gut so, da ihre sonstige Handlung recht geradlinig erzählt wird. Vor allem einige der Wendungen gegen Ende waren für mich leider vorherzusehen. Die fehlende Überraschung machte die Autorin aber mit besonders viel Action im Showdown wieder gut und sorgte so dafür, dass sowohl Fans von Actionromanen, Krimis, Thrillern, Romanzen, Superhelden-Scie-Fie und Fantasygeschichten auf ihre Kosten kommen.

Charlotte: "Ich hatte den ersten Teil meines Plans ins Rolle gebracht - hatte gerade sozusagen eine Hand voll Messer in die Luft geworfen. Nur die Zeit konnte sagen, ob ich es schaffte, die Waffen zu jonglieren - oder ob die Klingen nach unten schossen, um mich in Stücke zu schneiden."

Unterstützt wird dieser Eindruck durch den temporeichen und dynamischen Erzählstil, der die Handlung zu jeder Zeit vorwärtstreibt und Längen verhindert. Mit spannenden Kämpfen, Intrigen, Geheimnissen, Einsätzen und Wendungen sowie der ständigen Vorstellung neuer Gaben bekommen wir zu jeder Zeit genügend Spannendes präsentiert, dass man darüber wegsehen kann, dass im Grunde viele bekannte Konzepte und Tropes unterschiedlicher Genres verwendet wurden. Denn neben Fantasy-Elementen werden hier auch Science-Fiction-Anklänge und eine Liebesgeschichte in den Spionagethriller verbaut. Anstatt überladen zu wirken, kann "Sense of Danger" aber von den vielen Einzelelementen profitieren und zu einem runden, vielseitigen Genremix avancieren, der vermutlich eine breite Zielgruppe ansprechen wird.

Eine weitere Stärke neben dem hohen Erzähltempo und der Vielseitigkeit der Handlung sind die beiden sympathischen Figuren, die hier abwechselnd aus der Ich-Perspektive erzählen dürfen. Gerade dadurch, dass die beiden sich nur bedingt trauen und aufgrund ihrer verschiedenen Magien unterschiedliche Einblicke in aktuelle Geschehnisse haben, ist dies eine äußerst interessante Art durch ihr Abenteuer zu führen. Sehr gut gefällt mir auch, dass die Liebesgeschichte dezent im Hintergrund bleibt und die recht gradlinige Handlung um einige unterhaltsamen Querelen ergänzt. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass es sich trotz der typischen Jugendbuch-Aufmachung keineswegs um ein typisches Jugendbuch handelt. Nicht nur weil hier viele blutige Kämpfe ausgetragen werden, sondern vor allem weil die Protagonistin mit ihren 35 Jahren außergewöhnlich "alt" ist. Dass war für mich natürlich eine nette Abwechslung, aber dadurch ist Charlotte vielleicht nicht die beste Identifikationsfigur für 14jährige, sondern spricht eher etwas ältere Leserinnen an. Sie ist sehr viel erfahrener, selbstbewusster, reifer und gefestigter als die üblichen Fantasy-Protagonistinnen, was die Story von viel Geschmachte, emotionalen Schwankungen, Peinlichkeiten sowie einer ellenlangen Selbstsuche befreit und mir sehr zugesagt hat. Neben ihr bleibt Desmond zwar eine Winzigkeit blasser, insgesamt konnte ich aber beide ins Herz schließen. Dasselbe lässt sich auf die Nebenfiguren und Antagonisten beziehen, welche aufgrund der dominanten Handlung nur grob angeschnitten werden. Von einer Geschichte dieses Genres habe ich aber auch nichts anderes erwartet.

Desmond: "Ich mag nicht als Killer arbeiten, wie mein Vater es getan hat, aber ich lasse niemanden mit einem Mordversuch an mir davonkommen." Diese Wildheit hatte ich bei ihr nicht erwartet, doch sie gefiel mir - mehr als sie sollte. Charlottes Blick huschte erneut über meinen Körper. Ihre Aura brannte noch heller als bisher, doch das war nichts um Vergleich zu dem grausamen Lächeln, das ihre Lippen verzog. "Geh dich anziehen, Dundee", schnurrte Charlotte. "Wir haben zu arbeiten."

