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Veröffentlicht am 18.09.2022

Internal Affairs

Prost, auf die Singles
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„Was auch immer dieser jungen Frau widerfahren war, einen romantischeren Ort zum Sterben hätte sie sich in dieser Gegend nicht aussuchen können.“ (S. 9) Als ausgerechnet Polizeiobermeister Fink die Tote ...

„Was auch immer dieser jungen Frau widerfahren war, einen romantischeren Ort zum Sterben hätte sie sich in dieser Gegend nicht aussuchen können.“ (S. 9) Als ausgerechnet Polizeiobermeister Fink die Tote am Ufer des Roten Traun identifizieren kann, wird es für ihn echt brenzlig. Er hatte Tanja am Vorabend beim Speeddating im „Krause“ kennengelernt und sich mit ihr angelegt, weil sie extrem unsympathisch war und sich über die anderen Teilnehmer lustig gemacht hatte. Mit seiner Meinung stand er zwar nicht allein, aber nur er hat ihr mehr als deutlich die Meinung gesagt. Kein Wunder, dass ihn Kommissar Tischler ordnungsgemäß verhört, auch wenn dem Muttersöhnchen nicht wirklich einen Mord zutraut.
Doch auch die anderen Teilnehmer der Veranstaltung scheinen kein ernsthaftes Mordmotiv zu haben, also schauen sich die Ermittler im Umfeld des Opfers um. Tanja war Krankenschwester, träumte aber von einer Karriere als Influencerin und zeigte sich dafür recht freizügig in den sozialen Medien. Ist vielleicht einer ihrer Fans übergriffig geworden und die Situation eskaliert? Oder gab es Probleme auf Arbeit, die ihnen verheimlicht werden?
Tischler und Fink ermitteln nach der altbewährten TUF-Methode in alle Richtungen und werden dabei tatkräftig von Dackeldame Resi unterstützt, die Tischler in Pflege genommen hat, während Förster Ferstl zur Kur ist.

„Prost, auf die Singles“ ist bereits der 5. Fall für Hauptkommissar Tischler und wieder sehr spannend (ich hatte den Täter bis zum Schluss nicht auf dem Schirm) und unterhaltsam mit viel Lokalkolorit. Der neue Fall führt in die Welt (un-)glücklicher Singles und den stressigen Krankenhausalltag, wo zwischenmenschlich auch nicht alles so toll ist, wie es nach außen kommuniziert wird.

Tischlers Spezl Fink braucht diesmal ein ganz schön dickes Fell, denn natürlich sticheln die Kollegen über seine Beteiligung in dem Mordfall, doch Fink lässt das ziemlich cool an sich abprallen – er hat nämlich endlich eine Freundin, gegen die auch seine Mama nichts hat (und die seine Trachtenjanker zu mögen scheint).
Doch auch Tischler hat zwei ernsthafte Probleme, bei Britta tun sich berufliche Veränderungen auf und seine heißgeliebte Kaffeemaschine ist kaputt.

Und ohne zu viel verraten zu wollen, besonders amüsant fand ich den Kleinkrieg zwischen Gastwirtin Nori und der zwielichtigen Nageldesignerin Tereza und Polizeioberrat Schwenks Rationalisierungspläne, die eigentlich noch geheim bleiben sollten. Aber auf dem Land ist die stille Post eben verdammt schnell unterwegs …

Mein Fazit: Wer Spannung, Humor und Dackel mag, liegt hier genau richtig!

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Veröffentlicht am 14.09.2022

Hier Amt, was beliebt?

Fräulein vom Amt – Die Nachricht des Mörders
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Baden-Baden 1922: Alma Täuber ist Telefonistin, ein Fräulein vom Amt, und stolz auf ihren Beruf. Eines Tages schaltet sie sich ausversehen in ein Gespräch und hört den Satz: „… ich wollte nur melden, dass ...

