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Veröffentlicht am 10.04.2023

Im Spiel ist nichts von Dauer

Morgen, morgen und wieder morgen
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In Gabrielle Zevins neuem Roman “Morgen, morgen und wieder morgen“ geht es im Kern um Spiele, ihre Entwicklung und Vermarktung, aber auch um Freundschaft und Liebe und Verbindungen, die ein Leben lang ...


In Gabrielle Zevins neuem Roman “Morgen, morgen und wieder morgen“ geht es im Kern um Spiele, ihre Entwicklung und Vermarktung, aber auch um Freundschaft und Liebe und Verbindungen, die ein Leben lang halten. Sadie Green und Sam Masur lernen sich im Krankenhaus als Kinder kennen, als Sam sich schwerverletzt von einem Unfall erholen muss, bei dem seine Mutter starb. Sadie besucht ihre krebskranke ältere Schwester Alice. Sadie verbringt mehr als 600 Stunden mit Sam, bringt ihn wieder zum Sprechen und spielt vor allem immer wieder Super Mario mit ihm. Dann kommt es durch eine Intrige der eifersüchtigen Alice zum Bruch. Nach Jahren treffen sich Sadie und Sam als Studenten in Cambridge wieder und nähern sich einander wieder an. Ihre Leidenschaft gilt noch immer Spielen, und sie beschließen, zusammen ein Spiel zu entwickeln. Dieses wird ein großer Erfolg, und sie gründen die Firma Unfair Games. Außer Sadie und Sam spielen noch Sadies Dozent Dov Mizrah, mit dem sie eine problematische Beziehung hat und Marx Watanabe, ein Schauspielstudent aus reichem Haus, mit dem Sam die Wohnung teilt, eine Rolle.
Die aus wechselnder Perspektive erzählte Geschichte erstreckt sich über viele Jahre, zeichnet Rivalitäten und Konflikte nach und beschreibt die alles überstrahlende Kraft der Freundschaft. Mich hat dieser hochgelobte Roman nicht begeistert, weil mir die Welt der Spieleentwicklung mit all den Fachtermini zu fern ist und ich mit den Charakteren nicht richtig warm wurde. Außerdem mochte ich die Sprache der deutschen Version nicht. Hunderte von englischen und schlecht eingedeutschten Ausdrücken führen zu einem für Laien weitgehend unverständlichen Kauderwelsch. Gefallen hat mir die titelgebende zentrale Idee nach dem Shakespeare-Zitat aus dem berühmten Monolog von Macbeth („Tomorrow, and tomorrow and tomorrow…“), die zeigt, was Spiele so attraktiv macht: Hier kannst du immer wieder einen Neustart wagen und hast die Chance zu gewinnen, so lange du weiterspielst. Kein Verlust ist von Dauer, nichts ist endgültig, niemals. Du hast die Möglichkeit einer unendlichen Wiedergeburt und einer unendlichen Erlösung (S. 471), die das Leben nicht bietet.

Veröffentlicht am 25.03.2023

Der mysteriöse weiße Felsen

Der weiße Fels
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Anna Hopes neuer Roman “Der weiße Fels“ erzählt von vier namenlosen Protagonisten, die alle eine Verbindung zu dem legendären weißen Felsen im Meer haben, der dem Ort San Blas in der Provinz Nayorit in ...