Zuletzt lässt sich noch sagen, dass das Ende von "Sense of Danger" die Geschichte sehr gelungen abschließt. Die Geschichte von Charlotte und Desmond wird befriedigend zu Ende erzählt, dabei bleiben aber noch genügend Fragen offen, sodass die Autorin ohne Probleme nochmal in die Welt der Section 47 zurückkehren könnte.



Fazit:
*
"Sense of Danger" ist ein temporeicher, mitreißend erzählter und vielseitiger Spionagethriller mit Science-Fiction, Fantasy und romantischen Elementen. Die Wendungen hätten ein wenig überraschender, das Handlungskonstrukt ein wenig frischer und die Nebenfiguren ein wenig lebhafter sein können - alles in allem bin ich aber begeistert von Jennifer Esteps neustem Roman!

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Veröffentlicht am 15.05.2022

"Macht Platz für den Rabenkönig!"

Wo das Dunkel schläft
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Seit ich "Wen der Rabe ruft" 2016 ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, mich durch die eigenartige ...

Seit ich "Wen der Rabe ruft" 2016 ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, mich durch die eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy und dem heimeligen Kleinstadtleben mit Geschichtlichem, Märchen, magischen Traumwelten und eine guten Prise Verrücktheit zu überzeugen. Im Laufe der Zeit habe ich schon eine ganze Menge ihrer Bücher gelesen und beschlossen, anlässlich der am 2. Mai erschienenen Neuausgaben im Knaur Verlag nochmal zu den Raven Boys zurückzukehren und die gesamten vier Bände nochmals zu lesen. Nun bin ich beim abschließenden Band 4 angelangt und genau wie nach dem ersten Lesen von "Wo das Dunkel schläft" ein wenig überwältigt und emotional überfordert. Natürlich hatte ich recht hohe Erwartungen an den Abschlussband, denn einiges stand bevor: Eine dunkle Macht, die am Ende des dritten Teiles (als mieser Cliffhanger) erwachte, musste bekämpft, der König Glendower endlich gefunden und die verheißungsvolle Prophezeiung über Blues Kuss und Ganseys Tod erfüllt werden - ganz schön viel Stoff für die 480 Seiten. So kommt es, dass ich nun gleichzeitig ein wenig enttäuscht von diesem Abschluss und voller Liebe für dieses magische Gesamtkunstwerk bin, sodass mich nur schwer von der Geschichte und den Figuren trennen kann.

Bevor ich mein erneutes Loblied auf Maggie Stiefvaters Fantasie beginne, wie immer ein paar Worte zum Cover. Während die ab 2013 bei script5 erschienenen Ausgaben der Reihe eigene Cover hatten, hat sich der Knaur Verlag bei seiner Neuauflage der Reihe sehr stark an den englischen Originalcovern orientiert. Auf diesen sind die Hauptmotive des jeweiligen Bandes in Aquarell-Optik auf einem weißen Grund abgebildet, welche die verträumte Atmosphäre der Geschichte perfekt einfangen. Auf Band 4 ist nun ein magischer, blau leuchtender Hirsch zu sehen, der von den typischen aufflatternden Raben umgeben ist, welche das Hauptmotiv der Reihe sind und dieser auch ihren Namen geben. Genau wie der Titel werden die 67 Kapitelanfänge von drei verschränkten Linien eingekreist, welche ebenfalls eine spezielle Bedeutung in der Geschichte einnehmen und die Ley-Linien darstellen, entlang derer Blue und ihre Raven Boys nach Glendower suchen. Kurzum: ich bin wieder einmal einfach hingerissen von der Gestaltung!

Erster Satz: "Richard Gansey III wusste mittlerweile gar nicht mehr, wie oft man ihm gesagt hatte, dass ihm Großes vorherbestimmt sei."