Baden-Baden 1922: Alma Täuber ist Telefonistin, ein Fräulein vom Amt, und stolz auf ihren Beruf. Eines Tages schaltet sie sich ausversehen in ein Gespräch und hört den Satz: „… ich wollte nur melden, dass der Auftrag erledigt ist. Sie finden die Dame bei den Kolonaden.“ (S. 18) Als dann genau dort eine Frau ermordet aufgefunden wird, meldet sie das der Polizei, doch außer Kriminalkommissar-anwärter Ludwig Schiller glaubt ihr niemand. Kurzentschlossen nimmt sie die die Ermittlungen selbst in die Hand. Unterstützt von ihrem Cousin Walter, einem Medizinstudenten, und ihrer Mitbewohnerin Emmi wagt sie sich in die zwielichtigen Amüsierbetriebe von Baden-Baden, da bei der Toten Jetons gefunden wurden …

„Das Fräulein vom Amt“ ist der Auftakt einer neuen Krimi-Reihe des Autoren-Duos Charlotte Blum und spielt in den Goldenen Zwanzigern, die hinter den Kulissen leider meist gar nicht so golden sind. Deutschland ächzt dank der Reparationszahlungen nach dem 1. WK unter der Inflation, aber im mondänen Kurort Baden-Baden wird weiter gekurt und gefeiert, werden Auto- und Pferderennen abgehalten und heimlich in verbotenen Casinos gespielt.

Alma ist eine moderne junge Frau ihrer Zeit, bodenständig, klug und entschlossen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Dank ihres Gehaltes kann sie sich zusammen mit ihrer Freundin Emmi eine winzige Dachwohnung leisten und den Heiratsplänen ihrer Mutter und Großmutter entgehen. Leider ist sie auch neugierig und überzeugt, dass die Tote kein leichtes Mädchen war, wie die Polizei und Zeitungen behaupten. Furchtlos und gewitzt stürzt sie sich in die Ermittlungen und wickelt dafür Männer (und Frauen) mit viel Charme um ihre Finger. Sie scheint Ludwig Schiller oft einen Schritt voraus zu sein, wie dieser neidlos anerkennt, und träumt bald von einem Leben abseits des Telefonpultes: „Ich habe daran Gefallen gefunden. Ich genieße es. Ich will mehr. Ich will alles. Ich will Aufklärung. Ich will darin verwickelt sein. Nicht als Räuber und Gendarm, … sondern richtig. Koste es, was es wolle.“ (S 237 /238)

„Weg mit unserem schnöden Leben! Her mit dem Abenteuer!“ (S. 60) ist der Leitspruch ihrer Freundin Emmi Wolke – Wölkchen. Die Floristin scheint mit dem Kopf wirklich meist in den Wolken zu sein, flattert von einem Mann zum nächsten und kennt immer jemanden, der jemanden kennt, wenn Alma Hilfe braucht.

Alma und Emmi leben in einer Zeit, in der man das Leben und die Liebe endlich wieder genießen kann, in der alles möglich zu sein scheint, wenn man sich nur traut und sein Glück selbst in die Hand nimmt. Aber es ist auch noch viel Leid auf den Straßen und in den Gesichtern der Menschen zu sehen. Nicht wenige haben alles verloren oder Traumata zurückbehalten und müssen jetzt sehen, wie sie über die Runden kommen.

„Die Nachricht des Mörders“ ist ein klassischer, sehr spannender und unterhaltsamer howdunit mit feinem Humor und überraschenden Elementen.
Die Autorinnen schreiben sehr atmosphärisch und anschaulich. Obwohl ich noch nie in Baden-Baden war, konnte ich mir die Stadt und jeweiligen Gegebenheiten gut vorstellen. Sie lassen technische Entwicklungen wie Telefone oder Automobile und die damit verbundenen Probleme und Gefahren einfließen, aber auch den Spaß, den eine rasante Verfolgungsjagden macht oder die aufregende Stimmung beim Glücksspiel und Pferderennen.

Mein Fazit: Mich hat Almas erstes Abenteuer ausgesprochen gut unterhalten und ich bin schon sehr gespannt auf alle, die noch folgen werden.

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Veröffentlicht am 05.09.2022

Zauberhafte Weihnachtsgeschichte mit leckeren Rezepten

Die magische Weihnachtsbäckerei
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„Keine Kekse, keine Weihnachten.“ (S. 67) könnte auch der Leitspruch unserer Familie sein (Ich fange oft schon Mitte November mit dem Backen sämtlicher Lieblingssorten an.), aber für die Helfer des Weihnachtsmanns ...

„Keine Kekse, keine Weihnachten.“ (S. 67) könnte auch der Leitspruch unserer Familie sein (Ich fange oft schon Mitte November mit dem Backen sämtlicher Lieblingssorten an.), aber für die Helfer des Weihnachtsmanns ist das bitterer Ernst. Denn „Ohne die Flug-Cookies können die Rentiere nicht fliegen. Ohne die Schornsteinkipferl kommt der Weihnachtsmann nicht durch den Kamin. Ohne die Energiekugeln schafft er die anstrengende Arbeit nicht, und ohne Mutstangen bekommen die Rentiere Angst, wenn sie durch Gewitter fliegen müssen.“ (S. 67). Doch der magische Ofen der Weihnachtsbäckerei ist ausgegangen und um ihn wieder anzuzünden, braucht man ein sich liebendes Geschwisterpaar. Die Wahl von Fiora, der Oberelfe und Assistentin des Weihnachtsmanns, ist auf Paul und seine große Schwester Lena gefallen, die sich gerade streiten, ob es den Weihnachtsmann wirklich gibt. Paul glaubt noch fest an ihn, während Lena längst entdeckt hat, wo die Eltern die Geschenke verstecken. Aber als Fiora mit dem märchenhaften Schlitten des Weihnachtsmanns vor ihrem Haus landet und sie um Hilfe bittet, ist der Streit sofort vergessen. Ein aufregendes und sehr ereignisreiches Abenteuer beginnt …

„Die magische Weihnachtsbäckerei“ aus der Feder des Mutter-Tochter-Duos Anne Barns und Christin-Marie Below ist eine zauberhafte Weihnachtsgeschichte für alle kleinen und großen Kinder, zum Vor- oder Selberlesen und Bestaunen der traumhaften Illustrationen von Florentine Prechtel. Durch die 21 kurzen Kapitel ist es fast ein literarischer Adventskalender, denn die fehlenden 3 Tage braucht man mindestens, um alle 24 Rezepte nachzubacken, die am Ende des Buches stehen.

Die beiden Autorinnen haben eine Welt zum Staunen, Träumen und Naschen geschaffen, in der Zuckerstangen zwischen Bäumen wachsen, die Straßenlampen aus Pfefferminzbonbons, die Pilze aus Lebkuchen und die Wolken aus Zuckerwatte sind und die Zeit eine andere Dimension hat.

Paul und Lena lernen dort nicht nur Elfen, Gnome, Kobolde, Feen und Wichtel kennen, die den Weihnachtsmann bei seiner Arbeit unterstützen, sie erfahren auch von den Sorgen und Problemen, die diese Geschöpfe haben. Auch Wichtel und Elfen können in Vorweihnachtstress geraten und mal was verschusseln und selbst der Weihnachtsmann bracht ab und an Zeit für sich. Die Geschwister erkennen, wie wichtig Zusammenhalt ist und dürfen sogar beim Backen der magischen Gebäckstücke helfen.

Mein Fazit: Das perfekte Geschenk für Kinder, Eltern und Großeltern, die zusammen nicht nur eine zauberhafte Geschichte lesen, sondern auch leckere Plätzchen etc. backen wollen.

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Veröffentlicht am 03.09.2022

Kaffee und Frauengold

Töchter der Speicherstadt – Das Versprechen von Glück
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Hamburg 1956: Auf einem Ball lernt Anna den neuen Prokuristen der Firma ihrer Eltern „Behmer und Söhne“ kennen. Joost van der Vehlen stammt aus einer Bremer Kaufmannsfamilie, ist ehrgeizig, gutaussehend ...

Hamburg 1956: Auf einem Ball lernt Anna den neuen Prokuristen der Firma ihrer Eltern „Behmer und Söhne“ kennen. Joost van der Vehlen stammt aus einer Bremer Kaufmannsfamilie, ist ehrgeizig, gutaussehend und charismatisch. Anna fühlt sich von seiner Werbung geschmeichelt, aber sie verliebt sich in einen Anderen. Trotzdem gibt sie Joosts Werben auf Drängen ihrer Mutter nach. Eine Traumhochzeit wird gefeiert, der leider kein Traumleben folgt. Joost zeigt schnell sein wahres Gesicht – ihm ging es nur um die Firma.

Der dritte Band der Kaffee-Saga spielt in den Jahren 1956 bis 1989. Ich war sofort wieder im Kosmos Behmer & Ehmke angekommen, auch wenn inzwischen 11 Jahre vergangen sind. Die Bestatzungszeit ist vorbei und der Kaffeehandel normalisiert sich, Annas Eltern scheinen nur für das Kontor zu leben: „… immer war der Kaffee wichtiger als alles andere.“ (S. 99), welches Cläre vehement gegen Joosts Machenschaften verteidigen muss.

Annas wird in ihrer Ehe schnell unglücklich und immer unsicherer. Joost geht fremd, ihre Ideen und Vorschläge für die Firma negiert er. Also bleibt ihr nur das Dasein als Hausfrau und Mutter. Ich fand es schrecklich, dass sie wegen ihrer Tochter und des Skandals, den eine Scheidung ausgelöst hätte, bei Joost bleibt, die Fassade ihrer „glücklichen“ Ehe aufrechterhält und sich mit „Frauengold“ betäubt.

Ich habe mich über das Wiederlesen mit alten Bekannten wie Fritz, der wieder in Cläres (und Annas) Leben auftaucht, gefreut. Erna, die gute Seele des Hauses, ist verliebt, und auch Rolf Stammler tritt erneut in Cläres Leben. Ich fand es übrigens toll, dass es mal wieder Protagonisten gibt, die man aus vollster Seele hassen kann.

Den Strang um Irma, die nach dem Krieg im „Osten“ gelandet ist, fand ich besonders spannend. Die arbeitet bei der Magdeburger Kaffeerösterei Röstfein, wird wegen ihrer Westverwandtschaft, zu der sie keinen Kontakt hat und auch nicht will, aber von der Stasi schikaniert.
Als Kind der DDR kenne ich die Kaffeesorten und Gegebenheiten noch aus eigener Erfahrung und kann mich auch noch gut an die Delikat-Läden und die „geflügelte Jahresendzeitfigur“ erinnern.

Ein besonderes Highlight ist Ernas Freund Icke, ein Berliner Binnenschiffer, den man einfach mögen muss, auch wenn er immer wieder Mist baut.

Mir gefällt, wie harmonisch und trotzdem spannend und dramatisch Anja Marschall die große Flut 1962, politischen Ränkespiele zwischen der DDR und BRD und aktuelle Mode und Musik in die Handlung einfließen und damit das Wirtschaftswunder der goldenen 50er, die Swinging Sixties und die politisch unruhigen 80er Jahre wieder auferstehen den lässt.

„Das Versprechen von Glück“ ist ein wirklich toller Abschluss, der die Saga um Familie Behmer wunderbar rund macht. Und obwohl ich eigentlich keine Happy Ends brauche, habe ich mich über die hier, die ich natürlich nicht verrate, sehr gefreut.

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Veröffentlicht am 30.08.2022

Genie und Wahnsinn

Die rote Tänzerin
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„Immer wollte Otto alles sehen, alles erleben, notfalls ersterben. Die Berber, dieses Eitergeschwür Berlins, dieser Dämon, dieser Nachtalp jedes sittsamen Bürgers – die, nein das, musste er sehen.“ (S.14) ...

„Immer wollte Otto alles sehen, alles erleben, notfalls ersterben. Die Berber, dieses Eitergeschwür Berlins, dieser Dämon, dieser Nachtalp jedes sittsamen Bürgers – die, nein das, musste er sehen.“ (S.14)
1923 besucht Otto Dix eine Vorführung von Anita Berber, weil er sie malen will. Doch was er sieht, erschüttert ihn bis ins Mark. Das abgewrackte Etablissement mit seinen überschminkten und überreizten Gästen und Angestellten, die aufgeheizte Stimmung – das ist zu viel. Und dann „DIE Berber“ mit ihrem großen Auftritt. Männer geifern und johlen, bewundern und verachten sie. „Das dort, diese Frau, das war kein Motiv! Das war Gefahr.“ (S. 17)
Als er sie zwei Jahre später dann doch bittet, für ein Portrait Modell zu sitzen, überrascht sie ihn. Statt dem verlebten Vamp kommt ein braves, knabenhaftes, ungeschminktes, junges Mädchen. Im Laufe ihrer Zusammenarbeit lässt sie ihn noch weiter hinter ihre Fassade blicken, teilt ihre intimsten Momente, Sorgen und Ängste mit ihm. Und erweckt damit Beschützerinstinkte. „Er würde sie nicht nackt malen. … Er wollte sie nicht bloßstellen, obwohl sie selbst ihre Seele und ihren Körper Abend für Abend, Nacht für Nacht, preisgab.“ (S. 169)

„Die rote Tänzerin“ ist ein sehr fein gezeichnetes, beeindruckendes Portrait zweier Ausnahmekünstler, wobei Anita natürlich einen deutlich größeren Raum einnimmt als Otto. Gleichzeitig ist es auch eine Charakter-und Gesellschaftsstudie.
Während der Inflation führt die Boheme ein Leben im Rausch, immer ganz nah am Abgrund. Keiner weiß, was das Geld, Leben oder die eigene Leistung am nächsten Tag noch wert ist.
Danach schafft Anita den Absprung nicht und lebt weiter so weiter, als gäbe es kein Morgen mehr. Nicht nur ihr Tanz, ihr ganzes Leben ist eine Provokation gegen die bürgerliche Moral. Sie schläft scheinbar wahllos mit Männern und Frauen. Es ist ihr augenscheinlich egal, was Andere von ihr denken. Doch tief drinnen ist sie eine gebrochene Frau, die im Krieg ihre große Liebe und damit den Halt verloren hat, die den Tod herbeisehnt und das Leben nur noch mit harten Drogen, Zigaretten und Alkohol erträgt. Und das zeigt sie auch auf der Bühne. „Wenn kein Wunder passierte, ging es mit Anita zu Ende. Alle sahen es, und alle sahen weg.“ (S. 59)

Ich habe selten so viel Mitleid mit einer Anti-Heldin gehabt wie mit Anita, einer herzensguten und mitfühlenden Frau, die am eigenen Schicksal zerbricht. Die nur tanzen will und dabei keine Kleidung mag, weil die sie behindert. Joan Wenig zeigt eine Tänzerin, die ihre Nacktheit als Ausdrucksform benutzt und keine Nackte, die tanzt, um sich zu prostituieren. Sie lässt eine Künstlerin wieder lebendig werden, die extrem wandlungsfähig ist und das Verruchte genauso gut beherrscht wie die zartherbe Unschuld oder perfekte Hausfrau, die morgens nicht weiß, wer der Mann neben ihr im Bett ist und auf dem Gaskocher in Ottos Atelier Kaiserschmarrn kocht. Eine langsam sterbende Überlebende, die sich in verschiedene Realitäten flüchtet, um noch ein bisschen durchzuhalten.

Anita Berber hat sich im Tanz und im Leben immer ganz hingegeben, hat fast alles von sich gezeigt, nur eines nicht „Der Tanz der Nadel, der schönste und von ihr doch nie auf der Bühne gezeigte Tanz.“ (S. 33)

Joan Weng hat mich von der ersten Zeile an mitgerissen und bis zum Ende gefesselt. „Die rote Tänzerin“ ist ein Buch, das man nicht so schnell vergisst.

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