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Veröffentlicht am 04.09.2022

Gegen das Vergessen…

Findelmädchen
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Für die Generationen, die Jahre nach dem Krieg geboren wurden, ist es häufig sehr schwierig, sich die Zeit des Krieges und der Nachkriegszeit vorzustellen. Ich selbst hatte das Glück, dass ich viel Zeit ...

Für die Generationen, die Jahre nach dem Krieg geboren wurden, ist es häufig sehr schwierig, sich die Zeit des Krieges und der Nachkriegszeit vorzustellen. Ich selbst hatte das Glück, dass ich viel Zeit meiner Kindheit und Jugend damit verbracht habe, den Erinnerungen meiner Oma zu lauschen und – mithilfe der entsprechenden Fotos aus dieser Zeit – eine gewisse Vorstellung von den schwierigen Zeiten der Vergangenheit zu entwickeln.
Insofern hat mich „Das Findelmädchen“ von Lilly Bernstein aufgrund des ansprechenden Covers und der interessanten Rahmenhandlung direkt neugierig gemacht. Zum Glück, denn diese Reise in das historische Köln der Nachkriegszeit ließ mich so mit fiebern, dass die Seiten nur so dahingeflogen sind.
Anders als erwartet, beginnt die Geschichte um „Das Findelmädchen“ nicht in Köln, sondern in Frankreich. Man lernt Helga und Jürgen kennen und erfährt, dass sie als Findelkinder zum Ende des Krieges unheimliches Glück hatten, weil sie und andere Kinder durch die durchreisenden Franzosen Claire und Albert vor dem Heim bewahrt wurden. Obwohl Helga und Jürgen sehr dankbar sind und sich wohl auf dem Weingut der Familie fühlen, spüren sie doch eine große Sehnsucht nach ihren Wurzeln und dem mit der Heimat verbundenen Zugehörigkeitsgefühl, was sie in der Fremde häufig vermissen.
Insofern ist es sehr verständlich, dass sie, nachdem der Vater aus der Kriegsgefangenschaft entlassen war und sie ausfindig gemacht hatte, – wenn auch mit wechselhaften Gefühlen – die Reise in die Heimat antreten.
Der Kontrast vom französischen Landleben zum im Wiederaufbau befindlichen Köln könnte kaum größer sein… Der Vater versucht, den Lebensunterhalt mit einem Büdchen zu bestreiten. Als Unterkunft dient das Elternhaus der verschollenen Mutter, das Helga und Jürgen gemeinsam mit dem Vater, Tante Meta, Fanny und Vertriebenen, die auf dem Dachboden hausen, teilen.
Schnell spürt man, dass die schrecklichen Erfahrungen des Krieges die einzelnen Charaktere nach wie vor bestimmen, auch wenn leider zunächst sehr viel totgeschwiegen wird.
Dies führt auch dazu, dass der Vater – zum Unverständnis von Helga - seiner schreibbegabten, wissbegierigen Tochter den Zugang zum Gymnasium verwehrt und sie stattdessen in eine Haushaltsschule geschickt wird.
Im Rahmen eines Praktikums erfährt Helga - der nur dank Claire und Albert selbst ein Schicksal als „Findelmädchen“ erspart wurde - wie menschenunwürdig die Verhältnisse im Kinderheim sind und sie versucht, mit allen Mitteln dagegen anzukämpfen…
Aufgrund der authentischen Charaktere und der atmosphärischen Beschreibungen gelingt es der Autorin, die Verhältnisse im Köln der Nachkriegszeit spürbar zu machen. Helga ist eine unheimlich starke Persönlichkeit mit einem großen Unrechtsempfinden, die für ihre Wünsche und Ideen einzustehen versucht. In einer von Männern geprägten Welt, in der für das „normale“ Arbeitermädchen das Hausfrau und Muttersein als höchstes Maß der Erfüllung angesehen wird, hat Helga keinen leichten Weg für sich gewählt.
Für mich hat „Das Findelmädchen“ somit zahlreiche Impulse geboten, um mich mit der Rolle der Frau im 20. Und 21. Jahrhundert auseinanderzusetzen und zu reflektieren, wie abhängig Frauen damals vom Wohlwollen der Väter und Ehemänner waren.
Auch dass die bedrückenden Lebensumstände im Kinderheim so realistisch geschildert werden, hilft dabei, die Opfer, die diese Missstände heute aufzudecken versuchen, etwas besser zu verstehen.
Insgesamt finde ich den vielperspektivischen Blick auf die NS- und die Nachkriegszeit, der durch die Lebensgeschichten der einzelnen Charaktere offenbart wird, sehr gelungen. Das Problem des Schweigens der Elterngenerationen, das im Geschichtsunterricht häufig thematisiert wurde, wird so ebenso nachvollziehbar dargestellt, wie die Frage, welche Schuld auf der Elterngeneration, den Institutionen und denjenigen, die einfach weggesehen haben, lastet.
Besonders gut hat mir gefallen, dass die Gedächtnislücken von Helga und Jürgen durch Einschübe aus dem Tagebuch der Mutter wie ein Puzzle nach und nach zusammengesetzt werden.
Durch den Schreibstil hatte ich trotz der schwierigen Inhalte durchweg das Gefühl, wie in einer warmen Decke ummantelt zu sein, die das zuversichtliche Gefühl vermittelt „Es hätt noch immer jot jejange“ und kann deshalb diese emotionale Lesereise in das historische Köln der Nachkriegszeit nur empfehlen!

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Veröffentlicht am 18.07.2022

O Fortuna!

Das Mädchen von Agunt
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Als großer Iny Lorentz-Fan und alte Lateinerin ;D war ich sehr gespannt auf das Hörbuch zu „Das Mädchen von Agunt“, das in der Stadt Agunt (Osttirol) im Jahre 150 nach Christi zur Zeit des Römischen Reiches ...

Als großer Iny Lorentz-Fan und alte Lateinerin ;D war ich sehr gespannt auf das Hörbuch zu „Das Mädchen von Agunt“, das in der Stadt Agunt (Osttirol) im Jahre 150 nach Christi zur Zeit des Römischen Reiches spielt.
Und wie erwartet, beginnt dieser Roman sogleich mit einer Intrige und so viel Ungerechtigkeit, dass man den Roman bzw. in diesem Fall das Hörbuch gar nicht mehr zur Seite legen kann. Die junge Cincia, deren Vater aufgrund eines Alkoholproblems die Geschicke des Hofes nicht mehr leiten kann und auf Unterstützung seiner Frau und seiner Tochter angewiesen ist, tappt in eine große Falle und stürzt somit seine Familie und sich in ein großes, unwiderrufliches Unglück, weswegen Cincia und ihre Mutter Amma eine Zukunft als Sklavinnen vor sich zu haben scheinen…
Doch wer das Autorenduo Iny Lorentz und ihre historischen Romane kennt, weiß, dass sich eine Romanheldin wie Cincia nicht unterkriegen lässt und versuchen wird, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen…
Insofern hält auch „Das Mädchen von Agunt“ viele überraschende Wendungen bereit. Damit verbunden sind zwar auch zahlreiche Charaktere, wodurch man als Hörer:in stets sehr konzentriert sein muss bzw. sich die Mühe machen sollte, einen Überblick über die „Dramatis Personae“ zu erstellen…
Trotzdem oder insbesondere gilt an dieser Stelle ein großes Lob der Erzählerin, Ilka Teichmüller, die so facettenreich erzählen kann, dass man sich in die vielen Charaktere sehr gut hineinversetzen kann und es der/dem aufmerksamen Zuhörer:in gelingt, den Überblick zu erhalten.
Für Fans historischer Romane und ehemalige Lateiner:innen ist dieses Hörbuch daher sehr zu empfehlen, da es der Erzählerin ebenso wie dem Autoren-Duo durchgängig gelingt, vergangene Zeiten lebendig zu machen!

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Veröffentlicht am 02.07.2022

Ein folgenreicher Blick in die Zukunft – und eine unerwartete Geschichte, die das Herz berührt!!

In fünf Jahren
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Nachdem mich die Rahmenhandlung zu „In fünf Jahren“ von Rebecca Serle direkt neugierig gemacht hat, war ich sehr gespannt auf diese „Liebesgeschichte“, die gemäß Hinweis auf dem Cover, ganz anders als ...

Nachdem mich die Rahmenhandlung zu „In fünf Jahren“ von Rebecca Serle direkt neugierig gemacht hat, war ich sehr gespannt auf diese „Liebesgeschichte“, die gemäß Hinweis auf dem Cover, ganz anders als erwartet sei.
Worum geht es also? Auf wundersame Weise erwacht Dannie, die aufstrebende New Yorker Anwältin, die für alles einen Plan zu haben scheint, in der Zukunft, verbringt dort eine Stunde und wird dann wieder zurück in die Gegenwart katapultiert, die sie von nun an mit etwas anderen Augen sieht. Dass der Mann, neben dem sie aufwacht, nicht ihr Verlobter ist, ist die verwirrende Erkenntnis, mit der sie kurze Zeit später wieder in der Gegenwart landet und entscheiden muss, welcher Lebensentwurf ihr weiteres Leben bestimmen soll… (Um nicht zu spoilern, verrate ich an dieser Stelle nicht mehr vom Inhalt – da gerade die unerwarteten Wendungen den Reiz der Geschichte für mich ausgemacht haben!)
Aufgrund der für diesen Roman meiner Meinung nach sehr treffend gewählten Perspektive der Ich-Erzählerin ist es mir sehr schnell gelungen, mich in die Situation von Dannie zu versetzen und ich fand sie – trotz oder gerade wegen ihrer pedantischen Strukturen – von Anfang an sehr sympathisch.
Neben dem sehr ansprechenden Schreibstil haben mir zudem die vielen unerwarteten Wendungen ebenso gut wie die behandelten Themen (Freundschaft, Verlusterfahrungen) gefallen, wodurch mich dieser (Liebes-) Roman insgesamt sehr berührt hat.
Insofern stellt „In fünf Jahren“ für mich ein besonderes Leseerlebnis dar, was ich nur weiterempfehlen kann!

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Veröffentlicht am 02.07.2022

Freud und Leid des Schwesternseins – wie im echten Leben, nur amüsanter!

Power Sisters 01
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Freud und Leid des Schwesternseins – wie im echten Leben, nur amüsanter!

Die Geschichten der „Power Sisters“ Marine und Wendy haben uns von der ersten Seite an begeistert, da dieser Comic viele neue, ...

Freud und Leid des Schwesternseins – wie im echten Leben, nur amüsanter!

Die Geschichten der „Power Sisters“ Marine und Wendy haben uns von der ersten Seite an begeistert, da dieser Comic viele neue, amüsante Perspektiven auf das Schwesternsein und Erwachsenwerden bietet und so ein richtiges Lesevergnügen für mich und meine Töchter war.
Obwohl ich früher eigentlich nicht so gerne Comics gelesen habe, finde ich dieses Genre auch als Erwachsene immer spannender, da durch die zumeist sehr ausdrucksstarken Bilder viele Erzählanlässe geboten werden.

Dies trifft auch für diesen Comic zu, denn die sehr realitätsnahen und trotzdem humorvoll überspitzt dargestellten Konflikte der beiden Schwestern konnten wir zum Anlass nehmen, z.B. über die Bedeutung von Privatsphäre („Wie fühlt man sich, wenn die Schwester das geheime Tagebuch liest?“, „Wie hättet ihr an Marines/Wendys Stelle reagiert?“) zu diskutieren.
Unter dem Untertitel „Krieg und Frieden“ hat der Autor Christophe Cazenove gemeinsam mit dem Illustrator William Maury eine thematisch sehr passende Auswahl an Situationen aus dem Alltag der beiden Schwestern zusammengestellt, die auf weitere Bänder dieser Serie hoffen lassen.

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Veröffentlicht am 26.05.2022

Actionreicher Pageturner, den man einfach nicht weglegen kann!

Flug 416
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Welche Entscheidung würdest DU treffen?
Als Bill Hoffmann, liebender Familienvater und Kapitän bei Coastal Airways, die Vertretung für den Flug 416 übernimmt, trifft er, ohne es zu wissen, die schlimmste ...

Welche Entscheidung würdest DU treffen?
Als Bill Hoffmann, liebender Familienvater und Kapitän bei Coastal Airways, die Vertretung für den Flug 416 übernimmt, trifft er, ohne es zu wissen, die schlimmste Entscheidung seines Lebens… Obwohl zunächst alles wie immer scheint, erhält Bill kurz nach dem Start eine Nachricht, in der er vor die Wahl gestellt wird: Entweder er lässt Flug 416 abstürzen oder seine Frau und die beiden Kinder werden getötet. Um ihn zu überzeugen, dass es sich hierbei nicht um leere Drohungen handelt, gelingt es dem Entführer heimlich Kontakt mit Bill aufzunehmen, sodass dieser mit eigenen Augen sehen muss, in welcher dramatischen Situation sich seine Familie befindet. Außerdem wird Bill mitgeteilt, dass er unter Beobachtung steht, weil ein Komplize des Entführers ebenfalls mit an Board ist. Eine falsche Handlung und seine Familie stirbt. Dies macht der Entführer unmissverständlich deutlich…
Um nicht zu spoilern soll an dieser Stelle nicht viel mehr über die Handlung, Entscheidungen und Beweggründe verraten werden. 😉
Mich hat „Flug 416“ von der ersten Seite an begeistert. Der Autorin T.J. Newman gelingt durch die verschiedenen Perspektivwechsel, Rückblenden und unerwarteten Wendungen, dass man den Thriller nicht mehr aus der Hand legen kann. Dadurch, dass die Autorin selbst als Flugbegleiterin gearbeitet hat, hatte ich zudem durchweg das Gefühl, dass die Abläufe im Flugzeug sehr authentisch dargestellt waren. Darüber hinaus werden die unterschiedlichen Charaktere durchgängig sehr detailliert dargestellt und die verschiedenen Eigenheiten herausgearbeitet, sodass ein vorschnelles Urteilen nicht möglich ist und das Dilemma, in das Bill geraten ist, umso schwerer wiegt.
Welche Entscheidung würdest DU treffen? Diese Frage hat mein Lesen ebenso geleitet, wie die Frage nach den Beweggründen des Entführers. Auch hierzu bietet die Autorin Antworten, die das Ausmaß der Dilemma-Situation noch einmal verstärken.
Dafür, dass meine Erwartungshaltung an dieses Buch sehr groß war, wurde ich wirklich nicht enttäuscht. Actionreich und spannungsgeladen – wie ein klassischer amerikanischer Blockbuster! Wer danach sucht und sich vom Intro, zu dem ich etwas geteilter Meinung bin, nicht abschrecken lässt, für den kann „Flug 416“ genau die richtige Wahl sein.

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