Profilbild von westeraccum

westeraccum

Lesejury Star
offline

westeraccum ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit westeraccum über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.10.2022

Anspruchsvoll und wunderbar

Lektionen
0

Bisher habe ich einige Bücher von Ian McEwan gelesen und fand sie überwiegend sehr gut. Nun aber ein Werk mit über 700 Seiten, ob das gut geht? Ich war skeptisch.
Man begleitet in dem Buch Roland Baines ...

Bisher habe ich einige Bücher von Ian McEwan gelesen und fand sie überwiegend sehr gut. Nun aber ein Werk mit über 700 Seiten, ob das gut geht? Ich war skeptisch.
Man begleitet in dem Buch Roland Baines durch sein Leben. Ausgangspunkt ist, dass seine Frau Alissa ihn mit dem vier Monate alten Sohn Lawrence verlässt, um Schriftstellerin zu werden. Gerade ist der Reaktor in Tschernobyl explodiert und so droht der kleinen Familie Gefahr nicht nur von innen, sondern auch von außen durch die unsichtbare radioaktive Wolke. Aber Roland schlägt sich durch, nimmt wechselnde Arbeitsstellen an, auf dem Bau, als Hotelpianist, als Glückwunschkartendichter, immer am Rande der Armut, und seine Frau bleibt verschwunden. Irgendwann heiratet er Daphne, eine alte Freundin, und es kehrt etwas Ruhe in sein Leben ein. McEwan erzählt aber auch immer wieder in Rückblicken von Rolands früherem Leben, von seinen Eltern und Schwiegereltern und so zieht man mit dem "rastlosen Narr" durch die Jahrzehnte.
An McEwans Stil musste ich mich zuerst gewöhnen, er schreibt zwar leicht und locker, neigt aber zu langen Sätzen, die aber in sich immer logisch sind. Insofern kann man das Buch nicht einfach weglesen, sondern es braucht sie volle Aufmerksamkeit. Trotzdem ging es leicht voran und am Ende fand ich es schade, dass es schon endete.
Ich halte das Buch für ein unbedingtes Muss für anspruchsvolle Leserinnen und Leser.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.09.2022

Großartig

Bullauge
0

Wieder einmal taucht Friedrich Ani tief in die Seele eines versehrten Menschen ein und bringt die Leser zum Nachdenken.
Der Polizist Kay Oleander, der Ich-Erzähler, wurde bei einer Demo von Querdenkern ...

Wieder einmal taucht Friedrich Ani tief in die Seele eines versehrten Menschen ein und bringt die Leser zum Nachdenken.
Der Polizist Kay Oleander, der Ich-Erzähler, wurde bei einer Demo von Querdenkern am Auge verletzt und ist jetzt auf einem Auge blind. Trotz seiner Krankschreibung versucht er den Täter zu finden und stößt dabei auf Silvia Glaser, die an der Demo teilgenommen hat. Auch diese Frau ist versehrt im wörtlichen und übertragenen Sinn, denn angeblich wurde sie von einem Polizeiwagen zu einem Unfall mit dem Rad gedrängt und humpelt seitdem, sie hasst den Staatsapparat. Beide sind schwierige Menschen, doch sie nähern sich vorsichtig aneinander an. Als sich Hinweise auf einen Anschlag aus dem rechtsextremen Milieu ergeben, will Silvia sich in die Gruppe einschleusen lassen. Kay braucht dafür die Hilfe eines Kollegen.
Ani punktet auch in diesem Buch wieder durch seine sensible Beschreibung von Seelenzuständen und seine wunderbare Sprache: "Der Regen schwemmte die Stunden aus dem Sonntag." (S. 46). Man hat gleich intensive Bilder vor Augen und wird schnell in die Geschichte hineingesogen. Spannung ist weniger vorhanden, aber das Buch ist ja auch ganz richtig als Roman und nicht als Krimi gekennzeichnet. Man muss sich allerdings auf Anis Art zu erzählen einlassen, er ist nicht immer einfach zu lesen.
Besser geht es nicht!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2022

Wie immer hervorragend

Die Vergessene
0

Nachdem ich vor einiger Zeit "Ein Teil von ihr" gelesen hatte, kam nun die Fortsetzung der Geschichte um Andrea Oliver.
Sie wurde gerade nach Beendigung ihrer Ausbildung zum US-Marshall ernannt und geht ...

