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Veröffentlicht am 04.07.2023

Mutter werden ist nicht schwer ...

Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden
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Na ja, eigentlich doch. Wege zur Schwangerschaft verlaufen sehr unterschiedlich und können durchaus steinig sein, ebenso wie die Zeit, die das Austragen eines Babys dauert. Doch auch das Muttersein ist ...

Na ja, eigentlich doch. Wege zur Schwangerschaft verlaufen sehr unterschiedlich und können durchaus steinig sein, ebenso wie die Zeit, die das Austragen eines Babys dauert. Doch auch das Muttersein ist kein Spaziergang, zumindest kein Selbstläufer.

Die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Chelsea Conaboy räumt mit einem Irrglauben auf, der seit langer Zeit tief im Menschen verwurzelt ist: dem der unfehlbaren Mutter, die bei der Geburt gleichermaßen mit Mutterinstinkt, intuitivem Wissen und grenzenloser Liebe beschenkt wird und ab da eine mehr oder weniger perfekte Vollblutmama ohne größere eigene Bedürfnisse ist. „Dieses Narrativ hat mit der Erfahrung erster Mutterschaft ungefähr ebenso viel zu tun wie die Märchenprinz-Geschichten von Disney mit der heutigen Dating-Welt“ ist einer meiner Lieblingssätze aus ihrem pointierten Sachbuch „Mutterhirn“.
Die Lektüre ist einerseits entlastend, weil sie der Tatsache nachgeht, dass Mutterwerdung trotz aller Hormone ein Prozess mit Höhen und Tiefen ist. Gleichzeitig zeigt Conaboy auf, dass das Gehirn durch Mutterschaft durchaus große und unwiderrufliche Veränderungen erfährt. Dabei ist weniger entscheidend, dass man ein Kind geboren hat, sondern dass man es als eine Hauptbezugsperson aufzieht. Wer seine eigenen Bedürfnisse konstant hintenanstellt, um sich um einen kleinen Menschen zu kümmern, verändert sich. Conaboy geht sowohl auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse ein als auch darauf, dass diese Veränderungen einem Angst machen können, z.B. in Form von Sorgen, die man sich plötzlich macht. Sie schreibt von Schuldgefühlen, die entstehen können, weil man nicht wie erwartet funktioniert und erläutert, wie Geschichte, Politik und Gesellschaft das Mutterbild geformt haben. Dabei bringt sie viele Beispiele, die „Mutterhirn“ zu einer lebendigen Lektüre machen, mich aber gleichzeitig öfters zu Lesepausen verleitet haben: Zu viel mit den Sorgen, Ängsten und Komplexen anderer Mütter wollte ich mich dann doch nicht beschäftigen. Dennoch ein sehr interessantes Buch über ein wenig erforschtes Themenfeld, das von Idealvorstellungen befreit und mehr Platz für wissenschaftliche Realität schafft.

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Veröffentlicht am 05.01.2023

Das Brodeln unter der Oberfläche

Das fremde Kind. Wem kannst du trauen?
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Eigentlich könnte alles so schön sein: Nach einer üblen Trennung hat die geschiedene Sarah mit Tim einen verlässlichen Partner gefunden, der auch noch ein liebevoller Vater für ihre sechsjährige Tochter ...

Eigentlich könnte alles so schön sein: Nach einer üblen Trennung hat die geschiedene Sarah mit Tim einen verlässlichen Partner gefunden, der auch noch ein liebevoller Vater für ihre sechsjährige Tochter Leonie ist. Auch räumlich ist der Neuanfang perfekt; sind die drei doch von Hamburg ins beschauliche Berlingkamp gezogen, wo Tim aufgewachsen ist. Sarah setzt alles daran, mit Leonie in der neuen Umgebung Fuß zu fassen und erst scheint das auch zu gelingen. Doch dann trifft die Endzwanzigerin auf dem Dachboden ihres neuen Mietshauses ein verstocktes Mädchen im Grundschulalter, das ebenso schnell verschwindet, wie es erschienen ist, bald darauf jedoch erneut auftaucht. Sarah versucht, das fremde Kind zu fassen zu kriegen, aber die Begegnungen werden von Mal zu Mal mysteriöser. Wer ist das Mädchen? Und was will es? Sein Erscheinen strapaziert Sarahs Nervenkostüm und auch sonst läuft plötzlich einiges nicht mehr so, wie sie es sich von ihrem schönen neuen Leben erträumt hat. Sie spürt immer mehr, dass irgendetwas ganz massiv im Argen liegt. Und ihre Nachforschungen scheinen längst nicht jedem zu gefallen …

„Das fremde Kind“ ist aus Sarahs Perspektive geschrieben und so kommt man der Protagonistin rasch sehr nah. Schnell erfährt man, dass sie eine fiese, gescheiterte Beziehung hinter sich hat und ihr inzwischen verstorbener Ex-Mann nicht gewillt war, sie und ihre Tochter in Frieden zu lassen. Sarah hat ihr Päckchen zu tragen und setzt nun alles daran, ein glückliches, sorgenfreieres Leben mit Leonie und Tim zu führen. Ihre Bemühungen, alles perfekt zu machen, sowie ihre kleinen Unsicherheiten haben mich schnell für sie eingenommen. Mit Sarah kann man bestens mitfühlen, doch obwohl ich die Figur irgendwann gut einzuschätzen glaubte, habe ich das große Thema von „Das fremde Kind“ doch nicht kommen sehen.