Anna Hopes neuer Roman “Der weiße Fels“ erzählt von vier namenlosen Protagonisten, die alle eine Verbindung zu dem legendären weißen Felsen im Meer haben, der dem Ort San Blas in der Provinz Nayorit in Mexiko vorgelagert ist. Nach der Wixárika-Legende liegt hier der Ursprung der Welt und allen Lebens. Die vier Geschichten erstrecken sich über einen Zeitraum von fast 250 Jahren. Im Corona-Jahr 2020 fährt eine Schriftstellerin mit ihrem Mann und ihrer dreijährigen Tochter, begleitet von einem Schamanen und weiteren Reisenden aus verschiedenen Ländern, in einem Van zu dem heiligen Felsen, um Opfer zu bringen als Dank für ihren mit Hilfe eines Rituals endlich erfüllten Kinderwunsch. Die zweite Episode betrifft einen berühmten Sänger, der vor der Polizei und seinen Fans flieht. Es handelt sich offensichtlich um Jim Morrison von The Doors. In der dritten Geschichte geht es um zwei Mädchen aus dem Stamm der Yoemi, die im Jahr 1907 von Soldaten aus ihrem Bergdorf entführt und als Sklavinnen verkauft werden sollen. Im Jahr 1775 erleidet ein spanischer Marineooffizier, der im Auftrag seines Königs die amerikanische Westküste erforschen und Kalifornien kartieren soll, einen Zusammenbruch. Er wird verhaftet und eingesperrt.
Der Berührungspunkt der vier Episoden ist der heilige Felsen. Allerdings sind sie nur locker verknüpft und nicht alle gleich gut gelungen, was die Charakterisierung der Figuren und die Handlungselemente betrifft. Die Schriftstellerin – hier sind autobiografische Elemente erkennbar – will ein Buch über die Geschichte des Felsens und der Region schreiben. Sie ist sich nicht sicher, ob es nicht auch eine Form der Aneignung ist, wenn sie durch eine Veröffentlichung die Verbrechen der Kolonialmächte mit all dem von ihnen verursachten Leid zum eigenen Vorteil verwertet, wie die Vorfahren Land, Bodenschätze und Kultur der indigenen Völker skrupellos ausgeschlachtet haben. Die Schriftstellerin befindet sich in mehrfacher Hinsicht in der Krise: ihre Ehe ist am Ende, weil ihr Mann sie immer wieder betrügt, und angesichts des Klimawandels sieht sie auch die größere Welt als unrettbar verloren an, was bedeutet, dass ihre geliebte Tochter vielleicht keine Zukunft hat.
Mich hat der ungewöhnliche Roman weniger überzeugt als “Was wir sind“. Für mich ist er ein interessantes, aber nicht ganz gelungenes Experiment, weil die vier Geschichten und ihr Personal nur lose verknüpft sind und der Roman kein richtiges Ende hat.

Veröffentlicht am 16.11.2022

Ein feministischer Schauerroman

Der mexikanische Fluch
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Silvia Moreno-Garcías Roman “Der mexikanische Fluch“ spielt im Mexiko der 50er Jahre. Noemí Taboada lebt in Mexico City. Sie ist attraktiv, liebt schöne Kleider und amüsiert sich gern. Die jungen Männer ...

Silvia Moreno-Garcías Roman “Der mexikanische Fluch“ spielt im Mexiko der 50er Jahre. Noemí Taboada lebt in Mexico City. Sie ist attraktiv, liebt schöne Kleider und amüsiert sich gern. Die jungen Männer liegen ihr zu Füßen. Eines Tages erhält ihr Vater einen verstörenden Brief ihrer Kusine Catalina, die Virgil Doyle geheiratet hat, einen Spross einer ehemals reichen englischen Familie, die in ihren Silberminen indigene Arbeiter ausbeutete. Mehrere Epidemien dezimierten die Belegschaft. Catalina bittet um Hilfe, weil sie überzeugt ist, dass ihr Mann sie vergiftet. Noemi reist zum Familiensitz High Place in einer ländlichen Gegend und ist entsetzt über Catalinas Zustand. Sie ist bettlägerig, hat Halluzinationen und verhält sich wie eine Verrückte. Noemi reagiert verstört auf den heruntergekommenen Zustand des Hauses, den Gestank, die überall wuchernde Pilze, und bald hat auch sie Albträume und unrealistische Visionen und beginnt schlafzuwandeln. Die Bewohner des Hauses und das Personal begegnen ihr feindselig, und sie gerät immer stärker in die Gewalt der Finsternis, die das Haus und seine Bewohner beherrscht. Die einzige sympathische Figur in diesem Umfeld ist Virgils Vetter Francis, der allein zu schwach ist, um sich gegen die anderen Doyles aufzulehnen, gegen seine unsympathische Mutter Florence oder gegen Howard Doyle, den totkranken alten Patriarchen. Noemí sieht lange keine Möglichkeit, ihrer Kusine zu helfen und womöglich die Flucht für Catalina, Francis und sich selbst zu organisieren, aber sie ist stark und gibt nicht auf.
“Der mexikanische Fluch“ verbindet die Tradition des englischen Schauerromans mit Elementen mexikanischer Mythologie. Dabei wird die Atmosphäre immer düsterer und bedrohlicher, der Horror zunehmend unappetitlich. Es werden Themen wie Verfall, Opferung und Wiedergeburt behandelt und Theorien zur Überlegenheit bestimmter Rassen gegenüber anderen entwickelt, womit die Doyles gern ihre Verbrechen in der Vergangenheit schönreden. Der Roman ist nicht schlecht, aber mir persönlich gefällt die Anhäufung von Horrorelementen nicht. Das muss man wohl mögen.