"Wo das Dunkel schläft" beginnt ohne große Umschweife an genau der Stelle, an der der Vorgänger geendet hat. In Teil 3 haben Blue und die Ravenboys es zwar geschafft, Blues Mutter nach Hause zurückzubringen und Glendowers Tochter Gwenllian zu befreien, doch das Grab des walisischen König Glendower selbst ist immer noch nicht aufzufinden. Während andere Probleme die Freunde von der weiteren Suche abhalten - denn immerhin will auch noch ein Schulabschluss gemacht werden - wird die Zeit allmählich knapp, denn das magische Cabeswater scheint von etwas in Besitz genommen zu sein und zerstört während seines langsamen Verfalls alles, was ihm zu nahe kommt. Nicht zuletzt ist da noch die Prophezeiung, dass Blue ihre große Liebe durch einen Kuss töten wird und Ganseys bevorstehender Tod, den Blues wahrsagende Tanten und ihre Mutter nicht abwendbar sehen. Das Finden und die Erweckung des Königs scheinen die einzige Möglichkeit zu sein, Gansey zu retten. Doch das wird nicht gerade dadurch leichter, dass ein Dämon in Henrietta auftaucht und einige dunkle Gestalten anzieht, welche allesamt besessen von der Magie und der damit verbundenen Macht sind. Bald wird klar, dass sie sich entscheiden müssen, für was sie die Gunst des Königs aufwenden wollen: Ganseys Überleben oder den Tod des Dämons. Aber lässt sich Glendower überhaupt finden? Die Zeit läuft...

"Hallo, kleiner König. (...) Bist du etwa hier, um mich um Rat zu bitten?"
Gansey schüttelte den Kopf.
"Um Mut."


Zwar lässt es die Autorin, die ja nicht unbedingt für ihre Handlungsdichte bekannt ist, auch in diesem Roman eher langsam angehen, hier dominiert durch den fortschreitenden Zerfall Cabeswaters jedoch der Zeitdruck und die Spannung, die durch die düsteren Vorhersagen, die erfüllt werden wollen, entsteht, droht uns LeserInnen fast zu zerreißen. Wo "Was die Spiegel wissen" humorvoll, spritzig und abenteuerlustig war, ist "Wo das Dunkel schläft" nun melancholisch, aufopferungsvoll, düster und apokalyptisch. Jede Zeile hat Bedeutung, jeder verstreichende Moment führt uns näher auf das Ende hin und mit jeder Enthüllung über die Figuren, die Magie und die Geheimnisse der Ley-Linie wird unklarer, wie dieses Ende aussehen würde. Auch wenn die Handlung sich immer weiter von greifbaren Kategorien wie Traum oder Realität, Tod oder Leben, Vergangenheit oder Zukunft, Schicksal oder Zufall entfernt und teilweise ins Diffuse, Chaotische driftet, scheint diese fieberhafte Entgleisung der Ereignisse doch die einzig richtige und logische Entwicklung aus den Vorkommnissen der ersten drei Bände zu sein. Ich habe gelesen, dass Maggie Stiefvater insgesamt etwas mehr als 10 Jahre an der Raven Boys Reihe gearbeitet hat und genau so liest sie sich auch: wie ein sorgfältig zusammengesetztes Mosaik, dessen Entwicklung viel Zeit, Liebe und Fantasie verlangt hat und erst bei einem ganzheitlichen Blick offenbart, was die Intention der Künstlerin war.

"Die Eichblätter über ihnen wisperten, Kojoten oder Hirsche staksten durchs Unterholz, Gras raschelte, Eulen klagten, überall Atmen und hektisches Huschen. Es war zu kalt für Glühwürmchen, trotzdem flimmerten unzählige von ihnen über den Wiesen auf und ab. Die waren von ihm. Fantasiewesen, ohne Sinn und Zweck, aber wunderschön. Ronan Lynch liebte es, vom Licht zu träumen."

