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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.09.2022

Gediegen

Das neunte Gemälde
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Der Kunstexperte Lennard Lomberg wird aufgrund seines Fachwissens über Beutekunst im 3. Reich in die Geschichte eines Gemäldes hineingezogen, dessen Existenz Rätsel aufgibt, das durch Zufälle die Bilderverbrennung ...

Der Kunstexperte Lennard Lomberg wird aufgrund seines Fachwissens über Beutekunst im 3. Reich in die Geschichte eines Gemäldes hineingezogen, dessen Existenz Rätsel aufgibt, das durch Zufälle die Bilderverbrennung entarteter Kunst im besetzten Paris durch die Nazis überstand, damit auch zu einem dunklen Flecken der Familiengeschichte Lombergs selbst wurde und letztlich zu einem Mord führt. Verwickelt in die Aufklärung dieses Mordes wird Lennard Lomberg nicht zur zum Ermittler in Sachen Kunst und der Herkunft des neunten Gemäldes, sondern auch hinein gesogen in die eigene Familiengeschichte, in Fragen der Schuld, der Rache, der Verantwortung, der Auflehnung und der Wiedergutmachung. Der Roman spielt auf drei Ebenen: 1940 im besetzten Paris, 1966, als Lombergs Vater in der jungen BRD zum Bundesgeneralanwalt aufsteigt, und 2016, als die ganze Geschichte Lomberg selbst einholt.
Gediegen war das erste Wort, was mir in den Sinn kam, als ich die Einführung in das Leben eines Kunstexperten namens Lennard Lomberg las. Zuhause in London, aber auch in Bonn, in den Kunst- und Akademikerkreisen, auf einem französischen Weingut sowie der Finanzwelt, für die er zwecks Versicherung Kunstwerke begutachtet, führt er ein gediegenes Leben in Hinsicht auf Lifestyle, Mobiliar, Essen, Kleidung und Automobil. Aber auch die Sprache des Krimis ist gediegen, passend zum Ambiente. Und der Plot selbst ist insofern gediegen, als der Leser sehr genau aufpassen muss, nicht die Übersicht zu verlieren über das Personal, die Zeitebenen und die vielen Verwicklungen untereinander und den verschiedensten Schauplätzen: Bonn, London, Paris, ein Weingut in der Provence, ein Bahnhof in Avignon, Spanien, Mallorca, Berlin, die DDR. Immer verwickelter wird die Handlung, die sich aber zunehmend auch mit vielen interessanten Wendungen und Drehs entwickelt und im letzten Drittel zu fulminanten Lösungen führt. Es liegt kein klassischer Krimi vor, es geht weniger um die Suche nach einem Mörder, die immer mehr an den Rand gerückt wird. Es ist vielmehr ein intelligentes Verwirrspiel mit politisch-historischem und kunsthistorischem Tiefgang. Anhand der vielschichtigen Personen und ihrer dramatischen Schicksale zeigt der Autor auf, dass die Kategorien von Schwarz und Weiß der Frage nach Opfer und Täter, nach Schuld und Sühne nicht gerecht werden. So einfach ist es nicht. Ein kluges Lesevergnügen mit Geschmack, gediegen eben.

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Veröffentlicht am 10.09.2022

Ein tolles Buch

So federleicht wie meine Träume
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Ein tolles Buch

So leicht lässt sich der Lesestoff in Worte fassen. Alina ist eine junge, aufstrebende Ballerina, bis ein Unfall ihre Träume zunichte macht. Jetzt muss sie als ganz „normales“ Mädchen ...

Ein tolles Buch

So leicht lässt sich der Lesestoff in Worte fassen. Alina ist eine junge, aufstrebende Ballerina, bis ein Unfall ihre Träume zunichte macht. Jetzt muss sie als ganz „normales“ Mädchen und Schülerin wie jede andere zurück an die Eagle View. Und nimmt auf einmal war, dass es noch anderes gibt neben dem Ballett. Da sind zum einen Margot, Ethan und Jude, ihre neuen Freunde. Und da ist das Musical, die Schulaufführung, auf die eine Menge SchülerInnen der Eagle View hinfiebern. Wird Alina neue Träume träumen können?
Das Buch nimmt den Leser gleich von Seite 1 mit in den Sog der Geschichte. Aus Sicht Alinas taucht der Leser ab in die Welt der Highschools und hier der einer bunten Truppe an SchülerInnen mit all ihren Träumen, Hoffnungen und Wünschen. Die Charaktere sind sehr vielfältig und auf ihre Weise liebenswert. Alle haben ihre eigenen Sorgen und Probleme, die die Autorin einfühlsam beschreibt und mit denen sie die Figuren nie allein lässt. Obwohl es fasst ausschließlich ums Tanzen und Musik geht, kommt auch ein Nichttänzer auf seine Kosten und die Geschichte ist nie langweilig. Interessant ist auch der Aspekt des Rassismus in der Welt des Balletts, ein Thema, das mir so noch nicht bewusst war.
Die Geschichte ist sehr atmosphärisch geschrieben und lässt den Leser in die Welt der Freundesclique gänzlich abtauchen.
Das Buch ist insbesondere für junge LeserInnen, aber nicht nur, eine anregende Lektüre und ein guter Freund, wenn ihm eine Margot, ein Ethan oder ein Jude gerade mal fehlen!

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Veröffentlicht am 27.08.2022

Großartig

Ingeborg Bachmann und Max Frisch – Die Poesie der Liebe
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Großartig


Ein eher nichtssagender Titel für eine Rezension, aber das, was mir bei zunehmender Lektüre in Bezug auf den Roman „Eine Poesie der Liebe“ als am treffendsten in den Sinn kam.
Die Autorin schildert ...

Großartig


Ein eher nichtssagender Titel für eine Rezension, aber das, was mir bei zunehmender Lektüre in Bezug auf den Roman „Eine Poesie der Liebe“ als am treffendsten in den Sinn kam.
Die Autorin schildert darin die (selbst)zerstörerische Liebesbeziehung zwischen den großen deutschsprachigen Dichtern Max Frisch und Ingeborg Bachmann, deren Phasen sie mit „Liebesanflug“, „Liebesflüge“, „Sturzflug“ und „Gebrochene Flügel“ betitelt und die sie mit der Sage vom Flug des Ikarus vergleicht, der zu hoch an die Sonne flog und dann abstürzte. So ist auch die Liebe zwischen den beiden, die sehr intensiv und zu intensiv ist, sodass aus der Eifersucht des einen und dem Drang nach Freiheit der anderen letztlich nichts anderes folgen kann als ein traumatisierendes Ende für beide. Sowohl ihre Liebe als auch deren Ende findet Eingang in die Werke der Dichter und damit auch in die Öffentlichkeit.
Es geht aber auch um das Rollenverständnis von Mann und Frau im Allgemeinen in der Nachkriegsgesellschaft und im Besonderen im Literaturbetrieb, es geht um verschiedene Schreibweisen, vielleicht, wenn man so will, um männliches und weibliches Schreiben.
Mit großer Sachkenntnis widmet sich die Autorin ihrem Herzensprojekt und setzt den von ihr geliebten und geachteten Autoren ein großartiges Denkmal. Sie vermittelt dem Leser die schwierigen Gefühls- und Stimmungslagen der beiden, ihre unterschiedliche Art, zu denken, zu fühlen, zu formulieren und zu schreiben. Dabei flicht sie immer wieder Originalzitate aus den Werken der Autoren ein oder stellt literarische Bezüge her. Darüber hinaus vermittelt sie ein tiefen Einblick in das Handwerk des Schreibens und des Literaturbetriebs mit den Größen der damaligen Zeit. Auch die Beziehung Bachmanns zu Paul Celan und dessen tragischem Leben schildert sie sehr sensibel und einfühlsam. Der Roman bietet ein Einstieg in das Werk der beiden Protagonistin, aber auch dem Interessieren auf mehr als nur unterhaltende Art einen vertieften Einblick in das Seelenleben und die Beziehung von Frisch und Bachmann und macht Lust, ihre Werke noch einmal zu lesen. Einzig kritische Anmerkung – eine Marginalie: die vielen Blumen auf dem Cover und auf den einzelnen Kapiteleinleitungsseiten hat der Roman nicht verdient. Wohl ein Markenzeichen der Reihe muten sie mir doch zu kitschig an für eine Beziehung, die nicht gerade „auf Rosen gebettet“ war und für ein ernstzunehmendes, großartiges Projekt über eine bedeutende Phase der deutschsprachigen Literaturgeschichte.

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Veröffentlicht am 24.08.2022

Wer dem Schweigen ausdrucksstarke Wörter verleiht

Dein Schweigen, Vater
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Der Roman „Dein Schweigen, Vater“ handelt von Paul, der als kleiner Junge den Todesmarsch von Brünn überlebt und seine Vergangenheit in Form von Schweigen mit in seine Familie nimmt.
Und er handelt von ...

Der Roman „Dein Schweigen, Vater“ handelt von Paul, der als kleiner Junge den Todesmarsch von Brünn überlebt und seine Vergangenheit in Form von Schweigen mit in seine Familie nimmt.
Und er handelt von Maria und Ulli, seinen Kindern, die dieses Schweigen mit in ihr eigenes Leben nehmen, bis zu einem Punkt, an dem ihr eigenes Leben an diesem Schweigen ins Stocken gerät und sie sich auf den Weg machen, diesem Schweigen auf den Grund zu gehen. Dieser Weg führt sie zurück nach Brünn auf die Route des damaligen Marsches der von den Tschechen am Ende des Zweiten Weltkrieg vertriebenen Deutschen.
Für den ersten Teil, die Schilderungen des Todesmarsches, brauchte ich drei Anläufe, zu groß der Schrecken und die Gräuel, die die Autorin mit den Augen und den Worten eines Kindes beschreibt, der noch nicht alt genug ist, alles zu verstehen, und doch alt genug, um zu viel zu begreifen. Dadurch wirken die Ereignisse auf den Leser noch unfassbarer, so dass auch ihm die Worte fehlen, das beim Lesen Gefühlte in Worte zu fassen.
Mit der Verschiebung der Perspektive auf die der Kinder von Paul tritt eine unerwartete Wendung ein. Die Autorin nimmt uns mit in zwei Leben, die sehr intensiv sind und zugleich auf der Suche nach einem Ziel. Die Beschreibungen werden sanfter, ruhiger trotz aller Zweifel und Getriebenheit der Protagonisten. In den Schrecken und das Schweigen mischen sich herzliche Erlebnisse, warme Begegnungen und tiefe Gespräche zwischen den beiden Geschwistern, aber auch zwischen den ihnen und den Menschen, denen sie auf ihrer Reise in die Vergangenheit begegnen. Der Schrecken schlummert unter einer atmosphärisch beschriebenen Landschaft zwischen Brünn und Wien und in den herzlichen Begegnungen zwischen den Tschechen und dem deutschen Geschwisterpaar, die nichts mehr von irgendwelchen Ressentiments erahnen lassen. Das Ende gibt eine Aussicht auf Versöhnung, vielleicht ist es etwas viel des Guten, vielleicht haben es sich die Figuren und die Leser aber auch verdient nach diesem schweren Marsch. Auch wenn Maria meint, Geschichte vollziehe sich in Kreisen wie die Ringe eines Baumes, macht das Ende doch Mut zu glauben, dass sich nicht alles zwangsläufig wiederholen muss, sondern dass der Mensch die Entscheidung hat durch Vergebung und durch das aufeinander Zugehen den Kreis zu etwas Gutem zu führen.
Der Autorin ist ein intensives, anrührendes Buch gelungen. Sie findet oft wunderbare Worte für das schwer Sagbare. Es ist ein Buch, das man lange mit sich trägt und nicht mehr vergessen wird.

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Veröffentlicht am 18.08.2022

Traurige russische Seelen

Das Leben vor uns
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„Glaubst du, Russen schleppen eine tiefgründige, schädliche Traurigkeit mit sich herum?“, fragt die Protagonistin des Romans, Anja, ihren alten Jugendfreund Lopatin am Ende des Romans „Das Leben vor uns“. ...

„Glaubst du, Russen schleppen eine tiefgründige, schädliche Traurigkeit mit sich herum?“, fragt die Protagonistin des Romans, Anja, ihren alten Jugendfreund Lopatin am Ende des Romans „Das Leben vor uns“. Es ist die Geschichte von vier Jugendlichen, die im Russland der 80er Jahre erwachsen werden. Sie hoffen einerseits auf ein anderes Leben in Freiheit mit allen Möglichkeiten, bleiben aber zugleich alle verhaftet in der Geschichte ihres Landes. Alle vier Leben nehmen unterschiedliche Verläufe, bleiben aber verbunden bis zuletzt.
Der Titel „Das Leben vor uns“ weckt Hoffnung auf ein Leben, das in vollen Zügen und mit allen Möglichkeiten gelebt werden will. Doch am Ende es zeigt sich, dass man seiner Vergangenheit und seiner Herkunft nicht entkommen kann, egal wie weit man ihr zu entfliehen sucht. Das lässt den Leser mit einer stillen Traurigkeit zurück.
Das Buch zeichnet sich auch in der Übersetzung aus mit einer wunderbaren Sprache, die sich gut lesen lässt, nie schwer oder pathetisch wird, dennoch ergreift und großartige Bilder zeichnet von der Natur und von der Stimmung im Land, die sich in der Natur und im Wetter spiegelt.
Die Figuren nehmen den Leser mit ihren Stärken und Schwächen, ihren liebenswürdigen und abstoßenden Wesenszügen ein. Es gibt keine Helden und keine Antihelden. Das bringt die Figuren dem Leser so nahe. Genauso wie ihm das Buch sehr viel mehr als nur die wechselvolle, schreckliche, grausame Geschichte Russlands von der russischen Revolution, die Blockade von Leningrad über den Kalten Krieg, Perestroika und Glasnost bis hin zu Putin, nahebringt. Er bekommt eine Ahnung von russischer Mentalität, von der Verbundenheit zu diesem rauhen Land, von dem Kampf mit der eigenen Geschichte und Gesellschaftsordnung. Es tut sich ein Zwiespalt auf von russischem Brauchtum, das Verwurzelung schafft und Heimat bietet und quasi der Natur entwachsen zu sein scheint, und dem Ringen mit den Selbstentwürfen gesellschaftlichen Zusammenlebens, die ihren Ursprung in der Idee des Kommunismus haben, in der Realität aber scheitern und die Menschen einengen, ausbeuten, quälen und sterben lassen.
Der Roman bringt dem Leser die russische Seele ein wenig näher

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