Nachdem ich vor einiger Zeit "Ein Teil von ihr" gelesen hatte, kam nun die Fortsetzung der Geschichte um Andrea Oliver.
Sie wurde gerade nach Beendigung ihrer Ausbildung zum US-Marshall ernannt und geht nun nicht ganz freiwillig nach Longbill Beach, um eine Richterin zu beschützen, die bedroht wird. In einem zweiten Erzählstrang geht man zurück in das Jahr 1982, die Tochter der Richterin wird ermordet und es könnte sein, dass Andreas Vater in den Fall verwickelt war. Er war ein Psychopath und sitzt nun im Gefängnis.
Auch dieses Buch ist wieder hervorragend geschrieben. Karen Slaughter gelingt es die Spannung über lange Zeit aufzubauen und hoch zu halten. Ihr Stil ist gut lesbar und ausdrucksstark. Anfangs hatte ich ein paar Probleme wieder in das Geschehen hineinzufinden, aber dann konnte ich kaum aufhören zu lesen.
Ein wirklich guter Thriller, auf dessen Fortsetzung man gespannt sein darf!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.08.2022

Ungewöhnlich und märchenhaft

Schlangen im Garten
0

"Junge mit schwarzem Hahn" habe ich sehr gern gelesen, das Buch war ungewöhnlich und faszinierend. Deshalb war ich auch gespannt auf das neue Werk von Stefanie von Schulte, das sich um ein ganz anderes ...

"Junge mit schwarzem Hahn" habe ich sehr gern gelesen, das Buch war ungewöhnlich und faszinierend. Deshalb war ich auch gespannt auf das neue Werk von Stefanie von Schulte, das sich um ein ganz anderes Thema dreht, aber das Märchenhafte noch deutlicher hervortreten lässt.
Johanne ist gestorben, sie hinterlässt ihrem Mann Adam und die Kinder Steve, Linne und Micha. Die Trauer der Familie ist grenzenlos und scheint Außenstehenden maßlos. Sogar das Traueramt in Gestalt von Herrn Ginster muss sich einschalten und die Familie auf eine geordnete Trauerarbeit hinweisen. Was, wenn jede/r so trauern würde, wie es ihm passt?? Doch die Familie rückt näher zusammen und es tauchen Menschen auf, die Johanne gekannt haben (oder glauben sie gekannt zu haben) und gemeinsam kann man allen Anfeindungen und Katastrophen trotzen.
Was ist Trauer? Wie trauert man? Gibt es allgemeingültige Rezepte? Diesen Fragen geht Stefanie von Schulte in ihrem Buch nach. Sie tut das mit der ihr eigenen präzisen und liebevollen Sprache, ihre Sätze sind wie aus Alabaster geschnitzt, jedes Wort sitzt am richtigen Platz. Sie schreibt sensibel und berührend, man erlebt die Geschichte der Familie mit. Dabei gleitet sie immer wieder ins Märchenhafte ab, es geschehen die unwahrscheinlichsten Dinge. Sie wird allerdings niemals esoterisch-schwurbelig, sondern schrammt immer haarscharf an der Wirklichkeit vorbei.
Mit hat das Buch sehr gut gefallen, es ist so ganz anders als alle Bücher, die ich sonst lese und eine gute Erfahrung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.08.2022

Auf den Spuren der Geschichte

Isidor
0

Zuerst einmal gefiel mir das wunderschöne Cover mit dem Reh, das in einer vornehmen Zimmerflucht steht. Warum dieses Reh dort steht, das erfährt man aber erst am Ende des Buches.
Shelly Kupferberg hat ...

Zuerst einmal gefiel mir das wunderschöne Cover mit dem Reh, das in einer vornehmen Zimmerflucht steht. Warum dieses Reh dort steht, das erfährt man aber erst am Ende des Buches.
Shelly Kupferberg hat eine beeindruckende Biografie über ihren Urgroßonkel Dr. Isidor Geller geschrieben. Geboren wurde er als Isaak in einem kleinen galizischen Dorf, die Kindheit war ärmlich, denn der Vater war zwar ein kluger jüdischer Gelehrter, verdiente aber kein Geld und die Mutter musste die Familie als Tagelöhnerin über Wasser halten. Die Kinder bekamen trotz aller Not eine gute Ausbildung und zogen dann nach Wien, wohin ihre Mutter ihnen nach dem Tod des Vaters folgte. Alle wurden erfolgreich, besonders Isidor, der sich einen guten Namen als Vermögensberater machte und schließlich zum Kommerzialrat ernannt wurde. Doch dann kamen die Nazis...
Shelly Kupferbergs Blick auf ihre Familie ist präzise, aber auch liebevoll. Sie hat akribisch an Hand alter Dokumente die Geschichte der Geschwister erforscht, ist dabei auf allerlei Neues gestoßen und zeichnet ein lebendiges Bild vom Leben im armen Galizien und im großbürgerlichen Wien.
Die Familie Geller steht dabei sicherlich beispielhaft für viele jüdische Familien in der Donaumetropole, die sich in ihrem Land sicher fühlten und nicht fliehen wollten, als es noch früh genug war. Und dann war es für viele zu spät, so auch für Onkel Isidor.
Ein sehr beeindruckendes Buch!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere