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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.12.2022

Über die deutsche Kolonialherrschaft in Ostafrika

Nachleben
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Nachdem Ilyas als Elfjähriger zwangsrekrutiert worden ist und Jahre später in sein Dorf zurückkehrt, sind seine Eltern bereits tot. Seine jüngere Schwester Afiya ist bei Verwandten untergekommen ist, wird ...

Nachdem Ilyas als Elfjähriger zwangsrekrutiert worden ist und Jahre später in sein Dorf zurückkehrt, sind seine Eltern bereits tot. Seine jüngere Schwester Afiya ist bei Verwandten untergekommen ist, wird von ihnen aber wie eine Sklavin gehalten. Ilyas nimmt sie mit in die Stadt. Als sie dort auf Hamza trifft, entsteht zwischen den beiden eine Liebe. Doch der nächste Krieg rückt schon näher…

„Nachleben“ ist ein Roman von Abdulrazak Gurnah.

Meine Meinung:
Der Roman beinhaltet vier Teile und insgesamt 15 Kapitel. Die Handlung umfasst den Zeitraum vom Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman mit seinem nüchternen, antiquiert wirkenden Schreibstil ein wenig enttäuscht.

Inhaltlich hat mich der Roman dagegen mehr überzeugt. Hierin liegt für mich die eigentliche Stärke der Geschichte. Im Mittelpunkt steht die deutsche Kolonialherrschaft in Ostafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Warum zieht ein junger Schwarzer für den deutschen Kolonialherren in den Krieg? Über die koloniale Geschichte von Tansania war mir bis dahin nur wenig bekannt. Als umso interessanter und als augenöffnend habe ich es empfunden, einiges darüber zu erfahren und zudem mitzubekommen, wie weit die Folgen des Kolonialismus und die Einflüsse Europas reichen.

Darüber hinaus zeichnet der Autor ein Bild von den gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Zuständen in Ostafrika, was den Roman schon alleine deswegen lesenswert macht. Zugleich erzählt er eine Familiengeschichte.

Der Fokus des Romans liegt auf verschiedenen Charakteren. Zunächst geht es um Khalifa. Dann spielt Ilyas die Hauptrolle. Später wechselt die Perspektive erneut. Etwas verwirrend wird die Lektüre durch Namensähnlichkeiten. Zudem tauchen vor allem zu Beginn viele unterschiedliche Figuren auf verhältnismäßig wenigen Seiten auf, was den Einstieg in die Geschichte erschwert hat. Positiv anzumerken ist, dass die Charaktere insgesamt authentisch rüberkommen und deren Darstellungen viele Grautöne aufweisen.

Der Originaltitel („Afterlives“) wurde erfreulicherweise wortgetreu übersetzt. Das optisch ansprechende Cover hat wenig inhaltlichen Bezug, ist jedoch nicht unpassend.

Mein Fazit:
Obwohl „Nachleben“ von Abdulrazak Gurnah meine durch den Nobelpreis bedingten hohen Erwartungen vor allem auf sprachlicher Ebene nicht erfüllen konnte, halte ich das neueste Werk des Autors für empfehlenswert. Besonders westliche Leserinnen und Leser erwartet eine lehrreiche Lektüre, die nachhallt.

Veröffentlicht am 02.11.2022

Deckname: Hornclaw

Frau mit Messer
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Ihr Deckname ist Hornclaw. Sie ist Mitte 60 und gehört noch lange nicht zum alten Eisen. Die Auftragskillerin denkt nicht daran, ihren Job an den Nagel zu hängen. Doch das Alter lässt sie milde werden, ...

Ihr Deckname ist Hornclaw. Sie ist Mitte 60 und gehört noch lange nicht zum alten Eisen. Die Auftragskillerin denkt nicht daran, ihren Job an den Nagel zu hängen. Doch das Alter lässt sie milde werden, was sie in Schwierigkeiten bringt…

„Frau mit Messer“ ist ein Roman von Gu Byeong-Mo.

Meine Meinung:
Der Roman umfasst elf Kapitel, die sich in mehrere Abschnitte gliedern. Erzählt wird chronologisch im Präsens aus der Perspektive von Hornclaw, jedoch unterbrochen von Rückblicken.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überzeugt. Der Schreibstil ist unaufgeregt, aber fesselnd, schnörkellos und gradlinig, aber auch intensiv und atmosphärisch.

Was den Inhalt angeht, ist vor allem die Protagonistin an sich ein reizvolles Element. Eine interessante Figur, die sowohl speziell als auch authentisch wirkt.

Die Geschichte ist eine Mischung aus Porträt, Spannungsroman und Gesellschaftspanorama. Gut gefallen hat mir, dass hier viele tiefgreifende Fragen aufgeworfen werden. Zum Beispiel: Wer verdient es zu sterben, wer zu leben? Was ist moralisch verwerflich? Woran krankt die Welt? Somit ist der Roman facettenreicher und tiefgründiger als vermutet und regt zum Nachdenken an.

Auf den knapp 300 Seiten bleibt auch der Nervenkitzel nicht außen vor, tritt allerdings stellenweise in den Hintergrund. Nur wenige Passagen jedoch sind für meinen Geschmack zu langatmig geworden.

Das knallige, moderne Cover sticht hervor und ist durchaus passend. Der prägnante Titel ist ebenfalls nicht die schlechteste Wahl.

Mein Fazit:
Wer eine ungewöhnliche Geschichte zum Thema Auftragsmord lesen möchte, ist mit „Frau mit Messer“ von Gu Byeong-Mo sehr gut bedient. Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, für die es nicht immer der 08/15-Krimi sein muss.

Veröffentlicht am 08.10.2022

Die Herausforderung, unverwundbar zu sein

Die Kriegerin
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Lisbeth und Florentine kennen sich seit der Ausbildung bei der Bundeswehr. Beide eint ein Wunsch: Sie wollen unverwundbar sein. Dabei ist Lisbeth durchaus sehr empfindsam: Ihre Haut reagiert auf Gefühle ...

Lisbeth und Florentine kennen sich seit der Ausbildung bei der Bundeswehr. Beide eint ein Wunsch: Sie wollen unverwundbar sein. Dabei ist Lisbeth durchaus sehr empfindsam: Ihre Haut reagiert auf Gefühle und Träume anderer. Distanz ist ihr Schutz. Doch dann passiert etwas, das ihr diese Sicherheit nimmt…

„Die Kriegerin“ ist ein Roman von Helene Bukowski.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen, die wiederum in verschiedene Abschnitte untergliedert sind. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge, allerdings mit mehreren Rückblicken, aus der Sicht von Lisbeth. Der Aufbau ist unkompliziert und funktioniert gut.

Zwar ist der Schreibstil schnörkellos und auf den ersten Blick unauffällig. Dennoch ist er gleichzeitig atmosphärisch, bildstark und intensiv.

Lisbeth und Florentine, die beiden Frauen, stehen im Vordergrund. Zwei Protagonistinnen, die durchaus das Potenzial haben, zu polarisieren, aber zugleich mit psychologischer Tiefe und frei von Klischees ausgestaltet sind.

Inhaltlich ist der Roman harte Kost und dabei sehr gehaltvoll. Es geht um Gewalt und Traumata. Über allem schwebt die Frage, wie man unverletzlich bleibt. Besonders gefallen hat mir, dass die Autorin die Rolle von Frauen beim Militär literarisch verarbeitet. Auch an andere Themen, die zum Teil tabuisiert werden, traut sie sich heran.

Auf knapp 250 Seiten hat mich die Geschichte fast durchgängig gefesselt. Nur ein paar wenige inhaltliche Punkte, die ich hier nicht vorwegnehmen möchte, haben mich gestört.

Das Cover mit seinen Effekten ist sehr ansprechend geworden und passt wider Erwarten auch thematisch prima. Der prägnante Titel ist ebenfalls eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Die Kriegerin“ ist Helene Bukowski erneut ein eigenwilliger, aber wieder sehr lesenswerter Roman gelungen. Eine besondere Lektüre mit nur wenigen Schwächen.

Veröffentlicht am 27.09.2022

Sichtbarkeit in einer auf Unsichtbarkeit angelegten Welt

Lügen über meine Mutter
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Das Dorf Obach im Hunsrück der 1980er-Jahre: Ländlich und familiär, so erscheinen die persönlichen Verhältnisse der Grundschülerin Ela auf den ersten Blick. Doch hinter den Mauern des elterlichen Hauses ...

Das Dorf Obach im Hunsrück der 1980er-Jahre: Ländlich und familiär, so erscheinen die persönlichen Verhältnisse der Grundschülerin Ela auf den ersten Blick. Doch hinter den Mauern des elterlichen Hauses herrscht Psychoterror. Ihre Mutter ist zu dick. Das behauptet zumindest ihr Vater - und lässt keine Gelegenheit aus, um seine Frau wegen ihres Gewichts zu beleidigen, zu erpressen und auf andere Weise zu beschämen.

„Lügen über meine Mutter“ ist ein Roman von Daniela Dröscher.

Meine Meinung:
In vier Teile ist der Roman aufgebaut, die jeweils ein Jahr umfassen und in verschiedene Kapitel untergliedert sind. Die Haupthandlung spielt in den Jahren 1983 bis 1986. Darüber hinaus gibt es zwischen einzelnen Kapiteln Einschübe aus der Gegenwart, die die erzählten Episoden aus erwachsener Sicht einordnen und analysieren.

Der Schreibstil ist insgesamt unauffällig und unspektakulär. Die dialektalen Einstreuungen und phrasenhaften Formulierungen im Vergangenheitsstrang passen jedoch gut zur Geschichte. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Ela.

Die Charaktere habe ich als vielschichtig und menschlich empfunden. Der Autorin gelingt es sehr gut, Widersprüchlichkeiten und Schwächen herauszuarbeiten, sodass ihre Figuren ambivalent und mit vielen Grautönen daherkommen, obwohl die Sympathien dennoch klar verteilt sind.

Auch inhaltlich ist der Roman durchaus facettenreich. Zwar steht das Bodyshaming beziehungsweise Fatshaming im Vordergrund. Die Geschichte zeigt auf, wie das Gewicht der Mutter ständig im Fokus der Kritik steht und welche psychischen Folgen erzwungene Diäten und verbale Attacken auf Dauer haben. Außerdem hat der Roman einen feministischen Ansatz. Er beleuchtet patriarchale Strukturen und deren Konsequenzen wie finanzielle Abhängigkeiten. Zudem werden weitere Aspekte wie Rassismus, Krankheit und einiges mehr thematisiert, was die Geschichte ein wenig überfrachtet. Nach eigenen Angaben der Autorin ist der Roman autobiografisch motiviert. Deshalb ist es schwierig, die Authentizität zu bewerten und den Wahrheitsgehalt abzuschätzen.

Trotz der mehr als 400 Seiten und mehrerer inhaltlicher Wiederholungen habe ich den Roman lediglich an sehr wenigen Stellen als langatmig empfunden. Nur das zwar überraschende, aber etwas märchenhafte Ende hat mich nicht ganz überzeugt. Auch nach den letzten Kapiteln bleiben ein paar Fragen bewusst offen.

Der Titel ist mehrdeutiger als gedacht und lässt auch nach dem Ende der Lektüre Raum für eigene Interpretationen. Das abstrakte Cover sagt mir dagegen weniger zu, zumal ich die Farbwahl thematisch unpassend finde.

Mein Fazit:
Preisverdächtig ist der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher für mich zwar nicht. Dennoch konnte mich die autobiografisch inspirierte Geschichte gut unterhalten.

Veröffentlicht am 07.09.2022

Wenn die Vergangenheit plötzlich wieder hochkommt

Der finstere Pfad
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Die Nachricht von einem Skelettfund in Kanada holt sie ein: Vor 15 Jahren wollte die damals 20-jährige Laura mit einer Wandergruppe den bekannten West Coast Trail bezwingen. Doch diese Unternehmung wird ...

Die Nachricht von einem Skelettfund in Kanada holt sie ein: Vor 15 Jahren wollte die damals 20-jährige Laura mit einer Wandergruppe den bekannten West Coast Trail bezwingen. Doch diese Unternehmung wird zum Albtraum, als eine der jungen Frauen brutal ermordet wird…

„Der finstere Pfad“ ist ein Psychothriller von Jenny Blackhurst.

Meine Meinung:
Der Aufbau des Thrillers ist weder simpel noch zu kompliziert. Er teilt sich in 74 Kapitel mit einer angenehmen Länge auf. Er endet mit einem Epilog. Zudem gibt zwei Erzählebenen: einen gegenwärtigen Strang, der sich über mehrere Tage erstreckt, sowie einen Handlungsstrang, der im Jahr 1999 spielt. Erzählt wird einerseits aus der Ich-Perspektive und andererseits aus der Sicht von Maisie. Diese Struktur funktioniert sehr gut.

Der Schreibstil ist anschaulich und - dank vieler Dialoge - sehr lebhaft. Als gelungene Stilmittel werden Zeitungsberichte sowie Mitschriften eingefügt.

Die Protagonisten sind reizvolle Charaktere, die undurchsichtig bleiben.

Inhaltlich schafft es die Autorin, einige falsche Fährten zu legen. Der Thriller regt zum Miträtseln an. Die Geschichte bietet mehrere Überraschungen und Wendungen.

Zwar ist der Thriller fesselnd und sehr kurzweilig. Dieses Mal hat mich die Auflösung jedoch leider nicht so richtig überzeugt.

Das Cover finde ich nicht nur optisch ansprechend, sondern auch für das Genre passend. Der Titel ist nach meiner Ansicht ebenfalls gut abgestimmt.

Mein Fazit:
„Der finstere Pfad“ ist für mich nicht der beste Psychothriller von Jenny Blackhurst, aber dennoch ein unterhaltsames Stück Spannungsliteratur. Eine Lektüre für fesselnde Lesestunden.

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