facettenreicher Auftakt, komplexe Welt, viele offene Fragen
In einer Welt, in der Magie nicht mehr nur Traum und Fiktion ist, sind viele Dinge möglich. Aber Magie ist gefährlich, Magie kann süchtig machen, Magie kann zerstören, Magie hat ihre Schattenseiten. Und ...
In einer Welt, in der Magie nicht mehr nur Traum und Fiktion ist, sind viele Dinge möglich. Aber Magie ist gefährlich, Magie kann süchtig machen, Magie kann zerstören, Magie hat ihre Schattenseiten. Und die Magie ist auch längst nicht für jeden frei zugänglich oder gut erreichbar. Für Rayne ist die Magie trotzdem alles, woran sie ihre Hoffnung hängt. Denn mithilfe der blauschimmernden Macht und der Artefakte, durch die man die Magie nutzbar machen kann, bietet sich ihr die Möglichkeit, sich aus ihrem bisherigen Leben zu befreien. Ihr Weg sieht nur leider ganz anders aus, als Rayne es sich ausgemalt hatte. Anstatt frei zu sein und selbst bestimmen zu können, was sie mit ihrer Zukunft anfängt, gerät sie nur aus einem Abhängigkeitsverhältnis in das nächste – die einzige Alternative: sie lässt sich von der düsteren Magie, die in ihr tobt, umbringen.
Anne Benning schafft mit dem Auftakt ihrer Trilogie einen guten Einstieg in die vielschichtige Welt rund um die Magie, die Sigils und die Träger der Dark Sigils in einem zukünftigen London. Umso weiter man im Buch voranschreitet, umso mehr Intrigen, Verstrickungen und Zusammenhänge ergeben sich. Die Handlungsstränge bekommen Berührungspunkte, verflechten sich jedoch noch nicht alle miteinander. Es wird zunehmend komplexer, es ergeben sich immer mehr Fragen, die neugierig machen auf die Fortsetzungen, es werden aber auch ein paar Aspekte aufgeklärt, so dass man manche Motivation offenbart bekommt und sich erste Erklärungen ergeben.
Das Buch bringt eine tolle Atmosphäre mit sich, die sich im Verlauf mehrfach wandelt. Über allem hängt schon eine gewisse Düsternis, die sich durch die Magie, ihre Einsatzmöglichkeiten und die Nebenwirkungen und Komplikationen ergibt und von all den Intrigen und Geheimnissen noch verstärkt wird. Dennoch gibt es auch Passagen, in denen eher positive Ereignisse und Gefühle im Mittelpunkt stehen, in denen Freundschaften geknüpft oder intensiviert werden und es kleine Lichtblicke gibt. Es gibt turbulente, spannungsgeladene Szenen, ebenso wie ruhigere, in denen Ding geklärt und erklärt werden müssen. Insgesamt kann man sagen, umso weiter man in der Geschichte vorankommt, umso mehr wird aufgedeckt und umso mehr bekommt man einen Eindruck davon, wie verstrickt und vielfältig die gesamte Handlung tatsächlich ist. Welche Aspekte man zuvor gar nicht wusste und dass manches eben nicht so ist, wie es scheint. Ein paar der Offenbarungen und Wendungen kamen dabei für mich wirklich überraschend, andere Dinge haben sich aus meiner Sicht angedeutet. Die Mischung im Buch erschien mir aber stimmig zu sein und es hat viel Spaß gemacht, die Protagonistin zu begleiten und zu sehen, wie sie sich entwickelt und verändert, da sie nach und nach tiefer in die Welt eintaucht und damit dann auch die Möglichkeit erhält, manche Sachen ganz anders und neu zu bewerten. Der Schreibstil ist trotz der Komplexität und der Vielzahl an Verknüpfungen flüssig und sehr mitnehmend. Detailreiche Beschreibungen lassen das eigene Kopfkino anspringen und machen sowohl den Großteil der Figuren als auch die Schauplätze und den Einsatz der Magie gut vorstellbar. Besonders interessant und faszinierend empfand ich die Aspekte rund um die Ausprägung und die Nutzung der Magie, die anders war, als in vielen anderen Geschichten, die ich bisher gelesen habe.
Da die Geschichte aus der Ich-Perspektive von Protagonistin Rayne erzählt wird, setzen sich viele der Informationen erst nach und nach zusammen. Auch wenn Ray sich an die Zeit ohne Magie nicht mehr erinnert, so kennt sie doch längst nicht alle Facetten der Welt und vor allem den Mirror, die Welt der Oberen, kennt sie bisher nur aus Erzählungen und von Gerüchten. Als Leser*in ist man darauf angewiesen zu warten, bis Ray mehr Einblicke erhält, bis sie Dinge herausfindet, beobachtet oder erzählt bekommt. Da nicht alle bereit sind, ihr sofort alle Karten auf den Tisch zu legen, ergeben sich daraus auch mal Reaktionen, die vermeidbar gewesen wären und die teilweise zu unglücklichen Situationen und neuen Problemen führen.
Rayne ist eine schlagfertige, mutige Protagonistin, die im Waisenhaus gelernt hat, sich durchzusetzen und nicht kleinmachen zu lassen. Manchmal ist sie etwas impulsiv, manchmal aber auch naiv und kopflos. Sie ist gesteuert von ihren persönlichen Wünschen und Gefühlen, was man ihr, wenn man ihre Situation betrachtet, aber kaum übel nehmen kann. Sie durchschaut die Komplexität der Verantwortung rund um die Dark Sigils nicht sofort, sie erhält zudem nicht ausreichend Informationen, um ihre Lage gut beurteilen zu können. Für sie ist es zunächst nur der Wechsel von einer Extremsituation in eine andere, sie fühlt sich und ihre Sorgen nicht ernstgenommen, also handelt sie. Und auch wenn ich zum Teil verstehen kann, wieso sie das tut, so war es eben doch auch ziemlich kopflos und einfach naiv zu glauben, dass das gutgehen könnte. Auch zwischendurch brechen Äußerungen aus ihr heraus, über die sie besser hätte nachdenken können. Allerdings ist Ray auch erst 17 und in einer herausfordernden Situation, daher empfand ich es schon als authentisch und an sich mag ich Ecken und Kanten bei Charakteren. Im Verlauf der Geschichte kann man auch beobachten, dass Rayne beginnt sich zu verändern und zu entwickeln, sicher trifft sie weiterhin nicht immer nur richtige Entscheidungen, aber sie fügt sich mehr in die Welt und die Gegebenheiten und ist bemüht, das Richtige zu tun, zumindest das, was aus ihrer Sicht das richtige ist.
Die Mischung der Figuren rund um die Protagonistin ist abwechslungs- und facettenreich. Es gab Charaktere, die mir sofort sympathisch waren, andere Figuren blieben suspekt oder waren direkt unsympathisch. Der eine oder andere zeigt im Verlauf dann noch mal andere Seiten, einige lassen ihre Mauern fallen bzw. lassen Rayne dahinter blicken, andere legen ihre Fassade ab und zeigen ihr wahres Gesicht. Es ist eine sehr interessante Kombination aus Charakteren, die sowohl durch ihre Stärken, ihre Ecken und Kanten, als auch durch ihre eigenen Wünsche, Hoffnungen und teilweise auch Machtgier und Neid den Handlungsverlauf immer wieder beeinflussen. Ich möchte da auch gar nicht zu viel zu verraten, auch wenn ich klare Favoriten unter den Haupt- und Nebenfiguren habe.
Eine Liebesgeschichte hätte ich im Buch nicht unbedingt gebraucht, da es rundrum so viel anderes gibt, was passiert, was man erfährt und was noch aufgeklärt werden muss, insgesamt empfand ich sie aber als harmonisch in die Handlung eingebaut und es bietet für den Fortgang noch mal Anknüpfungspunkte.
Fazit
Ein wirklich interessanter, spannender und überwiegend temporeicher Auftakt der Trilogie, der einem gute Einblicke in die Welt und einen Überblick über die Charaktere und zumindest einen Teil der Verstrickungen und Intrigen gibt. Die Handlung ist komplex und facettenreich. Umso weiter man voranschreitet, umso mehr erfährt man, dabei gibt es einige Überraschungen, andere Offenbarungen habe ich so oder ähnlich erwartet. Es ist aber eine schöne Mischung, die gemeinsam mit dem angenehmen, flüssigen Schreibstil, den bildhaften Beschreibungen und der faszinierenden Magie. Hier und da gab es kleine Aspekte, die sich mir noch nicht ganz erschlossen haben oder die nicht hundertprozentig logisch erschienen, was aber zum Teil auch an noch offenen Fragen liegen könnte. Nicht jede Reaktion jeder Figur empfand ich als nötig, es sorgt aber in der Zusammenstellung immer wieder für Spannung, neue Schwierigkeiten und Situationen, aus denen sich dann Neues ergibt. Es ist aber definitiv jammern auf hohem Niveau – die Geschichte hat mich insgesamt wirklich gut mitgenommen und begeistert. Das Ende des Buches lässt mich neugierig und gespannt auf die Fortsetzung zurück.