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Veröffentlicht am 09.08.2017

Ein toller Roman mit Tiefgang.

Sieh mich an
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Den Roman habe ich sehr gerne gelesen. Er hat mir viele erfüllte Lesestunden gebracht. Habe den extra langsam angegangen, um länger davon zu haben. Ein schönes Stück Literatur mit Tiefgang, das ich gerne ...

Den Roman habe ich sehr gerne gelesen. Er hat mir viele erfüllte Lesestunden gebracht. Habe den extra langsam angegangen, um länger davon zu haben. Ein schönes Stück Literatur mit Tiefgang, das ich gerne weiterempfehle.
Der Titel hat mich angesprochen. „Sieh mich an“ in Kombination mit dem Fuchs auf dem Cover haben das Buch zu must-read gemacht.
Vordergründig ist es eine bewegende, humorvolle Geschichte der Mutter zweier Kinder, die vor Kurzem einen Knoten in ihrer Brust entdeckt hat und nun über ihr Leben nachdenkt. Sie führt klar vor Augen, was ist, was war, malt sich aus, wie das Leben ihrer Kinder verlaufen wird. Manchmal wird sie ironisch-sarkastisch, aber das passt zu ihrem messerschaften Verstand und zu dem, was sie sieht.
Das Recht sich selbst zu sein ist ein großes Thema in diesem Roman, das aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wurde.
Es war nur ein Tag mit Katharina, aber mir kam vor, dass ich mit ihr ihr ganzes knapp vierzigjähriges Leben verbracht habe. Man lacht und weint mit ihr zusammen, wundert sich ein wenig über ihr chaotisches Familienleben. So ganz viel Aktion ist nicht da, muss auch nicht, denn das, was den Roman ausmacht, das sind Katharinas Gedanken, denn diese halten der Gesellschaft Spiegel vor Augen. Kritisch, gekonnt und authentisch präsentiert.
Nicht von der Hand zu weisen sind die Dinge, die Katharina Sorgen machen. Ihr Mann Costas ist Architekt, fand aber keine Arbeit mehr vor Ort und musste einen Brotjob, die beiden nennen den Hurenjob, in einem größeren Architektenbüro in Berlin annehmen. Selbst am Wochenende kann er nicht heim, da er auf einem Empfang erwartet wurde, auf dem er bloß als Staffage dienen soll. In der letzten Zeit streiten sie sich oft, wenn er mal da ist, entfremden sich immer weiter. „Im Übrigen ist Treue überbewertet. Sie ist ein nicht zu erreichendes Ideal, das an allen Ecken und Enden verraten wird. Wer auf Treue hofft, kann nur enttäuscht werden. Costas und ich jedenfalls kommen inzwischen schon länger ohne sie aus. Er ist sich selbst längst untreu geworden, in dem er den Hurenjob in Berlin angenommen hat, er ist mir untreu geworden, indem er mir nicht erzählt, was in ihm vorgeht, obwohl dies, und nur dies in all der Zeit die Basis unserer Beziehung war, die stumme Übereinkunft, einander niemals auszuschließen... Im Grunde genommen haben wir in diesem letzten Jahr beiden nur im Streit Sätze gefunden, die wahr sind. Wir haben nur im Zorn durchblicken lassen, wer wir wirklich sind.“