Veröffentlicht am 24.09.2022

Leid und Schuld

Der Sturm
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Kieran Elliott kommt nach 12 Jahren in seinen Heimatort Evelyn Bay an der tasmanischen Küste zurück, um seiner Mutter bei einem Umzug zu helfen. Er wird begleitet von seiner Freundin Mia und der kleinen ...

Kieran Elliott kommt nach 12 Jahren in seinen Heimatort Evelyn Bay an der tasmanischen Küste zurück, um seiner Mutter bei einem Umzug zu helfen. Er wird begleitet von seiner Freundin Mia und der kleinen Tochter Audrey. Hier hatte sich damals während eines furchtbaren Sturms ein Unglück ereignet, bei dem Kierans älterer Bruder Finn genauso ums Leben kam wie Toby, der Bruder seines Freundes Sean. Außerdem verschwand damals Gabby Birch, 14, die jüngere Schwester von Olivia, die ebenfalls zu dem Freundeskreis gehört. Der Polizist Chris Renn, inzwischen Sergeant, ist immer noch in der Polizeistation tätig. Kaum ist Kieran in seinem Heimatort angekommen, wird eine junge Frau tot am Strand gefunden. Bronte Laidler war die Mitbewohnerin von Olivia Birch. Kieran ist in Evelyn Bay nicht willkommen, weil man ihm die Schuld am Tod der beiden Männer gibt. Aus diesem Grund ist auch sein Verhältnis zu seiner Mutter gespannt. Keiner im Ort hat die damalige Tragödie vergessen, und vor allem die Angehörigen der Toten und des verschwundenen Mädchens trauern noch immer. Im Verlauf der Ermittlungen kommen immer mehr Details aus der Vergangenheit ans Licht. Die Polizei will wissen, was damals wirklich geschah und gleichzeitig den aktuellen Mordfall aufklären.
Ich kenne die drei Vorgänger dieses Romans, die allesamt spannender waren und Landschaft und Klima in viel stärkerem Umfang einbezogen. Hier geht es immer nur um die eine kleine Bucht mit den drei eisernen Statuen, die bei Flut im Wasser verschwinden, sowie den Eingängen zu den beiden Höhlen mit dem Labyrinth von Gängen im Inneren. “Der Sturm“ hat mich enttäuscht, nicht zuletzt wegen der schlechten Qualität der Übersetzung und der erheblichen Zahl von Fehlern, die ein sorgfältiges Lektorat hätte ausmerzen können.

Veröffentlicht am 29.08.2022

Der Held erlebt ein Fiasko

Ich verliebe mich so leicht
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In Hervé Le Telliers hochgelobtem Roman “Ich verliebe mich so leicht“ liebt der namenlose Held die ebenso namenlose Heldin und reist ihr unaufgefordert nach Schottland nach. Während ihrer leidenschaftlichen ...

In Hervé Le Telliers hochgelobtem Roman “Ich verliebe mich so leicht“ liebt der namenlose Held die ebenso namenlose Heldin und reist ihr unaufgefordert nach Schottland nach. Während ihrer leidenschaftlichen Affaire in Paris hat die deutlich jüngere Geliebte nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie eine feste Beziehung mit einem anderen hat. Der auf die 50 zugehende Held kann trotzdem nicht glauben, dass sie ihn überhaupt nicht liebt oder begehrt. Seine zwei Tage in Schottland verbringt er im Wesentlichen mit Warten und will bis zum Schluss nicht einsehen, dass er keine Chance hat. Da hilft auch nicht die vage Aussicht, die geliebte Frau in Paris noch einmal wiederzusehen.
In dem schmalen Bändchen im Reclam-Format passiert nicht viel. Der Leser bekommt einen Einblick in die Gedanken und Gefühle des frustrierten Liebhabers, der sich diese Demütigung nicht hätte antun müssen. Ich habe die Geschichte im Original gelesen und hatte viel Freude an der sprachlichen Qualität, dem Witz und den Wortspielen. Letztere gehen in der deutschen Übersetzung wahrscheinlich verloren, zum Beispiel, wenn er die Frau im Auto auffordert sich anzuschnallen („Je préférerais aussi que tu t´attaches.“) und dann lächelnd hinzufügt, dass sie ja nicht ohne weiteres Bindungen eingeht („… c´est vrai que tu ne t´attaches pas facilement.“ S. 37). Der Mann lächelt, die Reaktion der Frau ist unbekannt.
Als Roman hat mich die Geschichte nicht wirklich überzeugt. Da bin ich etwas enttäuscht.