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Veröffentlicht am 29.08.2022

Interessanter Reihenauftakt

Mord in bester Gesellschaft
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England, 1816. Beatrice Hyde-Clare ist 26 und damit im Grunde schon eine alte Jungfer. Seit dem Tod ihrer Eltern lebt sie bei Tante und Onkel, vom Leben hat sie nicht viel zu erwarten. Als sie mit ihren ...

England, 1816. Beatrice Hyde-Clare ist 26 und damit im Grunde schon eine alte Jungfer. Seit dem Tod ihrer Eltern lebt sie bei Tante und Onkel, vom Leben hat sie nicht viel zu erwarten. Als sie mit ihren Verwandten den Landsitz Lakeview Hall besucht, stolpert sie nachts über die Leiche des Gewürzhändlers Mr. Otley. Vor Ort ist jedoch auch der unausstehliche Duke of Kesgrave, der den offensichtlichen Mord unbedingt als Selbstmord tarnen möchte – für Beatrice natürlich ein Grund, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen.

„Mord in bester Gesellschaft“ ist der erste einer im Original bereits zehn Bände umfassenden Reihe der US-amerikanischen Autorin Lynn Messina. Auf Deutsch erscheint die Reihe nun im Thiele Verlag und besticht durch ihre verspielten Cover und das handliche Kleinformat. Die Handlung wird aus der Sicht von Beatrice in der dritten Person und der Vergangenheitsform erzählt. Die Sprache ist dabei der Regeny-Periode angepasst, wobei die Protagonistin für die Zeit ausgesprochen feministisch und willensstark erscheint.

Der Fokus der Geschichte liegt sicherlich auf dem fortlaufenden Schlagabtausch zwischen Beatrice und dem Duke of Kesgrave. Dieser erscheint zwar am Anfang als unerträglich arroganter Schnösel, erweist sich im Laufe der Handlung aber als jemand, der Intelligenz und Selbstvertrauen an Frauen durchaus zu schätzen weiß. Für ihn ist es zwar eine neue Erfahrung, aber ebenso erfrischend, dass Beatrice ihm gegenüber den erwarteten Respekt vermissen lässt und sich als in jeder Hinsicht ebenbürtig erweist.

Hinter den Interaktionen der beiden Hauptfiguren bleibt die Kriminalhandlung leider zurück. Einer der Nebencharaktere fragt sich an einer Stelle des Romans zurecht, wie irgendjemand bei einem Todesfall, der durch einen Schlag auf den Hinterkopf mit einem Kerzenleuchter herbeigeführt wurde, ernsthaft an Selbstmord glauben kann. Und auch die Auflösung des Falles ist nicht unbedingt komplex. Dennoch möchte ich gerne wissen, wie es mit Beatrice weitergeht und zum Glück erscheint Band 2 bereits am 29. September.

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Veröffentlicht am 25.08.2022

Außergewöhnlich

Herr Gröttrup setzt sich hin
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Ich kenne niemanden, der so schreibt wie Sharon Dodua Otoo. Das beweist sie mit „Herr Gröttrup setzt sich hin“, ihrer neu erschienenen Sammlung von insgesamt drei Texten ganz unterschiedlicher Art.

Zunächst ...

Ich kenne niemanden, der so schreibt wie Sharon Dodua Otoo. Das beweist sie mit „Herr Gröttrup setzt sich hin“, ihrer neu erschienenen Sammlung von insgesamt drei Texten ganz unterschiedlicher Art.

Zunächst wäre da die Titel gebende Kurzgeschichte rund um Herrn Gröttrup, seine Frau Irmi und ein widerspenstiges Ei. Als Vorbild der Figuren dienen dabei der reale Raketenwissenschaftler Helmut Gröttrup und seine Ehefrau. Insgesamt erinnert das Setting in seiner Spießigkeit ein wenig an einen Loriot-Sketch: die Gröttrups wollen ihr Frühstück wie gewohnt einnehmen, doch das Ei entscheidet sich, hart zu bleiben. Damit nimmt die Autorin schon eine Technik vorweg, die sie in ihrem Roman „Adas Raum“ perfektionieren wird: Dinge erzählen die Geschichte; auch eine Ada, hier die Putzfrau der Gröttrups, kommt bereits vor. Mit dieser grandiosen Erzählung gewann Dodua Otoo 2016 den Ingeborg-Bachmann-Preis.

Als zweiter Text ist ihre Klagenfurter Rede zur Literatur aus dem Jahr 2020 abgedruckt, die den Titel „Dürfen Schwarze Blumen malen?“ trägt. In ihr setzt sich die Autorin und Aktivistin mit dem Thema Sprache auseinander. Diese verkraftet, ihrer Meinung nach, Veränderung ausgezeichnet und ist von einem ständigen Lernprozess begleitet. Natürlich geht es aber auch darum, auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und darauf, dass Schwarze Kunst immer auch als Repräsentation einer ganzen Community verstanden wird – ob Künstler*innen das nun wollen oder nicht.