Teil dieses Gesamtkunstwerks ist hier natürlich wieder das unglaublich magische Setting in der kleinen Stadt Henrietta im Herzen des ländlichen Virginias, welches in den vergangenen 3 Bänden Schauplatz für allerlei haarsträubende Wunder geworden ist. Der Autorin gelingt es, uns im Laufe der Zeit an verschiedene Handlungsorte innerhalb ihres Settings mitzunehmen, die sich so gegensätzlich gegenüberstehen, dass sie beinahe wie unterschiedliche Dimensionen wirken: Der magische Wald Cabeswater, hinter dessen großes Geheimnis wir endlich kommen, die träumerischen Schober, in denen sich Ronans und Nialls Traumwesen tummeln, der lebendige, durchgeknallte Fox Way mit all den Wahrsagerinnen, skurrilen Gegenständen, Stimmen, Musik, Telefonen, alten mystischen Dingen, Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, das große Monmouth Manufacturing, das den Raven Boys ein Heim bietet, die snobige Aglionby und nicht zuletzt eine Vielzahl an Fantasie- und Traumwelten. Diese Geschichte erscheint vielseitig und einmal mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten, die mich aufs Neue mit ihrem Ideenreichtum verzaubert hat.

"Von hier aus hätte man es beinahe für einen ganz normalen Wald auf einem ganz normalen Hügel in Virginia halten können. Doch wenn man die Augen zusammenkniff und lange genug hinsah, konnte man die Geheimnisse zwischen den Bäumen auf und ab huschen sehen. Die Schatten gehörnter Tiere, die selbst nie in Erscheinung traten. Die zwinkernden Lichter der Glühwürmchen eines vergangenen Sommers. Das Rauschen unzähliger Flügel, das Geräusch eines riesigen Vogelschwarms irgendwo außer Sicht. Magie."

Auch die Grundidee einer unsichtbaren Energielinie, auf der ein verschollener Rabenkönig schläft, der der Legende nach demjenigen eine Gunst erweist, der ihn findet und erweckt, muss ich hier nochmal positiv hervorheben. In Zeiten von überdimensioniert häufig verwendeten Vampirmythen und Zaubermotiven sind eine Ley-Linie und durch deren Magie erwachende magische Kraftorte wie das geheimnisvolle Cabeswater, eine so originelle und unverbrauchte Idee, dass ich beim ersten Lesen gar nicht wusste, was ich mit dieser anfangen sollte. Im Verlauf der Geschichte wird dann jedoch deutlich, dass es niemals wirklich um die abenteuerliche Suche nach Glendower gegangen ist, sondern die Figuren stattdessen auf der Suche nach dem waren, wonach sich jeder heranwachsende Mensch sehnt: Verbundenheit, dem Gefühl an einen Ort zu gehören, die Gewissheit, ein Ziel zu haben, einen Zweck zu haben, Teil von etwas Größerem zu sein, oder wie es Blue ausdrückt: MEHR! Wir alle suchen nach unserem "mehr" und den Ravenboys und Blue dabei zuzusehen, wie sie ihres finden und einen Teppich aus Freundschaft, Identität, Heimat, Familie, Liebe und Magie dabei weben ist einfach wundervoll und bricht einem das Herz und heilt es im selben Moment.

"Richard Gansey konnte nicht schlafen. Sobald er die Augen schloss: Blues Hände, seine Stimme, ein schwarzblutender Baum. Es fing an, es fing an. Nein, es ging zu Ende. Mit ihm ging es zu Ende. Dies war die Kulisse seiner ganz persönlichen Apokalypse."

Neben dem vielseitigen Setting und der originellen Grundidee trägt auch der leicht verrückte, aber unverwechselbare Schreibstil Maggie Stiefvaters zur Entwicklung der Anziehungskraft des bildgewaltigen Epos´ einen großen Teil bei. Mit ruhigen, aber eindringlichen Worten (für die sie auch oft Klammern und Spiegelstriche verwendet) lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander, das vor allem eines ist: magisch. Dann noch ein paar skurrile Wendungen und überraschende Gedanken und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte.

"Endlich, hatte er jedes Mal gedacht, haben wir uns gefunden. Wir statt du und ich."

