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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.08.2022

Eine Annäherung an seinen Vater

Meines Vaters Heimat
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Nach dem Tod des Vaters schlummern dessen Briefe, Tagebücher und andere Aufzeichnungen vorerst einmal für lange Jahre fast vergessen auf dem Dachboden des Hauses, bis der Sohn und Autor die vergilbten ...

Nach dem Tod des Vaters schlummern dessen Briefe, Tagebücher und andere Aufzeichnungen vorerst einmal für lange Jahre fast vergessen auf dem Dachboden des Hauses, bis der Sohn und Autor die vergilbten Briefe aus dem KZ Fuhlsbüttel entdeckt und glaubt, der Briefschreiber Walter sei der Zwillingsbruder seines Vaters Michael, der in den Wirren des Zweiten Weltkriegs auf ungeklärte Weise verschwunden ist. Als er dann begreift, dass Walter und Michael ein und dieselbe Person sind, ist seine Neugier geweckt und begibt sich auf Spurensuche.

Denn er kennt seinen Vater Michael nur als Leiter des militärpsychologischen Instituts und Hochschullehrer, der nebenbei noch für schwedische Zeitungen schreibt.

Da er weder deutsch noch die Sütterlinschrift beherrscht, muss er die Texte transkribieren und übersetzen lassen.

Dabei entdeckt er, dass die Lebensgeschichte seines Vaters schon lange auch seine eigene ist.

Meine Meinung:

Dieses Buch ist ein sehr wichtiges, jedoch an manchen Stellen kaum auszuhalten.
Sehr spannend zu lesen ist, dass nicht nur Täter ihre NS-Vergangenheit verschwiegen haben, sondern auch das Opfer des Regimes Walter. Es ist wie so oft, dass man erst nach dem Tod eines Angehörigen diesen erst kennenlernt, aber es zu spät ist, Fragen zu stellen und beantwortet zu bekommen. Alles was Torkel recherchiert (und das ist nicht wenig), ist aus zweiter oder gar dritter Hand.

Torkel S. Wächter beschreibt die Annäherung an seinen Vater, seine eigenen Zweifel, sein Konvertieren zum Judentum und sein ererbtes Trauma.

Nicht immer ganz chronologisch rekonstruiert Wächter das Leben seines Vater anhand der Dokumente und betagten Weggefährten. Als er sich eines Übersetzers für deutsch und Sütterlin bedient, weiß er noch nicht, dass dieser Mann seine Angebot dazu benützt, sein eigenes Gewissen zu beruhigen und sich zahlreiche Unverschämtheiten herausnimmt.

Dieses Buch spielt in mehreren Zeitebenen. Durch zahlreiche Rückblicke kann der Leser tief in die Gräuel der NS-Zeit eintauchen, was nicht immer leicht zu ertragen ist.

Fazit:

Ein tragische und gleichsam berührendes Eintauchen in die Welt des Vaters, von der Torkel S. Wächter so gar keine Ahnung hatte. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 21.08.2022

Sprachlich wunderbar

Doppelleben
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Alain Claude Sulzer entführt uns in seinem neuen Roman "Doppelleben" in die Zeit Napoleon III. Die Gebrüder Jules und Edmond de Goncourt leben seit dem Tod der Mutter in einem einem gemeinsame Haushalt. ...

Alain Claude Sulzer entführt uns in seinem neuen Roman "Doppelleben" in die Zeit Napoleon III. Die Gebrüder Jules und Edmond de Goncourt leben seit dem Tod der Mutter in einem einem gemeinsame Haushalt. Ver- und umsorgt werden die Brüder von Rose, einer unscheinbaren Magd.

Obwohl keine Zwillinge können die Beiden nicht ohne einander sein. Sie sind so aufeinander fixiert, dass ihnen das Doppelleben von Rose nicht auffällt. Erst nach dem Tod von Rose kommt alles ans Tageslicht.

Meine Meinung:

Dieser historische Roman zeigt deutlich, dass Hauspersonal in vielen Fällen als - einem Möbelstück ähnlich - austauschbar angesehen worden ist. Wobei, die Brüder haben nie daran gedacht, Rose zu ersetzen, obwohl sie überhaupt nicht kochen konnte und ihnen teilweise ungenießbare Speise vorgesetzt hat. Jules und Edmond sind in ihrer eigenen Welt eingesponnen. Vor allem als bei Jules die Syphilis ausbricht, mit der er sich vor Jahren, nicht einmal zwanzigjährig, angesteckt hat und jahrelang vor sich hinsiecht.

Meine Meinung:

Alain Claude Sulzer hat mit diesem historischen Roman das Sittenbild dieser Zeit sehr gut eingefangen. Man kümmert sich nur um sich. Hausangestellte sind ein notwendiges Übel, das man am besten übersieht. Dass es sich hier auch um Menschen mit Sehnsüchten und Träumen handelt, wird geflissentlich übersehen bzw. gar nicht in Betracht gezogen. Umso überraschter sind die Brüder, als Roses Doppelleben ans Tageslicht kommt. Nicht nur, dass sie heimlich ein Kind geboren, dem Kindesvater hörig war, hat sie ihre Dienstgeber auch noch bestohlen, weil sie der Abhängigkeit nicht entkommen ist.

Geschickt erzählt der Autor die Lebensläufe parallel. Manchmal habe ich den Eindruck gehabt, die beiden Handlungsstränge haben so gar nichts miteinander zu tun, bis sie sich wieder kreuzen.

Das Brüderpaar schreibt abwechselnd rund 50 Jahre lang Tagebücher, in denen sie sich über zahlreiche Personen recht auslassen. Ihrer Magd setzen sie allerdings mit dem Roman „Germinie Lacerteux (1865)“ auf deutsch Das Dienstmädchen Germinie ein eindrucksvolles Denkmal.-

Edmond wird seinen Bruder Jules um 26 Jahre überleben.

Der nach den Brüdern benannte Prix Goncourt hat sich zum begehrtesten und werbewirksamsten der zahlreichen französischen Literaturpreise entwickelt.

Fazit:

Dieser erzählerischen Meisterleistung, die uns mit den Stiftern des Prix Goncourt bekannt macht, gebe ich gerne 5 Sterne..

Veröffentlicht am 21.08.2022

Vier Frauen und ein Mörder

Ein Fremder hier zu Lande
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Dieser historische Krimi ist der zweite Fall für den jungen Kriminalbeamten Wilhelm von der Heyden und seinen Kollegen Vorweg.

Diesmal müssen sie sich mit einem Mörder beschäftigen, der blonde Prostituierte ...

Dieser historische Krimi ist der zweite Fall für den jungen Kriminalbeamten Wilhelm von der Heyden und seinen Kollegen Vorweg.

Diesmal müssen sie sich mit einem Mörder beschäftigen, der blonde Prostituierte umbringt. Doch die Jagd nach dem Täter wird vom tragischen, politisch motivierten Tod durch ein Duell ihres Vorgesetzten überschattet. Die beiden müssen nämlich um ihren Job bei Kriminalpolizei bangen, deren strukturierte Aufbau das Steckenpferd des toten Polizeidirektors war, denn ausgerechnet ihr Widersacher aus dem ersten Band, übernimmt dessen Aufgaben und will die beiden unbequemen Ermittler lieber heute als morgen loswerden.

Meine Meinung:

Autor Ralph Knobelsdorf gelingt es ausgezeichnet, sowohl die Perspektive der Ermittler als auch die des Täters darzustellen.

Sehr gut gelungen sind die Rivalitäten und Animositäten bei der Berliner Polizei. Die einen setzen auf (teilweise brutal erzwungene) Geständnisse, die anderen wie von der Heyden und Vorweg auf Fakten und Beweise. Es wird noch eine geraume Zeit dauern, bis die Vorteile von Fingerabdrücken ähnlichem Einzug in die Ermittlungen halten wird.

Das historische Umfeld ist penibel recherchiert und der Leser erhält einen Einblick in die Lebensweise des 19. Jahrhunderts. Nicht fehlen darf natürlich auch das Privatleben von Wilhelm von der Heyden.

Fazit:

Dieser gelungenen Fortsetzung gebe ich gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 17.08.2022

Wow, was für ein Krimi!

See ohne Wiederkehr
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Dieser 7. Fall für Max Madlener und Harriet Holtby ist der wohl bislang Persönlichste für die beiden, wenn auch aus unterschiedlichsten Gründen.

Bereits der Prolog beginnt mit einem Paukenschlag: Harriet ...

Dieser 7. Fall für Max Madlener und Harriet Holtby ist der wohl bislang Persönlichste für die beiden, wenn auch aus unterschiedlichsten Gründen.

Bereits der Prolog beginnt mit einem Paukenschlag: Harriet sitzt in Untersuchungshaft, denn sie soll mit ihrer Dienstwaffe einen Immobilienmakler erschossen haben. Sie kann sich an nichts erinnern, aber die Spurenlage am Tatort legt dies nahe. Obwohl Madlener nach der Explosion an der Tankstelle (siehe „Der Tote aus dem See“) nach wie vor rekonvaleszent ist, beginnt er mit seinen Nachforschungen. Denn weder er noch die anderen Kollegen können glauben, dass Harriet einen Mord begangen hat.

Um Harriet, die sich weder verteidigt noch einen Anwalt haben will, zu helfen, bieten die Kollegen alles auf, was möglich ist. Selbst die Kollegen, die eher für einen gemütlichen Feierabend zu haben sind, aktivieren ihre Kräfte.

Doch je tiefer Max in die Geschichte eintaucht, desto komplexer wird der Fall. In einem abermals furiosen Finale macht Max Madlener seinem Spitznamen „Mad Max“ alle Ehre…


Meine Meinung:

So manche Krimi-Reihe verliert nach vier, fünf Bänden ihren Schwung. Bei Walter Christian Kärger ist das nicht der Fall. Ja mit jedem überführten Verbrecher, mit jedem gelösten Kriminalfall scheint das Duo Madlener/Holtby besser aufeinander eingespielt.

Doch wie wird es nun weiter gehen? Harriet ist nun quasi „entzaubert“, ihr Nimbus der Unnahbaren ist gelüftet. Wird ihre Vergangenheit in der Dienststelle ein Thema werden? Nicht dass Mad Max eine Plaudertasche wäre, aber Gerüchte machen schnell die Runde.

Mir hat dieser Krimi sehr gut gefallen, zeigt er doch, dass, wenn es sein muss, auch lethargische Kollegen ihren inneren Schweinehund überwinden. Selbst der Polizeidirektor, der Max Madlener und auch Harriet Holtby am liebsten in einer anderen Dienststelle sehen möchte, toleriert Mad Max‘ unkonventionelle Ermittlungsmethoden.

Mehrmals musste ich über die Schilderungen von Max‘ Verhalten auf der Reha grinsen. Nun ja, Geduld ist nicht seine größte Tugend und Befehle gibt er lieber selbst.

Ich freue mich schon auf einen nächsten Band.

Fazit:

Diesem komplexen Krimi gebe ich gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 14.08.2022

Eine Hommage an eine fast Vergessen

Ich bin ja heut so glücklich
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In diesem biografischen Roman nimmt sich Charlotte Roth eines fast vergessenen
Filmstars an: Renate Müller (1906-1937).

Renate Müller - nie gehört? Wer zum Teufel ist das denn? Das werden sich einige ...

In diesem biografischen Roman nimmt sich Charlotte Roth eines fast vergessenen
Filmstars an: Renate Müller (1906-1937).

Renate Müller - nie gehört? Wer zum Teufel ist das denn? Das werden sich einige Leser fragen. Anders als Marlene Dietrich, Henny Porton oder Pola Negri ist es Renate nie gelungen, als DER Superstar im Gedächtnis zu bleiben.

Wer ist sie nun, diese Renate Müller?

Geboren als Tochter eines Journalisten wächst sie, gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Gabi, in Emmering bei München wohlbehütet und in einigem Wohlstand auf. Renates Traum, Schauspielerin zu werden, geht 1924 in Erfüllung - zuerst am Theater, dann beim Stummfilm, später dann auch beim Tonfilm. Da hilft ihr die ausgebildete Singstimme. Allerdings wird sie nicht als strahlende Heldin besetzt, sondern als braves Mädel von nebenan. Denn Renate ist ein wenig pummelig, während aktuell der androgyne Typ im Film gefragt ist. Doch Renate klettert langsam die Erfolgsleiter hinauf.

Obwohl sie in einem politischen Elternhaus aufgewachsen ist, interessiert sie sich nicht für die Politik und übersieht die Änderungen in der politischen Landschaft, in der nun die Nazis immer mehr die Zügel an sich reißen.

Einer, der sich bei den neuen Machthabern profiliert, ist Werner Lohse, Renates Freund aus den Kindertagen in Emmering. Werner ist seit seiner Kindheit davon überzeugt, dass Renate seine Frau wird. Nach zahlreichen beruflichen Misserfolgen wird er Chauffeur bei Joseph Goebbels. Nun hat Werner die Möglichkeit Renate häufig zu sehen und sie regelrecht zu verfolgen. Zwei Personen machen seinem Traum allerdings einen Strich durch die Rechnung: Zum einen Renate selbst, die ein heimliches, weil verboten, Verhältnis mit dem jüdischen Bankierssohn Georg Deutsch unterhält, der Lohse schon seit jeher verhasst ist, und zum anderen Joseph Goebbels, der Renate Adolf Hitler als Geliebte andienen will.

Nachdem Renate sich weigert, für das Regime zu arbeiten, gleitet sie eine Depression ab, die sie mit Alkohol und Drogen betäubt. Letzten Endes findet man sie schwer verletzt auf der Terrasse ihres Hauses. Wenig später stirbt sie mit nur 31 Jahren. Die Umstände ihres Sturzes aus dem ersten Stock bleiben ungeklärt. Unfall, Selbstmord oder haben die Schergen des Regimes ein wenig nachgeholfen?

Meine Meinung:

Ich habe erst unlängst eine Doku über mehrere Frauen in Hitlers Dunstkreis gesehen, die unter zweifelhaften Umständen ums Leben gekommen sind. Renate Müller ist neben Geli Raubal eine von ihnen.

Autorin Charlotte Roth betont in ihrem Nachwort, dass das vorliegende Buch nicht als Biografie, sondern als Hommage an sie zu verstehen ist.
Renate Müller teilt ihr trauriges Schicksal mit zahlreichen anderen Künstlern, die sich nicht vereinnahmen lassen wollten. Nicht wenige, die es nicht schafften das Land rechtzeitig zu verlassen, haben Selbstmord begangen oder sind dem dem Regime zum Opfer gefallen.

Charlotte Roths Schreibstil lässt die Zwischenkriegszeit und die Anfänge des deutschen Films lebendig auferstehen. Die historischen Details sind penibel recherchiert.

Der Titel des Buchs Ich bin ja heut so glücklich ist übrigens aus dem Film „Die Privatsekretärin“ (1931), der wie im Buch beschrieben von ihr selbst gesungen worden ist und zu einem überaus populären Schlager avanciert ist.

Fazit:

Eine Leseempfehlung für alle jene, die gerne in die Anfänge des deutschen Films eintauchen wollen. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.