Eine Abrechnung
Reserve„Sie schrieb: ‚Das ist kein Ersatzmann. Keine Reserve.‘ “
Zusammen mit J.R. Moehringer hat Prinz Harry seine Autobiografie vorgelegt. In „Reserve“ schreibt er sich ohne Rücksicht auf Verluste alles von ...
„Sie schrieb: ‚Das ist kein Ersatzmann. Keine Reserve.‘ “
Zusammen mit J.R. Moehringer hat Prinz Harry seine Autobiografie vorgelegt. In „Reserve“ schreibt er sich ohne Rücksicht auf Verluste alles von der Seele. Eine Abrechnung mit dem britischen Königshaus? Es ist erstaunlich, dass ein Mann, der so oft gegen die Presse wettert, die Öffentlichkeit förmlich sucht. Ein Oprah Winfrey – Interview war der erste Schritt in Sachen Seelenstriptease, bald folgte eine Netflix-Dokumentation und nun also eine Autobiografie, die in gewisser Weise an Prinzessin Dianas „True Story- in her own words “ anschließt. Überhaupt ist Diana omnipräsent in Harrys Werk, wer erinnert sich nicht an den kleinen Jungen, der zusammen mit seinem Bruder William hinter dem Sarg der tödlich in Paris verunglückten Mutter herging? Ich muss zugeben, dass mir Harry in der Vergangenheit immer sympathisch war, die Palast – PR war genial – Harry, der Lausbub, one of the lads.
Mit seinem „Outing“ dekonstruiert und zerstört Harry dieses Bild völlig. Einerseits ist es verständlich, dass der Windsor – Spross seine Seite der Geschichte erzählen will, andererseits wäre es nicht nötig gewesen, intime Familiengeheimnisse auszuplaudern und zu einem Rundumschlag gegen Höflinge, Hofzeremoniell und - Protokoll auszuholen. Da die britische Königsfamilie nach dem Motto „never complain, never explain“ verfährt, dürfte Henry (er gibt im Buch den Spitznamen „Harold“ preis) klargewesen sein, dass seine Familie nichts dementieren würde. Er lamentiert über die Ungerechtigkeit eines dynastischen Systems und über die Weigerung der Krone, für seinen Sicherheitsdienst im Ausland zu bezahlen. Er schreibt, er sei förmlich gezwungen gewesen, aus Großbritannien zu flüchten. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen auf der Welt vor Krieg und Katastrophen flüchten müssen, ist die Aussage eines in Los Angeles lebenden Multimillionärs kurios. Harry widerspricht sich und seiner Frau auch, ohne es zu merken. Überhaupt wirft die Autobiografie kein gutes Licht auf den Royal, dies war sicher nicht die Intention des Autors. Mit seiner Drogenbeichte tut sich Harry sicher keinen Gefallen, auch wenn sie ihn menschlich macht. „Reserve“ ist in drei Teile gegliedert – Kindheit, Militärzeit, Meghan könnten die Überschriften lauten. Teilweise hatte ich beim Lesen Mitleid, wenn von PTSP und Panikattacken die Rede ist. Ich kann verstehen, dass er seine Stiefmutter nicht sympathisch findet. Schade nur, dass der Erzähler nicht erkennt, wie privilegiert er ist. Er jettet ständig um die Welt, man fragt sich, wie dies mit dem Thema „Umweltschutz“ vereinbart werden kann. Formal gesehen gibt es banale und melodramatische Passagen, man wundert sich über die Stilbrüche im Buch und über die unfreiwillige Komik, über hochtrabende Formulierungen. Interessant fand ich, dass Harry anführt, dass seine Mutter einerseits liebevoll und andererseits sehr distanziert gewesen sei. Insgesamt gesehen ist Diana – Thematik im Buch sehr dominant, man hätte dem Prinzen bessere Berater und auch bessere Lektoren gewünscht, es gibt unfreiwillige Komik, manche Kritikpunkte wirken sehr kleinlich, etwa wenn es darum geht, dass der ältere Bruder die größere Hälfte eines Zimmers bewohnen durfte. Es ist nötig & verständlich, dass er rassistische Untertöne in der Presse seiner Frau gegenüber verurteilt, aber es ist seltsam, dass das Paar nicht (wie angekündigt) zurückgezogen leben will. Bezeichnend ist, dass Harry im Nachwort nur seiner neuen Familie dankt.