Maggie Stiefvater nutzt hier wieder einen personalen Erzähler (der teilweise eher wie ein auktorialer Erzähler wirkt, weil er absichtlich Dinge zu verschweigen scheint) und mischt die Perspektiven ihrer Hauptfiguren ordentlich durch. Dabei wird, ohne dass es eindeutig ausgeschrieben wäre, wer in welchem Kapitel erzählt, schon nach wenigen Sätzen klar, aus welcher Perspektive wir die Szene gerade erleben. Der leise Humor bei Blue, die massiven Selbstzweifel und Unsicherheit bei Adam, Gansey, der einfach nur Gansey ist, der draufgängerische Ronan und auch der ein oder andere neue Charakter - man erkannt sofort, wer gerade erzählt. Dabei setzt die Autorin Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft. Hier entspinnen sich nun endlich die zwei zuvor subtil vorbereiteten Liebesgeschichten, ohne sich jedoch in den Vordergrund zu drängen und machen die Geschichte um eine weitere Komponente reicher. Da sich hier sowohl emotional als auch inhaltlich viele auf der Ebene noch An- und Vorausdeutungen abspielt, kann ich allen zukünftigen LeserInnen dieses Buches nur ans Herz legen, es sehr aufmerksam zu lesen und sich dabei viel Zeit zu lassen, denn es gibt im Laufe der komplexen Erzählung so viele Andeutungen, die ich beim ersten Mal einfach überlesen habe und die später nochmal eine tragende Rolle spielen

"Sie waren überall: Die Luft wimmelte und brodelte von Federn und Flaum. Die Vögel schossen und sausten und wirbelten durch die Straße, Flügel, Schnäbel. Krallen schimmerten im Schein der Straßenlampen. (...) Ein hektisches Flattern und brausen. "Macht Platz!", schrien sie, "Macht Platz für den Rabenkönig!"

Neben dem Stil lebt die Geschichte vor allem von den Charakteren. Blue, ihre Raven Boys, ihre Beziehungen zueinander und ihre Entwicklungen während der Reihe lassen den Leser wirklich jeden kleinen Durchhänger, jedes Logikloch in der Handlung und jede Durststrecke verzeihen und geben dem Plot noch das gewisse Etwas, das das Buch so einzigartig macht. 4 Bände habe ich nun Gansey und seine Gefährten auf der Suche nach dem schlafenden König Glendower begleitet, doch immer noch habe ich das Gefühl, nicht alles über die fünf Hauptfiguren zu wissen. In jedem Teil erfuhren wir ein wenig mehr über die einzelnen Schicksale der Protagonisten, jeder hat mal ein bisschen mehr Aufmerksamkeit erhalten und doch wird niemals ein Handlungsstrang langweilig oder vorhersehbar.

"Sag mir", flüsterte Artemus, "wenn du träumst, träumst du oft von den Sternen?"


Und was hat das bewirkt? Ich habe sie alle so fest ins Herz geschlossen, dass ich sie nach diesem Teil nur ungern gehen lasse: Die wankelmütige Wahrsager-Tochter Blue, die tut was sie will, als schillernder, selbstbewusster, neugieriger und sehr exzentrischer Charakter auftritt und in den ihr einstmals so verhassten Raven Boys ihre besten Freunde und in Gansey ihre wahre Liebe gefunden hat. Adam, der einst misshandelte Junge aus der Wohnwagen-Siedlung, der durch seine Verbindung zu Cabeswater auf magische Weise seine Freiheit zurückerhalten hat - und einiges mehr. Noah, der langsam verschwindende Geisterjunge, dessen grausamer Tod auf der Ley-Linie Gansey ein zweites Leben geschenkt hat und der hier auf sehr berührende Art und Weise sein Schicksal findet. Richard Gansey III, der vielseitige junge Mann, der sowohl der immergrinsende Gansey-Man der Aglionby sein, als Gansey III auf Wahlveranstaltungen seiner Mutter eine liebenswürdig geschliffene, höfliche Art an den Tag legen und bei seinen Freunden einfach Gansey sein kann: ein großes Herz, das wie besessen von der Idee ist, endlich Glendower zu finden - und voll Angst davor, was passiert, wenn er ihn tatsächlich findet.

"Wärme erfüllte die leeren Gewölbe in Ganseys Herzen. Das Gefühl, gekannt zu werden. (...) Der Abend war: Gansey, der sagte: "Ich mag dich ziemlich gern, Blue Sargent." Der Abend war: Blues Lachen, verschmitzt, ironisch, albern, nervös."


Und schlussendlich Ronan, welcher nach wie vor ganz klar einer meiner Lieblingscharaktere ist. Trotz seines kultivierten Walls aus Aggressivität und Wut wirkte er von den mit 16 bis 18 Jahren allen recht jungen Protagonisten am meisten auf mich wie ein Kind, das mit seinen eigenen Emotionen und Gedanken nicht umgehen kann und sich nichts mehr wünscht als eine Person, die seine Hand nimmt und sagt, dass alles gut werden wird. Auch wenn ich ihn oft nicht verstanden habe und schon gar nicht alle seine Entscheidungen gutheiße, hat er etwas an sich, das mich sehr mitgenommen und dazu gebracht hat, mir gleichzeitig zu wünschen, ich wäre er und mich genau davor zu fürchten!

"Er legte den Kopf in den Nacken und spürte das sanfte Prickeln der Sterne über sich, mit deren Hilfe sein Körper sich orientierte. Ranken schlängelten sich durch sein Inneres, tasteten nach seiner Stimmung. (...) Adam war in vielem bewandert, in vielem gut, aber das hier- gab es überhaupt einen Namen dafür? Wahrsagen, Intuition, Magie, Magie, Magie - darin war er nicht nur gut, sondern hatte ein regelrechtes Verlangen danach, gierte danach und liebte es auf eine Art, die ihn mit tiefer Dankbarkeit erfüllte."

Meine liebste Nebenfigur ist neben den üblichen Verdächtigen aus dem Foxway (die verschwundene Maura, die laute und aufbrausende Calla und die geheimnisvolle Persephone) eindeutig der ehemalige Auftragskiller Mr. Gray. Der graue Mann ist ja schon im zweiten Band als geheimnisvolle neue Figur aufgetaucht, hat sich in Blues Mutter Maura verliebt und ist mir mit seiner kurios freundlichen und offenen Art sofort so sehr ans Herz gewachsen, dass ich begonnen habe, an meiner Menschenkenntnis zu zweifeln. Auch hier hat er wieder eine Menge skurriler Auftritte (bei denen sich mal wieder keine der auftretenden Figuren daran zu stören scheint, dass er ein Auftragskiller ist) und baut eine tolle Vater-Tochter-ähnliche Beziehung zu Blue auf, die mehr Eindruck bei mir hinterlassen hat, als ihre Begegnung mit ihrem tatsächlichen, leiblichen Vater, welcher wenig Herzlichkeit und dafür neue Fragen und Geheimnisse mit sich bringt. Die durchweg gleichgültige Reaktionen auf den Berufszweig von Mr. Gray lassen seine Figur fast schon ein wenig parodiert erscheinen und sorgen dafür, dass er sich wunderbar in die bunte Mischung der Charaktere ein, die seltsamer nicht sein könnte, mir aber das Herz erweicht hat, ohne dass ich es bemerkt habe.

"Der Wald war Ronan. (...) Er roch brennendes Laub, fallendes Laub, Tod und Wiedergeburt. Die Luft war sein Blut. Die Stimmen, die ihm aus den Baumkronen zu wisperten und einander immer wieder überlagerten, waren seine. Ronan in Endlosschleife; Ronan und wieder Ronan; Ronan und wieder Ronan."

Auch im Finale bekommen wir zusätzlich wieder eine ganze Reihe neuer Charaktere vorgesetzt. Da die AntagonistInnen der vorherigen Bände hier die Angewohnheit entwickeln, überraschend schnell wegzusterben, bekommen wir mit den seltsamen Gauner-Drillinge Laumonier, die wie eine Person auftreten und Jagd auf magische Artefakte machen drei neue Gegenspieler zum Preis von einem. Zusätzlich tauchen hier das verschreckte und mysteriöse Waisenmädchen mit Hufen, das Ronan herbeigeträumt hat auf und auch der schräge, aber herzliche Henry Cheng, der den Fünfen auf der letzten Etappe ihrer Suche beisteht, bereichert die Geschichte mit seiner Anwesenheit.

"Was bist du?" Die Biene warf ihr Licht über sich und Henry: ihre durchsichtigen Flügel, Henrys verschlagenen gehobene Augenbrauen. "Mehr."

Die vielen neuen Erkenntnisse, Figuren und Wendungen, die die Handlung würzen, bereiten alle Handlungsstränge auf das Ende vor und machen das Finale noch einmal komplex, mysteriös und geheimnisvoll. Ich wusste es schon bevor ich dieses Buch angefangen habe: um meine hohen Erwartungen an das Ende erfüllen zu können, müsste die Geschichte ellenlang sein. Viele verschachtelten Handlungsstränge wollen befriedigend abgeschlossen werden, der letzte Band muss noch mit Neuem aufwarten und natürlich allem davor dagewesenen noch mal eins draufsetzten - ganz schön schwierig. Kein Wunder, dass ich ein wenig enttäuscht war, als ich die wirkliche Auflösung gelesen habe. Das Ende ist gleichzeitig ernüchternd und wunderschön, zu knapp und doch abgeschlossen, sinnvoll und völlig irre - je nachdem, von welchem Blickwinkel aus man es betrachtet. Dass viele Fragen offenblieben und das Ende das magische Spektakel vermissen ließ, auf das wir vier Bände lang hingefiebert hatten, kann ich mit dem Wissen, dass es einen Spinn-Off-Band geben wird, nun mehr verzeihen als beim ersten Lesen. In "Wie der Falke fliegt", welches am 02. November 2022 bei Knaur erscheinen wird, beginnt die nagelneue Dreamer-Trilogie, die sich ganz um Ronan und seine Träume drehen wird. Der Abschied aus Henrietta ist also zum Glück nur von temporärer Natur! Und um Euch die Wartezeit bis November etwas erträglicher zu machen, gibt´s nun zum Abschluss noch drei weitere Zitate:

"Adam hatte inzwischen genug von Ronans real gewordenen Träumen zu Gesicht bekommen, um zu wissen, wie gefährlich und wunderschön und furchterregend und kapriziös sie sein konnten. Aber von allem, was er bislang gesehen hatte, verkörperte dieses Mädchen Ronans Wesen am stärksten: Ein verängstigtes Monster."

"Er ließ seinen Geist ein Stück in Richtung Gegenwart wandern. Elektromusik sickerte in den Bereich seiner Wahrnehmung, was ihm vor Augen führte, dass sein Körper sich tatsächlich in Ronans Auto befand. Hier, an diesem anderen Ort, war leicht zu erkennen, dass die Musik der Soundtrack zu Ronans Seele war. Hungrig und kraftvoll wisperte sie von finsteren Orten, uralten Orten, von Feuer und Sex. Adam spürte, wie der pulsierende Beat und das Wissen um Ronans Nähe ihn erdete. Der Teufel. Nein, ein Dämon. Von einem Moment auf den anderen wusste er es: Nach Norden, sagte er."

"Ronan hatte das Gefühl, ganz aus Versehen glücklich geworden zu sein. Die ganze Welt lang ihm zu Füßen."



Fazit:

Bildgewaltig lässt Maggie Stiefvater ihre schrägen Charaktere, das abwechslungsreiche und magische Setting und die spannende Geschichte für einen kurzen Moment wahrhaftig werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsterer Geheimnisse. Ein würdiger Abschluss, der zwar nicht all meine hohen Erwartungen erfüllen konnte, dennoch eine abartige Faszination zurücklässt.

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