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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.10.2022

Sorge oder Sorglosigkeit

halbtote schmetterlinge
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Ambühl ist noch nicht ganz fünfzig, als er die Diagnose Prostatakrebs erhält. Sein Fall wird als unheilbar eingestuft und bringt dadurch sein gesamtes Leben durcheinander. Nicht nur der Körper, auch seine ...

Ambühl ist noch nicht ganz fünfzig, als er die Diagnose Prostatakrebs erhält. Sein Fall wird als unheilbar eingestuft und bringt dadurch sein gesamtes Leben durcheinander. Nicht nur der Körper, auch seine Psyche wird vor Herausforderungen gestellt. Und natürlich erstrecken sich die Auswirkungen der Krankheit auch auf sein Privat- und Berufsleben.
Das Cover ist in auffälligem Rot und Gelb gehalten, schemenhaft erkennt man in der unteren Hälfte drei Personen am Strand. Eine von ihnen mag der Protagonist Ambühl sein, dessen Leben in diesem Buch aus der Perspektive eines Erzählers wiedergegeben wird. Der Sprachstil ist nüchtern, erscheint teils wie ein Bericht und vermittelt unerwartet ein hohes Maß an Gefühl. Die Sätze sind oft lang und verschachtelt, sind aber überaus verständlich, was die Wortwahl und auch den Sinn des Geschriebenen betrifft.
Der Einstieg ins Buch ist recht stark und macht betroffen. Eine rasante Fahrt im Ferrari endet für einen Mann tödlich und der Leser erkennt darin den Suizid eines Verzweifelten. Die Geschichte um Ambühl selbst gibt einen Rückblick auf seine Kindheit, seine Beziehungen zu Frauen, seinen Beruf und vor allem auch auf seine Perspektiven nach der Krebsdiagnose. Es ist ein Nachdenken über Sein und Schein, über Sorgen und Sorglosigkeit. Das Ende der Geschichte überrascht.
Dieses Buch ist keine leichte Kost, aber dennoch nicht schwermütig. Es macht betroffen und hinterlässt im Leser doch kein Gefühl der Schwere. Es vermittelt die Gedanken und Gefühle des Protagonisten auf eindrückliche Weise, ohne ihn selber direkt zu Wort kommen zu lassen.

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Veröffentlicht am 26.09.2022

Die Kunst und ihr Preis

Das neunte Gemälde
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Kunsthistoriker Lennard Lomberg erhält einen rätselhaften Anruf vom einem Mann namens Dupret. Dieser fordert Lomberg auf, die Rückgabe eines verschollenen Gemäldes zu organisieren, wird aber kurz darauf ...

Kunsthistoriker Lennard Lomberg erhält einen rätselhaften Anruf vom einem Mann namens Dupret. Dieser fordert Lomberg auf, die Rückgabe eines verschollenen Gemäldes zu organisieren, wird aber kurz darauf ermordet. Kriminalrätin Sina Röhm ermittelt daher auch gegen Lomberg und findet heraus, dass sein Vater in Zusammenhang mit einem von den Nazis geraubten Gemäldes steht. Lomberg senior war schließlich Leutnant für Kunstschutz im besetzten Paris der 1940er Jahre. Sein Sohn beschließt daraufhin selber zu ermitteln und das Gemälde zu finden. Dabei dringt er nicht nur immer tiefer in die Geschichte seiner Familie ein, sondern wird sogar selbst zur Zielscheibe.
Das Cover zeigt einen Mann allein am Bahnsteig, das Bild ist einfarbig in Orangetönen gehalten, die Lettern des Titels scheinen durch ihre unterschiedliche Größe auf dem Umschlag zu tanzen. Die vordere Klappenbroschur beinhaltet einen Pariser Stadtplan von 1943, die hintere einen Plan von Ceret aus dem Jahr 2016, in dem die Geschichte beginnt. Sie wird in zwei Erzählsträngen wiedergegeben. In der Handlung von 2016 sind Lennard Lombergs Erlebnisse festgehalten; der zweite Erzählstrang vermittelt Ernst Lombergs Leben. Zur Unterstreichung der Glaubwürdigkeit sind in beiden Geschichten jeweils Wochentag und Datum der Geschehnisse vermerkt.
Lennard Lomberg und sein Umkreis sind sympathische Charaktere, sehr lebensnah gezeichnet, die neugierig auf weitere Geschichten rund um den Kunsthistoriker machen. Der Roman bildet eine sehr gut recherchierte Sicht auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs und seiner Altlasten. Der Autor verwebt historische Gegebenheiten und kunsthistorische Themen, und schafft daraus eine packende und lebhaft geschilderte Handlung. Immer wieder tauchen kleine Episoden auf, deren Sinn sich oft erst im Verlauf der Handlung erschließt.
Andreas Storm ist mit diesem Buch ein lesenswertes Debüt gelungen. Mit Hintergrundwissen und großem Sprachgefühl erschafft er aus vielen Teilchen eine runde Geschichte, auf die man sich gern einlässt und in der man von etlichen Aha-Effekten überrascht wird.

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Veröffentlicht am 19.09.2022

Mit dem fliegenden Teppich durch unsere Gesellschaft

Der marokkanische Teppich
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Eigentlich will Mike Graufeder exotische Gewürze kaufen, erwirbt dann aber überraschend einen fliegenden Teppich. Damit startet er seine Reise in bizarre Welten …

Der Hintergrund des Covers zeigt einen ...

Eigentlich will Mike Graufeder exotische Gewürze kaufen, erwirbt dann aber überraschend einen fliegenden Teppich. Damit startet er seine Reise in bizarre Welten …

Der Hintergrund des Covers zeigt einen Teppich, auf einem hellen Rechteck heben sich der Name des Autors, der Titel sowie ein Strichmännchen auf einem fliegenden Teppich hervor. Dieses Strichmännchen verkörpert den unbedarften Protagonisten Mike Graufeder recht gut. Das keine Büchlein beinhaltet seine eigentlichen Erlebnisse und enthält im Anhang noch einige Geschichten vergessener Schicksale. Die Sprache ist einfach, dann wieder sehr rasant, teils mit langen, verschachtelten Sätzen; auch blitzen etliche Gedichte hervor und ab und zu überrascht der Autor sogar mit neuen Wortschöpfungen.

Der Protagonist besucht bei seiner Reise drei verschiedene Gegenden mit kriegerischem, vergnügungssüchtigem und industriellem Charakter. Die Beschreibung dieser Orte ist sehr detailliert; bei aller Fantasie des Buches - schließlich erinnert ein fliegender Teppich eher an ein Märchen - verfügt die Geschichte aber doch über einen erheblichen Wahrheitsgehalt. Die Wahrnehmung liegt dabei aber zum großen Teil im Auge der Leser*innen. Man kann die Lektüre daher durchaus zur Zerstreuung als erfundene Geschichte sehen, oder aber die unterschiedlichen Themen mit unserer heutigen Gesellschaft vergleichen.

Die darauffolgenden kurzen Erzählungen der vergessenen Schicksale heben sich vollkommen vom eigentlichen Buch ab. Zu realistisch erscheinen die Geschehnisse, und ich wünschte, ich hätte diese Erlebnisse erst mit etwas zeitlichem Abstand zur Geschichte mit dem fliegenden Teppich gelesen. Diese wahren Ereignisse haben mich sehr abrupt vom Teppich auf den Boden der Tatsachen geworfen. Gut, dass es am Ende des Büchleins noch einige leere Seiten zum Festhalten eigener Gedanken gibt.

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Veröffentlicht am 11.09.2022

Mit 70 hat man noch Träume

Golden Oldie Evergreen
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Sabine ist bereits 70, arbeitet aber immer noch erfolgreich als Coach. Seit Jahren lebt sie allein, bis sie im Urlaub in Nizza einen italienischen Bootsführer kennenlernt. Dieser Luciano ist allerdings ...

Sabine ist bereits 70, arbeitet aber immer noch erfolgreich als Coach. Seit Jahren lebt sie allein, bis sie im Urlaub in Nizza einen italienischen Bootsführer kennenlernt. Dieser Luciano ist allerdings 20 Jahre jünger und taucht zudem einige Wochen später sogar bei ihr in Berlin auf.

Das Cover, so einfach, wie aussagekräftig - drei Stühle an der Strandpromenade in Nizza, also dem Platz, an welchem das Leben der Protagonistin an einen Wendepunkt gelangt. Das Buch besteht aus drei Teilen und die Kapitel haben eine angenehme Länge.

Der recht einfache und erstaunlicherweise auch sehr nüchterne Schreibstil hat mich zunächst überrascht. Im Lauf der Lektüre habe ich mich jedoch damit angefreundet, denn was könnte besser zur Selbstreflexion der Ich-Erzählerin passen, als diese simple und ehrliche Sprache.

Die Protagonistin blickt auf ihr Leben zurück, hinterfragt gewisse Situationen und gibt freigiebig auch ihre derzeitige Stimmung ans Publikum weiter. An vielen Stellen schlägt dabei recht trockener Humor durch, an anderen trifft man auf Klischees, und andererseits streift die Autorin auch ernstere Themen. Der vielschichtige Roman spricht die Angst vor dem Altern, aber auch vor dem Alleinsein an, stellt Leistungsdenken und Perfektionswahn in Gegensatz zu Spontaneität.

Interessant ist auch die Betrachtung der Protagonistin, die reflektiert, wie sehr sich die Themen im Konkurrenzdenken mit ihren Freundinnen im Laufe des Lebens versschoben haben: lag der Fokus früher auf der Karriere, steht im höheren Alter die Rolle als Großmutter das wichtigste Ziel dar. Das Buch regt auf unterhaltsame Art dazu an, das Älterwerden nicht nur als Kampf gegen gesundheitliche Herausforderungen oder finanzielle Hürden zu sehen, sondern dass sich Zufriedenheit oft auch im Unvollkommenen finden lässt.

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Veröffentlicht am 20.08.2022

Ein Mann schreibt einer Frau

Ingeborg Bachmann und Max Frisch – Die Poesie der Liebe
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1958 verliebt sich der Dramatiker Max Frisch sofort in die berühmte Dichterin Ingeborg Bachmann. Sie erwidert seine Liebe, auch wenn die beiden in vielen Belangen sehr unterschiedlich sind. Frisch, der ...

1958 verliebt sich der Dramatiker Max Frisch sofort in die berühmte Dichterin Ingeborg Bachmann. Sie erwidert seine Liebe, auch wenn die beiden in vielen Belangen sehr unterschiedlich sind. Frisch, der bodenständige Schweizer, schreibt, was ihm gerade einfällt, Bachmann kämpft in ihren Werken um jedes Wort. Doch auch ihr Privatleben ist komplizierter als das ihres Geliebten. Nicht nur die Gegenwart des früheren Geliebten Paul Celan bringt daher Spannungen in die Beziehung zwischen Frisch und Bachmann …
Das Buch ist der dritte Band aus der Reihe „Berühmte Paare - große Geschichten“ des Aufbau Verlags. Das Cover zeigt ein seltenes Foto des Liebespaars in einem Boot. Der Roman ist einige Abschnitte unterteilt, die jeweils bestimmte Zeitabschnitte im Leben der beiden Schriftsteller behandeln. Während der Prolog aus Bachmanns Sicht verfasst ist, bezieht sich der Epilog auf Frisch. Originalzitate der beiden sind im Text kursiv gedruckt und im Anhang des gründlich recherchierten Buchs findet man ein ausführliches Quellenverzeichnis. Die Sprache ist sehr schön und bildhaft, so wird zum Beispiel ein umgekippter Schuh zum Zeichen fürs Scheitern.
Die Geschichte gibt so manches Detail aus dem Leben der beiden preis, das einem sonst wohl verborgen bliebe. Dennoch liest es sich einfacher als eine reine Biografie, weil durch den Romancharakter eine tatsächliche Handlung für die Leser entsteht. Dadurch empfiehlt sich der Roman nicht nur jenen Menschen, die sich für Bachmann, Frisch oder beide interessieren.
Der Roman handelt vom schwierigen Verhältnis der beiden Berühmtheiten, das von Extremen gezeichnet wurde. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihrem Charakter, sondern auch in ihrer Arbeitsweise, und verbringen dennoch viele Jahre miteinander. So stehen sich zum Beispiel Freiheitssinn und Eifersucht gegenüber. Zusätzlich eröffnet das Buch aber auch eine ganz allgemeine Sicht auf die Spannung zwischen den Geschlechtern, wie auf den Ruhm, um den Frauen stärker zu kämpfen haben als Männer.
Der Roman mit seinen vielschichtigen Einsichten und eingestreuten Lebensweisheiten ist ein absolut empfehlenswertes Buch.

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