Es ist aber auch nicht so, dass Costas zumindest finanziell groß gewinnt. Die Familie lebt mehr oder minder von Hand zu Mund, da sein Gehalt nur für das Notwendigste reicht. Wohnen geht nur im alten Häuschen von Costas Eltern, das er während seiner Arbeitslosigkeit ein wenig aufgehübscht hat.
Katharinas Kinder hätten nicht unterschiedlicher sein können. Alex ist sechzehn, gut aussehend und pflegeleicht, hat eine Barbie-ähnliche Freundin und will Musicaldarsteller werden. Die Tochter Helli ist zehn, hat ADHS, und hält mit ihren haarsträubenden Aktionen ihre Mutter ganz schön auf Trab. „Sie war ein dickes, lautes Knäuel Leben, und das erfüllte mich mit großer Freude. Diese Gefühlsmischung begleitet unser Verhältnis bis heute: Hilflosigkeit, Unmut, eine Unmöglichkeit, den Anlass ihres Zorns nachzuvollziehen, und eine merkwürdige Bewunderung für die Beharrlichkeit, mit der sie an ihrem Recht festhält, sie selbst zu sein.“
Aber ob everybody‘s darling Alex oder herrlich eigensinnige und unangepasste Helli, sieht Katharina für die beiden keine rosige Zukunft, denn das Recht, so zu sein, wie man ist, ist etwas, was diese Gesellschaft mit aller Kraft zu eliminieren versucht. „Kinder, die nicht ins Schema passen, werden therapiert und passend gemacht oder für untauglich erklärt. Anstatt dass die Umgebung sich so verändert, dass diese Kinder sein können, wie sie sind. Es wäre doch ebenso denkbar, ein passendes Lernumfeld für Helena zu schaffen, aber nein, das kostet viel Geld und macht zu viel Mühe, und überhaupt, wo kämen wir denn da hin.“
Katharina gefällt diese Smartphone-Affinität ihrer Tochter nicht. „Sie schauen nicht aus dem Fenster. Sie verpassen den Reif und die bestäubten Acherfurchen, die vereisten Gräben und die tief stehende Wintersonne, die wie hinter Milchglas erscheint.“ Hellis Freundin, die mit ihr am Gerät klebt, hat ähnliches durchgemacht. Obwohl hochbegabt und nett, wurde sie in der Schule in die Schublade „schwierige soziale Verhältnisse“ gesteckt, wobei sie Tochter zweier vollbeschäftigter Akademiker mit vier Kindern ist. Sie hat sich in der Schulblade bequem gemacht und ist in der sechsten Klasse sitzen geblieben. Niemand will sie dort herausholen.
Das Hauptthema wird auch metaphorisch umspielt: „All die eifrigen Büschen, Bäume und Sträucher, die im Frühling wieder wild drauflostreiben werden, unermüdlich, Jahr für Jahr, obwohl sie regelmäßig von einer langsam fahrenden Maschine wieder abrasiert werden. Hier darf niemand wachsen, wie er will. Und doch gibt es wenige Landschaften, die eine ähnlich beruhigende Wirkung auf die menschliche Seele haben wie die schleswig-holsteinische Knickwelt.“
Man kann noch viele Seiten über diesen Roman füllen, aber es ist besser, wenn man ihn selbst liest und zu eigener Meinung gelangt. Es ist ein Roman, dem ich einen bedeutenden Literaturpreis vom ganzen Herzen gönne. Auch weil er ein akutes Thema beleuchtet, das nicht oft zur Sprache kommt.
Hellis wilde Aktionen kamen mir tw. etwas zu dick aufgetragen vor, aber sie spiegeln sich wunderbar in Katharinas Verhalten, insb. in ihrem Auftritt am Ende, der den Titel „Sieh mich an“ effektvoll zur Geltung bringt.

Fazit: Ein toller Roman mit Tiefgang über das Leben in diesem Land, zu dieser Zeit, unter den geschilderten Lebensverhältnissen einer Familie aus unterer Mittelschicht, der zum Nachdenken über viele Themen anregt, u.a. über eigenes Leben und über die Zukunft insg. In wunderschöner, poetischer, lebendiger Sprache verfasst, ist der Roman von Mareike Krügel Lesegenuss, wie ich es mir gewünscht habe. Bitte mehr davon. Fünf wohl verdiente Sterne.

Veröffentlicht am 12.07.2017

Spannend und sehr lesenswert!

Der Preis der Freiheit
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Klappentext fasst den Inhalt prima zusammen: „Berlin 1966. Seit fünf Jahren teilt eine Mauer die Stadt, die unzählige Familien und Paare getrennt hat. Der westdeutsche Jura-Student Volker G. Heinz möchte ...

Klappentext fasst den Inhalt prima zusammen: „Berlin 1966. Seit fünf Jahren teilt eine Mauer die Stadt, die unzählige Familien und Paare getrennt hat. Der westdeutsche Jura-Student Volker G. Heinz möchte helfen, diese Menschen wieder zusammen zu bringen und sucht mit einer Gruppe von Fluchthelfern fieberhaft nach Wegen von Ost nach West. Die Suche endet am Checkpoint Charlie, dem bestbewachten Grenzübergang des Kalten Krieges. Über sechzig DDR-Bürgern verhelfen sie erfolgreich zur Flucht, versteckt im Kofferraum eines Diplomatenautos. Doch dann kommt ihnen die Stasi auf die Schliche, Volker Heinz wird verhaftet und monatelang im Untersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen verhört. Derweil nimmt der politische Tauschhandel mit Gefangenen zwischen Bonn und Ost-Berlin Fahrt auf. Es kommt zu einem spektakulären Coup: Heinz wird gegen zwei Spione freigetauscht. Ein packendes Stück erlebte Zeitgeschichte über Fluchthilfe und Gefangenenaustauch im Kalten Krieg, über Freiheitswillen und Zivilcourage.“

Es ist ein spannender Erfahrungsbericht, der die Realien des kalten Krieges vor Augen führt. Dabei stehen der Autor selbst, Volker Heinz, der 23-Jähriger Idealist aus guter Familie, und seine Erfahrungen „im Freiheitsgeschäft“ im Vordergrund.

Man erlebt die geschilderten Geschehnisse hautnah mit, u.a. wie die Fluchtwillige über die Grenze aus der DDR transportiert wurden. Man trifft auch den Kopf der Gruppe, Wolfgang Fuchs, der das Ganze organisiert und nicht gerade wenig Geld für die Überführungsdiente kassiert hat. Man erfährt auch, welche Vorbereitungen zuvor getätigt wurden, wie die Organisation funktionierte, etc. Und: dass hinter diesen Aktionen die US Geheimdienste steckten.

Aber das war dem Autor damals nicht bekannt. Mit seinen 23 Jahren hatte er Handlungsmaximen, die u.a. auf dem Glauben beruhten: Die USA und ihre Ideologie sind „die Guten“, die Sowjets „die Bösen“. Er sah sich vielmehr als einen Helden, wie übrigens auch seine Mutter, der etwas Gutes tat, wohl kaum als eine unmündige Ausführungskraft im Spiel der Mächtigen.
Heinz wollte den Menschen helfen, die aus der DDR wegwollten. Er tat alles unentgeltlich: All die Gefahren, die Ängste, die er auch sehr anschaulich beschreibt, all den Stress, parallel zu seinem Jurastudium, dem er dann doch nicht nachkommen konnte, auf sich genommen, nur weil er helfen wollte.

Als er dann im Knast in der DDR landete, war es dann nicht mehr so abenteuerlich und er musste die Realien des Lebens von einer ganz anderen Seite kennenlernen. „Die Monotonie, die Sinnentleerheit eines solchen Daseins, die fehlende Orientierung und die mangelnde freie Sicht nach draußen – all das begann mich zu zermürben. Es gab keine Musik, anfangs auch kein Buch, nichts, was unser Leben annehmbarer gestaltet hätte.“S. 136. Seine Gedanken über den Aufenthalt dort, über die Verhöre, etc. sind eine Bereicherung und lassen einen das Ganze zum Greifen nah miterleben.

Auch unter diesen Umständen benimmt sich Volker Heinz heldenhaft und versucht, sich sinnvoll zu beschäftigen. Er lernt Russisch. Währenddessen versucht seine Familie, ihn frei zu bekommen.
Die Infos zum Tausch der Spione, die Haltung von CDU/CSU zur Ostpolitik, wie auch „das Geschäft mit der Freiheit“ insg., z.B. wie viel Geld geflossen war, was die Bundesregierung gezahlt hat, um die politischen Häftlinge zu befreien, sowie die Geschichte um Jürgen Vogel, der hart daran gearbeitet hat, den jungen Heinz frei zu bekommen, sind wahre Zeugen der damaligen Zeit. Sehr spannend. Auch die Reflexionen des Autors aus heutiger Sicht über das, was er getan und warum er es getan hat. Seine veränderte Sicht auf W. Fuchs, als sie sich nach Heinz‘ Knastaufenthalt mal getroffen hatten, uvm.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch. Gekonnt, leichtfüßig, sehr anschaulich erzählt, liest sich wunderbar. Der Stoff an sich ist aber keine leichte Kost. Der Begriff Flüchtlinge bekommt hier eine ganz andere Bedeutung als heute üblich. Wer sich für das Thema interessiert, ist hier genau richtig. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 06.07.2017

Psychopathen im Alltag. Nach der Lektüre gut erkennbar.