Ich würde das Buch eher als spannenden Roman denn als Thriller bezeichnen und hätte vermutlich ein weniger reißerisches Titelbild gewählt. Die Spannung baut sich eher unterschwellig auf, während Sarahs Alltag einer Hausfrau und Mutter viel Raum einnimmt. Trotzdem hat mich „Das fremde Kind“ nicht mehr losgelassen – je weiter die Geschichte fortschritt, desto weniger konnte ich mir einen Reim auf einzelne Geschehnisse machen. Der Roman ist raffiniert geschrieben; Entwicklung und Ende waren für mich nicht absehbar und zu gern wüsste ich, wie das Ganze weitergeht, denn nach der letzten Seite scheint Sarahs Geschichte noch lange nicht auserzählt, auch wenn das Rätsel um „das fremde Kind“ gelöst ist.

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Veröffentlicht am 22.12.2022

RomCom mit Humor und Tiefgang

Fang jetzt bloß nicht an zu lieben
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Mhairi McFarlane schreibt romantische Komödien, die sich durch Humor und Tiefgang auszeichnen – jeweils in einem für dieses Genre ungewöhnlichen Maße. 08/15-„Girl Meets Boy“-Geschichten sind nicht ihr ...

Mhairi McFarlane schreibt romantische Komödien, die sich durch Humor und Tiefgang auszeichnen – jeweils in einem für dieses Genre ungewöhnlichen Maße. 08/15-„Girl Meets Boy“-Geschichten sind nicht ihr Ding, auch wenn Titel und Cover ihres neuesten Romans genau das nahelegen. Schade – ihren bisherigen Büchern hatte der Knaur Verlag einen verspielteren, originelleren Look verpasst. Dass bei „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ auch noch eine brünette Frau das Cover dominiert, nachdem schon auf den ersten Seiten die dicken blonden Haare der Hauptfigur eingehend beschrieben werden, lässt mir die Gestaltung etwas lieblos erscheinen.

Der Inhalt hat mich dagegen wieder mal gepackt. Mhairi McFarlanes Protagonistin Harriet ist passionierte Hochzeitsfotografin und mit dem wohlhabenden Jon liiert, der sie vergöttert. Dass er ihr am Hochzeitstag seiner Eltern vor der versammelten Familie einen Heiratsantrag macht, ist allerdings etwas voreilig. Bald darauf sucht Harriet eine neue Bleibe und wird eher zufällig die Mitbewohnerin von Cal, der vom Bund fürs Leben ebenso wenig zu halten scheint wie sie selbst. Als sie dann auch noch ihren Ex-Freund Scott wiedertrifft, ist das Chaos in Harriets Leben perfekt.

„Gaslighting“ war mir bisher nur vage ein Begriff, den Mhairi McFarlane jetzt mit viel Leben gefüllt hat: Es ist eins der zentralen Themen ihres Buches und mag Leser*innen überraschen, die in erster Linie eine Liebesgeschichte erwarten. Hier geht es eher um eine Mittdreißigerin, die ein paar unbequeme Entscheidungen treffen muss, um sich selbst treu zu bleiben. Die Spezialität von McFarlane sind extrem sympathische Hauptfiguren mit Schrammen, Ecken und Kanten. Und so ist mir „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ nahegegangen, hat mich zum Mitleiden und -lachen gebracht. Ein Pageturner, der viel facettenreicher ist, als sein Cover glauben machen will.

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Veröffentlicht am 16.11.2022

Wertvolle Hilfestellung

Stachlige Eltern und Schwiegereltern
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Zwischenmenschliche Beziehungen können so ihre Fallstricke haben – vor allem die, die man sich nicht aussucht und die trotzdem eng sind bzw. zumindest den Anspruch haben, eng zu sein. Der Psychotherapeut ...

Zwischenmenschliche Beziehungen können so ihre Fallstricke haben – vor allem die, die man sich nicht aussucht und die trotzdem eng sind bzw. zumindest den Anspruch haben, eng zu sein. Der Psychotherapeut Jörg Berger hat ein Buch geschrieben, das dabei unterstützt, Konflikte mit Eltern und Schwiegereltern zu entschärfen. Sein Ansatz hat mir gefallen: Er erkennt an, dass diese Beziehungen höchst kompliziert, emotional aufgeladen und manchmal sogar schwer erträglich sein können und bietet Hilfestellungen, um sie bewusst anders zu gestalten. Nun gehören zur Gestaltung einer Beziehung eigentlich zwei; Berger zeigt allerdings, dass auch durch eine einseitige Veränderung vieles verbessert werden kann. Der Autor gibt seinen Leserinnen Werkzeug in die Hand, das ermöglicht, selbst auf Behandlung von oben herab auf Augenhöhe zu reagieren. Er ermächtigt erwachsene Kinder und Schwiegerkinder, der anderen Seite den Wind aus den Segeln zu nehmen und zeigt Wege auf, aus alten Verhaltensmustern auszubrechen. Einen seiner Tipps konnte ich bereits anwenden und war sehr zufrieden mit dem Ergebnis: Mir ging es besser und die Gegenseite war zwar verwundert, aber nicht verletzt. Berger geht davon aus, dass seine Leserinnen die Beziehung zu Eltern und Schwiegereltern nicht eskalieren lassen, sondern verbessern möchten, und bietet in erster Linie Kommunikationsstrategien für verschiedene (Schwieger-)Elterntypen. Was alle eint: Sie nehmen den schwierigen Gesprächspartner bzw. die schwierige Gesprächspartnerin an, zeigen aber gleichzeitig Grenzen auf, ohne komplett vor den Kopf zu stoßen.

„Stachlige Eltern und Schwiegereltern“ ist kein Buch, um es in einem Rutsch durchzulesen – zumindest habe ich das nicht getan. Durch Bergers anschauliche Beispiele lässt sich schnell eingrenzen, zu welchem Typus die eigenen Altvorderen gehören; die jeweils relevanten Stellen lassen sich also gut rausfiltern. Die vom Autor geschilderten Situationen zeigen dann, wie mit verschiedenen Situationen umgegangen werden kann. Mir hat das geholfen und ich kann dieses Buch empfehlen.

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Veröffentlicht am 12.09.2022

Passionierter Naturschutz

Löwenland
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Valentin Grüner war schon als kleiner Junge von der Tierwelt Afrikas fasziniert, nachdem er die Safari-Dias seiner Tante gesehen hatte. Nach der Schule nahm er einen harten, aber gut bezahlten Job an, ...

Valentin Grüner war schon als kleiner Junge von der Tierwelt Afrikas fasziniert, nachdem er die Safari-Dias seiner Tante gesehen hatte. Nach der Schule nahm er einen harten, aber gut bezahlten Job an, um sich die Reise ins südliche Afrika leisten zu können und arbeitete dort schließlich in einem Touristencamp. Dass er das von seiner Mutter verstoßene Löwenjunge Sirga aufzog, brachte ihm vor ein paar Jahren unerwarteten Social-Media-Ruhm: Ein kanadischer Tourist filmte, wie die inzwischen ausgewachsene Löwin ihren menschlichen Freund begrüßte. Die Aufnahmen fanden ohne dessen Wissen oder gar Einverständnis ihren Weg ins Netz, zudem gab das Video keinen Aufschluss darüber, wer und wo genau dort eine Löwenumarmung bekam. Die lauffeuerartige Verbreitung des Videos nutzte Grüner also erstmal gar nichts.
Inzwischen vermarktet er seine Geschichte selbst, um für seine Ziele und sein Unternehmen zu werben: Grüner ist Mitbegründer des Modisa Wildlife Project, das Touristen in Zukunft ermöglichen soll, Tier- und Naturschutz in Botswana hautnah und ressourcenschonend mitzuerleben. Seine Mission ist, einen Beitrag zur Erhaltung der noch wilden Gebiete Botswanas und der Artenvielfalt zu leisten. Dafür lebt er selbst sehr spartanisch und nimmt einiges auf sich. Mit am meisten beeindruckt hat mich die eher technische Beschreibung, wie Grüner im Alleingang sein früheres Camp in sein neues Reservat umgezogen hat: Mit einem Truck hat er alles in großen Schiffscontainern von a nach b gebracht (was pro Container und einfache Strecke 26 Stunden dauerte) – und diese dabei im Alleingang auf den LKW ge- und wieder entladen. Diese Mischung aus Schufterei und Einfallsreichtum fand ich wirklich faszinierend. Wie großartig Fauna und Flora in Botswana ist, wusste ich schon vor der Lektüre, aber was ein Mensch schaffen und auch entbehren kann, wenn er sich ihrem Schutz mit Haut und Haaren verschreibt, ist mehr als beeindruckend.
Und so ist „Löwenland“ zwar ein Buch über eine ungewöhnliche und bezaubernde Freundschaft zwischen Mensch und Tier, viel mehr aber noch ein passionierter Aufruf zum Naturschutz von einem, der mit bestem Beispiel vorangeht. Es liest sich interessant und kurzweilig und bringt den Leserinnen und Lesern einen weit entfernten Teil der Erde und dessen Schönheiten etwas näher.

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