Profilbild von evaczyk

evaczyk

Lesejury Star
offline

evaczyk ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit evaczyk über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.08.2022

Beutekunst und Vergangenheitsbewältigung

Das neunte Gemälde
0

ergangenheitsbewältigung in der Kunstszene und in der eigenen Familiengeschichte: Eigentlich hat der Kunstsachverständige, Lennard Lomberg nach seinem Abschied vom traditionsreichen britischen Auktionshaus ...

ergangenheitsbewältigung in der Kunstszene und in der eigenen Familiengeschichte: Eigentlich hat der Kunstsachverständige, Lennard Lomberg nach seinem Abschied vom traditionsreichen britischen Auktionshaus Christie´s Gastprofessor in seiner Geburtsstadt Bonn mit dem Thema NS-Raubkunst längst abgeschlossen. Zwar behandelte seine Doktorarbeit die moralischen, rechtlichen und kunsthistorischen Zusammenhänge, aber das ist mehr als 20 Jahre her. Seitdem hat er längst einen britischen (Doppel-)Pass und keinerlei Absichten, sich dem konfliktbeladenen Thema wieder zuzuwenden.

Bis er erst einen Anruf von einem ihm völlig unbekannten Mann erhält, der ihn zu einem diskreten Treffen im Zusammenhang mit der angestrebten Rückgabe eines Gemäldes mit problematischer Provenient bittet. Als der Anrufer wenig später tot in einem Hotel gefunden wird, gerät Lomberg vorübergehend unter Mordverdacht. Der ist zwar schnell entschärft und der Kontakt zu einer kunstsinnigen BKA-Ermittlerin gestaltet sich sogar recht reizvoll. Doch schnell wird Lomberg zum Ermittler in eigener Sache und stellt fest, dass ein mutmaßlicher Picasso, einst im besetzten Frankreich aus dem Besitz eines jüdischen Kunstsammlers geraubt, mit der eigenen Familiengeschichte zusammenhängen künnte.

Denn nicht nur war Lombergs Vater als Wehrmachtsoffizier in der fraglichen Zeit im besetzten Paris stationiert, der Verwaltungsjurist machte später eine eher ungewöhnliche Karriere und wurde Generalbundesanwalt. Gab es eine Vergangenheit, die er verschwieg? Und warum reagierte er seinerzeit so heftig auf Lombergs Interesse für Kunstgeschichte und das Thema seiner Doktorarbeit?

Während ein Erzählstrang von Andreas Storms Kunst-Krimi "Das neunte Gemälde" Lomberg und seiner an der Familiengeschichte interessierten Tochter Julie bei ihren Ermittlungen folgt, führt ein zweiter in die Kriegs- und Nachkriegszeit. Die Leser wissen so schon vieles, was Lomberg erst noch entschlüsseln muss. Dabei schafft es Storm allerdings, immer noch ein paar Rätsel und Entwicklungen in der Hinterhand zu behalten. Die Eitelkeiten des internationalen Kunstbetriebs spielen ebenso eine Rolle wie transgenerationales Trauma und der RAF-Terror der 70-er Jahre.

Kleiner Abstrich: Für einen Anfang-Fünfziger hat Lomberg doch ziemlich viel von einem alten weißen Mann. Beruflich engagierte und erfolgreiche Frauen sind offenbar egoistisch, wenn sie ihre eigene Karriere verfolgen und nicht regelmäßig zur Verfügung stehen, so wie Lombergs französische Banker-Freundin. Und die moralische Verkommenheit der Mutter seiner Tochter, die sich schon während der Schwangerschaft von ihm trennte, liegt anscheinend darin, dass sie mittlerweile offen bisexuell lebt. Ach, die Leiden des traditionellen Mannes !

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.08.2022

Eine Gattin verschwindet

Die Passage nach Maskat
0

Wer sich bei Cay Rademachers "Die Passage nach Maskat" an ein Crossover von Babylon Berlin und Tod auf dem Nil erinnert fühlt, liegt nicht völlig falsch, spielt die Handlung doch in den 20-er Jahren und ...

Wer sich bei Cay Rademachers "Die Passage nach Maskat" an ein Crossover von Babylon Berlin und Tod auf dem Nil erinnert fühlt, liegt nicht völlig falsch, spielt die Handlung doch in den 20-er Jahren und auf einem Schiff, dass von Marseille aus in den Nahen Osten und dann weiter nach Yokohama und Schanghai aufbricht. Mit dabei: Der Fotoreporter Theodor Jung, der für eine Berliner Illustrierte den Auftrag ergattert hat, über die Reise der "Champollion" zu berichten. Andernfalls hätte er Probleme gehabt, sich mit Ehefrau Dora der Reise der Schwiegerfamlie nach Maskat anzuschließen.

Der Schwiegervater, ein Hamburger Kaufmann, macht keinen Hehl daraus, dass er mit dem Beruf seines Schwiegersohns nicht einverstanden ist und sich etwas "Besseres" für seine Tochter gewünscht hätte. Etwa seinen Prokuristen Lüttgen, der ebenfalls zur Reisegesellschaft gehört? Die Ehe von Theodor und Dora kriselt schon seit geraumer Zeit, er hofft, dass es auf der Schiffsreise wieder zu mehr Nähe kommt.

Doch dann verschwindet Dora spurlos - und ihre Familie behauptet hartnäckig, sie sei nie an Bord gegangen und weiterhin in Berlin. Da ihr Name auch in der Passagiersliste nicht aufgeführt ist, zweifelt Theodor, der nach seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg uner einer posttraumatischen Störung leidet, zeitweise an seinem Verstand zweifeln lässt. Immerhin: die französische Kabinenstewardess kann sich nicht nur an Dora erinnern, sie hilft ihm auch bei seinen Nachforschungen.

Denn es gibt so manches, was Fragen aufwirft: Was sind die eigentlichen Pläne der Kaufmannsfamilie im Orient? Was hat ein bekannter Krimineller, der zu einem der berüchtigten Berliner Ringervereine gehört, mit Theodors Schwiegervater zu tun? Und auch sonst gibt es Passagiere, doe Fragen aufwerfen - der italienische Anwalt etwa, der ein bißchen zu intensiv mit Theodors Schwiegermutter flirtet, die wiederum ein Kokainproblem hat und offenbar von Dora beliefert worden ist. Der amerikanische Ingenieur, der erst nach und nach verrät, dass er keineswegs einen Brückenbau in Yokohama plant, sondern tatsächlich ebenfalls in Moskat das Schiff verlassen wird. Und auch die exzentrische Engländerin mit ihrer Gesellschafterin könnte das eine oder andere Geheimnis haben, ist auf jeden Fall aber ausgezeichnet vernetzt.

Rademacher präsentiert einen ganzen Reigen an Verdächtigen, die sich auf die eine oder andere Weise kompromittieren, es gibt merkwürdige Unfälle und ein paar Leichen und auch romantische Schwingungen an Bord bleiben nicht aus. Bis Theodor das Rätsel um die verschwundene Ehefrau gelöst hat, wartet die eine oder andere bittere Erkenntnis auf ihn. Der Zeitkolorit ist gut getroffen und die teils klaustrophibische Stimmung trotz allen Luxus´an Bord der "Champillon" trägt zur Spannung bei.

Hervorzuheben ist auch das Cover, das altmodischen Reiseplakaten nachempfunden ist, die Fernweh wecken und zugleich elegant gestaltet sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.08.2022

Africa light

Freundin bleibst du immer
0

Die unscheinbare Enitan, die selbstbewusste Funmi und die schöne, aber zurückhaltende Zainab sind seit ihrer gemeinsamen Studienzeit an einer Univerität im Norden Nigerias in den 70-er Jahren befreundet. ...

Die unscheinbare Enitan, die selbstbewusste Funmi und die schöne, aber zurückhaltende Zainab sind seit ihrer gemeinsamen Studienzeit an einer Univerität im Norden Nigerias in den 70-er Jahren befreundet. Dreißig Jahre später kommen sie in Lagos zusammen, um diei Hochzeit von Funmis Tochter Destiny zu feiern. Mit dabei: Enitans Tochter Remi, die äußerlich ganz nach ihrem weißen amerikanischen Vater kommt und zum ersten Mal in das Geburtsland ihrer Mutter reist. Mit ihren Fragen und ihrer Neugier, mit der sie all die neuen Eindrücke in der pulsierenden westafrikanischen Metropole bestaunt, ist sie gewissermaßen die Brücke zwischen der Handlung und nicht-afrikanischen Leser:innen.

Tomi Obaros Roman "Freundin bleibst du immer" wechselt die Zeitebenen: Geht es zunächst um das Wiedersehen der drei Frauen und die Hochzeitsvorbereitungen, widmet sich der mittlere Buchteil den Jahren des Studiums und zeigt, wie es zu der Freundschaft zwischen den drei von Temperament, ethnischer und sozialer Herkunft sehr unterschiedlichen Frauen kam. Danach geht es wieder in die Gegenwart des Jahres 2005.

Mit gerade mal 312 Romanseiten bleibt allerdings relativ wenig Platz, die Lebenswege der drei Frauen und der ebenfalls vorgestellten Familien darzustellen. So gerät vieles recht oberflächlich, die Beziehungsgeflechte werden nur angekratzt und auch wenn deutlich wird, was die Freundschaft der Protagonistinnen zementiert hat, wird nicht klar, wieso sie bei ganz unterschiedlichen Entwicklungen noch immer eng miteinander sind und Kontakt gehalten haben.

Obaro zeigt Szenen so schrill wie aus einem Nollywood-Film, das Chaos der schwülheißen Metropole Lagos, die sozialen und religiösen Kontraste des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas, die allgegenwärtige Kriminalität, die Angst der Wohlhabenden vor Entführungen aus ihrer abgeschotteten, privilegierten Welt. Für Remi, die gender studies studiert und darunter leidet, als weiß wahrgenommen zu werden, ist es eine schockierende Erkenntnis, das das wirkliche afrikanische Leben so gar nichts von der automatischen Solidarität hat, die in BIPoC-Kreisen progressiver Studenten vermutet wird. Die Welt ist eben nicht so schwarz-weiß (pun intended) wie manche glauben.

Ob Essen, Redewendungen (die in einem Glossar erläutert werden, ebenso wie Haussa und Yoruba-Ausdrücke) und Familienfeste - manche Beschreibungen Obaros wirken eher folkloristisch, bleiben an der Oberfläche. Schade eigentlich. Aber ich vermute, die Autorin weiß es einfach nicht besser und ist nicht wirklich tief in der nigerianischen Kultur und Gesellschaft verwurzelt, die sie nur von Urlaubsreisen kennt: Geboren als Kind nigerianischer Eltern in England und mittlerweile in den USA lebend, hat sie dort keine eigene Lebenserfahrung sammeln können. Für Leserinnen, die sich mit Nigeria auseinandersetzen wollen, ist das gewissermaßen "Africa light".

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.07.2022

Wohlfühlkrimi aus der Toskana

Flüssiges Gold
0

Ganz ohne Mafia geht es auch in Paolo Rivas Cozy-Krimi "Flüssiges Gold" nicht. Doch auch wenn die Arme der "ehrenwerten Gesellschaft" weit reichen - die Toskana ist nicht Neapel, Bari oder Sizilien. ...

Ganz ohne Mafia geht es auch in Paolo Rivas Cozy-Krimi "Flüssiges Gold" nicht. Doch auch wenn die Arme der "ehrenwerten Gesellschaft" weit reichen - die Toskana ist nicht Neapel, Bari oder Sizilien. Und Dorfpolizist Luca, alleinerziehender Vater und trotz einer Vergangenheit als Ermittler gegen das Organisierte Verbrechen zufrieden mit dem ruhigen Lauf der Dinge vor Ort, würde sich am liebsten den kleinen Problemen widmen - etwa der Frage, was aus den fehlenden Buchstaben des Ortsschildes geworden ist. Um so mehr Zeit bleibt schließlich, sich der kleinen Tochter und den drei Eseln zu widmen, einen Espresso in de Kaffeebar zu trinken, aus dem Dorfklatsch erfahren, wo es womöglich Probleme gibt.

Doch dann bricht die Gewalt in die Idylle, Schüsse knallen über den Marktplatz und im Ziel der Anschläge stehen Olivenbauern. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als ein anderer Olivenbauer nach jahrelangem Koma Zeichen zeigt, er könne vielleicht doch aufwachen. Doch war er tatsächlich das Opfer eines Unfalls oder Schlaganfalls, oder hat jemand nachgeholfen? Könnte es bei der Gewinnung von Olivenöl womöglich nicht mit rechten Dingen zugehen?

Lucas Ermittlungen werden durch Amtshilfe erschwert. Denn die Staatsanwaältin, die aus Florenz anreist, ist von einer geradezu einschüchternden Energie und mit dem eher gemächlichen aber stetigem Stil Lucas nicht wirklich kompatibel. Da ihre forsche Art bei den Dorfbewohnern nicht wirklich gut ankommt, müssen sich die beiden erst einmal zusammenraufen, wobei gemeinsames Eselfüttern und gutes toskanisches Essen so manche Spannung auflöst.

Mit "flüssiges Gold" hat Paolo Riva einen Wohlfühlkrimi mit viel Lokalkolorit geschrieben, bei dem beim Lesen gleich Apettit auf die Aromen der italienischen Küche, auf perfekte Spaghetti und den Genuss eines in Olivenöl gestippten Stücks Brot aufkommt. Unterhaltsame Spannung für Italienurlauber und Daheimgebliebene.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.05.2022

Anwältin unter Schafen

Akte Nordsee - Am dunklen Wasser
0

Eine Anwaltskanzlei wie die von Fentje Jacobson hat Seltenheitswert - mit Salzgeruch in der Nase, vermutlich einer frischen Nordseebrise und buchstäblich kräftiger Landlust. Da sollte man auch aufpassen ...

Eine Anwaltskanzlei wie die von Fentje Jacobson hat Seltenheitswert - mit Salzgeruch in der Nase, vermutlich einer frischen Nordseebrise und buchstäblich kräftiger Landlust. Da sollte man auch aufpassen wo man hintritt und sich darauf einstellen, dass die Anwältin zum Mandantengespräch in rustikalem Outfit von der Schafweide kommt. Denn die Juristin betreibt ihre Kanzlei vom nordfriesischen Bauernhof ihrer Großeltern aus.Und wenn sie sich nicht um lammende Mutterschafe kümmern muss, könnte es sein, dass die zunehmende Demenz ihrer Großmutter oder eine Krise ihrer pubertierenden Nichte von Gesetzessammlungen und Vertragsrecht ablenken.

Mit Fentje Jacobsen schickt die bisher mit der Pia Korettki-Reihe vor allem an der Ostsee aktive Eva Almstädt nun eine neue Protagonistin auf Mörderjagd. In "Akte Nordsee. Am dunklen Wasser" ist Fentje weniger vor Gericht im Einsatz, sondern ermittelt selbst, um die Unschuld ihres neuesten Mandanten zu beweisen. Sie hat den Surfertyp mit Filmriss schlafend auf der Schafweide gefunden - wie er dorthin kam, weiß der junge Mann nicht. Er erinnert sich nur noch, am Vortag seine Freundin besucht zu haben - das ist aber auch schon alles. Als Fentje und ihr Schüzling die junge Lehrerin aufsuchen, finden sie nur ihre Leiche. Für die Polizei steht schnell fest, wer ihr Hauptverdächtiger ist - der junge Mann hatte eine Gelegenheit und er hatte, wie sie herausstellt, sogar ein mögliches Motiv.

Da haben die Ermittler jedoch die Rechnung ohne Fentje gemacht. Sie versucht, auf eigene Faust die Unschuld ihres Mandanten zu beweisen, zunächst spöttisch belächelt von dem Journalisten Niklas John, der mitten im Sommerloch eine große Geschichte wittert. Als Sohn aus reichem Haus, der es eigentlich nicht nötig hat zu arbeiten, ist er Fentje zunächst einmal eher suspekt und der ziemlich arrogante Niklas traut der in Strafsachen nicht sonderlich erfahrenen Fentje nicht zu, etwas ausrichten zu können. Nach und nach arbeiten die beiden sehr gegensätzlichen Protagonisten dennoch als Team zusammen - auch wenn jede*r eine eigene Agenda hat.

Überhaupt ist in der nordfriesischen Provinz plötzlich viel los: Zwei Schülerinnen des Nordseeinternats, an dem die tote Lehrerin unterrichtete, sind plötzlich verschwunden, ein Pastor, mit dem sie alte Grabsteine untersucht hat, stirbt bei einem Treppensturz - und was verband die Tote eigentlich mit einem wohlhabenden und sehr viel älteen Reeder?

Die Autorin legt für ihre Leser eine ganze Reihe von Spuren aus und erst nach und nach stellt sich heraus, was eine Finte ist und was zur Lösung des Falls beiträgt. Zwischen Küstensturm und Hamburger Rotlichtmilieu gibt es eine Menge Gelegenheit für Fentje und Niklas, sich zusammen zu raufen. Wie es sich für den Erstling einer neuen Reihe gehört, spielt auch das Menschliche und die Vergangenheit der beiden Protagonisten eine Rolle - hier soll schließlich die Grundlage für weitere Bände gelegt werden. Besonders liebevoll gezeichnet sind einige der Nebenfiguren, ganz besondern Fentjes Großeltern und ihre Nichte. Nicht alles ist ganz logisch beziehungsweise entspricht der "echten" Arbeitsweise von Anwälten oder Journalisten. Dafür überzeugt das Lokalkolorit und die Beschreibung der Menschen am Deich und eine Welt, in der (fast) jeder jeden kennt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere