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Veröffentlicht am 08.09.2022

Einfach nur EPISCH!

Crescent City – Wenn ein Stern erstrahlt
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Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert ...

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert habe. Da der deutsche Verlag mit der Übersetzung wahnsinnig Gas gegeben hat, stand schon seit Mitte Juni meinem Versuch zu überprüfen, ob die Geschichte wirklich den Hype der englischen Community verdient, nichts mehr im Weg ... außer meinen eigenen Ansprüchen. Wie bei allen langersehnten Neuerscheinungen hatte ich als langjähriger Sarah-J.-Maas-Fan ein wenig Angst, von diesem Genreausflug enttäuscht zu werden und mir deshalb einige Wochen Zeit gelassen, bis ich mich im Buddyread zusammen mit Sofia von @SofiasWorldofBooks dem Buch gewidmet habe. Doch wieder einmal waren diese Sorgen unbegründet: "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" ist genau wie sein Vorgänger unfassbar komplex, brutal, schonungslos, herzbrechend, wunderschön, magisch, liebevoll, bildgewaltig, detailreich und wieder einmal einfach nur EPISCH!

Schon bei der Gestaltung könnte ich stundenlang ins Schwärmen kommen. Dass das detailgetreue Cover mit den vielen liebevoll gestalteten Einzelheiten, den inhaltliche abgestimmten Spielereien, den kontrastreichen Farben und dem fantasievollen Motiv ein Hingucker ist, muss ich denke ich nicht genauer erklären. Positiv überrascht haben mich aber der kunstvolle Buchschnitt, der auch nach dem Lesen immer noch farbenfroh und knitterfrei mit dem Hauptmotiv verzückt, die aufwändig illustrierte Karte, der goldene Sichelmond unter dem Schutzumschlag und die episch-düstere Ausgestaltung der Buchdeckelinnenseiten. Dass das Buch trotz der knapp 900 Seiten und der gebundenen Ausgabe recht dünn ist, wird durch die recht kleine Schrift und das dünne Bibel-Seiten-Papier gewährleistet. Warum die englische Ausgabe trotzdem nur etwa die Hälfte des Umfangs aufweist, ist und bleibt mir ein Rätsel...

Erster Satz: "Sofie hatte jetzt schon zwei Wochen im Todeslager von Kavalla überlebt."

Inhaltlich aufgeteilt ist die Geschichte in drei nach den Kreisen der Hölle benannten Teile "Die Kluft", "Der Abgrund" und "Der Schlund", sowie in 78 Kapitel inklusive eines kurzen Epilogs und eines außergewöhnlich langen Prologs, die dieser langen und komplexen Story eine Struktur verschaffen. Zunächst lernen wir im Prolog mit Sofie eine neue Protagonistin kennen und dürfen einen ersten Blick auf das vom Krieg zwischen den Asteri und den Ophion Rebellen erschütterte Pangera werfen, bevor wir dann zu Bryce und Hunts Leben nach dem großen Showdown von Band 1 zurückkehren. Einige Monate sind vergangen, seit Bryce sich selbst als Erbin der Sterngeborenen Fae enthüllt hat und mithilfe von Lunas Horn auf ihrem Rücken die Stadt vor den einströmenden Dämonen gerettet hat, die der Erzengel Micah in einem Anflug von Größenwahn freigelassen hat. Um die Asteri nicht auf sich aufmerksam zu machen und zu riskieren, dass sie ihre Meinung doch noch ändern und die beiden eliminieren, müssen sich Bryce und Hunt seit den Vorfällen im Frühjahr bedeckt halten und versuchen, ein normales Leben zu führen. Als jedoch eine neue Erzengelin für die Stadt ernannt wird und die Ophion-Rebellen in Crescent City aktiv werden, wird es für die beiden immer schwieriger, unbeteiligt zu bleiben...

"Was machst du, wenn du die Wahrheit herausgefunden hast?" Bryce biss sich auf die Unterlippe. "Vermutlich zu Cthona beten, dass ich sie akzeptieren kann."


Der Einstieg in Band 2 fiel mir deutlich leichter als der in Band 1, da wir die vielen Namen, Orte, Erklärungen, Zusammenhänge und Besonderheiten des Worldbuildings schon kennen. Auch hier benötigt die Geschichte allerdings einige Seiten, um in Schwung zu kommen und wählt zugunsten vieler Details und einem starken Fokus auf die Figuren und deren Beziehung zueinander ein langsameres Erzähltempo. Doch wer zu Beginn noch dachte, Sarah J. Maas sei so begeistert von ihrem Setting gewesen, dass sie es mit dem Worldbuilding etwas übertrieben hat, wird im Laufe der Geschichte bald merken, dass alles Teil eines abgekarteten Verwirrspiels ist und all die kleinen versteckten Details am Ende ihr Comeback im Showdown erhalten. Vergleichbar zu Band 1 gibt es auch hier wieder einen Kriminalfall, an dem sich die sonstige Handlung wie an einem roten Faden entlanghangelt. Während es in Band 1 um den Mord an Danika ging, begeben sich unsere Hauptfiguren nun auf die Suche nach dem verschollenen Jungen Emile, welcher als mächtiger Donnervogel über Sieg und Niederlage der Rebellen entscheiden könnte.

"Diese Welt könnte so viel mehr sein. Diese Welt könnte frei sein. Ich verstehe nicht, warum ihr das nicht auch wollt." "Es ist schwer, die Freiheit zu genießen, wenn man tot ist", entgegnete Hunt finster. Cormac öffnete die Tür und trat in die wallenden Schatten hinaus. "Ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen, für den ich mein Leben aufgeben würde."


Dabei wird die Geschichte abermals aus verschiedenen Perspektiven an verschiedenen Orten erzählt. Neben den beiden Hauptprotagonisten Bryce und Hunt, erzählen auch Bryces Fae-Bruder Ruhn, der Meermann Tharion und der Wolf Ithan aus einer personalen Erzählperspektive, welches es möglich macht, viel vor dem Leser zu verbergen und doch einen Einblick in die Gefühle und Gedanken der Figuren zu erhaschen. Durch die vielen Erzählperspektiven sowie den Nebenhandlungsstrang rund um die Rebellen und die Wolfsmystikerin rückt der Fokus etwas von Hunt und Bryce ab, wodurch die beiden recht wenig Zeit alleine haben (die nicht mit Sexszenen gefüllt ist - die Autorin versucht nämlich in der zweiten Hälfte großzügig dafür zu entschädigen, dass es in Band 1 nicht zur Sache gegangen ist). Während die beiden als ungleiches Ermittlerduo in Band 1 beinahe die ganze Zeit zu zweit unterwegs waren, ist in "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" häufig mindestens noch eine andere Figur dabei, weshalb mir das unbeschwerte, natürliche Geplänkel zwischen den beiden etwas gefehlt hat. Dafür zelebriert die Autorin hier aber den Found-Family-Trope und wir dürfen zusehen, wie die liebevoll "Team Scheiß-auf-die-Regeln" benannte Gruppe immer größer wird und beweist, dass gemeinsame Werte mehr zusammenschweißen als eine gemeinsame Herkunft. Besonders gut gefallen hat mir dabei Ruhns Handlungsstrang mit einer ganz besonderen Romanze, die man so nicht kommen sieht...

"Meinen Verstand hat in der Dunkelheit deinen gefunden. Über einen Ozean hinweg. (...) ich werde dich finden", sagte er an ihren lodernden Haaren. "Eines Tages werde ich dich finden, das verspreche ich dir."

Trotz des leicht abschweifenden Fokus gelingt es der Autorin ihre Hauptfiguren weiterzuentwickeln und sie uns noch näher zu bringen. Gerade Bryce muss man für ihre starke, sture und sarkastische Persönlichkeit einfach lieben und sie ist mir mit jeder Seite mehr ans Herz gewachsen. Auch der gefallene Engel Hunt (eigentlich Orion) Athalar, der als Auftragsmörder für den Gouverneur Micah arbeitete und deshalb als "Todesschatten" gefürchtet wird, hat sich über das anfängliche Klischee hinaus entwickelt und entdeckt neue Seiten an sich selbst. Wir kennen sie ja alle: dominante, starke, sexy Protagonisten (ob CEOs, Prinzen, Engel, Vampire oder Fae spielt dabei keine Rolle), mit großem Ego, insgeheim gebrochenen Herzen und starken Eifersuchtsproblemen. Auch Sarah J. Maas wurde in der Vergangenheit oft für ihre dominanten Alpha-Love-Interests kritisiert. Mit Hunt und Bryce findet sie jedoch einen Weg, genau dieses Stereotyp zu parodieren und offen anzusprechen, in dem sich Bryce über das "Alpha-Arschloch-Gehabe" der Männer in ihrem Umfeld ärgert. Dadurch kommt es nicht nur zu unfassbar lustigen Dialogen, sie problematisiert auch indirekt diese Art der Figurendarstellung, auf die wir LeserInnen immer wieder hereinfallen, auf sehr unterhaltsame Art und Weise.

"Ist es ein Klischee, wenn ich sage, dass Ärger mein zweiter Vorname ist?" "Und ob. Definitiv." "Was wäre dein zweiter Vorname?", neckte er. Ihre Flammen zogen sich zurück und enthüllten diese Augen aus purem Feuer. "Vergeltung."

Das eigentliche Genie der Geschichte entfaltete sich wie immer im ausgeklügelten Verwirrspiel der Autorin: wie sie den Leser immer wieder auf falsche Fährten lockt und dann überrascht und ein komplett neues Bild zeichnet, ist wirklich genial! Hier spielt Maas geradezu mit falschen Annahmen und tänzelt auf einem schmalen Grat zwischen Verschwiegenheit, Geheimnissen, Lügen und Täuschungen. Würde ich die Geschichte mit meinem jetzigen Wissen nochmals lesen, würden mir viele subtile Andeutungen und wohl platzierte Ausführungen zu später wichtigen Themen auffallen, die ich angesichts der Komplexität der Handlung beim ersten Lesen komplett übersehen habe. So kommen viele Wendungen zwar sehr überraschend, sind aber nach kurzem Nachdenken immer schlüssig und nachzuvollziehen - was die wirkliche Kunst bei Plot-Twists ist.

"Wenn du mich nach Nena geholt hättest, wäre ich niemals hier gelandet. In Lunathion." Sein Lächeln wurde breiter, als er hinausging. "Dann wäre ich niemals Bryce begegnet." Jedes Grauen, jeder Albtraum... all das hatte sich allein ihretwegen gelohnt."

Neben der spannenden Machart mit den vielen unvorhergesehenen Wendungen und Entwicklungen sowie den dynamischen Protagonisten lebt die Geschichte auch von den bekannten Stärken der Autorin. Die erste: Worldbuilding. Manche Fantasy-Welten werden einmal aufgebaut und dann spielt sich die Handlung in diesem statischen Bühnenbild ab, doch nicht bei Sarah J. Maas: Ständig verändert sich der Fokus, der Blickwinkel, der Handlungsort der Geschichte, es werden neue Dinge aufgenommen, bestehende ändern sich - eine stetige Entwicklung, die die Geschichte so perfekt und schlüssig erweitert, dass aus dem roten Fanden, ein rotes Band wird. Das ist eine Fähigkeit, für die ich Sarah J. Maas immer bewundern werde: ihre zusammenhängende Darstellung der Welt, die immer komplexer, verschachtelter und geheimnisvoller wird, mit jedem Charakter und Handlungsstrang, der dazukommt. Hier kreiert sie eine spritzige Mischung aus Dystopie, Krimi und Fantasy-Epos und erzählt von einer modernen Welt, die von einer eigentlich unmöglichen Kombination an Fantasy-Wesen bevölkert wird. Denn statt sich für eine Spezies zu entscheiden, mischt sie hier Engel, Fae, Meereswesen, Hexen, Kobolde, Gestaltwandler, Chimären, Sensenmänner, Vampire, Werwölfe, Geister und Co - fehlen nur noch Feen, Zwerge und Riesen und dann hätte sie alles abgedeckt, was das Fantasy-Genre in den letzten Jahrhunderten erfunden hat (aber dafür gibt es hier ja noch Otter 😊😌). Besonders erstaunlich ist, dass diese verrückte Fantasy-Steampunk-Kombination tatsächlich funktioniert und sie nie das Wesentliche aus den Augen verliert oder die Story überlädt. Sie pickt sich einzelne interessante Aspekte gekonnt heraus, welche dann weitergesponnen und vernetzt werden, bis ein umwerfendes, vielseitiges Gesamtergebnis entsteht!

"Du erinnerst mich an den Wind. Mächtig und fähig, die Welt mit einem halben Gedanken zu kühlen oder erfrieren zu lassen, sie zu formen, obwohl niemand dich sehen kann, nur deine Wirkung auf die Umgebung."


Hier wären wir dann bei der zweiten bekannten Stärke der Autorin angelangt: ihrem außergewöhnlichen Schreibstil. Auch wenn sie hier durchaus modernen schreibt, als in ihren bisherigen Fantasy-Reihen und ich mich erst an die derbe Ausdrucksweise mit den vielen Flüchen und Beleidigungen gewöhnen musste, kann auch der neue Erzählton nichts an ihrem unfassbaren Talent ändern. Wie für all ihre Bücher gibt es ein Wort, das ihr erstaunliches Talent, Worte in Sätzen so zu platzieren, dass sie der Geschichte alleine durch den Schreibstil ein imposantes Auftreten verleihen, super beschreibt: EPISCH. Durch ihre teils sehr außergewöhnliche Wahl der Worte und ihre intensiven Szenenbeschreibungen, fühlt man sich oft, als würde man einem Film zusehen, der vor den eigenen Augen abläuft - Ein wunderbarer Film voller Action, Gefühle und Hintergrund und mit genialen Schauspielern natürlich

"Wir arbeiten für keine der beiden Seiten." "Für wen dann?" "Für die Wahrheit", sagte Bryce schlicht. "Wir wollen die Wahrheit herausfinden."

Kurz bevor ich zum Ende komme (ja ich weiß, diese Rezension wird lang, aber ich habe auch viel zu sagen😊), will ich Euch nicht vorenthalten, dass die Geschichte im Mittelteil durchaus einige Wiederholungen und eine deutliche Überlänge enthielt, die die Autorin versuchte mit gelegentlichen Actionszenen, heißen Szenen oder plötzlichen Schockern aufzulockern. Besonders schade fand ich, dass auch hier wieder bei jedem Thema eine Verbindung zu Danika auftaucht, welche mit der Zeit leider ein wenig konstruiert und unglaubwürdig wirkt. Ihr wird post mortem so ziemlich zu jeder Gruppierung und jeder Handlung eine Verbindung angehängt, was in Band 1 ja noch ganz gut funktioniert hat, hier aber etwas zu viel des Guten erscheint. Das Ende entschädigt jedoch genau wie in Band 1 großzügig für alle kleineren Schwächen und hat dafür gesorgt, dass ich meinen Leseeindruck von 4 Sternen augenblicklich auf 5 Sterne hochkorrigiert habe. Hier reiht sich nicht nur eine 180-Grad-Wendung an die nächste, wir bekommen auch das unfassbarste, krasseste, extremste (OMG!!!! Ich schreie innerlich immer noch, wenn ich nur daran denke) Crossover vorgesetzt, über das man erstmal hinwegkommen muss. Ich musste während dem Lesen der letzten Kapitel regelmäßig Denk- und Verarbeitungspausen einlegen und nachdem ich den letzten Satz gelesen hatte, war erstmal ein kleiner Spaziergang zum Sortieren meiner Gedanken nötig. Spätestens ab dort waren alle objektiven Kritikpunkte vergessen und ich konnte dem actionreichen, dramatischen und unglaublich tragischen Schluss nur gebannt folgen. Das einzige Problem ist nun: Mir ist absolut schleierhaft, wie ich nach DIESEM Ende die Zeit bis zum Erscheinungstermin des nächsten Bandes überbrücken soll!!!!

"Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, und das gesamte Universum löste sich in Luft auf. Es gab nur noch sie beide, jetzt und in Zukunft, vereint im Tanz, während ihre Seelen sich miteinander verwoben. "Sämtliche Ereignisse in meinem Leben sind nur deshalb passiert, damit ich dir begegnen konnte, Quinlan. Damit ich hier bei dir sein kann. Ich gehöre dir. Für immer."




Fazit:


"Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" bleibt objektiv durch kleinere Schwächen leicht hinter Band 1 zurück. Das unfassbare Ende ganz zu schweigen von den dynamischen Protagonisten und den bekannten Stärken der Autorin wie Schreibstil und Worldbuilding, entschädigten aber großzügig für alle Kritikpunkte und machten die Geschichte zu einem wahren Lieblingsbuch und Jahreshighlight!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2022

Einfach nur EPISCH!

Crescent City – Teil 2: Wenn ein Stern erstrahlt
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Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert ...

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert habe. Da der deutsche Verlag mit der Übersetzung wahnsinnig Gas gegeben hat, stand schon seit Mitte Juni meinem Versuch zu überprüfen, ob die Geschichte wirklich den Hype der englischen Community verdient, nichts mehr im Weg ... außer meinen eigenen Ansprüchen. Wie bei allen langersehnten Neuerscheinungen hatte ich als langjähriger Sarah-J.-Maas-Fan ein wenig Angst, von diesem Genreausflug enttäuscht zu werden und mir deshalb einige Wochen Zeit gelassen, bis ich mich im Buddyread zusammen mit Sofia von @SofiasWorldofBooks dem Buch gewidmet habe. Doch wieder einmal waren diese Sorgen unbegründet: "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" ist genau wie sein Vorgänger unfassbar komplex, brutal, schonungslos, herzbrechend, wunderschön, magisch, liebevoll, bildgewaltig, detailreich und wieder einmal einfach nur EPISCH!

Schon bei der Gestaltung könnte ich stundenlang ins Schwärmen kommen. Dass das detailgetreue Cover mit den vielen liebevoll gestalteten Einzelheiten, den inhaltliche abgestimmten Spielereien, den kontrastreichen Farben und dem fantasievollen Motiv ein Hingucker ist, muss ich denke ich nicht genauer erklären. Positiv überrascht haben mich aber der kunstvolle Buchschnitt, der auch nach dem Lesen immer noch farbenfroh und knitterfrei mit dem Hauptmotiv verzückt, die aufwändig illustrierte Karte, der goldene Sichelmond unter dem Schutzumschlag und die episch-düstere Ausgestaltung der Buchdeckelinnenseiten. Dass das Buch trotz der knapp 900 Seiten und der gebundenen Ausgabe recht dünn ist, wird durch die recht kleine Schrift und das dünne Bibel-Seiten-Papier gewährleistet. Warum die englische Ausgabe trotzdem nur etwa die Hälfte des Umfangs aufweist, ist und bleibt mir ein Rätsel...

Erster Satz: "Sofie hatte jetzt schon zwei Wochen im Todeslager von Kavalla überlebt."

Inhaltlich aufgeteilt ist die Geschichte in drei nach den Kreisen der Hölle benannten Teile "Die Kluft", "Der Abgrund" und "Der Schlund", sowie in 78 Kapitel inklusive eines kurzen Epilogs und eines außergewöhnlich langen Prologs, die dieser langen und komplexen Story eine Struktur verschaffen. Zunächst lernen wir im Prolog mit Sofie eine neue Protagonistin kennen und dürfen einen ersten Blick auf das vom Krieg zwischen den Asteri und den Ophion Rebellen erschütterte Pangera werfen, bevor wir dann zu Bryce und Hunts Leben nach dem großen Showdown von Band 1 zurückkehren. Einige Monate sind vergangen, seit Bryce sich selbst als Erbin der Sterngeborenen Fae enthüllt hat und mithilfe von Lunas Horn auf ihrem Rücken die Stadt vor den einströmenden Dämonen gerettet hat, die der Erzengel Micah in einem Anflug von Größenwahn freigelassen hat. Um die Asteri nicht auf sich aufmerksam zu machen und zu riskieren, dass sie ihre Meinung doch noch ändern und die beiden eliminieren, müssen sich Bryce und Hunt seit den Vorfällen im Frühjahr bedeckt halten und versuchen, ein normales Leben zu führen. Als jedoch eine neue Erzengelin für die Stadt ernannt wird und die Ophion-Rebellen in Crescent City aktiv werden, wird es für die beiden immer schwieriger, unbeteiligt zu bleiben...

"Was machst du, wenn du die Wahrheit herausgefunden hast?" Bryce biss sich auf die Unterlippe. "Vermutlich zu Cthona beten, dass ich sie akzeptieren kann."


Der Einstieg in Band 2 fiel mir deutlich leichter als der in Band 1, da wir die vielen Namen, Orte, Erklärungen, Zusammenhänge und Besonderheiten des Worldbuildings schon kennen. Auch hier benötigt die Geschichte allerdings einige Seiten, um in Schwung zu kommen und wählt zugunsten vieler Details und einem starken Fokus auf die Figuren und deren Beziehung zueinander ein langsameres Erzähltempo. Doch wer zu Beginn noch dachte, Sarah J. Maas sei so begeistert von ihrem Setting gewesen, dass sie es mit dem Worldbuilding etwas übertrieben hat, wird im Laufe der Geschichte bald merken, dass alles Teil eines abgekarteten Verwirrspiels ist und all die kleinen versteckten Details am Ende ihr Comeback im Showdown erhalten. Vergleichbar zu Band 1 gibt es auch hier wieder einen Kriminalfall, an dem sich die sonstige Handlung wie an einem roten Faden entlanghangelt. Während es in Band 1 um den Mord an Danika ging, begeben sich unsere Hauptfiguren nun auf die Suche nach dem verschollenen Jungen Emile, welcher als mächtiger Donnervogel über Sieg und Niederlage der Rebellen entscheiden könnte.

"Diese Welt könnte so viel mehr sein. Diese Welt könnte frei sein. Ich verstehe nicht, warum ihr das nicht auch wollt." "Es ist schwer, die Freiheit zu genießen, wenn man tot ist", entgegnete Hunt finster. Cormac öffnete die Tür und trat in die wallenden Schatten hinaus. "Ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen, für den ich mein Leben aufgeben würde."


Dabei wird die Geschichte abermals aus verschiedenen Perspektiven an verschiedenen Orten erzählt. Neben den beiden Hauptprotagonisten Bryce und Hunt, erzählen auch Bryces Fae-Bruder Ruhn, der Meermann Tharion und der Wolf Ithan aus einer personalen Erzählperspektive, welches es möglich macht, viel vor dem Leser zu verbergen und doch einen Einblick in die Gefühle und Gedanken der Figuren zu erhaschen. Durch die vielen Erzählperspektiven sowie den Nebenhandlungsstrang rund um die Rebellen und die Wolfsmystikerin rückt der Fokus etwas von Hunt und Bryce ab, wodurch die beiden recht wenig Zeit alleine haben (die nicht mit Sexszenen gefüllt ist - die Autorin versucht nämlich in der zweiten Hälfte großzügig dafür zu entschädigen, dass es in Band 1 nicht zur Sache gegangen ist). Während die beiden als ungleiches Ermittlerduo in Band 1 beinahe die ganze Zeit zu zweit unterwegs waren, ist in "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" häufig mindestens noch eine andere Figur dabei, weshalb mir das unbeschwerte, natürliche Geplänkel zwischen den beiden etwas gefehlt hat. Dafür zelebriert die Autorin hier aber den Found-Family-Trope und wir dürfen zusehen, wie die liebevoll "Team Scheiß-auf-die-Regeln" benannte Gruppe immer größer wird und beweist, dass gemeinsame Werte mehr zusammenschweißen als eine gemeinsame Herkunft. Besonders gut gefallen hat mir dabei Ruhns Handlungsstrang mit einer ganz besonderen Romanze, die man so nicht kommen sieht...

"Meinen Verstand hat in der Dunkelheit deinen gefunden. Über einen Ozean hinweg. (...) ich werde dich finden", sagte er an ihren lodernden Haaren. "Eines Tages werde ich dich finden, das verspreche ich dir."

Trotz des leicht abschweifenden Fokus gelingt es der Autorin ihre Hauptfiguren weiterzuentwickeln und sie uns noch näher zu bringen. Gerade Bryce muss man für ihre starke, sture und sarkastische Persönlichkeit einfach lieben und sie ist mir mit jeder Seite mehr ans Herz gewachsen. Auch der gefallene Engel Hunt (eigentlich Orion) Athalar, der als Auftragsmörder für den Gouverneur Micah arbeitete und deshalb als "Todesschatten" gefürchtet wird, hat sich über das anfängliche Klischee hinaus entwickelt und entdeckt neue Seiten an sich selbst. Wir kennen sie ja alle: dominante, starke, sexy Protagonisten (ob CEOs, Prinzen, Engel, Vampire oder Fae spielt dabei keine Rolle), mit großem Ego, insgeheim gebrochenen Herzen und starken Eifersuchtsproblemen. Auch Sarah J. Maas wurde in der Vergangenheit oft für ihre dominanten Alpha-Love-Interests kritisiert. Mit Hunt und Bryce findet sie jedoch einen Weg, genau dieses Stereotyp zu parodieren und offen anzusprechen, in dem sich Bryce über das "Alpha-Arschloch-Gehabe" der Männer in ihrem Umfeld ärgert. Dadurch kommt es nicht nur zu unfassbar lustigen Dialogen, sie problematisiert auch indirekt diese Art der Figurendarstellung, auf die wir LeserInnen immer wieder hereinfallen, auf sehr unterhaltsame Art und Weise.

"Ist es ein Klischee, wenn ich sage, dass Ärger mein zweiter Vorname ist?" "Und ob. Definitiv." "Was wäre dein zweiter Vorname?", neckte er. Ihre Flammen zogen sich zurück und enthüllten diese Augen aus purem Feuer. "Vergeltung."

Das eigentliche Genie der Geschichte entfaltete sich wie immer im ausgeklügelten Verwirrspiel der Autorin: wie sie den Leser immer wieder auf falsche Fährten lockt und dann überrascht und ein komplett neues Bild zeichnet, ist wirklich genial! Hier spielt Maas geradezu mit falschen Annahmen und tänzelt auf einem schmalen Grat zwischen Verschwiegenheit, Geheimnissen, Lügen und Täuschungen. Würde ich die Geschichte mit meinem jetzigen Wissen nochmals lesen, würden mir viele subtile Andeutungen und wohl platzierte Ausführungen zu später wichtigen Themen auffallen, die ich angesichts der Komplexität der Handlung beim ersten Lesen komplett übersehen habe. So kommen viele Wendungen zwar sehr überraschend, sind aber nach kurzem Nachdenken immer schlüssig und nachzuvollziehen - was die wirkliche Kunst bei Plot-Twists ist.

"Wenn du mich nach Nena geholt hättest, wäre ich niemals hier gelandet. In Lunathion." Sein Lächeln wurde breiter, als er hinausging. "Dann wäre ich niemals Bryce begegnet." Jedes Grauen, jeder Albtraum... all das hatte sich allein ihretwegen gelohnt."

Neben der spannenden Machart mit den vielen unvorhergesehenen Wendungen und Entwicklungen sowie den dynamischen Protagonisten lebt die Geschichte auch von den bekannten Stärken der Autorin. Die erste: Worldbuilding. Manche Fantasy-Welten werden einmal aufgebaut und dann spielt sich die Handlung in diesem statischen Bühnenbild ab, doch nicht bei Sarah J. Maas: Ständig verändert sich der Fokus, der Blickwinkel, der Handlungsort der Geschichte, es werden neue Dinge aufgenommen, bestehende ändern sich - eine stetige Entwicklung, die die Geschichte so perfekt und schlüssig erweitert, dass aus dem roten Fanden, ein rotes Band wird. Das ist eine Fähigkeit, für die ich Sarah J. Maas immer bewundern werde: ihre zusammenhängende Darstellung der Welt, die immer komplexer, verschachtelter und geheimnisvoller wird, mit jedem Charakter und Handlungsstrang, der dazukommt. Hier kreiert sie eine spritzige Mischung aus Dystopie, Krimi und Fantasy-Epos und erzählt von einer modernen Welt, die von einer eigentlich unmöglichen Kombination an Fantasy-Wesen bevölkert wird. Denn statt sich für eine Spezies zu entscheiden, mischt sie hier Engel, Fae, Meereswesen, Hexen, Kobolde, Gestaltwandler, Chimären, Sensenmänner, Vampire, Werwölfe, Geister und Co - fehlen nur noch Feen, Zwerge und Riesen und dann hätte sie alles abgedeckt, was das Fantasy-Genre in den letzten Jahrhunderten erfunden hat (aber dafür gibt es hier ja noch Otter 😊😌). Besonders erstaunlich ist, dass diese verrückte Fantasy-Steampunk-Kombination tatsächlich funktioniert und sie nie das Wesentliche aus den Augen verliert oder die Story überlädt. Sie pickt sich einzelne interessante Aspekte gekonnt heraus, welche dann weitergesponnen und vernetzt werden, bis ein umwerfendes, vielseitiges Gesamtergebnis entsteht!

"Du erinnerst mich an den Wind. Mächtig und fähig, die Welt mit einem halben Gedanken zu kühlen oder erfrieren zu lassen, sie zu formen, obwohl niemand dich sehen kann, nur deine Wirkung auf die Umgebung."


Hier wären wir dann bei der zweiten bekannten Stärke der Autorin angelangt: ihrem außergewöhnlichen Schreibstil. Auch wenn sie hier durchaus modernen schreibt, als in ihren bisherigen Fantasy-Reihen und ich mich erst an die derbe Ausdrucksweise mit den vielen Flüchen und Beleidigungen gewöhnen musste, kann auch der neue Erzählton nichts an ihrem unfassbaren Talent ändern. Wie für all ihre Bücher gibt es ein Wort, das ihr erstaunliches Talent, Worte in Sätzen so zu platzieren, dass sie der Geschichte alleine durch den Schreibstil ein imposantes Auftreten verleihen, super beschreibt: EPISCH. Durch ihre teils sehr außergewöhnliche Wahl der Worte und ihre intensiven Szenenbeschreibungen, fühlt man sich oft, als würde man einem Film zusehen, der vor den eigenen Augen abläuft - Ein wunderbarer Film voller Action, Gefühle und Hintergrund und mit genialen Schauspielern natürlich

"Wir arbeiten für keine der beiden Seiten." "Für wen dann?" "Für die Wahrheit", sagte Bryce schlicht. "Wir wollen die Wahrheit herausfinden."

Kurz bevor ich zum Ende komme (ja ich weiß, diese Rezension wird lang, aber ich habe auch viel zu sagen😊), will ich Euch nicht vorenthalten, dass die Geschichte im Mittelteil durchaus einige Wiederholungen und eine deutliche Überlänge enthielt, die die Autorin versuchte mit gelegentlichen Actionszenen, heißen Szenen oder plötzlichen Schockern aufzulockern. Besonders schade fand ich, dass auch hier wieder bei jedem Thema eine Verbindung zu Danika auftaucht, welche mit der Zeit leider ein wenig konstruiert und unglaubwürdig wirkt. Ihr wird post mortem so ziemlich zu jeder Gruppierung und jeder Handlung eine Verbindung angehängt, was in Band 1 ja noch ganz gut funktioniert hat, hier aber etwas zu viel des Guten erscheint. Das Ende entschädigt jedoch genau wie in Band 1 großzügig für alle kleineren Schwächen und hat dafür gesorgt, dass ich meinen Leseeindruck von 4 Sternen augenblicklich auf 5 Sterne hochkorrigiert habe. Hier reiht sich nicht nur eine 180-Grad-Wendung an die nächste, wir bekommen auch das unfassbarste, krasseste, extremste (OMG!!!! Ich schreie innerlich immer noch, wenn ich nur daran denke) Crossover vorgesetzt, über das man erstmal hinwegkommen muss. Ich musste während dem Lesen der letzten Kapitel regelmäßig Denk- und Verarbeitungspausen einlegen und nachdem ich den letzten Satz gelesen hatte, war erstmal ein kleiner Spaziergang zum Sortieren meiner Gedanken nötig. Spätestens ab dort waren alle objektiven Kritikpunkte vergessen und ich konnte dem actionreichen, dramatischen und unglaublich tragischen Schluss nur gebannt folgen. Das einzige Problem ist nun: Mir ist absolut schleierhaft, wie ich nach DIESEM Ende die Zeit bis zum Erscheinungstermin des nächsten Bandes überbrücken soll!!!!

"Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, und das gesamte Universum löste sich in Luft auf. Es gab nur noch sie beide, jetzt und in Zukunft, vereint im Tanz, während ihre Seelen sich miteinander verwoben. "Sämtliche Ereignisse in meinem Leben sind nur deshalb passiert, damit ich dir begegnen konnte, Quinlan. Damit ich hier bei dir sein kann. Ich gehöre dir. Für immer."




Fazit:


"Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" bleibt objektiv durch kleinere Schwächen leicht hinter Band 1 zurück. Das unfassbare Ende ganz zu schweigen von den dynamischen Protagonisten und den bekannten Stärken der Autorin wie Schreibstil und Worldbuilding, entschädigten aber großzügig für alle Kritikpunkte und machten die Geschichte zu einem wahren Lieblingsbuch und Jahreshighlight!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.07.2022

Episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung

Elias & Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm
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Seit ich 2020 Band 1-3 der "Elias & Laia"-Reihe gelesen habe, bin ich ein großer Fan von Sabaa Tahir und konnte es kaum erwarten, wie die epische Geschichte weitergeht. Um mir die Wartezeit zu versüßen ...

Seit ich 2020 Band 1-3 der "Elias & Laia"-Reihe gelesen habe, bin ich ein großer Fan von Sabaa Tahir und konnte es kaum erwarten, wie die epische Geschichte weitergeht. Um mir die Wartezeit zu versüßen und meine Erinnerungen anzuregen, habe ich kurz vor dem Finalband nochmal einen Reread der vorherigen Bände gewagt, welcher mir nochmals bestätigt hat, dass Sabaa Tahirs Epos zu meinen Top 5 Fantasy-Favoriten zählt. In "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" erzählt die Autorin ihre Saga nun in einem ebenso düsteren, undurchsichtigen, spannenden und intensiven Band zu Ende und hinterlässt ein vierbändiges Gesamtkunstwerk, das ich jedem Fan von Fantasy, Dystopien und Abenteuergeschichten nur wärmstens empfehlen kann!

Doch eins nach dem anderen. Das Cover ist ein ganz nett gestaltetes aber typisches Jugendbuch-Dystopie-Cover. Zu sehen sind ein Teil eines männlichen Gesichts, das von der Andeutung einer dunkeln Kapuze umspielt wird, sowie die Andeutung einer kargen Wüstenlandschaft im unteren Teil des Bildes. Beide Elemente passen zur Handlung und durch die Hell-Dunkel-Kontraste und die warmen Farbtöne wird die düstere Atmosphäre des Wüstensettings gut transportiert. Wer genau hinschaut, wird erkennen, dass dabei dasselbe Gesicht wie auf dem ersten Cover abgebildet ist. Der Verlag hat sich also dafür entschieden, im Finale nochmal Elias in den Vordergrund zu stellen, was ich nach dem Lesen des Buches durchaus verstehen kann. Positiv hervorherben möchte ich außerdem wieder die toll gestalteten und übersichtlichen Karten des Imperiums, welche vorn und hinten im Buch beigefügt beim Navigieren in Schlachten und bei Reisen quer durch das Imperium helfen.

Erster Satz: "Ich erwachte im Schein einer jungen Welt, als der Mensch vom Jagen wusste, aber nicht vom Ackerbau, vom Stein, aber nicht vom Stahl."

Sabaa Tahir setzt ihren Finalband nur wenige Wochen nach dem Ende der Handlung von Band 3, also der großen Schlacht um Anthium und dem Befreien der Dschinns durch den Nachtbringer an. Da die Autorin hier wie in den Vorgängerbänden ohne große Umschweife und Erklärungen direkt in die Handlung einsteigt, war ich sehr froh über meinen Reread der vorangegangenen Teile, ohne den ich mich wohl weder im Setting noch in der komplexen Handlung zurechtgefunden hätte. Sabaa Tahir erzählt in "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" abermals abwechselnd aus der Perspektive von Laia, Elias - hier nach seiner Selbstaufgabe an Mauth nur noch "Seelenfänger" genannt- und Helena - welche ebenfalls ihre Identität hinter ihrem Titel "Blutgreif" zu verlieren droht. Zusätzlich darf der Nachtbringer zu Beginn eines jeden der sechs großen Teile seine Geschichte erzählen und selbst Keris Veturia darf am Ende ein Kapitel aus ihrer Sicht erzählen. Insgesamt ermöglicht die Kombination der Erzählstränge also wieder einen umfassenden Blick auf verschiedene Geschehnisse im Imperium.

Laia: "Ich würde gerne zu Protokoll geben, dass ich diesen Plan viel zu riskant finde."
"Darin lacht auf. "Daher wissen wir, dass es ein Laia-Plan ist - vollkommen wahnsinnig und höchstwahrscheinlich mit dem Tod endend."


Und das ist auch dringend notwendig, da hier an den unterschiedlichsten Orten alles zu gleich passieren zu scheint. In diesem Finale läuft die Story weniger eindeutig auf ein Ziel zu, so wie in den ersten Bänden, sondern erscheint mehr wie ein undurchsichtiger Strudel von Ereignissen, der sich langsam zuspitzt und sich auf ein Finale zubewegt: die große Endschlacht, in dem entweder der Nachtbringer besiegt wird oder die Welt in Dunkelheit versinkt. Während Laia auf der Suche nach der Geschichte des Nachtbringers und einer Möglichkeit, ihn zu besiegen sucht und dabei durch die Stammeslande zieht, kämpft Helena darum, ihren neugeborenen Neffen, Imperator Zacharias, am Leben zu erhalten und möglichst viele Patres für ihren Kampf gegen die Kommandantin auf ihre Seite zu ziehen. Elias hingegen begreift erst, dass er als Seelenfänger in den tobenden Krieg einmischen muss, als eine geheimnisvolle Macht die Geister aus der Zwischenstatt stiehlt und er jede Nacht von einem vernichtenden Mahlstrom träumt. Werden die drei vor dem Ende nochmal zusammenfinden, um den wahren Feind zu bekämpfen und die Welt zu retten...?

Der Blutgreif: "Ich habe mitangesehen, wie meine Familie zu meinen Füßen verblutet ist, und ich habe für mein Volk gekämpft und mich einer Horde Karkaunen allein auf einem Haufen von Leichen gestellt. Ich bin eine Kämpferin. Ich bin der Blutgreif.
Du bist ein Kind.
Ich bin der Blutgreif.
Du bist nichts.
"Ich bin der Blutgreif", schreie ich."


Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte so komplex und gut durchdacht, sodass man beim Lesen viele Ahnungen erhält, was noch folgen könnte, gleichzeitig aber ratlos ist, wie die Geschichte am Ende tatsächlich ausgehen wird. Aufgrund dieser Offenheit und Unvorhersehbarkeit hatte ich regelrecht Angst vor dem Ende und hätte am liebsten gerne vorab versichert gewusst, dass wirklich alles gut geht. An dieser Stelle möchte ich kurz kritisierend anfügen, dass genau wie im dritten Band die abrupten Sprünge zwischen den einzelnen Perspektiven und die vielen Reisen quer durchs Imperium die Handlung ein wenig entzerren. Angesichts der sonstigen Genialität kann das bei der Bewertung aber nicht ins Gewicht fallen. Denn zusätzlich zu ihrer Handlung baut Sabaa Tahir die magischen Elemente ihres Settings weiter aus. Ob nun das Totenreich im Dämmerwald, die Geschichte vom Niedergang der Dschinn, der Racheplan des Nachtbringers oder die erwachsenen magischen Fähigkeiten in einigen Protagonisten - auch der magische Aspekt der Handlung entwickelt sich weiter und bekommt neue Tiefe. Der vierte Teil besticht demnach nicht nur mit mehr Hintergrundinformationen zum Setting, der Geschichte des Landes und neuen Begegnungen, sondern ist auch deutlich vielseitiger als die vorherigen Teile. Politische Intrigen, Verfolgungen, Befreiungsaktionen, Schlachten und magische Duelle... was will man mehr?

Der Nachtbringer: "Wer sind sie?" Sie faszinierten mich. Ich konnte nicht wegsehen.
"Sie sind deine Last", sagte Mauth. Zerbrechlich, ja, aber mit Seelen wie die großen alten Eichen, langlebig und stark. Wenn ihre Leiber am Ende sind, müssen diese Seelen weiterreisen. Viele werden das ohne dich tun. Doch andere werden deine Hilfe brauchen."
"Wohin reisen sie?"
"Weiter", antwortete er, "auf die andere Seite. Zu einem Dämmerhimmel und friedlichen Gestaden."
"Wie sorge ich für sie? Wie helfe ich ihnen?"
"Du liebst sie", sagte er."


Während all dessen ist das Finale noch grausamer, brutaler und schonungsloser als die vorherigen Teile. Auch wenn die Protagonisten nun immer wieder aufs Neue gezeigt haben, dass sie unter widrigen Bedingungen überleben und an Herausforderungen wachsen können, sind die physischen und psychischen Qualen, die sie während ihrer Abenteuer erleiden müssen und mitansehen oftmals schockierend. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass diese Geschichte von tatsächlichen Vorkommnissen inspiriert wurde, die sie als Auslandsredakteurin der Washington Post lesen musste. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Imperialismus, ist auch die Gewalt auf konkreterer Ebene kaum auszuhalten. Egal ob an Konzentrationslager erinnernde Zellen in Kauf, Folter von Kindern, dem Homizid an den Kundigen, die willkürliche Hinrichtung von Familienmitgliedern oder sinnloses Gemetzel auf dem Schlachtfeld - die Grausamkeit der fiktiven Szenen übersteigt bei Weitem das, was ich 14jährigen Lesern (Altersempfehlung des Verlags) zumuten würde.

Laia: "Wir sind verflucht, du und ich", raunt der Nachtbringer, und als er mein Gesicht mit seinen Händen berührt, dessen Feuer abgekühlt ist, zittere ich nicht. "Dazu, mehr Liebe zu geben, als wir je empfangen werden."

Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für den sensiblen Leser mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte oder wilde Feste beschreibt und regelrecht die einstmals blühende Stadt Serra in die Wüste malt. Ganz unverhofft kommen immer wieder wunderschöne Beschreibungen, Feststellungen oder Dialoge, sodass ich hier mal wieder so viele Zitate markiert habe, dass ich sie gar nicht alle hier miteinfließen lassen kann. Wie ihre Vorgänger ist also auch "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" wieder voller schöner und hässlicher Momente, prall gefüllt mit Gesellschaftskritik, kleinen Weisheiten und dem Aufruf nach Versöhnung, Barmherzigkeit und Dialog. Der intensive, emotionale, mitreißende Eindruck, den die Autorin, ohne dafür viele Worte zu benötigen, generiert, kann dabei auf die Nähe der LeserInnen zu den Figuren zurückgeführt werden. Dadurch, dass wir die Figuren nun schon so lange bei ihrem Kampf ums Überleben, durch Leid, Schmerz, Tod und Freude begleitet haben, fühlen sie sich beinahe an wie Familienmitglieder und ich konnte nicht anders als mit vollem Herzen mitzufiebern.

Der Seelenfänger: "Einen sicheren Ort?" Laia lacht und es klingt schrecklich. "In dieser Welt gibt es keinen sicheren Ort für mich, Elias. Es sei denn, ich erschaffe ihn mir selbst."

Nachdem in einem stetigen, entmutigenden Abwärtstrend in Band 3 nicht nur wieder tausende Kundige abgeschlachtet und das Blut von Unschuldigen vergossen, sondern auch Laia das Herz gebrochen, Elias die Menschlichkeit und Helena die Seele genommen wurde, beginnen alle drei in diesem Finale endlich zu heilen und wie Phönixe aus der Asche aufzusteigen: stärker als je zuvor. Sabaa Tahir nutzt ihre drei vielschichtigen und einfühlsam charakterisierten Figuren wieder als zutiefst menschliche Sympathieträger und führte ihre Entwicklung grandios zu einem Ende. War Laia anfangs noch schwach, ängstlich und unauffällig, wird sie durch all das Leid, die Angst und Ungewissheit, die sie erfährt, zu einer selbstbewussten und starken jungen Frau, die es versteht zu kämpfen und unsere Herzen zu bewegen. Auch wenn sie nicht so mutig ist, wie ihre Mutter und nicht so besonnen ist, wie ihr Vater, die beide den Widerstand angeführt haben und dann verraten wurden, brennt in ihr ein Feuer, das andere dazu inspiriert, ebenfalls gegen Unrecht aufzustehen und sich ihr in einem zwecklos scheinenden Kampf anzuschließen. Während sie in Band 3 deutlich hinter Elias und Helena zurückgetreten ist, konnte ich mich vor allem gegen Ende hier wieder besser in sie hineinfühlen und habe aus vollem Herzen mitgefiebert, wie sie gegen ihr gebrochenes Herz kämpft und entdeckt, dass Liebe tatsächlich stärker ist als der Tod...

Laia: "Geliebter", flüstere ich. Das Wort macht mich furchtbar traurig. Denn selbst wenn er das einmal war, ist er es jetzt nicht mehr. "Liebe und Hass, Laia", fährt Rehmat fort. "Sie sind zwei Seiten derselben Münze. Der Hass des Nachtbringers brennt so hell wie seine Liebe."

Auch Elias, der gegen Ende von Band 3 ja zum eiskalten Seelenfänger geworden ist, der seine Menschlichkeit, seine Erinnerungen und seine Gefühle für die Macht Mauths opfern musste, um die Welt vor der Flut an Geistern zu beschützen, hat in diesem Finale noch einiges an Entwicklung vor sich. Wie die Autorin geschafft hat, uns über die Reihe hinweg viele verschiedene Facetten dieser Figur zu zeigen, ohne sie ihren Kern verlieren zu lassen, ist wirklich einzigartig und ich habe mich gemeinsam mit Helena und Laia auch ein bisschen in ihn verliebt.

Am spannendsten fand ich aber wieder einmal die Entwicklung von Helena Aquilla, welche Laia als Hauptprotagonistin ja schon zuvor klar der Rang abgelaufen hatte. Als Blutgreif eines gespalteten Imperiums ist sie zunehmend zwischen ihren eigenen Gefühlen und Prinzipien und ihrer Verantwortung gegenüber dem Imperium hin und her gerissen und weiß schon bald nicht mehr, welche Prioritäten sie setzen und wem sie vertrauen soll. Mit ihrer ungetrübten Liebe zu ihrem Land und ihrem Volk, die ihre kalte Fassade Lügen strafen, ihrer inmitten von Chaos, Krieg und Schadensbegrenzung aufblitzenden Liebe zwischen ihr und ihrem Stellvertreter Avitas Harper, mit all ihren Facetten, Abgründen und ihrer Charakterstärke ist sie wohl einer der tiefgründigsten, ambivalentesten Protagonisten, von denen ich im Bereich Fantasy jemals gelesen habe.

Der Blutgreif: "Ich bin zerstört." Ich flüstere Harper die Worte zu, die der Augur mir gegenüber vor so langer Zeit geäußert hat. "Ich bin gebrochen." Harper kniet nieder und wischt mir die Tränen mit dem Daumen weg. Dann hebt er mein Gesicht an. Auch seine Augen sind feucht und sein Blick glüht, wie ich es selten gesehen habe. "Du bist gebrochen. Aber was gebrochen ist, ist am schärfsten. Am tödlichsten. Mit jenen, die gebrochen sind, rechnet man nicht. Man unterschätzt sie."

Besonders gefreut hat mich auch der Einblick in die Geschichte des Nachtbringers. Dadurch, dass wir immer mehr von seiner Aufgabe, seiner Vergangenheit und seinen Gefühlen erfahren, wird er von Kapitel zu Kapitel zu einem hintergründigen Charakter, dem man eigentlich gar nicht böse sein kann, weil er alles nur aus Liebe tut. So bleibt als wirklicher Antagonist und Projektionsfeld für all die angestaute Frustration während dem Lesen eigentlich nur noch die Kommandantin übrig. Auch etliche Nebenprotagonisten bekommen hier mehr Tiefe, indem ihre Geschichte erzählt wird. So erfahren wir zum Beispiel endlich mehr über die Vergangenheit der Kommandantin oder Laias Mutter, Mirra von Serra, die Löwin des Widerstands. Nebenfiguren wie die Stammesfrau Ayfa, der Sklavenjunge Tas, der zwiespältige Hauptmann Harper, die Dschinns, der Bienenzüchter Musa oder der neugeborene Zacharias bringen ordentlich Pepp in die Handlung und trösten und darüber hinweg, dass Sabaa Tahir auch hier wieder nicht gerade zaghaft mit liebgewonnenen Protas umgeht und der Verlust wieder groß ist.

Besonders gegen Ende haben wir (wie ich es angesichts des schon in Band 1-3 hohen Schwunds nicht anders erwartet hatte) einige herzzerreißende Verluste zu beklagen. Vor allem einer davon hat mich sehr wütend auf die Autorin gemacht und fast dazu gebracht, das Buch an die Wand zu werfen. Trotz der wirklich fiesen Charaktertode kann ich nicht anders, als das Ende zu bewundern, welches alle Handlungsstränge stimmig zusammenführt und eine komplexe und intensive Geschichte so zu Ende erzählt, wie sie begonnen hat: episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung!

Beenden möchte ich diese Rezension deshalb mit meinem Lieblingszitat, in dem Mami Rila die Macht der Geschichteerzählenden Kehannis beschreibt und damit auch die Erzählkunst der Autorin auf den Punkt bringt:

Laia: "Wir suchen nach Wahrheit, Laia. Und wenn wir sie finden, müssen wir uns ihr mit Mitgefühl nähern. Wir müssen die Lebewesen, die unsere Geschichten bevölkern, ob feeisch oder menschlich, verstehen. Respektieren. Lieben, trotz der bösen Dinge, die sie tun. Wir müssen sie sehen. Wie sonst sollen unsere Geschichten einen Widerhall in den Herzen jener finden, die sie hören? Wie sonst sollen die Geschichten über das Erzählen hinaus leben?"



Fazit


Sabaa Tahir bringt die Elias und Laia Reihe in diesem Finalband würdig zu einem Ende und hinterlässt so ein vierbändiges Gesamtkunstwerk, das ich jedem Fan von Fantasy, Dystopien und Abenteuergeschichten nur wärmstens empfehlen kann! Episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung - mit "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" beweist die Autorin, dass ihre Saga zu Recht zu meinen Top-5-Fantasy-Epen gehört!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.07.2022

Episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung

Elias & Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm
0

Seit ich 2020 Band 1-3 der "Elias & Laia"-Reihe gelesen habe, bin ich ein großer Fan von Sabaa Tahir und konnte es kaum erwarten, wie die epische Geschichte weitergeht. Um mir die Wartezeit zu versüßen ...

Seit ich 2020 Band 1-3 der "Elias & Laia"-Reihe gelesen habe, bin ich ein großer Fan von Sabaa Tahir und konnte es kaum erwarten, wie die epische Geschichte weitergeht. Um mir die Wartezeit zu versüßen und meine Erinnerungen anzuregen, habe ich kurz vor dem Finalband nochmal einen Reread der vorherigen Bände gewagt, welcher mir nochmals bestätigt hat, dass Sabaa Tahirs Epos zu meinen Top 5 Fantasy-Favoriten zählt. In "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" erzählt die Autorin ihre Saga nun in einem ebenso düsteren, undurchsichtigen, spannenden und intensiven Band zu Ende und hinterlässt ein vierbändiges Gesamtkunstwerk, das ich jedem Fan von Fantasy, Dystopien und Abenteuergeschichten nur wärmstens empfehlen kann!

Doch eins nach dem anderen. Das Cover ist ein ganz nett gestaltetes aber typisches Jugendbuch-Dystopie-Cover. Zu sehen sind ein Teil eines männlichen Gesichts, das von der Andeutung einer dunkeln Kapuze umspielt wird, sowie die Andeutung einer kargen Wüstenlandschaft im unteren Teil des Bildes. Beide Elemente passen zur Handlung und durch die Hell-Dunkel-Kontraste und die warmen Farbtöne wird die düstere Atmosphäre des Wüstensettings gut transportiert. Wer genau hinschaut, wird erkennen, dass dabei dasselbe Gesicht wie auf dem ersten Cover abgebildet ist. Der Verlag hat sich also dafür entschieden, im Finale nochmal Elias in den Vordergrund zu stellen, was ich nach dem Lesen des Buches durchaus verstehen kann. Positiv hervorherben möchte ich außerdem wieder die toll gestalteten und übersichtlichen Karten des Imperiums, welche vorn und hinten im Buch beigefügt beim Navigieren in Schlachten und bei Reisen quer durch das Imperium helfen.

Erster Satz: "Ich erwachte im Schein einer jungen Welt, als der Mensch vom Jagen wusste, aber nicht vom Ackerbau, vom Stein, aber nicht vom Stahl."

Sabaa Tahir setzt ihren Finalband nur wenige Wochen nach dem Ende der Handlung von Band 3, also der großen Schlacht um Anthium und dem Befreien der Dschinns durch den Nachtbringer an. Da die Autorin hier wie in den Vorgängerbänden ohne große Umschweife und Erklärungen direkt in die Handlung einsteigt, war ich sehr froh über meinen Reread der vorangegangenen Teile, ohne den ich mich wohl weder im Setting noch in der komplexen Handlung zurechtgefunden hätte. Sabaa Tahir erzählt in "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" abermals abwechselnd aus der Perspektive von Laia, Elias - hier nach seiner Selbstaufgabe an Mauth nur noch "Seelenfänger" genannt- und Helena - welche ebenfalls ihre Identität hinter ihrem Titel "Blutgreif" zu verlieren droht. Zusätzlich darf der Nachtbringer zu Beginn eines jeden der sechs großen Teile seine Geschichte erzählen und selbst Keris Veturia darf am Ende ein Kapitel aus ihrer Sicht erzählen. Insgesamt ermöglicht die Kombination der Erzählstränge also wieder einen umfassenden Blick auf verschiedene Geschehnisse im Imperium.

Laia: "Ich würde gerne zu Protokoll geben, dass ich diesen Plan viel zu riskant finde."
"Darin lacht auf. "Daher wissen wir, dass es ein Laia-Plan ist - vollkommen wahnsinnig und höchstwahrscheinlich mit dem Tod endend."


Und das ist auch dringend notwendig, da hier an den unterschiedlichsten Orten alles zu gleich passieren zu scheint. In diesem Finale läuft die Story weniger eindeutig auf ein Ziel zu, so wie in den ersten Bänden, sondern erscheint mehr wie ein undurchsichtiger Strudel von Ereignissen, der sich langsam zuspitzt und sich auf ein Finale zubewegt: die große Endschlacht, in dem entweder der Nachtbringer besiegt wird oder die Welt in Dunkelheit versinkt. Während Laia auf der Suche nach der Geschichte des Nachtbringers und einer Möglichkeit, ihn zu besiegen sucht und dabei durch die Stammeslande zieht, kämpft Helena darum, ihren neugeborenen Neffen, Imperator Zacharias, am Leben zu erhalten und möglichst viele Patres für ihren Kampf gegen die Kommandantin auf ihre Seite zu ziehen. Elias hingegen begreift erst, dass er als Seelenfänger in den tobenden Krieg einmischen muss, als eine geheimnisvolle Macht die Geister aus der Zwischenstatt stiehlt und er jede Nacht von einem vernichtenden Mahlstrom träumt. Werden die drei vor dem Ende nochmal zusammenfinden, um den wahren Feind zu bekämpfen und die Welt zu retten...?

Der Blutgreif: "Ich habe mitangesehen, wie meine Familie zu meinen Füßen verblutet ist, und ich habe für mein Volk gekämpft und mich einer Horde Karkaunen allein auf einem Haufen von Leichen gestellt. Ich bin eine Kämpferin. Ich bin der Blutgreif.
Du bist ein Kind.
Ich bin der Blutgreif.
Du bist nichts.
"Ich bin der Blutgreif", schreie ich."


Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte so komplex und gut durchdacht, sodass man beim Lesen viele Ahnungen erhält, was noch folgen könnte, gleichzeitig aber ratlos ist, wie die Geschichte am Ende tatsächlich ausgehen wird. Aufgrund dieser Offenheit und Unvorhersehbarkeit hatte ich regelrecht Angst vor dem Ende und hätte am liebsten gerne vorab versichert gewusst, dass wirklich alles gut geht. An dieser Stelle möchte ich kurz kritisierend anfügen, dass genau wie im dritten Band die abrupten Sprünge zwischen den einzelnen Perspektiven und die vielen Reisen quer durchs Imperium die Handlung ein wenig entzerren. Angesichts der sonstigen Genialität kann das bei der Bewertung aber nicht ins Gewicht fallen. Denn zusätzlich zu ihrer Handlung baut Sabaa Tahir die magischen Elemente ihres Settings weiter aus. Ob nun das Totenreich im Dämmerwald, die Geschichte vom Niedergang der Dschinn, der Racheplan des Nachtbringers oder die erwachsenen magischen Fähigkeiten in einigen Protagonisten - auch der magische Aspekt der Handlung entwickelt sich weiter und bekommt neue Tiefe. Der vierte Teil besticht demnach nicht nur mit mehr Hintergrundinformationen zum Setting, der Geschichte des Landes und neuen Begegnungen, sondern ist auch deutlich vielseitiger als die vorherigen Teile. Politische Intrigen, Verfolgungen, Befreiungsaktionen, Schlachten und magische Duelle... was will man mehr?

Der Nachtbringer: "Wer sind sie?" Sie faszinierten mich. Ich konnte nicht wegsehen.
"Sie sind deine Last", sagte Mauth. Zerbrechlich, ja, aber mit Seelen wie die großen alten Eichen, langlebig und stark. Wenn ihre Leiber am Ende sind, müssen diese Seelen weiterreisen. Viele werden das ohne dich tun. Doch andere werden deine Hilfe brauchen."
"Wohin reisen sie?"
"Weiter", antwortete er, "auf die andere Seite. Zu einem Dämmerhimmel und friedlichen Gestaden."
"Wie sorge ich für sie? Wie helfe ich ihnen?"
"Du liebst sie", sagte er."


Während all dessen ist das Finale noch grausamer, brutaler und schonungsloser als die vorherigen Teile. Auch wenn die Protagonisten nun immer wieder aufs Neue gezeigt haben, dass sie unter widrigen Bedingungen überleben und an Herausforderungen wachsen können, sind die physischen und psychischen Qualen, die sie während ihrer Abenteuer erleiden müssen und mitansehen oftmals schockierend. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass diese Geschichte von tatsächlichen Vorkommnissen inspiriert wurde, die sie als Auslandsredakteurin der Washington Post lesen musste. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Imperialismus, ist auch die Gewalt auf konkreterer Ebene kaum auszuhalten. Egal ob an Konzentrationslager erinnernde Zellen in Kauf, Folter von Kindern, dem Homizid an den Kundigen, die willkürliche Hinrichtung von Familienmitgliedern oder sinnloses Gemetzel auf dem Schlachtfeld - die Grausamkeit der fiktiven Szenen übersteigt bei Weitem das, was ich 14jährigen Lesern (Altersempfehlung des Verlags) zumuten würde.

Laia: "Wir sind verflucht, du und ich", raunt der Nachtbringer, und als er mein Gesicht mit seinen Händen berührt, dessen Feuer abgekühlt ist, zittere ich nicht. "Dazu, mehr Liebe zu geben, als wir je empfangen werden."

Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für den sensiblen Leser mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte oder wilde Feste beschreibt und regelrecht die einstmals blühende Stadt Serra in die Wüste malt. Ganz unverhofft kommen immer wieder wunderschöne Beschreibungen, Feststellungen oder Dialoge, sodass ich hier mal wieder so viele Zitate markiert habe, dass ich sie gar nicht alle hier miteinfließen lassen kann. Wie ihre Vorgänger ist also auch "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" wieder voller schöner und hässlicher Momente, prall gefüllt mit Gesellschaftskritik, kleinen Weisheiten und dem Aufruf nach Versöhnung, Barmherzigkeit und Dialog. Der intensive, emotionale, mitreißende Eindruck, den die Autorin, ohne dafür viele Worte zu benötigen, generiert, kann dabei auf die Nähe der LeserInnen zu den Figuren zurückgeführt werden. Dadurch, dass wir die Figuren nun schon so lange bei ihrem Kampf ums Überleben, durch Leid, Schmerz, Tod und Freude begleitet haben, fühlen sie sich beinahe an wie Familienmitglieder und ich konnte nicht anders als mit vollem Herzen mitzufiebern.

Der Seelenfänger: "Einen sicheren Ort?" Laia lacht und es klingt schrecklich. "In dieser Welt gibt es keinen sicheren Ort für mich, Elias. Es sei denn, ich erschaffe ihn mir selbst."

Nachdem in einem stetigen, entmutigenden Abwärtstrend in Band 3 nicht nur wieder tausende Kundige abgeschlachtet und das Blut von Unschuldigen vergossen, sondern auch Laia das Herz gebrochen, Elias die Menschlichkeit und Helena die Seele genommen wurde, beginnen alle drei in diesem Finale endlich zu heilen und wie Phönixe aus der Asche aufzusteigen: stärker als je zuvor. Sabaa Tahir nutzt ihre drei vielschichtigen und einfühlsam charakterisierten Figuren wieder als zutiefst menschliche Sympathieträger und führte ihre Entwicklung grandios zu einem Ende. War Laia anfangs noch schwach, ängstlich und unauffällig, wird sie durch all das Leid, die Angst und Ungewissheit, die sie erfährt, zu einer selbstbewussten und starken jungen Frau, die es versteht zu kämpfen und unsere Herzen zu bewegen. Auch wenn sie nicht so mutig ist, wie ihre Mutter und nicht so besonnen ist, wie ihr Vater, die beide den Widerstand angeführt haben und dann verraten wurden, brennt in ihr ein Feuer, das andere dazu inspiriert, ebenfalls gegen Unrecht aufzustehen und sich ihr in einem zwecklos scheinenden Kampf anzuschließen. Während sie in Band 3 deutlich hinter Elias und Helena zurückgetreten ist, konnte ich mich vor allem gegen Ende hier wieder besser in sie hineinfühlen und habe aus vollem Herzen mitgefiebert, wie sie gegen ihr gebrochenes Herz kämpft und entdeckt, dass Liebe tatsächlich stärker ist als der Tod...

Laia: "Geliebter", flüstere ich. Das Wort macht mich furchtbar traurig. Denn selbst wenn er das einmal war, ist er es jetzt nicht mehr. "Liebe und Hass, Laia", fährt Rehmat fort. "Sie sind zwei Seiten derselben Münze. Der Hass des Nachtbringers brennt so hell wie seine Liebe."

Auch Elias, der gegen Ende von Band 3 ja zum eiskalten Seelenfänger geworden ist, der seine Menschlichkeit, seine Erinnerungen und seine Gefühle für die Macht Mauths opfern musste, um die Welt vor der Flut an Geistern zu beschützen, hat in diesem Finale noch einiges an Entwicklung vor sich. Wie die Autorin geschafft hat, uns über die Reihe hinweg viele verschiedene Facetten dieser Figur zu zeigen, ohne sie ihren Kern verlieren zu lassen, ist wirklich einzigartig und ich habe mich gemeinsam mit Helena und Laia auch ein bisschen in ihn verliebt.

Am spannendsten fand ich aber wieder einmal die Entwicklung von Helena Aquilla, welche Laia als Hauptprotagonistin ja schon zuvor klar der Rang abgelaufen hatte. Als Blutgreif eines gespalteten Imperiums ist sie zunehmend zwischen ihren eigenen Gefühlen und Prinzipien und ihrer Verantwortung gegenüber dem Imperium hin und her gerissen und weiß schon bald nicht mehr, welche Prioritäten sie setzen und wem sie vertrauen soll. Mit ihrer ungetrübten Liebe zu ihrem Land und ihrem Volk, die ihre kalte Fassade Lügen strafen, ihrer inmitten von Chaos, Krieg und Schadensbegrenzung aufblitzenden Liebe zwischen ihr und ihrem Stellvertreter Avitas Harper, mit all ihren Facetten, Abgründen und ihrer Charakterstärke ist sie wohl einer der tiefgründigsten, ambivalentesten Protagonisten, von denen ich im Bereich Fantasy jemals gelesen habe.

Der Blutgreif: "Ich bin zerstört." Ich flüstere Harper die Worte zu, die der Augur mir gegenüber vor so langer Zeit geäußert hat. "Ich bin gebrochen." Harper kniet nieder und wischt mir die Tränen mit dem Daumen weg. Dann hebt er mein Gesicht an. Auch seine Augen sind feucht und sein Blick glüht, wie ich es selten gesehen habe. "Du bist gebrochen. Aber was gebrochen ist, ist am schärfsten. Am tödlichsten. Mit jenen, die gebrochen sind, rechnet man nicht. Man unterschätzt sie."

Besonders gefreut hat mich auch der Einblick in die Geschichte des Nachtbringers. Dadurch, dass wir immer mehr von seiner Aufgabe, seiner Vergangenheit und seinen Gefühlen erfahren, wird er von Kapitel zu Kapitel zu einem hintergründigen Charakter, dem man eigentlich gar nicht böse sein kann, weil er alles nur aus Liebe tut. So bleibt als wirklicher Antagonist und Projektionsfeld für all die angestaute Frustration während dem Lesen eigentlich nur noch die Kommandantin übrig. Auch etliche Nebenprotagonisten bekommen hier mehr Tiefe, indem ihre Geschichte erzählt wird. So erfahren wir zum Beispiel endlich mehr über die Vergangenheit der Kommandantin oder Laias Mutter, Mirra von Serra, die Löwin des Widerstands. Nebenfiguren wie die Stammesfrau Ayfa, der Sklavenjunge Tas, der zwiespältige Hauptmann Harper, die Dschinns, der Bienenzüchter Musa oder der neugeborene Zacharias bringen ordentlich Pepp in die Handlung und trösten und darüber hinweg, dass Sabaa Tahir auch hier wieder nicht gerade zaghaft mit liebgewonnenen Protas umgeht und der Verlust wieder groß ist.

Besonders gegen Ende haben wir (wie ich es angesichts des schon in Band 1-3 hohen Schwunds nicht anders erwartet hatte) einige herzzerreißende Verluste zu beklagen. Vor allem einer davon hat mich sehr wütend auf die Autorin gemacht und fast dazu gebracht, das Buch an die Wand zu werfen. Trotz der wirklich fiesen Charaktertode kann ich nicht anders, als das Ende zu bewundern, welches alle Handlungsstränge stimmig zusammenführt und eine komplexe und intensive Geschichte so zu Ende erzählt, wie sie begonnen hat: episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung!

Beenden möchte ich diese Rezension deshalb mit meinem Lieblingszitat, in dem Mami Rila die Macht der Geschichteerzählenden Kehannis beschreibt und damit auch die Erzählkunst der Autorin auf den Punkt bringt:

Laia: "Wir suchen nach Wahrheit, Laia. Und wenn wir sie finden, müssen wir uns ihr mit Mitgefühl nähern. Wir müssen die Lebewesen, die unsere Geschichten bevölkern, ob feeisch oder menschlich, verstehen. Respektieren. Lieben, trotz der bösen Dinge, die sie tun. Wir müssen sie sehen. Wie sonst sollen unsere Geschichten einen Widerhall in den Herzen jener finden, die sie hören? Wie sonst sollen die Geschichten über das Erzählen hinaus leben?"



Fazit


Sabaa Tahir bringt die Elias und Laia Reihe in diesem Finalband würdig zu einem Ende und hinterlässt so ein vierbändiges Gesamtkunstwerk, das ich jedem Fan von Fantasy, Dystopien und Abenteuergeschichten nur wärmstens empfehlen kann! Episch, brutal und doch voller Liebe und Hoffnung - mit "Elias und Laia - Das Leuchten hinter dem Sturm" beweist die Autorin, dass ihre Saga zu Recht zu meinen Top-5-Fantasy-Epen gehört!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.03.2022

Eine ausdrucksstarke, magische Geschichte von zeitloser Schönheit

Das unsichtbare Leben der Addie LaRue
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Victoria Schwab ist eine der Autorinnen, die ich schon seit einigen Jahren abwartend umkreise, entschlossen, dass ich ein Buch von ihr lesen möchte, aber unentschlossen, welches und wann. Eine lesebegeisterte ...

Victoria Schwab ist eine der Autorinnen, die ich schon seit einigen Jahren abwartend umkreise, entschlossen, dass ich ein Buch von ihr lesen möchte, aber unentschlossen, welches und wann. Eine lesebegeisterte Freundin hat mir die Entscheidung dann schlussendlich abgenommen, als sie mich beinahe dazu genötigt hat "Das unsichtbare Leben der Addie LaRue" auszuleihen. In der letzten Woche habe ich die Geschichte nun gemeinsam mit Sofia von Sofias @SofiasworldofBooks in einem Buddyread gelesen und bin nach dem Beenden nun schon seit mehreren Stunden in einer seltsamen Stimmung irgendwo zwischen Begeisterung, Melancholie, Weltschmerz und Leere gefangen (I think that´s called a book hangover...), welche jetzt dringend raus muss:


"Addie räuspert sich. "So fängt die Geschichte an." Und er beginnt zu schreiben."


Doch beginnen wir mal mit dem Cover. Auch wenn ich die schlichte englische Originalversion mit dem goldenen Sternbild für passender halte, finde ich die Umsetzung des Fischer Verlags atmosphärisch und einfach wunderschön. Zu sehen ist eine an ein Stundenglas erinnernde Glaskugel, die von goldenen Ornamenten gestützt in einem düsteren, magischen Wald steht. Durch die verzerrte Perspektive des Glases ist eine Gestalt in einem langen grünen Mantel zu sehen, die sich vom Betrachter abgewandt auf ein Licht zubewegt. Auch wenn man viele dieser Elemente erst versteht, wenn man die Geschichte gelesen hat, hat dieses Cover eine geheimnisvolle Anziehungskraft, die der der Geschichte stark ähnelt.


"Die alten Götter mögen groß sein, aber sie sind weder freundlich noch barmherzig, sondern launisch und unbeständig wie Mondlicht auf Wasser oder wie Schatten in einem Sturm. Wenn du sie anrufen willst, gib acht: Überlege genau, worum du bittest, und sei bereit den Preis zu zahlen. Und ganz gleich, wie verzweifelt du bist, bete niemals zu den Göttern, die nach Einbruch der Nacht antworten."


Mit dieser Warnung beginnt eine ausdrucksstarke, magische Geschichte von zeitloser Schönheit, die mich von der Grundidee her zunächst an Goethes "Faust" und Claire Norths "The Sudden Appearance of Hope" erinnerte. In ersterem wird ebenfalls ein Pakt mit einem dunklen Gott geschlossen, welcher zu einem turbulenten Leben voller Höhen und Tiefen führt und in letzterem wird eine von der Welt vergessene junge Frau zur Diebin. Ganz dem Titel folgend stellt V.E. Schwab jedoch weder den Teufelspakt noch die diebische Lebensweise der Protagonistin in den Vordergrund, sondern erzählt von einem unsichtbaren Leben, welches die Leerstellen in der (Kunst-)Geschichte Europas füllt. Dazu ist die Geschichte in sieben Teile eingeteilt (eines für jede Sommersprosse auf Addies Gesicht), welche jeweils mit einem Kurzportrait eines Kunstwerks beginnen, welches Addie auf ihrem Weg durch die Zeit inspiriert oder beeinflusst hat. Die sieben vorgestellten Kunstwerke sind dabei frei erfunden, aber wahrheitsgetreu den Stilrichtungen in den unterschiedlichen Zeiten nachempfunden. Dabei hat der Autorin nach eigener Angabe ihr Kunstgeschichtsstudium sehr geholfen.


"Ich kann keinen Stift führen. Keine Geschichte erzählen. Keine Waffe schwingen oder Erinnerungen hinterlassen. Aber in der Kunst", fährt sie mit einem etwas weniger strahlenden Lächeln fort, "geht es um Ideen. Und Ideen sind hartnäckiger als Erinnerungen. Sie sind wie Unkraut, das immer den Weg ans Licht findet."


Neben den Kunstwerken wird die Geschichte durch zwei Erzählstränge auf zwei Zeitebenen strukturiert. Auf der einen Seite lesen wir, wie Addie in New York 2014 den jungen Buchhändler Henry kennenlernt und wie diese schicksalshafte Begegnung ihr Leben verändert. Gleichzeitig verfolgen wir aber auch noch parallel einen zweiten Erzählstrang, der 1714 in Villon-sur-Sarthe in Frankreich seinen Anfang nimmt und in mehr oder weniger großen Zeitsprüngen chronologisch Addies Weg durch die Geschichte bis zum heutigen Zeitpunkt verfolgt. Besonders der 29. Juli, der Tag des Abkommens mit dem Schatten, bekommt dabei eine große Bedeutung und wird über die Jahrhunderte an unterschiedlichen Orten wiederholt. Die Geschichte lebt dabei von vielen Vorgriffen, Rückgriffen und Andeutungen, durch welche Vergangenheit und Gegenwart kunstvoll miteinander verwoben werden, ohne dass wir zu Beginn alles verstehen. Erst mit der Zeit werden die Rahmenumstände von Addies Fluch klar und wir verstehen, was sie nach New York geführt hat. Bis mich die Geschichte in ihren atmosphärischen Bann gezogen hat, sind deshalb auch einige Seiten ins Land gegangen.


"Adeline ist sechzehn, und alle sprechen von ihr wie von einer Sommerblume, die man pflückt und in eine Vase stellt, deren einziger Zweck es ist, zu blühen und dann zu verrotten. Wie Isabelle, die von einer Familie statt von Freiheit träumt. Adeline hat beschlossen, lieber ein Baum zu sein, so wie Estele. Wenn sie schon Wurzeln schlagen muss, will sie wild wuchern, statt sich zurechtstutzen zu lassen, will allein stehen und unter freiem Himmel wachsen. Und nicht als Feuerholz enden, gefällt und zerhackt, in jemandes Kamin."


Einmal gefangen, konnte ich aber nicht mehr aufhören mit Lesen. Das lag vor allem auch an V.E. Schwabs magischem Schreibstil, der langsam, schwergängig, aber so bedeutungsschwer, wie die ganze Geschichte, durch die knapp 600 Seiten führt. Der Schreibstil ist ein bedächtiger Fußmarsch in einer Welt, in der alle mit 200 Stundenkilometer über die Autobahn rasen - wer ein flottes Abenteuer erwartet, ist also definitiv fehl am Platz. Angereichert mit Metaphern, Vergleichen, wiederkehrenden Motiven und interessanten Gedanken über den Wert eines Lebens, der Liebe und der Kunst wird die gemächliche Geschichte zu einem Leseerlebnis, das man einfach nur genießen möchte! Wie sehr mich dabei einige Passagen oder kurze Fragmente erreicht haben, erkennt man auch daran, wie unheimlich viele Zitate ich mir beim Lesen markiert habe. Ich bin mir sicher, man könnte das Buch an einer beliebigen Stelle aufschlagen und würde auf der Seite ein zitierwürdiger Abschnitt finden. Ein großes Lob also auch an die beiden Übersetzerinnen, denen es gelungen ist, den Zauber des Originals zu bewahren. Meinen nächsten Reread (ja, es wird definitiv einen geben) werde ich aber in der Originalsprache angehen.


"Geschichten sind eine Form der Selbstbewahrung. Um in Erinnerung zu bleiben. Oder sich selbst zu vergessen. Geschichten besitzen viele Gestalten: in Holzkohle, und in Liedern, in Gemälden, Gedichten, Filmen. Und Büchern. Bücher sind, wie sie erfahren hat, eine Möglichkeit tausend Leben zu führen - oder in einem sehr langen Leben Kraft zu finden".


Transportiert durch den Schreibstil hat die Geschichte sehr viele unterschiedliche Gefühle in mir ausgelöst. Zunächst empfand ich Addies Fluch des Vergessens als sehr bedrückend. Für wenige Wochen wäre es denke ich sehr angenehm, sich so anonym durch die Welt bewegen zu können wie Addie, aber für einen längeren Zeitraum würde ich zugrunde gehen. Der Gedanke, keine Spuren hinterlassen, keine Beziehungen aufbauen und somit auch keinen Sinn im Leben finden zu können, hat mich tief erschüttert und mir die Entscheidung, ob ich an Addies Stelle Freiheit oder Einsamkeit wählen würde, sehr leicht gemacht. Neben der bedrückenden Vorstellung, sich für immer einsam und spurlos durch die Geschichte zu bewegen wie ein Geist, gingen mir auch einige sehr plastische Schilderungen des Leids, das eine einsame, mittellose und von der Welt vergessene Frau in der grausamen Männerwelt des 18. Jahrhunderts durchmachen muss, sehr nahe. Neben der Schwermut und dem Leid schwebt da zwischen den Zeilen aber auch ein intensiver Hunger nach Leben, eine Begeisterung für das Entdecken von Neuem und das dringliche Gespür für ablaufende Zeit mit, welche mich zugleich angenehm belebt und in Unruhe versetzt, sowie in mir einen sehr starken Lebensdrang ausgelöst haben.


"Vergessen zu werden, denkt sie, ist ein bisschen wie verrückt zu werden. Man beginnt sich zu fragen, was real ist, ob man selbst real ist. Wie kann etwas real sein, wenn sich niemand daran erinnert?"


Auch die Art und Weise, wie hier geschichtliche Ereignisse betrachtet werden, gefällt mir gut. V. E. Schwab erzählt nicht von bunten Abenteuern, Aufeinandertreffen mit schillernden historischen Persönlichkeiten, langen Weltreisen oder anderen Beifall heischenden Fantastereien, wie man sie hier vielleicht erwarten könnte. Stattdessen erzählt sie von einem realistischen Leben, von einer Frau, die sich jeden Schritt hart erarbeiten muss, von nostalgischer Rückkehr zum Heimatort und von vorsichtigen Schritten auf neuem Boden. Geschichtliche Ereignisse sind weniger der Mittelpunkt und mehr der grobe Rahmen dieser charakterzentrierten Erzählung. Im Fokus der Geschichte steht einzig und allein Addie LaRue. Durch die zweigeteilte Erzählweise lernen wir sie zum einen als erfahrene, weltgewandte, durch die Jahrhunderte aber auch abgestumpfte Frau kennen, zum anderen sehen wir ein junges Mädchen mit naiven Träumen, das noch einen weiten Weg vor sich hat. Erst mit zunehmender Seitenzahl verstehen wir gänzlich, was sie von dem einen zum anderen werden lassen hat, was sie auf dem Weg verloren und was dazugewonnen hat. Dabei ist sie mir von Seite zu Seite stärker ans Herz gewachsen. Ihr Hunger auf die Welt, der sie auch nach 300 Jahre und darüber hinaus Dinge finden lässt, an denen sie sich erfreuen kann. Ihre Sturheit und Entschlossenheit, sich weder vom Schatten noch von der Einsamkeit noch der Last der Jahre unterkriegen zu lassen. Und ihre Träume, die zu Ideen, die zu Inspiration, Kunst und Spuren werden - Fest steht, dass ich selten eine so vielschichtige und bewundernswert starke Figur kennengelernt habe!


"An manchen Tagen graut ihr vor der Aussicht auf ein weiteres Jahr, eine weitere Dekade, ein weiteres Jahrhundert. In manchen Nächten liegt sie wach und träumt davon, sterben zu können. Aber dann erwacht sie und sieht das Orangenrosa der Morgendämmerung auf den Wolken oder hört die seufzenden Klänge einer Geige, die Musik und die Melodie, und ihr wird wieder bewusst, wie viel Schönheit es in der Welt gibt. Und sie will nichts davon entbehren."


Neben Addies Entwicklung erzählt "Das unsichtbare Leben der Addie LaRue" auch in zweierlei Hinsicht eine tragische Liebesgeschichte. Zunächst ist da Henry - ein sensibler, manisch-depressiver Buchhändler mit Künstlerseele, welcher im Vergleich zu anderen Liebschaften und vor allem zum Schatten eher blass bleibt, auch wenn er in einigen Kapiteln sogar selbst erzählen darf. Zwischen Addie und Henry mag sich die Liebe nie so recht entfalten, obwohl sich beide aufgrund ihrer wohltuenden Ruhepause von ihren Flüchen zueinander hingezogen fühlen. Bis zum Ende wirken die beiden zwar zufrieden, gar glücklich, aber mehr wie eine freundschaftliche Zweckgemeinschaft als ein wirkliches Paar. Mit dem Schatten, dem Addie den Namen Luc gibt, ist es genau umgekehrt. Mit ihm verbindet sie Leidenschaft, tiefe Gefühle und eine jahrhundertlange Geschichte, ihre Beziehung ist aber vergiftet von ihrem Katz-und-Mausspiel, sodass keiner jemals Ruhe im jeweils anderen finden kann. Letzten Endes wird Addie durch beide Beziehungen geprägt, letztere ist es aber, die die Spannung anheizt und die Handlung voranbringt. Das liegt vor allem daran, dass der Schatten ein sehr interessant gestalteter Charakter ist, der wirkt, als hätte sich die Autorin bis zum Schluss nicht entscheiden können, ob der Schatten nun ein Monster oder ein Liebender ist, oder ob das vielleicht dasselbe bedeuten kann...


"Luc blickt über die Schultern, lächelt fast und dreht sich nur so weit zu ihr um, dass er ihr die Hand reichen kann. Sie stolpert aus der Zelle, in die Freiheit, an seinen Körper. Und einen Moment lang ist da nur seine Umarmung, und er ist massiv und warm, ein Wall gegen die Dunkelheit, und es wäre einfach zu glauben, dass er real ist, ein Mensch ist und ihr Zuhause. Aber dann klafft ein Riss in der Welt auf, und die Schatten verschlingen sie."


Auch wenn die beiden Liebesgeschichten also gegensätzlich erscheinen, haben sie drei Dinge gemeinsam. Erstens ist die Erotik sexy und stilvoll umgesetzt, ohne dass explizite Szenen vorkommen würden. Zweitens gefällt mir sehr gut, dass hier fast alle auftauchenden Figuren queer sind und auch die sonstige Diversität sehr selbstverständlich erscheint (Sofia und ich haben da ein bisschen drüber nachgedacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass Geschlechterkategorien wohl keine Rolle spielen, wenn man so lange lebt und nicht Teil der Gesellschaft ist...). Und drittens ist bei beiden Liebesgeschichten von Beginn an klar, dass sie kein gutes Ende nehmen können. Ich habe beim Lesen lange überlegt, welches Ende es für Addie, Henry und Luc geben kann, hatte Angst vor dem Ergebnis und wollte fast nicht beim letzten Kapitel ankommen. Meine Sorge war jedoch unbegründet: was sich die Autorin für den Abschluss ihrer Geschichte überlegt hat ist einfach PERFEKT! Es ist kein Happy End im eigentlichen Sinne, aber auch nicht wirklich Unhappy - einfach ein perfektes, ausgewogenes Chaos zwischen den beiden Polen, welches auch vom Leben hätte geschrieben werden können!

Zum Abschluss noch mein Lieblingszitat (die übrigen tollen Zitate findet ihr gesammelt auf meinem Blog):


"Ihr Leben sei schwer und einsam gewesen, sagt sie, und trotzdem wunderbar. Sie habe Kriege durchlebt und Revolutionen und Wiedergeburten. Sie habe ihre Spur in zahllosen Kunstwerken hinterlassen, wie einen Daumenabdruck auf dem Boden einer Schüssel. Sie habe Wunder erlebt, den Verstand verloren, auf Schneewehen getanzt und sei am Ufer der Seine erfroren. Sie habe sich viele Male in den Schatten verliebt, aber nur einmal in einen Menschen. Und sie sei müde. Unsäglich müde. Aber ganz zweifellos habe sie gelebt. "Nichts ist nur gut oder schlecht", sagt sie. "Dazu ist das Leben viel zu kompliziert." Und dort in der Dunkelheit fragt er sie, ob es das wirklich wert gewesen sei. Wogen die Momente des Glücks die langen Phasen des Kummers auf? Wogen die Momente der Schönheit die Jahre des Leidens auf? Und sie dreht den Kopf, sieht ihn an und antwortet: "Immer."



Fazit:


"Das unsichtbare Leben der Addie LaRue" ist eine ausdrucksstarke, magische Geschichte von zeitloser Schönheit, welche vom atmosphärischen Schreibstil V.E. Schwabs, einer starken Hauptfigur, zwei tragischen Liebesgeschichten und interessanten Gedanken über den Wert eines Lebens, der Liebe und der Kunst lebt. Absolutes Jahreshighlight!

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