Der dritte Text „Härtere Tage“ ist sicherlich der Persönlichste. Hier entwirft Sharon Dodua Otoo eine Vision davon, was geschehen wäre, wenn ihre Eltern in Klagenfurt anwesend gewesen wären und schreibt aus dem Jahr 2022 an ihr damaliges Ich. Die Botschaft? Unterschiedliche Lebensläufe prägen uns, aber wir sind mehr als das, was unsere Eltern in uns sehen – darum lasst uns Frieden schließen mit ihnen, unseren Differenzen und Erwartungen aneinander.

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Veröffentlicht am 22.08.2022

Die Frage nach dem "Warum"

Der Duft von Eis
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Ryoko bügelt gerade, als sie den folgenschweren Anruf bekommt: Hiroyuki, ihr Freund, mit dem sie seit Jahren zusammen ist, hat sich an seinem Arbeitsplatz das Leben genommen. In der Leichenhalle trifft ...

Ryoko bügelt gerade, als sie den folgenschweren Anruf bekommt: Hiroyuki, ihr Freund, mit dem sie seit Jahren zusammen ist, hat sich an seinem Arbeitsplatz das Leben genommen. In der Leichenhalle trifft sie auf Akira, Hiroyukis jüngeren Bruder, von dessen Existenz sie bisher nichts wusste. Die beiden tauschen sich aus und Ryoko muss feststellen, dass sie eigentlich gar nichts über ihren Partner gewusst hat. Ihr bleibt nur ein Parfüm, das er für sie kreiert hat und eine willkürlich erscheinende Liste von Beschreibungen. Und so begibt Ryoko sich auf die Suche, in Hiroyukis Kindheit, seiner Heimat, seiner Familie – bis sie am Ende schließlich in Prag landet.

„Der Duft von Eis“ der mehrfach preisgekrönten Autorin Yoko Ogawa wird aus der Sicht ihrer Protagonistin Ryoko in der Ich- und Vergangenheitsform erzählt. Auf diese Weise sind wir ganz nah an den Geschehnissen, ihrer Trauer und den verzweifelten Versuchen, Hiroyukis Tat einen Sinn zu geben. Es ist seltsam, denn eigentlich lernt Ryoko ihn erst nach seinem Tod richtig kennen, erfährt von seiner Liebe zur Mathematik, zum Eislaufen und von einem einschneidenden Erlebnis in seiner Kindheit. Einziges Problem: Sie kann nicht mehr mit ihm darüber sprechen.

Während sein Bruder Akira sich mit der Situation arrangiert und versucht, seiner Mutter den Lieblingssohn zu ersetzen, verbeißt Ryoko sich in die Suche nach der Wahrheit: Was hat Hiroyuki in den Tod getrieben? Warum hat er über so viele Dinge nie mit ihr gesprochen? Und was bedeutet die seltsame Liste, die er hinterlassen hat? Irgendwann glaubt Ryoko, in seinen Worten bestimmte Orte und Ereignisse wiederzuerkennen und reist in ihrer Obsession nach Prag, wo Hiroyuki als Schüler den letzten Mathematikwettbewerb seines Lebens einfach abgebrochen hat.

„Der Duft von Eis“ ist ein emotionaler, zarter Roman über Trauer und Verlust und die Unmöglichkeit, in schrecklichen Geschehnissen einen Sinn zu entdecken. Nach und nach verlässt die Handlung den Bereich des Wirklichen und geht in magischen Realismus über. Ob Ryoko all das tatsächlich erlebt oder ob sie es sich in ihrer Trauer nur einbildet, bleibt offen.

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Veröffentlicht am 11.08.2022

Über die Wandelbarkeit von Sprache und Menschen

Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss
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Von Antje Rávik Strubel hörte ich, ehrlicherweise, zum ersten Mal, als sie im vergangenen Jahr für „Blaue Frau“ wohlverdient den Deutschen Buchpreis gewann. Mit „Es hört nicht auf, dass man etwas sagen ...

Von Antje Rávik Strubel hörte ich, ehrlicherweise, zum ersten Mal, als sie im vergangenen Jahr für „Blaue Frau“ wohlverdient den Deutschen Buchpreis gewann. Mit „Es hört nicht auf, dass man etwas sagen muss“ liegt jetzt nun die neuste Veröffentlichung der Autorin vor, die auch als Übersetzerin (Virginia Woolf, Joan Didion…) tätig ist. Es handelt sich um eine Sammlung von Essays, die zwischen 2003 und 2021 entstanden sind.

Den Anfang macht Rávik Strubels Rede bei der Verleihung des Buchpreises, in welcher sie die Themen der Sammlung vorgibt und zeigt, was ihr wichtig ist. Es geht um den spielerischen Umgang mit Sprache; Sprache ist wandelbar, so die Autorin, und so sind es auch die Menschen. Daher befasst sie sich in ihren Essays mit einer Vielzahl von Themen: von Pronomen und Gendersternchen, über die ungleiche Bezahlung von Künstlerinnen und Künstlern bis hin zu strukturellem Rassismus und Sexismus – Rávik Strubel legt den Finger in die Wunde unserer aktuellen gesellschaftlichen Lage, mal ernsthaft, mal mit herrlicher Ironie und Humor. Warum gibt es so viel Kritik am Gendern, aber niemand befasst sich mit dem Verschwinden des herrlichen „ß“? - das kann die Autorin nicht begreifen.

Sie erzählt auch von eigenen Erfahrungen, wie sie beispielsweise in einer Kulturdelegation beim Händeschütteln einfach übergangen wird, weil sie eine Frau ist oder dass Kritiker sich nicht vorstellen können, dass bestimmte Dinge in ihren Romanen tatsächlich geplant sind und einen Sinn haben. Außerdem fragt sie sich, ob eine deutsche Autorin auch immer nur deutsche Texte schreiben muss und was das eigentlich genau bedeutet.

Dann widmet sie sich auch berühmten Paaren: Virginia Woolf (auf die sie immer wieder zurückkommt) und Vita Sackville-West, Astrid Lindgren und Louise Hartung (zugegeben eine eher einseitige Liebe Hartungs zur verschlossenen Kinderbuchautorin), Selma Lagerlöf und Sophie Elkan (später mit Valborg Olander quasi zu einem Liebesdreieck erweitert) und schließlich Penthesilea und Achill. Was machte sie alle aus? Was zog sie aneinander an? Was ließ sie scheitern? Eine bemerkenswerte Sammlung!

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Veröffentlicht am 12.06.2022

Stimmiger Abschluss eines Fantasy-Epos

Im Zeichen der Mohnblume - Die Erlöserin
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Rin wurde verraten, nur Kitay ist ihr als enger Verbündeter geblieben. Auch der Krieg, den sie schon seit vielen Monaten führt, steckt in einer Sackgasse. Dennoch zieht sie mit ihrer Armee in Richtung ...

Rin wurde verraten, nur Kitay ist ihr als enger Verbündeter geblieben. Auch der Krieg, den sie schon seit vielen Monaten führt, steckt in einer Sackgasse. Dennoch zieht sie mit ihrer Armee in Richtung Süden, ihrer Heimat, um dort einen letzten, verzweifelten Versucht zu unternehmen, das Schicksal zu ihren Gunsten zu wenden. Ihr Heer folgt ihr blind, hat ihr als „Generalin Fang“ sein ganzes Vertrauen geschenkt; doch das, was Rin vorhat, könnte stattdessen die Welt in Flammen aufgehen lassen.

Mit „Die Erlöserin“ schließt Autorin Rebecca F. Kuang ihre Trilogie um die Schamanin Fang Runin, genannt Rin, ab. Dass ihr damit ein beeindruckendes Fantasy-Epos gelungen ist, noch dazu ihr Debüt, steht außer Frage und es gibt so vieles, was mir daran gefällt. Zunächst einmal ist es sehr erfrischend, in Rin eine Protagonistin zu haben, die fehlerbehaftet ist. Sie mag stets das Richtige wollen, aber der Weg, den sie einschlägt, um ihre Ziele zu erreichen, ist oft skrupellos, grausam und brutal. Ihr ist durchaus bewusst, dass sie zwar eine gute Kämpferin ist, zur Herrscherin oder gar zur Diplomatin jedoch nicht taugt.

Einen Ausgleich findet Rin in der Freundschaft zu Kitay, der für sie die Stimme der Vernunft und des Volkes ist. Auch hier fand ich sehr angenehm, dass die Trilogie den Fokus nicht auf eine Liebesbeziehung oder gar das unvermeidliche Liebesdreieck legt. Die Liebe ist Rin zwar nicht fremd, aber sie definiert nicht ihr Handeln oder ihre Persönlichkeit. Mit Kitay verbindet sie bis zur letzten Seite eine starke, ehrliche Liebe, die jedoch nicht romantischer oder sexueller Natur ist.

Zudem liefert „Im Zeichen der Mohnblume“ in allen drei Teilen interessante und wichtige Einblicke in die „Kunst“ und das Wesen des Krieges, die teilweise auf sehr realen Vorbildern beruhen. In die Schlacht zu ziehen und sie vielleicht sogar zu gewinnen, das ist das Eine. Doch was passiert eigentlich nach dem Krieg, wenn das Volk wieder sich selbst überlassen, in den Überresten seines Landes leben muss? Eine Frage, die aktueller gar nicht sein könnte.

Das Ende ist nicht unbedingt ein fröhliches, aber das hätte wohl auch nicht zur Trilogie gepasst – ich bin jedenfalls damit zufrieden, welchen Abschluss die Autorin für ihre Handlung und ihre (Anti-)Heldin gewählt hat. Manches Mal hätte sie sich allerdings etwas kürzer fassen dürfen und vor allem in diesem letzten Band eröffnen sich einfach zu viele Nebenstränge. Nun freue ich mich auf R.F. Kuangs neues Werk „Babel“, mit dem sie eine ganz andere Richtung einschlagen wird.

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