ICH–1%!?
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Auf rund 128 Seiten reinen Textes in 7 Kapitel aufgeteilt, beschreibt Stephan Siegfried, wie man Psychopathen im Alltag erkennt, und wie man sich sinnvollerweise ihnen gegenüber verhält. Dabei gibt es ...

Auf rund 128 Seiten reinen Textes in 7 Kapitel aufgeteilt, beschreibt Stephan Siegfried, wie man Psychopathen im Alltag erkennt, und wie man sich sinnvollerweise ihnen gegenüber verhält. Dabei gibt es sowohl eine solide theoretische Basis samt Ausführungen renommierter Psychologen, Psychoanalytiker, etc. als auch etliche Beispiele der Betroffenen, die das Thema eingehend beleuchten.

Zum Autor: „Stephan Siegfried, geboren 1965 in Zürich. Studienabschluss der Jurisprudenz in Zürich. Seither Leidenschaft für Philosophie, Psychologie, Soziologie, Neurobiologie und Informationstechnologien mit entsprechenden zusätzlichen Aus- und Weiterbildungen nachdem er mehrere Male beruflich und privat sich mit ‚alltäglich-kriminellem‘ Verhalten auseinandersetzen durfte.“

Die 20 Kriterien der Psychopathy-Checklist (PCL-R) von Robert Hare beschreiben psychopathisches Verhalten sehr treffend und helfen, es zu erkennen. Dabei wäre zu beachten, dass viele Menschen einige Merkmale aufweisen können, nur bei der deutlichen Häufung kann man vom ausgeprägten psychopathischen Verhalten sprechen.

Die fünf Organisationskultur-Pathologien von Manfred Kets de Vries sind auch dabei, darunter: die dramatische, die paranoide, die schizoide, die zwanghafte Organisation. Auch drei Typen von Starallüren der Manager nach Holger Rust (Soziologe) sind durchaus bereichernd: der fröhliche Narzisst, der Angsthase, der berechnende Egomane.

Es wurden auch weitere Punkte genannt, wie man Manipulatoren am Arbeitsplatz an ihrem Verhalten erkennt, z.B.: „Ein Psychopath oder Soziopath:
-spricht hinter dem Rücken der Betreffenden schlecht über andere,
-macht andere lächerlich,
-verdächtigt andere, psychisch krank zu sein,
-beurteilt den Arbeitseinsatz in falscher und kränkender Weise,“ etc. S. 63.

Eine Liste von Joseph Carver, der 20 Warnsignale aus der Sicht der Opfer von Psychopathen festgehalten hat, ergänzt die o.g. Kriterien. Bei Carver geht es vielmehr um private Beziehungen. Die Heiratsschwindler, Erpresser und Betrüger legen i.d.R. so ein Verhalten an den Tag. Als Motivationsgrundlage wurde Befriedigung der Machtgelüste, der Minderwertigkeitskomplexe, finanzielle Bereicherung, uem. genannt.

Das Buch liest sich gut. Die Sprache ist aussagestark und klar. Der Stoff ist prima strukturiert und liefert genug Raum für eigene Überlegungen, sodass man aktiv mitlesen und das maximale Nutzen ziehen kann. Es ist ein Gespräch auf einer Augenhöhe, wie mit einem guten Bekannten, der sich gründlich Gedanken über die Psychopathen im Alltag gemacht hat.

Etliche schöne Zitate von Konfuzius, Gandhi, Aristoteles, etc. unterstreichen das Gesagte und vertiefen das ohnehin gehaltvolle Leseerlebnis. Zum Schluss gibt es auf 5 Seiten weitere inspirierende Sätze bekannter Denker. Und ganz am Ende findet man treffend formulierte Beschreibungen der Psychopathen im Alltag aus der Sicht der Betroffenen, und wie man sich als gutgläubiger Mensch da sinnvoll verhält. Glossar und „‚Urheberverzeichnis‘ als inspirative Quelle“ runden das Ganze ab.

Das Buch ist sehr schön gestaltet: Hardcover, schön gebunden, hochwertiges Papier, die Tinte strotzt vor Schwärze. Die Vielleseraugen freuen sich. Die Schrift hat eine angenehme Größe, es ist genug Text auf jeder Seite. Das Buch liegt prima in der Hand, ist nicht schwer.

Diese Inhalte, die dieses schöne, kluge Buch so wunderbar zusammenhält, sollte jeder Mensch, unabhängig vom Job und gesellschaftlicher Stellung, kennen, denn man ist als Opfer meist nur so lange für die Psychopathen interessant, solange man sie nicht durchschaut und durch eigene Gutgläubigkeit wie positive Lebenseinstellung ein perfektes Opfer für Manipulatoren darstellt. Sobald man das destruktive Verhalten aber erkennt, kann man entsprechende Schritte einleiten und somit den Schaden minimieren. Dieses Buch liefert das nötige Wissen, wie man die Psychopathen im Alltag erkennen und sich schützen kann.
Fünf wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 29.06.2017

Scharfsinnige Analyse des Syrienkonflikts. Toll erzählt. Unbedingt lesen!

Die den Sturm ernten
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Auf rund 160 Seiten, Vorwort plus 8 relativ kurze, aber inhaltsreiche Kapitel, erzählt Michael Luders wie der Konflikt in Syrien entstanden ist, stellt treibende Kräfte, ihre Interessen und ihre Taten, ...

Auf rund 160 Seiten, Vorwort plus 8 relativ kurze, aber inhaltsreiche Kapitel, erzählt Michael Luders wie der Konflikt in Syrien entstanden ist, stellt treibende Kräfte, ihre Interessen und ihre Taten, damals wie heute vor, und gibt im letzten Kap. den Ausblick.
Selbst wenn man sich mit der Thematik bereits beschäftigt hat, liefert dieses Buch doch einige neue Fakten, Details und Sichtweisen, und bringt erfüllte Lesestunden, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Die ersteren Kapitel beschreiben die Entstehung der heutigen Situation in Syrien und gehen kurz auf die Geschichte ein, z.B. wann CIA zum ersten Mal in der Region aufgetaucht war, was sie dort wollte und wie der Umgang mit den Einheimischen ausfiel.
Ab Kap. 4 geht es um die Gegenwart und diverse Aspekte des Syrienkonflikts, die Rolle von USA kommt da nicht zu kurz. In der Hinsicht ähnelt dieses Werk den „Schwarzen Flaggen“ von Joby Warrick, Pulitzer Preis 2016. Ferner auch dem Werk von Daniel Ganser „Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien.“ (2016). Oder auch „Wer beherrscht die Welt?: Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik“ (2016) von Noam Chomsky.

Es ist ein Gespräch mit dem Leser auf einer Augenhöhe. M. Lüders spricht Klartext und nennt die Tatsachen beim Namen. Diese Fähigkeit durchzublicken und der aussagestarke, geradliniger Schreibstil, ohne Effekthascherei und Emotionsgedöns, erinnerten mich an Peter Scholl Latour, z.B. in „Der Fluch der bösen Tat(2015).

M. Lüders schildert, wie aggressiv und skrupellos die USA ihre Außenpolitik betreiben, wie unter dem Deckmäntelchen der Verbreitung der demokratischen Werte etliche Länder angegriffen und Zivilisten getötet werden, und wie heuchlerisch, um 180 Grad gedreht und in emotionales Gedöns gewickelt, all die Gräueltaten entweder ganz verschwiegen oder als etwas Notwendiges und auf jeden Fall Gutes der westlichen Öffentlichkeit verkauft werden.

