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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.09.2022

Schauen und schauern

Schau durchs Fenster!
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Ein Feuer! Ein Monster! Ein böser, gefräßiger Wolf! Bei wie vielen von Ihnen ist der Puls jetzt bereits angestiegen? Seien Sie beunruhigt: All das erwartet Sie und Ihre Kinder in „Schau durchs Fenster!“ ...

Ein Feuer! Ein Monster! Ein böser, gefräßiger Wolf! Bei wie vielen von Ihnen ist der Puls jetzt bereits angestiegen? Seien Sie beunruhigt: All das erwartet Sie und Ihre Kinder in „Schau durchs Fenster!“ – oder etwa nicht?

Katerina Goreliks Kinderbuch ist in erster Linie ein großer Spaß mit leichtem Gruselfaktor. Und in zweiter Linie räumt er mit Klischees auf. Der Lefzen ziehende Wolf ist nicht etwa scharf auf gemischtes Hack aus Großmutter und Rotkäppchen, sondern auf die gemeinsame Teezeit. Das gruselige Skelett im Fenster? Ist lediglich die Knochenapparatur von Dr. Maus, der gerade einen Hund untersucht. Und der Brand in der Küche? Ist lediglich ein Drache gewordener Bagel-Toaster – wie praktisch!

Das Buch ist eine Wohltat, denn endlich einmal ist im Gegensatz zu Märchen nicht alles böse, nicht alles schrecklich. Auch wenn die wundervollen Illustrationen den ersten Schauer noch unterstreichen. Aber: Auch bei harmlosen Szenen ist auf den ersten Blick nicht alles Gold was glänzt – oder leckerer Apfelkuchen. Letztere Szenen geben dem Buch noch einmal einen ganz anderen Twist: Auch eine vermeintlich nette Omi kann ihre düstere Seiten haben.

Die Moral? Ein zweiter Blick lohnt sich im Leben. So lassen sich Vorurteile aus der Welt räumen, im Guten wie im Schlechten. Aber, auch das sei gesagt: Auf den 60 Seiten wird häufiger der Schrecken genommen als ein neuer gegeben. Und das ist nicht nur schön, sondern auch sehr zeitgemäß.

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Veröffentlicht am 20.09.2022

Der kleine Wunderladen

SAMi - Wie pflanze ich ein Einhorn?
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Liebe Eltern, ihr seid in der Einhornfalle gefangen und ächzt bereits beim Gedanken an ein weiteres Buch über stirnbehörnte Pferde? Keine Sorge – „Wie pflanze ich ein Einhorn?“ ist keine Geschichte über ...

Liebe Eltern, ihr seid in der Einhornfalle gefangen und ächzt bereits beim Gedanken an ein weiteres Buch über stirnbehörnte Pferde? Keine Sorge – „Wie pflanze ich ein Einhorn?“ ist keine Geschichte über quietschbunte Vierhüfler mit Regenbogenmähne. Zumindest nicht direkt. Dafür eine wundervolle Erzählung über die Macht der Pflanzen und warum manche Ratschläge nicht achtlos überhört werden sollten. Was wir Erwachsenen ja spätestens seit Gremlins wissen.

Die Geschichte in wenigen Worten: Die kleine Sally landet auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für ihre Oma in einem – im wahrsten Sinne – zauberhaften Blumenladen. Mister Pottifer, eine völlig harmlose fleischfressende Pflanze, hat allerlei magische Gewächse im Angebot – manche beißen, andere schneien und hageln, boxen und schwingen im Takt und wieder andere haben Einhörner als Früchte. Bloß soll man von letzteren nie mehr als einen Samen pflanzen, ansonsten … naja, lest und hört selbst.

Denn „Wie pflanze ich ein Einhorn?“ ist Buch und Hörspiel in Kombination mit dem SAMi Lesebär von Ravensburger. Der kleine Eisbär mit der Teetasse verwandelt die Geschichte in ein hübsch gelesenes Hörvergnügen, gesprochen von Anna Ewelina. Vielerlei Hintergrundgeräusche runden die magische Atmosphäre von Steven Lentons Geschichte perfekt ab. Natürlich funktioniert das Buch auch ganz klassisch. Im Gegensatz zu manch anderen Buch-Hör-Kombis wird hier keine Zeile Text weggelassen, so dass kleine Leser:innen die Geschichte auch ganz ohne Lesebär entdecken können.

Und die Einhörner? Sind am Ende tatsächlich für was gut. Dabei nicht mit der, tja, mittlerweile auch schon klassischen Einhornkotze, dafür mit … auch das möchte ich nicht verraten. Aber es bringt Mister Pottifers Laden noch einmal auf ein ganz neues Level. Ein bezauberndes, toll illustriertes und amüsant geschriebenes Buch für kleine Einhorn-Fans. Und ja, tatsächlich auch für Eltern, die eigentlich schon die Nase voll von Einhörnern haben. Versprochen!

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Veröffentlicht am 30.08.2022

Lost in Translation

Intimitäten
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Ein Mann verschwindet. Ein anderer wird zusammengeschlagen. Ein dritter steht vor Gericht. Und mittendrin eine namenslose Erzählerin. Was klingt, wie ein aufregender, düsterer Noir-Plot, ist tatsächlich ...

Ein Mann verschwindet. Ein anderer wird zusammengeschlagen. Ein dritter steht vor Gericht. Und mittendrin eine namenslose Erzählerin. Was klingt, wie ein aufregender, düsterer Noir-Plot, ist tatsächlich eine behutsame, intime Erzählung über Entfremdung und Annäherung, beruflich wie privat. Und das funktioniert in Katie Kitamuras „Intimitäten“ größtenteils sehr gut.

Die Ich-Erzählerin lebt seit einigen Monaten in Den Haag, arbeitet als Übersetzerin am Internationalen Gerichtshof, ist in einer Beziehung mit Adriaan. Auf einer Party erfährt sie, dass dieser eigentlich noch verheiratet ist, aber von seiner Frau verlassen wurde. Als er nach Portugal reist, um die Scheidung einzureichen, überlässt er der Erzählerin für die geplante Woche seine Wohnung, doch aus der Abwesenheit werden immer mehr Tage, aus den Nachrichten immer weniger. In der Zwischenzeit lernt sie den Buchhändler Anton kennen, der nahe der Wohnung ihrer Freundin Jana zusammengeschlagen wurde, und einen angeklagten Ex-Präsidenten, der sie als Übersetzerin der Strafverteidigung am IGH anfragt. Und für sie stellt sich mehr und mehr die Frage: Liegt ihre Zukunft noch in Den Haag?

„Intimitäten“ baut durch die Beobachtungen, Gefühle und Erwartungen der Protagonistin eine dichte Spannung auf, die gleichzeitig durch die verflochtenen Beziehungen der weiteren Charaktere bekräftigt wird. Dabei können sich Leser:innen nur auf die Gedanken der Erzählerin verlassen, auf ihre Mutmaßungen und Emotionen. Manches bleibt vage, nur ein Gefühl, nur eine Angst, manches wird im Laufe der Geschichte aufgelöst. Darauf muss man sich einstellen, sowas muss man mögen, wenn man Katie Kitamuras Roman zur Hand nimmt.

Die intime, unsichere Gefühlswelt, gefüttert durch eine unsichere Beziehung, eine unsichere berufliche Zukunft in einem auch nach Monaten noch fremden Land, wird durch Kitamuras einfühlsame Schreibweise perfekt aufgefangen, erinnert phasenweise an Sofia Coppolas Filmmeisterwerk „Lost in Translation“. Das passt natürlich perfekt zum Alltag der Dolmetscherin, die perfekt mehrere Sprachen spricht und sich dennoch nach einem Leben in New York und familiären Wurzeln in Singapur nirgendwo so richtig zuhause fühlt. Und in der ein vergessenes Kindheitserlebnis ein wahrer Gamechanger sein kann. Genau wie dieses Buch von Katie Kitamura – denn sie hat das Potenzial zu einer Lieblingsautorin.

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Veröffentlicht am 23.08.2022

Wenn aus Büchern Hörspiele werden

SAMi - Der größte Schatz der Welt
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Es ist Eisbärzeit im Kinderzimmer: SAMi, der Lesebär zieht ein! Der gelbbemützte Arktisbewohner mit der blauen Kaffee-, pardon, Kakaotasse verwandelt Bücher in Hörspiele. Wie das klappt? Eigentlich ganz ...

Es ist Eisbärzeit im Kinderzimmer: SAMi, der Lesebär zieht ein! Der gelbbemützte Arktisbewohner mit der blauen Kaffee-, pardon, Kakaotasse verwandelt Bücher in Hörspiele. Wie das klappt? Eigentlich ganz gut.

Die Einrichtung ist tatsächlich kinderleicht, aber trotzdem etwas für die Eltern: SAMi wird eingeschaltet, ein Smartphone, Tablet oder Computer mit seinem WLAN verbunden, die Einrichtungswebseite aufgerufen, die heimischen WLAN-Daten eingetragen und schon kann das Kind loslegen.
SAMi hat seinen Platz im Buch ganz hinten. Auf der letzten Seite wird seine Eisscholle festgeklemmt. Wichtig: Er muss mittig vor den kleinen Punkten sitzen – sonst sagt er zwar, dass alles geklappt hat, aber die Geschichtenseiten werden eventuell nicht erkannt. Und das wäre ja mehr als schade.

Nun aber los: Während SAMi noch kurz das Buch vorstellt, wird die Geschichte – in diesem Fall „Der größte Schatz der Welt“ – von einer anderen Stimme vorgelesen. Und das klappt richtig gut. Die kleinen Punkte, mit denen der Vorleseeisbär die Seiten erkennt, sind angenehm unauffällig, die Wirkung der schönen Zeichnungen wird nicht beeinträchtigt.

Eine kleine Schwierigkeit: Neue Bücher haben die Eigenschaft, sich selbst umzublättern oder wieder zuzuklappen. Frechfüchse! Dadurch flippert SAMi anfangs schon einmal durch die Geschichte, wenn das Buch nicht festgehalten oder beschwert wird. Und: Blättert man zu langsam, denkt SAMi, er sei nicht mehr mit dem Buch verbunden und fordert dazu auf, ihn wieder festzustecken. Dadurch, aber auch beim Umblättern, werden auch schon einmal andere Seiten angelesen, bis SAMi erkennt, welche Seite nun geöffnet ist. Das ist aber nur ein kleiner Makel, der sich verschmerzen lässt.

Die beigelegte Geschichte, „Der größte Schatz der Welt“, geschrieben von Andrea Schütze und illustriert von Joelle Tourlonias, wird recht charmant von Katrin Daliot vorgelesen. Wie in einem Hörspiel sind viele Hintergrundgeräusche zu hören, eine echte Urwaldatmosphäre entsteht, was hübsch ist, schließlich handelt sie von einem kleinen Affen, der im Dschungel auf der Suche nach eben jenem größten Schatz der Welt ist, um ihn seiner Mutter zu schenken. Immer wieder begegnet er dabei anderen Tieren, die ihm zeigen, was für sie der größte Schatz ist. Das Ende ist natürlich offensichtlich, herzerwärmend für Eltern und Kind, aber etwas zu lang geraten.

Und ganz zum Schluss? Da verabschiedet sich SAMi mit einem leicht verkitschtem Lied von den jungen Leser:innen, die davon vermutlich begeisterter sind als die Eltern, aber zumindest wandelt es musikalisch eher auf Pfaden von Mark Forster als von Rolf Zuckowski.

Kleines Fazit? Der große Vorteil ist sicherlich, dass SAMi Kindern die Bücher erzählen kann, wenn die Eltern einmal keine Zeit haben, aber die Bücher auch problemlos in voller Länge selbst vorgelesen werden können. Mit einer wachsenden Palette an Büchern für alle Altersgruppen ist SAMi so durchaus eine Alternative zu Tonies und anderen Hörspielen, die Kinder nicht nur für Geschichten, sondern auch für das wichtigste Medium begeistert: Bücher.

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Veröffentlicht am 16.08.2022

This charming girl

Snowflake
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Trigger-Warnung: In „Snowflake“ geht es um Tod, Suizid und Depressionen. Und trotzdem ist Louise Nealons Debütroman größtenteils unglaublich leicht, charmant und lebensbejahend. Der Grund: wunderbar gezeichnete ...

Trigger-Warnung: In „Snowflake“ geht es um Tod, Suizid und Depressionen. Und trotzdem ist Louise Nealons Debütroman größtenteils unglaublich leicht, charmant und lebensbejahend. Der Grund: wunderbar gezeichnete Charaktere, die auch kleinere Schwächen in der Geschichte komplett wettmachen.

Debbie White ist 18 Jahre alt und startet ihr Anglistik-Studium am Trinity College. So wie viele andere in ihrem Alter. Aber statt in Irlands Hauptstadt zu ziehen, bleibt sie in ihrem Heimatort, pendelt zur Uni und kümmert sich nebenbei mit ihrem Onkel um die gemeinsamen Milchkühe und ihre Mutter, die vom Unfalltod ihres Freundes traumatisiert ist. Hin und wieder übernachtet sie bei ihrer neuen, ersten richtigen Freundin Xanthe, die mit Debbies heimlicher Jugendliebe zusammen ist und ihr gesteht, dass sie an Depressionen leidet. Für Debbie kaum vorstellbar, hat Xanthe doch alles – Geld, Aussehen und den Jungen, für den Debbie schwärmt. Bricht die junge Freundschaft direkt wieder auseinander?

Louise Nealon schreibt Debbies Geschichte in kleinen Episoden, sie liest sich fast wie ein Blog, wenn Debbie von ihrem Alltag, von ihren Erlebnissen und Erfahrungen berichtet. Entspannt, manchmal etwas naiv, tappt Debbie durch ihr Leben, das eigentlich ganz typisch, ganz banal verläuft. Wären da nicht ihre Träume, die Träume ihrer Mutter und die Nichtträume ihres Onkels.

Manchmal fehlt Debbies Geschichte der Tiefgang, einzelne Handlungsstränge bleiben relativ unbetrachtet liegen, natürlich bewusst, denn Debbie hat für diese keine Zeit, keine Lust, keinen Nerv, diese Plotstränge aufzulösen. Auch das Ende kommt fast etwas zu schnell, vielleicht aber auch, weil man als Leser:in gerne noch viel mehr Zeit mit Debbie und ihrer Familie, Xanthe und Audrey – früher Klavierlehrerin, heute Psychologin – verbringen würde. Denn fast alle Charaktere sind extrem charmant und liebenswert. Und das ist ein deutlicher Unterschied zur oft als Vergleich bemühten Sally Rooney, deren Figuren dieses Sympathielevel nie erreichen.

Eine schöne, manchmal traurige und verstörende, aber immer herzliche Geschichte über Freundschaft über Familie, über Träume und Aberglaube und über das Erwachsenleben – das sowohl für die junge Generation, aber auch für die Familie durchaus anstrengend sein kann. Und ein toller, zeitgemäßer Debütroman einer vielversprechenden Autorin, der dank des mare-Verlags in einer tollen deutschsprachigen Übersetzung vorliegt.

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