Für diejenigen, die ihre Meinung über die Geschehnisse in Syrien aus den Öffentlich-Rechtlichen speisen, mag das Buch ein Augenöffner werden. Komfortzone adé. Es ist in etwa so, als wenn man die billige, mit Geschmacksverstärkern versetzte Tiefkühlkost/Fastfood gewohnt ist, bekommt aber plötzlich eine richtig gute Mahlzeit, aus natürlichen Zutaten, von Meisterhand zubereitet. Welten liegen dazwischen. Wie zwischen Halbwahrheiten, ggf. Lügen, die tagein tagaus auf einen herabrieseln, und der adäquaten Schilderung der Tatsachen, samt Erläuterung der Hintergründe, die zwar kein schönes Gesicht hat und u.U. wehtut, aber echt und genau das ist, was man wissen sollte, wenn man die heutige Situation für keine optimale hält. Auf die Schilderungen der Leitmedien geht der Autor auch an einigen Stellen ein und zeigt, was dort getextet wurde und was eigentlich der Kern der Sache war, z.B. wie die Presse die Giftgasangriffe in 2013 auf Ghouta, Syrien, an die Öffentlichkeit getragen hat, wer da gleich als Schuldige genannt wurde, und wer tatsächlich hinter diesen Anschlägen stand, und was diese Interessengruppen damit bezwecken wollten, uvm.
Im Ausblick fragt Lüders: „Wie geht man damit um, wenn das, was zu den größten Errungenschaften unserer Zeit gehört, nämlich Freiheit und Demokratie, in der Geopolitik zu purem Zynismus verkommt? Wie lässt sich angesichts der hier vorgetragenen Faktenlage allen Ernsten behaupten, westliche Politik stehe für „Werte“, im Gegensatz zu etwa russischer oder chinesischer?“ S. 163.

Und liefert abermals Wahres. „Eigentlich wäre es höchste Zeit, innezuhalten und sich neu zu sortieren. Eine Weltordnung zu begründen, die um Ausgleich und Kompromiss unter den jeweiligen Akteuren bemüht ist, einen Dialog auf Augenhöhe führt. Die vom Zenit abgleitende Weltmacht USA sucht genau diesen Ausgleich nicht. Sie ist bestrebt, eigene Interessen auf Kosten anderer durchzusetzen, notfalls mit Gewalt. Und nicht zuletzt mit Hilfe einer auch medial betriebenen Dämonisierung des gegenwärtigen Hauptgegners Russland. Die Machtpolitik Moskaus, Teherans oder Pekings ist im Zweifel jedoch nicht mehr und nicht weniger skrupellos als die des Westens. Sie in den Kategorien von „gut“ und „böse“ zu verorten, wobei „wir“ natürlich zu den Guten rechnen, das grenzt an Volksverdummung.“ S. 167. Die Verdummung wird m.E. seit längerem betrieben. Dieses Buch ist ein sehr gutes Mittel dagegen.

Fazit: 5 besonders hell leuchtende Sterne. Unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 23.06.2017

Informativ, unterhaltsam, sehr schön erzählt!

Die Genies der Lüfte
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Auf rund 349 Seiten reinen Textes, auf 8 Kapitel aufgeteilt, plus Einleitung (19S.), Danksagung (5 S.), Anmerkungen (74 S.), Register (13S.) erzählt Jennifer Ackermann faszinierende Geschichten über die ...


Auf rund 349 Seiten reinen Textes, auf 8 Kapitel aufgeteilt, plus Einleitung (19S.), Danksagung (5 S.), Anmerkungen (74 S.), Register (13S.) erzählt Jennifer Ackermann faszinierende Geschichten über die Genies der Lüfte.
Jedes Kapitel ist ein Schmuckstück und Fülle an Informationen über diverse Arten von Vögeln, ob es um „Soziales Talent geht“, Kap. 4, oder „Ästhetische Artistik“, Kap. 6, oder auch „Räumliche (und zeitliche) Findigkeit“, Kap. 7.
Das Lesen dieses Buches ähnelt dem Gespräch mit einer Freundin, die vieles über Vögel zu berichten weiß. J. Ackermanns Begeisterung, die im weiteren Verlauf auf die Leser rüber springt, ist schon fast mit den Händen zu greifen. Mit ihrer schönen Art zu erzählen und dem profunden Wissen, hat sie mich absolut überzeugt.
J. Ackermann nimmt ihre Leser mal nach Australien, mal zum Äquator, mal in die nördlicheren Gefilde mit. Man reist um die Welt und lernt Vogelarten kennen, ihr typisches und atypisches Verhalten in Kernbereichen des Lebens wie Familiengründung, Nachwuchserziehung, Treue in der Ehe oder gut verstecktes Fremdgehen. So verhilft sie zu einem besseren Verständnis und zur Bewunderung dieser Genies der Lüfte.
Viele Experimente, die die Intelligenz, soziale Kompetenz, etc. der Vögel testen, wurden beschrieben, dabei die intelligentesten und die dümmsten Vogelarten genannt. Da man sich den Vögeln von der Warte der menschlichen Intelligenz nähert, erfährt man einiges auch zu ihrer Forschung. Im weiteren Verlauf wurden immer wieder Parallelen zum menschlichen Verhalten gezogen. Die Krähen wurden als eine der intelligentesten Vorgelarten genannt. Es wurde z.B. beobachtet, dass sie Menschen, die sie regelmäßig füttern, mit Geschenken bedenken: mal eine glitzernde Glasscherbe, mal ein schillerndes Herz aus Blech oder auch ein LOVE Anhänger.
Dass Vögel voneinander lernen, um besser ans Futter zu kommen oder sich den geänderten Umständen anpassen, ist vllt noch zu erwarten, aber dass Vögel soziale Netzwerke haben, die prima funktionieren, um den Alltag zu bewältigen, oder dass „der einzelne Vogel im Schwarm, mit bis zu sieben engen Nachbarn interagiert und individuellen Bewegungsentscheidungen trifft, bei denen er die allgemeine Geschwindigkeit und den Abstand zu Schwarmmitgliedern berücksichtigt und darauf achtet, wie scharf ein Nachbar wendet“ ist schon erstaunlich. Dass die Vögel trösten und trauern wurde auch sehr schön und bildhaft dargestellt.
Oder auch, dass die Vögel Menschen problemlos erkennen können, selbst wenn man sich sehr gut verkleidet, dass Vögel, diejenigen, die sie mal bedrängt haben, auch nach Jahren wiedererkennen und versuchen, solche Personen anzugreifen und zu bestrafen. Vögel können sofort „den sozialen Status eines Fremden erschließen, indem sie beobachten, wie andere Vögel sich verhalten, was ihnen unnötige Konflikte erspart – und eventuelle Verletzungen.“ S. 143.
Auch über andere Tierarten ist oft die Rede, z.B. beim Lernverhalten wurden die Erdmännchen beschrieben, wie sie ihren Nachwuchs zu jagen lehren. Oder auch es wird berichtet, was Ameisen tun, um ihr Wissen weiterzugeben. Dann folgen Vergleiche mit Vögeln, es werden einige Parallelen und Schlüsse gezogen.
Besonders unterhaltsam waren die Beschreibungen des unorthodoxen Verhaltens der Vögel, da gibt es viele Beispiele, auch anekdotenhafte Vorfälle, die fürs Schmunzeln sorgen und den Spaßfaktor erhöhen.
Paar englische Sprichwörter lernt man auch dazu, sie sind erst in der Originalversion, dann in dt Übersetzung da. Ähnlich ist es mit den Namen: Erst folgt lateinischer Begriff, dann die engl. Bezeichnung und anschl. dt Äquivalent, oder manchmal nur lat. Begriff und die dt Bezeichnung.

Das Buch ist sehr schön gemacht: gebunden, Einband in tiefem Blau, Lesebändchen im gleichen Ton, Umschlagblatt. Für Freunde und Familienmitglieder, die sich für das Thema begeistern oder die Vögel erst kennenlernen wollen, ist ein sehr schönes Geschenk. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung.